Protocol of the Session on May 13, 2011

Man wird erleben - Frau Dirlich, das erleben wir jetzt schon in unserem Landkreis -, dass diese neuen Angebote nur sehr selektiv genutzt werden

(Herr Kurze, CDU: Warum?)

und gerade nicht den Kindern zugute kommen, die besonders benachteiligt sind. Dies entspricht den Erfahrungen, die generell mit Gutscheinen gemacht werden, zum Beispiel bei den Gutscheinen, die dazu berechtigen, eine private Arbeitsvermittlung in Anspruch zu nehmen, also ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Zunächst haben weniger als 10 % den ausgegebenen Vermittlungsgutschein eingelöst.

Diesbezüglich muss man zwischen denjenigen Eltern unterscheiden, die das in Anspruch nehmen - das waren vorwiegend Arbeitslose mit besseren Beschäftigungschancen -, und denjenigen, die Wohngeld beantragen. Die so genannten Aufstocker stellen mehr Anträge als diejenigen, die Hartz-IV-Leistungen beziehen. Auch an dieser Stelle wird es eine Selektierung geben, die schwierig wird.

Warum hat es denn ein so großes Interesse daran gegeben - an dieser Stelle muss ich meinen kommunalpolitischen Sprechern etwas auf die Füße treten -, die Leistungen für Bildung und Teilhabe komplett an die Landkreise abzugeben? - Ich meine, dass es statt einer Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten eine Kostenverlagerung geben wird; denn viele Leistungen für Bildung und Teilhabe sind nicht so neu, wie sie aussehen.

Die Kosten für mehrtägige Klassenfahrten hat der Kreis schon vorher übernommen. Nun sind die Aufwendungen für eintägige Schul- und Kita-Ausflüge hinzugekommen. Die Mittagsverpflegung in den Schulen wurde für bedürftige Kinder in vielen Fällen schon vorher, entweder über die Fördervereine der Schule, über die Stadt, über die einzelnen Schulträger oder über die Kreistage, finanziert bzw. bezuschusst. Im Rahmen der Jugendarbeit mussten Kinder aus armen Familien auch vorher schon keine Beiträge zahlen; siehe § 90 SGB VIII. Die meisten Sportvereine haben auf Beiträge von Kindern aus Familien, die eine Grundsicherung erhalten, verzichtet.

Es kann jetzt passieren, dass die Kommunen, die diese Leistungen schon immer gewährt haben, jetzt prüfen, ob sie diese mit den Leistungen aus dem Teilhabepaket verrechnen können. Ich denke, dass alle, die kommunalpolitisch tätig sind, sehr darauf achten sollten.

Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, den ich für so schwammig halte, dass es dort am schwierigsten wird, die Förderung für benachteiligte Kinder hinzubekommen. Es handelt sich um die Möglichkeit, eine Lernförderung in Anspruch zu nehmen; sprich: Nachhilfe. Unabhängig von der Frage, warum unser Schulsystem überhaupt so konstruiert ist, dass die Nachhilfe epidemische Ausmaße annimmt, ist die Umsetzung dieser Regelung alles andere als klar.

Sie ist mit unzähligen unbestimmten Rechtsbegriffen gespickt, die von den Gerichten noch ausgelegt werden müssen. Die Lernförderung muss nicht nur angemessen sein, sondern auch geeignet und zusätzlich erforderlich, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.

Das Gesetz hat weitere sehr restriktive Vorgaben gemacht. Eine Lehrkraft muss den Bedarf bestätigen, die Versetzung muss gefährdet sein, aber der

Lernerfolg muss bis zu den nächsten Zeugnissen möglich sein.

Bei ausreichender Leistung, sprich bei einem „Ausreichend“, endet die Förderung wieder. Nachhilfe, um von der Haupt- auf die Realschule oder von dort auf das Gymnasium zu kommen, ist ausgeschlossen.

Frau Kollegin!

Ich weiß. - Die Förderung soll grundsätzlich - -

(Herr Gallert, DIE LINKE: Aber es stört Sie nicht!)

