Ich darf alle anderen, die jetzt nicht das Wort haben, bitten, Herrn Czeke ruhig und gelassen zuzuhören.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mittlerweile fünf Jahren gibt es in Wien die „Agentur der Europäischen Union für Grundrechte“. Den wenigsten hier wird sie bekannt sein, wenngleich diese Agentur vor drei Jahren eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ins Rollen gebracht hat, weil im öffentlichen Dienst die Antidiskriminierungsrichtlinie nicht vollständig umgesetzt war.
Vorläufer der Grundrechteagentur war in den Jahren von 1998 bis 2006 die EU-Beobachtungsstelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Mit der Diskussion um eine Grundrechtecharta der Europäischen Union ging im Jahr 2007 per Ratsverordnung die Installation der Grundrechteagentur einher. Das Themenspektrum verbreiterte sich entsprechend. Neben dem Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehören heute unter an
derem auch der Datenschutz, Asylpolitik und Migration, der Kinderrechteschutz und die Opferentschädigung zu den Untersuchungsfeldern der Agentur.
Dazu erstellt die Agentur wissenschaftliche Studien sowie Jahresberichte und führt Befragungen durch, um die Politik und die Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen in der Europäischen Union hinzuweisen. Die Agentur hat ca. 100 Mitarbeiter und ein Jahresbudget von 20 Millionen €. Immerhin.
Die EU-Kommission hat Ende Dezember 2011 einen Vorschlag für den neuen thematischen Mehrjahresrahmen der Agentur von 2013 bis 2017 vorgelegt. Der aktuelle Mehrjahresrahmen läuft im Jahr 2012 aus.
An dieser Stelle kommt nun der Landtag von Sachsen-Anhalt ins Spiel. Über das sogenannte Frühwarnsystem wurde der Kommissionsvorschlag zum Mehrjahresrahmen der EU-Grundrechteagentur gemäß der Landtagsinformationsvereinbarung, kurz: LIV, durch die Landesregierung unverzüglich dem Landtag übermittelt.
Dieser Frühwarnmechanismus ist ein Instrument von Parlament und Regierung, um sich an den EU-Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Dazu schreibt der Vertrag von Lissabon eine achtwöchige Frist und eine Mindestanzahl von Stellung nehmenden Gebietskörperschaften vor.
Die rechtliche Begründung dieser Einspruchsmöglichkeit sind die demokratischen Beteiligungsrechte sowie Kompetenzfragen, kurz: das Subsidiaritätsprinzip. Um die Einhaltung dieses Prinzips und die Mitsprache bei EU-Vorlagen sicherzustellen, werden diese als Frühwarndokumente von der EUKommission direkt an die Mitgliedstaaten übersandt und bei uns durch die Landesregierung gemäß LIV weitergeleitet.
So erreichte den Landtag unter anderem dieser Kommissionsvorschlag zum Mehrjahresrahmen der Grundrechteagenturen. In diesem aktuellen Fall soll der Frühwarnmechanismus, der eine Subsidiaritätsrüge des Bundesrates zur Folge haben kann, wie jüngst bei dem Verordnungsvorschlag zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen, lediglich Subsidiaritätsbedenken zur Folge haben. Zugegeben: Das ist kein ganz einfach nachzuvollziehendes Prozedere; dieses testen wir hier im Hause so auch zum ersten Mal.
Subsidiaritätsbedenken liegen unterhalb der Rüge, gehören zu der von der Kommission in vielen anderen Fällen anerkannten Praxis der Stellungnahme. Es ist in diesem Fall eher ein bejahender Verbesserungsvorschlag, als, wie vorgesehen, das Infragestellen der EU-Kompetenz.
Kindern und Menschen mit Behinderungen und Einwanderern sowie mit den Opfern von Rassismus in den EU-Mitgliedstaaten beschäftigt, für erforderlich.
Die Arbeit der Agentur wird unterstützt von den NGOs, den Nichtregierungsorganisationen der Mitgliedstaaten, in der Bundesrepublik vom Deutschen Institut für Menschenrechte.
Diese Zusammenarbeit mit den NGOs brachte bisher zutage, dass in vielen Mitgliedstaaten unterschiedliche oder gar keine Daten erhoben werden, zum Beispiel im Bereich rassistisch motivierter Gewalt und Straftaten.
Laut dem Jahresbericht 2010 veranlasste dies die Agentur, in den Mitgliedstaaten selbst eine Befragung von Migrantinnen zu ihrer Situation durchzuführen. Die Ergebnisse dieser mit EU-MIDIS betitelten Studie bezeichnet eine - so wörtlich - Unterschätzung rassistisch motivierter Straftaten in den meisten EU-Mitgliedstaaten.
Folglich kann es auch im EU-Europa gar nicht genug Institutionen geben, wenn es um die Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte geht.
An der Agentur zu bemängeln ist aus unserer Sicht jedoch, wenn es um die Verhältnismäßigkeit und den sogenannten Mehrwert von europäischer Politik geht, dass die Agentur leider nur beraten kann.
