Protocol of the Session on December 14, 2012

Es geht selbstverständlich nicht darum, die in der Beschlussempfehlung formulierte Würdigung von Aktivitäten und des Engagements gegen Rechtsextremismus und für Demokratie nicht mit zu vollziehen.

Was für meine Fraktion aber nicht tragbar ist, ist das Bild der Ereignisse, das diese Beschlussempfehlung zeichnet. Wenn es unter anderem heißt, durch den engagierten Einsatz der Polizei vor Ort konnte das verhindert werden, was beim Brandanschlag in Solingen oder bei der Hetzjagd in Guben geschehen ist, dann verzerrt das die Realität.

Es wird der Eindruck erweckt, der Polizei, vor allem aber ihrer politischen Führung sei erstens völlig klar gewesen, womit sie es zu tun hat, und die Polizei hätte sofort angemessen und professionell agiert und die Situation im Griff gehabt. - Das ist schlichtweg falsch.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Am Samstag, dem 6. September 1992 flogen die ersten Steine. Etwa 30 Polizisten waren vor Ort und waren mit der immer größer werdenden Zahl von Angreifern und den immer brutaleren Angriffen völlig überfordert. Sie konnten weder die mit dem Tod bedrohten Asylbewerberinnen und Asylbewerber effektiv schützen noch die wenigen, die sich im wörtlichen Sinne zu ihrer Verteidigung vor sie stellten.

Polizei und Politik erkannten eben nicht die potenziell tödliche Dimension dieser Situation. Erst in

der Nacht von Montag auf Dienstag unterstützten weitere Einsatzkräfte die Beamten vor Ort. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits die ersten Brandsätze geworfen worden und die Mahnwachenden und auch Polizisten angegriffen und verletzt worden. Erst weitere zwei Tage später wurde die Zahl der Einsatzkräfte erneut erhöht, und auch das klärte die Lage noch nicht.

Was hier verhindert werden konnte, meine Damen und Herren, ist das Schlimmste, nämlich Mord; nicht aber die Pogromstimmung, nicht aber die Gewaltausübung und nicht die ganz reale Gefahr für Leib und Leben.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Herrn Striegel, DIE LINKE)

Für meine Fraktion steht fest: Polizei, vor allem aber Politik hat hier versagt.

Die politische Konsequenz aus den Angriffen des rassistischen Mobs in Quedlinburg war die Räumung des Heimes, zumindest derjenigen, die nicht bereits geflohen waren. Die Angreifer konnten damit ihre Forderung „Ausländer raus aus Quedlinburg“ zunächst bestätigt sehen.

Erfüllt hat Politik ebenso die Erwartungshaltung eines Teils der Bevölkerung, die mit den Pogromen und rassistischen Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte in Quedlinburg und anderswo Anfang der 90er-Jahre stets einherging, und sie sendete mit dem sogenannten Asylkompromiss zu Beginn der 90er-Jahre das verheerende Signal: Es sind zu viele und sie haben kein Recht darauf, hier zu sein.

Exakt diese Einstellung war die Ausgangsbasis der Angreifer, und Politik hat sie mit dieser Entscheidung bestätigt und verstärkt. Beides, sowohl die zwangsweise Räumung der Asylbewerberheime als auch die Einschränkungen des Asylrechts, war eine Kapitulation des demokratischen Rechtsstaates.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Mit ist völlig klar, dass man dazu unterschiedlicher Meinung sein kann und dass diejenigen, die diese Entscheidung politisch getroffen haben, das heute anders bewerten.

Was ich aber zumindest erwarte, ist, diesen politischen Kontext aufzurufen. Diese politische Kontextualisierung blendet die hier zur Debatte stehende Beschlussempfehlung völlig aus. Deswegen kann meine Fraktion ihr nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit Blick auf die Zeit will ich zwei weitere Punkte nur nennen. Wir teilen weder die These, dass es in erster Linie verwirrte Jugendliche und nur vereinzelt Nazis und Rassisten waren, die in Quedlinburg

und andernorts Asylbewerber angriffen. Noch teilen wir die politische Schlussfolgerung, es gelte jetzt einen allgemeinen Extremismus zu bekämpfen.