Nein, nein. Redezeit ist noch vorhanden. Aber es gibt eine Anfrage des Kollegen Gallert. Ich wollte nur fragen, ob Sie diese beantworten möchten.

Ja, am Ende.

Am Ende der Rede.

Ich fand es gestern sehr gut, als signalisiert worden ist, wie man mit Kartenzeichen oder Handzeichen anzeigt, dass man eine Zwischenfrage oder eine Frage am Schluss der Rede stellen möchte, damit man den Redner nicht immer unterbrechen muss. Ich fand das, was Frau Dr. Paschke gestern Abend gesagt hat, sehr hilfreich. Vielleicht könnten wir das generell einführen.

Die Förderung der Nachhilfe soll grundsätzlich schulnah erfolgen. Im Salzlandkreis soll das auch entsprechend geschehen. Trotzdem bleibt die berechtigte Sorge darüber, dass es den Markt für kommerzielle Nachhilfeinstitute geben wird. Das wird noch eine ziemlich schwierige Angelegenheit.

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen. Die neuen Leistungen sehen aus wie individuelle Rechtsansprüche, als hätte jedes Kind einen Anspruch auf bestimmte Dinge, auf Mittagsversorgung, auf Förderung und auf Bildung. Aber in der Begründung zu dem Gesetz wird deutlich, dass es nur darum geht, eine Exklusion der hilfebedürftigen Kinder dort zu vermeiden, wo ein Mittagessen in der Schule angeboten wird.

Es gibt lediglich einen Anspruch auf vorhandene Angebote. Das gilt auch für Angebote auf Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben. Sachsen-Anhalt ist ein Land, das sehr ländlich strukturiert ist. Wenn ein Kind im ländlichen Raum keinen Sport

verein in erreichbarer Nähe hat, hat es auch keinen Anspruch auf die 10 € im Monat und es hat auch keinen Anspruch auf die Erstattung von Fahrtkosten.

Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen: Es wird auch in unserem Land sehr unterschiedliche Regelungen geben. An dieser Stelle sehe ich die größten rechtlichen Probleme. Denn der Bundesgesetzgeber hat nach Artikel 72 Abs. 2 des Grundgesetzes die Verpflichtung für die Herstellungen gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Da er alles auf die Kommunen heruntergebrochen hat, wird es die unterschiedlichsten Entwicklungen geben. Es wird Landkreise geben, die ihren Auftrag vorbildlich erfüllen. Es wird Landkreise geben, die nur das Notwendigste tun, je nach Haushaltslage, wie es auch jetzt schon ist. Das ist keine Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse.

Zum Schluss: Ich bin froh, dass wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Schulsozialarbeit fortzuführen, dass wir die Jugendpauschale beibehalten, dass wir beginnen wollen, eine Gemeinschaftsschule zu entwickeln, und dass wir die Ganztagsbetreuung in der Kita erreichen wollen.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Ich finde, das sind bessere strukturelle Maßnahmen, um Kinder- und Jugendarmut zu bekämpfen, und daran sollten wir weiterhin festhalten. Denn das, was man beim Bund umzusetzen versucht, halte ich, mit Verlaub, für einen Rohrkrepierer. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Brake- busch, CDU, und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Frau Kollegin Grimm-Benne. - Herr Gallert, bitte.

Frau Grimm-Benne, mir ist jetzt als jemandem, der sich zwar mit dem Thema beschäftigt hat, aber nicht so intensiv wie die Redner, Folgendes aufgefallen. Frau Dirlich hat gesagt, bezüglich der Schulsozialarbeit ist vereinbart worden, dass der Bund die Grundsicherungskosten im Alter und die Kosten für die alte, die klassische Sozialhilfe übernimmt; dafür hätten die Kreise dann mehr Geld für die Schulsozialarbeit. So ist es bei mir angekommen.

Sie sagten jetzt: Explizit hat der Bund Schulsozialarbeitskosten veranschlagt. Sie haben das zusammen mit den anderen Posten auf 603 Millionen € beziffert. Können Sie mich über diese Differenz aufklären? Gibt es nun direkte Zuschüsse für Schulsozialarbeit seitens des Bundes oder sollen die Kommunen das sozusagen aus ihrer Ersparnis aufbringen?

