Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, Sie hatten eine nahrhafte und geruhsame Mittagspause. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 14. Bevor ich diesen aufrufe, erinnere ich an die letzten Worte von Frau Dr. Paschke. Der Tagesordnungspunkt 17 ist gestrichen worden und die Tagesordnungspunkte 16 und 18 sind in der Reihenfolge getauscht worden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist ein aktueller Vorgang, der mich dazu veranlasst, das Thema „Pille danach“, wie es umgangssprachlich heißt, heute auf die Agenda zu heben. Sie werden es den Medien sicherlich entnommen haben - es ist erst wenige Wochen her -: In Köln ist eine junge Frau furchtbar vergewaltigt worden; sie hat danach Hilfe in mehreren Krankenhäusern gesucht und hat diese Hilfe nicht erhalten.
Ich finde, das ist ein insbesondere für Deutschland unsäglicher Vorgang, der zu Recht in den Medien und in der Öffentlichkeit skandalisiert wurde.
Etwas weiter zurück liegt meine Kleine Anfrage zum Thema Verhütungsmittel allgemein. Dort habe ich unter anderem auch die Position der Landesregierung zur „Pille danach“ abgefragt. Dazu gab
es keine konkrete Antwort, weil der Meinungsbildungsprozess damals noch nicht abgeschlossen war. Ich gehe davon aus, dass dieser Meinungsbildungsprozess inzwischen abgeschlossen ist; denn seit dieser Kleinen Anfrage ist ungefähr ein Jahr vergangen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe auch davon aus, dass der Meinungsbildungsprozess nur in eine Richtung abgeschlossen sein kann: dass die Rezeptfreiheit für die „Pille danach“ eingeführt wird.
Korrekt müsste man sagen: die Rezeptfreiheit für levonorgestrelhaltige Arzneimittel zur postkoitalen Kontrazeption. Sie erlauben mir sicherlich, dass ich weiterhin von der „Pille danach“, wie sie umgangssprachlich heißt, spreche.
Um dies zu realisieren, ist eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsordnung nötig. Dies kann der Bundestag beschließen; eine entsprechende Änderung ist dann im Bundesrat zustimmungspflichtig.
Mit der Forderung nach der Rezeptfreiheit stehen wir GRÜNE nicht allein. Bereits im Jahr 1994 wurde auf der Weltkonferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Kairo eindeutig festgestellt, dass der ungehinderte Zugang zur Familienplanung weltweit zu den sexuellen und reproduktiven Menschenrechten gehört.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ergänzt: Eine ärztliche Untersuchung vor Einnahme der „Pille danach“ sei unnötig, weil die Einnahme keine gesundheitlichen Risiken für die Frau berge.
Bereits vor elf Jahren hat sich auch das Europäische Parlament eindeutig zu dieser Frage positioniert. Es hat eine Resolution erlassen, die besagt, die „Pille danach“ soll in allen Mitgliedstaaten barrierefrei, niedrigschwellig und zu geringen Preisen verfügbar sein.
In Deutschland haben sich bisher sehr dezidiert die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker und, was wahrscheinlich noch wichtiger ist, der Sachverständigenausschuss beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte positiv zur Freigabe geäußert. 19 von 27 EU-Ländern haben diesen Schritt bereits vollzogen. Im Jahr 1999 hat Frankreich als erstes Land diesen Schritt getan.
Sie alle werden vermutlich schon einmal einen Brief von der Gesellschaft Pro Familia bekommen haben, die sich in Deutschland sehr stark für die Rezeptfreiheit einsetzt und eine sehr dezidierte und fundierte Öffentlichkeitsarbeit dazu macht. Ich könnte noch andere Institutionen aufzählen, die diese These stützen. Ich glaube aber, das ist nicht nötig; denn die Fachöffentlichkeit - so viel kann
Ich möchte dennoch drei Gründe aufzeigen, die für eine Rezeptfreiheit der „Pille danach“ sprechen. Erstens. Es sind keine gesundheitlichen Risiken bekannt. Es sind keine Nebenwirkungen oder wenn, dann nur ganz schwache, wie es bei fast allen Arzneimitteln der Fall ist, bekannt, aber keine Kontraindikation. Die Hormondosis ist nicht signifikant höher, als wenn man regelmäßig die Antibabypille einnimmt.
- Das ist eine andere Geschichte, weil sie in der Regel über einen langen, langen Zeitraum, über viele Jahrzehnte eingenommen wird und über die Dauer Nebenwirkungen entfaltet. Hierbei handelt es sich um eine einmalige Einnahme in einer Notsituation.
Zweitens. Notsituation war ein gutes Stichwort dafür. Der zweite wesentliche Grund ist mir besonders wichtig, weil er in den Medien oft falsch dargestellt wird. Die „Pille danach“ ist keine Abtreibungspille. Nach der Einnistung der befruchteten Eizelle oder wenn bereits eine Schwangerschaft vorliegt, entfaltet diese Pille keine Wirkung. Es handelt sich hierbei um ein Verhütungsmittel, das - sollte bereits eine Schwangerschaft vorliegen - keine embryonalen Schädigungen nach sich zieht.