Damit bin ich noch einmal beim Sachsen-AnhaltMonitor. Wenn nur 26 % der Bevölkerung die Aussage, dass Ausländer besonders häufig in Straftaten verwickelt seien, nicht teilen, dann zeigt das deutlich, dass rassistische und ausländerfeindliche Einstellungen eben nicht das Erkennungsmerkmal eines pauschalen Extremismus und von pauschalen Extremisten sind, sondern in der Mitte der Gesellschaft verankert sind.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Abschließend noch ein Wort zu den Bemühungen der Landesregierung. Dass wir an dieser Stelle unterschiedliche Einschätzungen treffen, ist keine Überraschung. Natürlich begrüße auch ich die Bemühungen des Landes zur erleichterten Einbürgerung. Das ist keine Frage.

Wer aber tatsächlich glaubt, mit einer Einbürgerungskampagne etwas an rassistischen und antidemokratischen Einstellungen zu ändern, der belügt sich selbst. Ein deutscher Pass - das zeigen auch die jüngsten Übergriffe in Sachsen-Anhalt - schützt Menschen, die eine andere Hautfarbe haben, eine andere Sprache sprechen oder den Anschein erwecken, einer anderen Religion anzugehören, eben nicht vor rassistisch motivierten Gewalttaten.

Deswegen bleibt die hier zur Abstimmung stehende Beschlussempfehlung weit hinter dem zurück, was möglich und erst recht nötig wäre. Deswegen werden wir sie ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Kolze.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der erste Satz der Einbringung der antragstellenden Fraktion in diesem Hohen Haus hieß: „Zukunft braucht Erinnerung“. Der Redebeitrag hatte jedoch nur wenig mit dem Erinnern und Gedenken an die Angriffe auf die Asylbewerberunterkunft in Quedlinburg zu tun.

Vielmehr war die Rede von generellem Versagen, von Gesellschaft und Staat, einer fehlenden und unzureichenden Sanktion von Gewalt gegen Migranten, einer Glatzenpflege auf Staatskosten, einer ahnungslosen und grundsätzlich milden Polizei und Rechtspflege, ja sogar von einer rassistischen Gesetzgebung. Von diesem bei der Einbringung

geführten Duktus distanzieren wir uns ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU)

Diese harten, markigen und sogar bösartigen Äußerungen könnten unseren Bürgerinnen und Bürgern suggerieren, dass in Sachsen-Anhalt ein gesellschaftlicher und staatlicher Rassismus herrsche. Wenn dies Ihre Absicht gewesen sein sollte, dann möchte ich Sie an dieser Stelle an die Ergebnisse des Sachsen-Anhalt-Monitors erinnern.

Die aktuelle Datenlage belegt, dass rechtsextreme und ausländerfeindliche Einstellungen auf dem Rückzug sind. Wir haben sicherlich unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich des Ausmaßes an Fremdenfeindlichkeit in unserem Land. Es sollte aber absolute Einigkeit darin bestehen, dass uns der erfreuliche Rückgang darin bestärken muss, in unserem Land im Kampf gegen den politischen Extremismus und die Fremdenfeindlichkeit nachzuhalten. Dazu dienen die Erinnerung und das Gedenken an die schrecklichen Ereignisse in Quedlinburg vor 20 Jahren. Zukunft braucht Erinnerung - dem stimme ich uneingeschränkt zu.

Die Koalitionsfraktionen haben gemeinsam eine Beschlussempfehlung auf den Weg gebracht, die dem Erinnern und Gedenken gerecht wird. Beim Blick in die junge demokratische Vergangenheit unseres Bundeslandes bin ich immer wieder über das Ausmaß der damaligen ausländerfeindlichen Krawalle betroffen.

