Protocol of the Session on September 20, 2012

Sachsen-Anhalts Weg in eine Gesellschaft ohne Rassismus ist noch weit. Ja, eine Gesellschaft ohne Rassismus erscheint bisweilen utopisch.

Mehr Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt ist dafür unumgänglich.

(Unruhe bei der CDU)

Sachsen-Anhalt braucht Zuwanderung nicht nur, um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen, sondern auch, um mehr Austausch zwischen unterschiedlichen Traditionen und Herkünften gestalten zu können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Bei einem Migrationsanteil von aktuell unter zwei Prozent liegt hier noch ein weiter Weg vor uns. Wer diesen Weg gehen will, der muss das seit Anfang der 80er-Jahre von Konservativen geprägte Mantra von „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ ebenso hinter sich lassen, wie er das Land Sachsen-Anhalt für Zuwanderinnen und Zuwanderer attraktiv machen muss.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wer als Fachkraft in Sachsen-Anhalt seinen ausländischen Abschluss nur unter Schwierigkeiten anerkannt bekommt, der wird wenig Interesse an diesem Land verspüren.

Welche Migrantin soll nach Sachsen-Anhalt kommen, wenn sie befürchten muss, dass ihr Partner oder ihre Kinder im Alltag rassistischen Beschimpfungen und Bedrohungen ausgesetzt sind?

Der Weg, der vor uns liegt, ist weit. 20 Jahre nach den rassistischen Angriffen auf eine Unterkunft von Asylbewerbern in Quedlinburg und nach den vielfachen Angriffen gegen Migrantinnen und Migranten in dieser Zeit rufen wir mit diesem Antrag dazu auf, sich an die damaligen Ereignisse zu erinnern.

Wir gedenken unserer eigenen Unterlassungen in dieser Zeit. Wir würdigen alle diejenigen, die sich in diesen Tagen und in diesen Jahren vor und an die Seite migrantischer Nachbarn gestellt haben und mit diesen durch kleine und große Gesten solidarisch waren.

Der Weg, den Sachsen-Anhalt in der Auseinandersetzung mit Neonazis, mit Rassismus und mit Menschenfeindlichkeit zu gehen hat, ist noch weit. Wir erinnern deshalb nicht nur für jetzt, sondern für die Zukunft.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke, Herr Striegel. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Stahlknecht. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Lieber Herr Striegel, mit weiten Teilen Ihres Debattenantrages stimme ich überein, mit dem teilweise von Ihnen eingeführten Duktus in der Debatte allerdings nicht.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Ich denke, es ist, unabhängig davon, wer welcher Partei angehört, ein Gebot der Menschlichkeit und einer tiefen humanen Überzeugung, dass in einem Land Menschen jeder Kultur und jeder Herkunft gleichberechtigt leben können und die gleichen Chancen haben.

Das ist die Grundlage jedes menschlichen Handelns, glaube ich, das ist mein ganz persönliches Verständnis und auch das Verständnis eines jeden Menschen, der Christ ist. Daher lehnen wir jede Form von Gewalt gegenüber Andersdenkenden, anders Seienden, anders Glaubenden ab. Diesen großen Bogen müssen wir gemeinsam ziehen.

Dem Verhalten derjenigen, die sich daran nicht halten, müssen wir uns entgegenstellen, einerseits aufgrund des gefundenen Grundsatzes einer Menschlichkeit und einer humanitären und einer humanistischen Weltanschauung. Andererseits sind wir es unserem Land und unserer eigenen Geschichte und Kultur schuldig.

Denken Sie an Nathan den Weisen mit der Ringparabel: „Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann in Osten…“ So beginnt das. Das waren Deutsche. Wir hatten eine deutsche Kultur, die bis 1933 hoch geachtet war. Wir waren das Land der Dichter und Denker. Das ist etwas, auf das man stolz sein konnte und stolz sein darf.

Zwischen 1933 und 1945 wurde diese unsere eigene Kultur nachhaltig zerstört. Daher können wir es nicht zulassen, dass es wieder Menschen in unserem Land gibt, die sich gegenüber Andersdenkenden so verhalten und die wieder unsere eigene Kultur und unser eigenes sympathisches Bild nach außen in der Weltöffentlichkeit zerstören.

