Protocol of the Session on June 7, 2012

Die Arbeit der Sicherheitsbehörden würde nach der Selbstaufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrundes eine andere werden müssen. Das ahnten wir bereits zu diesem Zeitpunkt und wir wissen es heute.

(Zustimmung von Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE)

Dass wir inzwischen die Namen der Katzen von Beate Zschäpe kennen, die Urlaubsfotos des Zwickauer Terrortrios gesehen habe, über die Farbe ihres Surfbretts Bescheid wissen und erfahren durften, dass Frau Zschäpe gern Fleisch aus artgerechter Tierhaltung konsumiert, wirft letztlich ein schlechtes Licht auf die Behörden.

(Herr Leimbach, CDU: „Bild“-Zeitung, nicht Behörden!)

Denn es dringen gleichzeitig nur wenige bzw. keine Erkenntnis darüber nach außen, wie es möglich war, dass ein neonazistisches Netzwerk von Terroristen und Unterstützern über Jahre hinweg unter dem Radar der Sicherheitsbehörden agieren konnte. Ab dem Zeitpunkt der ersten Morde verliert sich scheinbar jede Spur. Ist das Zufall?

Wir wissen heute, dass Verfassungsschutz und Polizei oft nah dran waren, vielleicht sogar zu nah. Das jedenfalls legen die Presseberichte zu angeworbenen und tatsächlichen V-Leuten ebenso nahe wie die Hinweise, es habe unmittelbar nach der Brandstiftung in Zwickau wiederholt Anrufe aus dem sächsischen Innenministerium bei Zschäpe gegeben.

Verfassungsschutz und Polizei gaben und geben bei der Aufhellung des verschachtelten und verwinkelten Nationalsozialistischen Untergrundes bislang kein gutes Bild ab. Blind sind sie auf dem rechten Auge nicht. Eine solche Behauptung würde blinden Menschen Unrecht tun, die durchaus in der Lage sind, ihre Umgebung sehr aufmerksam wahrzunehmen.

Fakt ist: Wir alle - innerhalb und außerhalb der Behörden - sind unaufmerksam, wenn es um Rassismus geht. Und daran müssen wir endlich arbeiten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Herrn Dr. Thiel, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Den Sicherheitsbehörden sollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ungeprüft Eingriffsbefugnisse dauerhaft an die Hand geben. Dagegen verwahren wir uns. Der Einsatz eines IMSI-Catchers ist ein derart massiver Eingriff in die Grundrechte, dass wir ihn nur in sehr eng umgrenzten Fällen überhaupt für vorstellbar halten. Zudem wäre unabhängig davon zu prüfen, ob der Einsatz eines solchen technischen Geräts tatsächlich geeignet und auch alternativlos ist, um das Ziel der Ermittlung oder Bebachtung zu erreichen. Beides ist im vorliegenden Fall nicht geprüft worden, sondern wurde vom Verfassungsschutz lediglich in einem einzigen Fall - in einer Eigentestierung - behauptet. Das reicht uns nicht aus.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir haben deshalb einen Änderungsantrag vorgelegt, der auch den von dem Datenschutzbeauftragten vorgetragenen Bedenken Rechnung. Er schafft Rechtssicherheit, weil die Eingriffsermächtigung derjenigen auf der Bundesebene angeglichen wird. Er sichert endlich eine unabhängige Evaluierung und er folgt der guten Tradition, Befugnisse für Sicherheitsbehörden grundrechtsschonend immer nur befristet auszustellen und im Zweifel bei Ungeeignetheit auch wieder zu verwerfen.

Herr Erben, wir folgen zudem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und wollen jeglichen Anschein, dass die Gesetzesnovelle auch auf eine Inhaltsüberwachung von Telekommunikation abziele, vermeiden. Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, räumen diesen Verdacht nicht aus.

Werte Kolleginnen und Kollegen! BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN wollen als Konsequenz aus den Pannen deutscher Sicherheitsbehörden bei der

Entdeckung und Aufklärung des Neonaziterrors den Verfassungsschutz mittelfristig überflüssig machen. Wir streben bis dahin eine viele stärkere parlamentarische Kontrolle an. Dabei passt es nichts ins Bild, dieser Behörde unbefristet neue Kompetenzen an die Hand zu geben, ohne vorher gründlich zu evaluieren. Deswegen werden wir die Beschlussempfehlung des Ausschusses ablehnen, sofern unsere Änderungsvorschläge dazu keine Mehrheit finden. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Herr Striegel. - Bevor ich dem Abgeordneten Herrn Kolze für die CDU-Fraktion das Wort erteile, können wir Damen und Herren der Stadtverwaltung Ilsenburg bei uns begrüßen. Seien Sie herzlichen willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Bitte sehr, Herr Kolze.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Verlauf der Debatte veranlasst mich, doch noch einmal auf die Funktionsweise des IMSI-Catchers einzugehen. Der IMSI-Catcher ist eine Basisstation für Mobilfunk, mit der die Polizei Handys orten kann. Durch dieses technische Mittel kann der Verfassungsschutz den Standort eines aktivgeschalteten Mobilfunkgerätes sowie dessen Geräte- und Kartennummer ermitteln.

Um erneut einer Legendenbildung vorzubeugen, möchte ich herausstellen: Von der Maßnahme ist nur die Zielperson betroffen; die Drittbetroffenen bleiben anonym. Es erfolgen keine Anfragen zu IMSI-Nummern Dritter bei den Netzbetreibern, sodass keine Rückschlüsse auf die entsprechenden Mobilfunknummern und die dazugehörigen Anschlussinhaberdaten gewonnen werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Auffassung der CDU-Fraktion ist der IMSICatcher ein notwendiges technisches Hilfsmittel, um konspirativ genutzte Kommunikationsverbindungen zu identifizieren. Er ist zur effektiven Aufgabenwahrnehmung des Verfassungsschutzes unverzichtbar.