Wie in Rostock-Lichtenhagen wurden unter dem Aufruf „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!“ Gewalttäter von Schaulustigen beklatscht und geradezu aufgestachelt. Es wurde gejubelt, wenn ein Wurfgeschoss sein Ziel erreichte. Viele Anwohner schauten einfach nur weg. An diesem Tag hat dort vor Ort ohne Zweifel ein Teil der Zivilgesellschaft versagt.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

Nur viel zu wenige haben sich diesem Mob entgegengestellt.

Es greift sicherlich ein wenig zu kurz, die Welle der Ausländerfeindlichkeit und der Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte zu Beginn der 90er-Jahre allein als Ausdruck einer ausländerfeindlichen und hasserfüllten Gesinnung zu bezeichnen. Darin kamen auch die Entwurzelung vieler junger Menschen, die Frustration über fehlende Arbeit, Betriebsschließungen und der Irrglaube, hieran seien Hinzugekommene schuld, zum Ausdruck.

Die Perspektivlosigkeit junger Menschen in der Heimat ist heute nicht mehr das große Gesellschaftsproblem. Dies, meine Damen und Herren, bestätigt auch der Sachsen-Anhalt-Monitor.

Eines möchte ich an dieser Stelle für die CDUFraktion erneut ganz deutlich betonen: Es hat kei

nen Sinn, 20 Jahre nach diesen Ereignissen Schuldzuweisungen an damals Verantwortliche zu machen. Meiner Ansicht nach hat die Polizei damals überlegt und vorsorglich gehandelt, wenn auch sicherlich nicht fehlerlos. Viele waren damals aufgrund der Dimension der Eskalation der Gewalt tatsächlich und verständlicherweise hilflos.

Wir müssen uns jedoch auch immer wieder vor Augen führen, dass durch den damaligen Einsatz der nur mangelhaft ausgerüsteten Polizisten das verhindert werden konnte, wozu es andernorts leider gekommen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ziel der Beschlussempfehlung der Koalitionsfraktionen ist es, durch den Blick auf die Ereignisse vor 20 Jahren alle demokratischen Kräfte auch weiterhin und immerwährend zu bestärken, für ein Sachsen-Anhalt einzustehen, in dem sich jeder ohne Angst zu Hause fühlt und auch verschieden sein kann. Wir wollen ein Sachsen-Anhalt, in dem Freiheit, Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind.

In diesem Sinne bitte ich Sie abschließend um Ihre Zustimmung zur Beschlussempfehlung der Koalitionsfraktionen. Ich darf Ihnen auf diesem Wege ein gesegnetes Weihnachtsfest und für das Jahr 2013 Erfolg und Gesundheit wünschen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr, Herr Kolze. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Striegel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erinnerung kann aus der Sicht meiner Fraktion immer nur tätige Erinnerung sein; sie wirkt in Gegenwart und Zukunft. Ihre Ernsthaftigkeit erweist sich, wenn aus der Erinnerung an Vergangenes konkrete Taten in der Gegenwart werden. Die vorliegende Beschlussempfehlung vermag uns als bündnisgrüne Fraktion daher nicht zu überzeugen.

Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ist der von uns vorgelegte Antrag zum Gedenken an die rassistischen Pogrome von Quedlinburg im September vor 20 Jahren in der Ausschussbefassung bis zur Unkenntlichkeit gekürzt, verwaschen und umgefärbt worden.

(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Ich glaube, der Unterschied zwischen dem, was der Minister vorgetragen hat, und dem, was der Redner der CDU-Fraktion, Herr Kolze, vorgetragen hat, ist deutlich geworden. Das markiert sozusagen ein Stück weit unser Problem, das mit der Be

schlussempfehlung einhergeht. Wir sagen: Das ist nicht mehr deutlich; damit sprechen wir nicht mehr mit einer einheitlichen Stimme. Aber vielem von dem, das Herr Minister Stahlknecht hier vorgetragen hat, kann man zustimmen.

Der Text der Beschlussempfehlung, Herr Kollege Kolze, verharrt in der Vergangenheit und deutet die Geschichte um. In Quedlinburg wie auch in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen versagten Staat und Gesellschaft. Dieses Versagen bereitete den Nährboden, auf dem das Terrornetzwerk des NSU gedeihen konnte.