Frau Dirlich hat Recht. Wir hatten unterschiedlich hohe Zahlen. Ich habe einfach alles zusammengefasst, was vom Bundesgesetzgeber veranschlagt worden ist, ohne dass ich dabei auf bestimmte Finanzierungsquellen abgehoben habe. Ich habe nicht ausdrücklich gesagt, dass das vom Bund finanziert wird.

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Es ist unterschied- lich für 2013 und ab 2014!)

Aha, das ahnte ich.

Wir haben noch die zusätzliche Problematik, dass wir Schulsozialarbeit auf der Landesebene eingeführt haben.

Das weiß ich. Daran kann ich mich erinnern. Alles klar, in Ordnung.

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. - Damit schließen wir die Aktuelle Debatte zum Thema „Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets in SachsenAnhalt“ ab. Beschlüsse zur Sache werden gemäß § 46 unserer Geschäftsordnung nicht gefasst.

Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 11:

Beratung

Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenfreizügigkeit beschäftigungs- und sozialpolitisch gestalten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/30

Einbringerin ist die Fraktion DIE LINKE. Es spricht für die Fraktion Frau Kollegin Rogée.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Anfang dieses Monats brauchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei, aus Slowenien, Estland, Lettland und Litauen keine Arbeitsgenehmigungen mehr, um in Deutschland zu arbeiten. Darauf mussten sie seit ihrem Beitritt zur EU im Jahr 2004 warten.

DIE LINKE begrüßt die Arbeitnehmerfreizügigkeit und fordert dieses Recht auch für die bereits im Jahr 2007 der EU beigetretenen Länder Bulgarien und Rumänien. Für diese soll abgesehen von Sai

sonkräften der Landwirtschaft und Studierenden noch bis 2014 das diskriminierende Arbeitsverbot gelten.

Schweden und Finnland dagegen haben von Anfang an auf solche Fristen verzichtet. Großbritannien, Irland und Schweden haben im Jahr 2004 für die acht Neuen keine Einschränkungen vorgenommen. Spanien, Portugal, Finnland und Griechenland haben bereits nach zwei Jahren die Übergangsfristen aufgehoben.

Deutschland gehörte zu den EU-15-Staaten, die ihren Arbeitsmarkt am stärksten abgeschottet haben. Viel war vor dem 1. Mai 2011 in der Presse, in den Medien von Arbeitgebern und Gewerkschaften zu lesen, zu hören und zu sehen. Die einen spekulierten auf mehr Facharbeiter und Auszubildende, die anderen erfüllte die Sorge in Bezug auf ein weiteres Anwachsen des Niedriglohnsektors.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit steht seit 1968 in den Europäischen Verträgen. Sie ist auch Bestandteil der Grundrechtecharta, die die Berufsfreiheit, die Nichtdiskriminierung sowie die Freizügigkeit festschreibt. Ganz zu schweigen von Artikel 13 der UN-Menschenrechtserklärung, die jedem und jeder das Recht gewährt, seinen Aufenthalt frei zu wählen.

Obwohl es also beim Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit um Grundrechtsansprüche geht, wird die europäische und insbesondere die bundesdeutsche Debatte mit dem Fokus auf einer Zuwanderung mit zu befürchtenden schwerwiegenden Störungen des deutschen Arbeitsmarkts geführt. Ich glaube, es sollte einmal vor der eigenen Tür gekehrt werden.

Über Jahre hinweg war die Absenkung der Löhne und Gehälter mit der Argumentation der Arbeitsplatzsicherung das Rezept für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und in Sachsen-Anhalt. In diesem Punkt waren sich führende Politiker und Wirtschaftsvertreter immer einig. Diese Politik gipfelte in der Agenda 2010. Es entstanden die so genannten Hartz-Gesetze, die die Gewerkschaften mit Angst und Schrecken erfüllten, weil für sie absehbar war, dass damit dem Niedriglohnsektor Tür und Tor geöffnet würde. Diese Politik, die von Vertretern der Sozialdemokratie noch heute für richtig befunden wird, störte durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes sowie der Sozialsysteme in der Tat den Arbeitsmarkt.