Denken Sie bitte an die Notwendigkeit von Vorfeldaufklärungen im Bereich der Strukturen des internationalen Terrorismus. Der Verfassungsschutz zählt etwa 1 000 Personen zum islamistisch-terroristischen Spektrum in Deutschland. Von mehr als 250 Personen mit Bezügen nach Deutschland liegen Erkenntnisse dazu vor, dass sie zwecks terroristischer Ausbildungen nach Afghanistan und Pakistan gereist sind.

Ein Rechtsstaat muss wehrhaft sein. Wer dies für nicht notwendig erachtet, gefährdet die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger.

(Zustimmung bei der CDU)

Zu dem von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegten Änderungsantrag, der bereits im Innenausschuss abgelehnt worden ist, nur so viel: Es ist nicht richtig, wenn Sie bei der derzeit bestehenden Formulierung des Gefahrenbegriffs für den IMSI-Catcher von einer niedrigen Eingriffsschwelle reden.

Davon abgesehen bestanden bei Ihrem Antrag Bedenken in Bezug auf das Zweilesungsprinzip; denn mit der Novelle soll lediglich das Auslaufen der Eingriffermächtigung verhindert werden.

Die von Ihnen geforderte erneute Evaluierung ist nicht notwendig. Es wurde bereits eine Evaluierung, insbesondere im Hinblick auf die Praktikabilität und die Erreichung des gesetzgeberischen Zieles, durchgeführt. Der Einsatz eines IMSI-Catchers erfolgte lediglich in einem einzigen Fall und unter ganz strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Wir wissen, die Daten Dritter unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. Drittbetroffene bleiben also anonym und der Einsatz erfolgt unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

Ein weiterer Evaluierungsbericht würde sich daher allein auf Fallzahlen stützen, die sich jedoch je nach Bedrohungslage plötzlich wieder ändern können. Sich plötzlich ändernde Gefahrenlagen müssen aber durch eine effektive Aufgabenwahrnehmung durch den Verfassungsschutz abgesichert werden.

Auf einen Aspekt möchte ich erneut unvermissverständlich hinweisen. Wenn Herr Striegel in seiner Pressemitteilung verkündet, dass die Koalitionsfraktionen mit dem IMSI-Catcher perspektivisch Inhalte von Telefongesprächen entschlüsseln wollten, dann handelt es sich dabei um eine unwahre und boshafte Behauptung.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat Herrn Striegel im Ausschuss erklärt, dass die Zitierklausel eine Eingriffsbefugnis nicht erweitert. Eine Eingriffsermächtigung zum Abhören durch den IMSI-Catcher ist nicht vorhanden. Durch den Einsatz des IMSI-Catchers werden Kommunikationsinhalte nicht erfasst.

Herr Striegel, immer dann, wenn sie über Wege in den Überwachungsstaat sprechen, wie Sie es in Ihrer Pressemitteilung tun, oder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mit ihrer Bemerkung, dass der Verfassungsschutz ei

ne aus der Logik des Kalten Krieges heraus agierende Spitzelbehörde sei, in ehrverletzender Weise beschimpfen, wird für alle offensichtlich, dass Ihr ganzes Denken von einem tiefen Misstrauen gegenüber unserem Rechtsstaat geprägt ist.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Herrn Strie- gel, GRÜNE)

Ihre Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission sollte Sie eigentlich eines Besseren belehrt haben, dass nämlich eine effektive parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes besteht.

Ich bitte Sie abschließend, der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zuzustimmen und den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abzulehnen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Abgeordneter Kolze. - Damit ist die Debatte beendet und wir treten in das Abstimmungsverfahren zu der Beschlussempfehlung des Innenausschusses in der Drs. 6/1159 und zu dem Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/1183 ein.

Wie Sie vernommen haben, hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt. Ich frage dennoch, ob wir über den Änderungsantrag in Gänze abstimmen können. - Das ist der Fall. Somit brauchen wir nicht die einzelnen Paragrafen der Beschlussempfehlung aufrufen.

Ich lasse nun abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drs. 6/1183. Wer diesem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über die selbständigen Bestimmungen des Gesetzentwurfes in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres ab. Wer diesen zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit sind die selbstständigen Bestimmungen in der Fassung der Beschlussempfehlung beschlossen worden.

Wir kommen zur Gesetzesüberschrift „Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt“. Ich würde das gleich mit der Abstimmung über das Gesetz in seiner Gesamtheit verbinden. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind

die Oppositionsfraktionen. Damit ist das Gesetz so beschlossen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 9.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung

Kleine Anfragen für die Fragestunde zur 15. Sitzungsperiode des Landtages von Sachsen-Anhalt

Fragestunde mehrere Abgeordnete - Drs. 6/1163

Meine Damen und Herren! Es liegen fünf Kleine Anfragen vor. Ich rufe die Frage 1 auf. Sie wird von der Abgeordneten Frau Eva von Angern gestellt und bezieht sich auf das Mitspracherecht der Rechtsanwälte bei Neuordnung der Justizvollzugslandschaft. Bitte sehr.

Laut Berichterstattung der „Volksstimme“ vom 4. Mai 2012 hat die Rechtsanwaltskammer des Landes Sachsen-Anhalt mit Blick auf die Neuordnung der Justizvollzugslandschaft im Land „mehr Mitspracherecht“ angemahnt. Man befürchtet durch die geplante Zentralisierung und Konzentration von Haftplätzen im Süden Sachsen-Anhalts eine Beschneidung des Rechts der freien Anwaltswahl.