Es ist weder moralisch noch rechtlich noch medizinisch vertretbar zu sagen, hierbei handele es sich nicht um eine normale hormonelle Verhütung. Somit reiht sich die „Pille danach“ in alle frei verfügbaren Verhütungsmittel in Deutschland ein.
Drittens. Die oft geäußerte Befürchtung, dass die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ zu risikoreichem Verhütungsverhalten führen könnte, ist in den Ländern, in denen sie bereits rezeptfrei erhältlich ist - es sind allein in der EU 19 -, nicht belegt. Im Gegenteil: Es gibt Untersuchungen aus Schweden, England, der Schweiz und Frankreich, die belegen, dass sich die Verkaufszahlen von herkömmlichen Verhütungsmitteln und deren Gebrauch nicht verändert haben.
Es geht hierbei um Ausnahmefälle. Wenn beispielsweise ein Verhütungsfehler vorliegt oder eine Vergewaltigung stattgefunden hat, dann kann man im Interesse der Frau, die in der Regel unter einer ungewollten Schwangerschaft am meisten leidet, in einem Notfall tätig werden.
„Pille danach“ in den ersten 24 Stunden. Wenn vor der Einnahme, wie derzeit in Deutschland vorgesehen, noch ein Arztbesuch vorgenommen werden muss, wird dieses relativ kleine Zeitfenster noch unzulässig, wie ich finde, verkürzt. Das ist fahrlässig und das sollten wir nicht mehr zulassen.
Denn insbesondere nachts, am Wochenende, an Feiertagen besteht Bedarf an dieser Pille. Dann ist ein Arzt, noch dazu ein Arzt des Vertrauens, oft nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit erreichbar. Wenn wir uns vorstellen, dass beispielsweise am Samstag Bedarf besteht, weil ein Notfall eintritt, und der Arzt des Vertrauens erst Montagnachmittag oder am Dienstagnachmittag Sprechstunde hat, dann sind die 24 Stunden längst verstrichen. Im ländlichen Raum - wir kennen das alle - ist es sogar noch schwieriger, einen Arzt zu erreichen.
Es ist, so glauben wir, nicht vertretbar, dass aus solchen Gründen eine ungewollte Schwangerschaft eintritt. Das verstößt gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau, das auch von der Uno verbrieft ist. Dagegen müssen wir vorgehen.
Ich glaube auch, dass nach einer Freigabe der „Pille danach“ die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche - dabei nimmt Sachsen-Anhalt leider eine sehr unrühmliche Rolle ein; darum müssen wir uns sicherlich an anderer Stelle noch kümmern - sinken wird.
Im Bundesvergleich kommen auf 1 000 Geburten 160 Abtreibungen, in Sachsen-Anhalt sind es 240. Studien, insbesondere aus Schweden, zeigen, dass es tatsächlich der Fall ist, dass hiermit die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche gesenkt werden kann. Das wäre für mich auch ein großes Ziel, das mit der Einführung der Rezeptfreiheit verbunden wird.
Auch die finanziellen Mehrkosten, die mit der Rezeptpflicht verbunden sind, sind nicht zu unterschätzen. Wir haben heute Morgen im Rahmen der Debatte zur Agenda 2010 darüber diskutiert, dass bereits kleine Beiträge für viele Menschen in diesem Land eine Hürde darstellen.
Es wird eine Rezeptgebühr fällig. Wenn man einen Arzt aufsucht, dann führt dieser einen Schwangerschaftstest durch, der kostenpflichtig ist. Wenn kein Arzt in der Nähe ist und man ein Krankenhaus aufsuchen muss, dann wird eine Notdienstgebühr fällig. Wenn man richtig Pech hat, dann wird auch noch die Beratung in Rechnung gestellt. All das muss die Frau privat bezahlen.
Pro Familia hat Studien in ganz Deutschland erhoben: 43 % der Frauen müssen mehr als 20 € und mehr als 20 % müssen mehr als 30 € für die „Pille danach“ aufwenden. Wenn man weiß, dass
die „Pille danach“ an sich 17 € kostet, dann wird deutlich, dass den Frauen tatsächlich Mehrkosten entstehen, die für viele schon eine Hürde darstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Wir GRÜNE wollen mit dem Antrag die selbstbestimmte Sexualität insbesondere von Frauen stärken. Wir wollen die Familienplanung stärken. Wir wollen mit diesem Antrag einen barrierefreien Zugang zu allen Verhütungsmitteln erreichen.
(Beifall bei den GRÜNEN - Herr Schröder, CDU: Ich denke, die „Pille danach“ ist kein Verhütungsmittel!)
Ich möchte auch ganz klar sagen, dass es uns nicht darum geht, die Männer aus der Pflicht zur Verhütung zu entlassen.