Daher, Herr Striegel, bin ich Ihnen dankbar für diese Debatte, weil sie nicht nur seit meinem Amtsantritt Herzensangelegenheit meiner politischen Richtlinienkompetenz in meinem Hause ist.

Zur Unterbringung - diesbezüglich bin ich Ihnen manchmal fast näher als woanders -: Ich bin schon dafür, dass wir, und zwar ganz zügig, Familien mit Kindern und auch Frauen mit Kindern so schnell wie möglich dezentral unterbringen.

(Zustimmung bei der CDU und bei den GRÜ- NEN - Beifall bei der SPD)

Ich bin auch dagegen, dass wir diejenigen, die keine Familien sind oder hier vor Ort keine Familien oder keine Kinder haben, in absehbarer Zeit dezentral unterbringen. Denn die Erfahrung lehrt: Wenn ich Menschen gettoisiere und sie in einer Kultur leben lasse, in der Aggression und Streit entstehen, erschwert das am Ende die Integration in unsere Gesellschaft ungeheuer.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lieber Herr Striegel, die räumliche Beschränkung basiert auf einem Bundesgesetz. Wir haben in unserem Hause durch eine Verordnung im Jahr 2011 bereits eine Lockerung der Residenzpflicht eingeführt, die auch eingehalten wird. Aber ich habe eine herzliche Bitte; denn ich glaube, uns eint wie auch in anderen Dingen, über die wir morgen sprechen werden, das Ziel. Wir sollten mit solchen Begriffen, dass wir eine rassistische Gesetzgebung haben, äußerst zurückhaltend sein.

(Zustimmung bei der CDU - Beifall bei der SPD)

Herr Striegel, Sie bewirken damit - Sie nehmen das vielleicht sogar billigend in Kauf -, dass diejenigen, die unsere Protokolle lesen, und zwar auch außerhalb Deutschlands, der Auffassung sind, dieses Land habe rassistische Gesetzesgrundlagen.

Wenn das so wäre, wäre es mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar. Dann würden Sie heute sagen: Unsere Gesetze sind verfassungswidrig. - Dagegen wehre ich mich. Wenn Sie anderer Auffassung sind, führen Sie den Beweis.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Ein Letztes. Wir haben in der Polizei - dafür danke ich auch meinen Amtsvorgängern, egal wie sie hießen - gemeinsam viel erreicht. Wir haben die Module in der Ausbildung. Wir haben eine sensibilisierte Polizei. Aber wir haben nicht eine fehlerfreie Polizei, weil niemand von uns, der hier sitzt, fehlerfrei ist - das gerade ist die menschliche Komponente -, aber das Gefühl der Demut kennt, an den eigenen Fehlern zu lernen. Das ist das, was ich in langen Dialogen mit meinen Polizeibeamten, die nicht von heute auf morgen fruchten, Herr Striegel, berede, ohne oberlehrerhaft sein zu wollen.

Unser Land braucht die Erinnerung aufgrund der historischen Verantwortung. Aber ich habe die Bitte und den Wunsch, dass wir Sachsen-Anhalt als weltoffen darstellen, dass wir uns mehr ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger suchen und sie auch finden, die dann allerdings auch am Arbeitsleben teilnehmen und dadurch einen weiteren Teil ihrer Integrationsberechtigung absolviert haben.

(Herr Höhn, DIE LINKE: Wenn sie es dürfen! - Zuruf von den GRÜNEN: Wenn sie es dür- fen!)

- Wenn sie es dürfen und am Ende auch müssen. Es gibt gewisse Dinge, über die wir reden müssen. Ich bin auch nicht mit allem zufrieden, was da ist. Aber das politische Ziel können wir gemeinsam vereinbaren.

Ich glaube auch, Herr Striegel, dass wir morgen früh - ich bin einmal auf Ihren Duktus gespannt - im Ergebnis die gleiche Auffassung haben werden, dass wir - weil Sie es hier haben anklingen lassen - auch gegenüber den Opfern der NSU die Verantwortung haben aufzuklären, wie es dazu kommen konnte.

Aber die Aufklärung um der Aufklärung willen und nicht die Aufklärung um der Skandalisierung willen - damit meine ich nicht Sie -, das ist die herzliche Bitte, die ich habe. Denn diese schwierigen gesellschaftspolitischen Themen bekommen wir nur hin - wobei ich jede Fraktion bitte mitzuhelfen -, wenn wir menschlich im Konsens bleiben.

Damit schließe ich: Zukunft hat ein Land immer nur dann, wenn man sich seiner eigenen Vergangenheit bewusst ist. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir treten nunmehr in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge: SPD, LINKE, CDU, GRÜNE. Als Erster spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Steppuhn. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist, denke ich, gut, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier einen Antrag vorlegt, der zum einen erinnert und gedenkt, zum anderen aber auch beschreibt, was in der Zukunft zu machen ist.

Herr Striegel, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten vielleicht ein wenig mehr erinnert und an die Dinge von vor 20 Jahren gedacht und nicht Zusammenhänge hergestellt, bezüglich deren ich mich schon fragen musste, ob wir in dem gleichen Land leben oder ob Sie vielleicht andere Vorstellungen von diesem Land entwickelt haben. Ich glaube, einige dieser Zusammenhänge sind einfach nicht in den in Rede stehenden Zusammenhang zu stellen, weil sie einfach nicht hineingehören.

Es ist gut, an die Vorkommnisse von vor 20 Jahren in Quedlinburg und anderswo zu erinnern, aber auch darauf einzugehen, dass es immer wieder wichtig ist, sich gegen Demokratiefeindlichkeit und fremdenfeindliche Einstellungen, aber auch gegen extremistisches Gedankengut auszusprechen.

Es ist richtig, dass wir gerade die Ereignisse in Quedlinburg von vor 20 Jahren zum Anlass neh

men, daran zu erinnern, was geschehen ist, und dabei deutlich zu machen, wie wichtig es sowohl damals war als auch heute ist, dass es Menschen gibt, die couragiert einschreiten, wenn andere Menschen bedroht werden.

Deshalb nehme ich als Abgeordneter, der für die Stadt Quedlinburg zuständig ist, gern die Gelegenheit wahr, an die Ereignisse von Quedlinburg zu erinnern, wie es im Übrigen auch schon in Quedlinburg selbst stattgefunden hat, angefangen beim Oberbürgermeister über Kommunalpolitiker bis hin zu den regionalen Medien. Aber auch von ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern wurde daran erinnert.

In Quedlinburg gab es vor 20 Jahren zwei Heime für Asylbewerber, meist Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Doch das wussten damals nur die wenigsten der rund 20 000 Einwohner.

Während die Menschen in einem der heruntergekommenen Häuser im Zentrum unbehelligt bleiben, konzentrieren sich seinerzeit die Auseinandersetzungen in den Nächten vor jenem Gebäude, das direkt an einer Durchgangsstraße liegt. Sie trennt Fachwerkhäuser und Jugendstilvillen von einem Neubauviertel aus DDR-Zeiten.

Die Plattenbauten im Rücken marschieren hier an einem Montag die ersten Randalierer auf. Steine fliegen und auch Molotowcocktails. Es wird in Kauf genommen, dass das Heim in Brand gerät. Sofort macht es die Runde: Das waren Rassisten; das ist fremdenfeindlich.

Beteiligt waren vor allem Jugendliche, Kinder und Familien, denen drei Jahre nach der friedlichen Revolution die Perspektive abhanden gekommen war. Fast alle Großbetriebe im Altkreis Quedlinburg hatten Tausende von Menschen entlassen. Die Arbeitslosenquote betrug 30 %.

Dennoch - das ist mit etwas Abstand von den Ereignissen klar geworden -: Die Krawalle in Quedlinburg haben nicht spontan begonnen. Es wurde berichtet, dass ständig große Limousinen unterwegs waren, aus denen Anweisungen erteilt wurden. Daran erinnert sich ein Journalist aus der Region und gibt dieses auch heute so wieder. Es waren Fahrzeuge aus Quedlinburg, aber auch aus Berlin und aus Braunschweig.