Ihr Mandat erlaubt weder eine längerfristige Beobachtung der Situation in einem Mitgliedstaat, wie zum Beispiel aktuell in Ungarn, noch kann sie rechtsverbindliche Stellungnahmen in Form eines Grundrechtechecks von EU-Gesetzesvorhaben abgeben oder Klagen von Einzelpersonen annehmen.
Im Vergleich zu den etwa 30 anderen EU-Agenturen, zum Beispiel Europol oder Frontex, sind ihre materiellen, finanziellen und personellen Ressourcen sehr gering. Dies muss aus unserer Sicht geändert werden. Es muss ein massiver Ausbau der Mittel für demokratische Initiativen und Projekte gegen Neofaschismus, von dem rassistische Gewalt ausgeht, in einem ideologischen und organisierten Zusammenhang erfolgen. Wer an der Bekämpfung des Neofaschismus spart, der handelt aus unserer Sicht verantwortungslos.
Seit der Wiedervereinigung im Oktober 1990 sind nach Recherchen der Zeitungen „Der Tagesspiegel“ und „Die Zeit“ allein in der Bundesrepublik Deutschland mindestens 148 Menschen als Folge rechter Gewalt ums Leben gekommen.
Die Täterinnen und Täter folgen dabei einer menschenfeindlichen Gesinnung, die Minderheiten den Platz in dieser Gesellschaft verwehrt, sei es aus rassistischem oder homophobem Hass oder aufgrund einer Ablehnung Sozialschwacher.
Ebenso kritisch müssen die Widersprüche europäischer Flüchtlingspolitik hinterfragt werden. Mit Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur, erfolgt eine polizeiliche Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer mittels Satelliten, Drohnenschiffen und Hubschraubern.
Dass dabei Menschenrechte wie das Asyl- und das Seenotrecht auf der Strecke bleiben, wird nicht dadurch aufgehoben, dass Frontex-Beamte neuerdings in Grundrechtsfragen von der Grundrechteagentur geschult werden.
Das Fehlen eines einheitlichen europäischen Asylrechts mit solidarischer Lastenteilung hat zur Folge, dass sich an den Grenzgebieten Griechenlands, Spaniens und Italiens unsägliche Katastrophen abspielen. Das gestrige Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist aus unserer Sicht ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung, nämlich die Rechte gerade von Asylsuchenden zu stärken.
Der festgesetzte Hauptschwerpunkt der Grundrechteagentur ist und war berechtigterweise Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Diese sind das Wesensmerkmal von Neonazismus und Neofaschismus. Umso unverständlicher ist für uns das Fehlen der Bekämpfung von beidem als einem wesentlichen Schwerpunkt der thematischen Orientierung für den Mehrjahresrahmen der EU-Grundrechteagentur.
Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, über den Bundesrat Subsidiaritätsbedenken für das Land Sachsen-Anhalt geltend zu machen und darauf hinzuwirken, dass diese in einer Stellungnahme des Bundesrates aufgegriffen werden. Darüber hinaus soll die Landesregierung auch auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass der Beschlussvorschlag in der weiteren Diskussion entsprechend angepasst wird.
Die Problematik des zunehmenden Neofaschismus in Europa als elementare Bedrohung der Menschen und ihrer Grundrechte in seiner besonderen Gefährlichkeit ist bislang nicht erfasst. Damit wird der notwendige offensive Umgang mit diesem Problembereich in einer zwingend gesamteuropäischen Perspektive nicht gewährleistet.
Die Agentur sollte mit dem neuen Schwerpunkt die europaweite Entwicklung des Neofaschismus und seiner kriminellen Aktivitäten analysieren, die Entwicklung von Standards und Methoden zur Vergleichbarkeit der Daten auf europäischer Ebene voranbringen, themenbezogene Begleitforschung betreiben sowie Schlussfolgerungen und eine dau
erhafte und zuverlässige Kommunikationsstruktur bei der Abwehr des Neofaschismus in Europa erarbeiten.
Vor dem Hintergrund der jährlichen Aufmärsche im Februar in Dresden oder im Januar in Magdeburg, an denen sich im Fall Dresden noch im letzten Jahr Tausende Neofaschisten aus ganz Europa aktiv beteiligten, und nach dem Aufdecken der Serienmorde durch die sogenannte Zwickauer Naziterrorzelle, die nicht verhindert werde konnten, ergibt sich die zwingende Verpflichtung, jede mögliche Initiative zur Abwehr dieser neofaschistischen Gefahren zu ergreifen.
Die konkrete Mitwirkung an einer Qualifizierung des vorliegenden EU-Kommissionsvorschlages durch ein entsprechendes Auftreten der Landesregierung im Bundesrat bietet eine solche hervorragende Möglichkeit, die nicht ungenutzt bleiben sollte.
In der letzten Woche war nun auf der Internetseite des Bundesrates eine Kenntnisnahme zum Mehrjahresplan der Grundrechteagentur zu finden. Aus unserer eben geschilderten Sicht ist das bei der zunehmenden europäischen Vernetzung von Neofaschisten zu wenig. Die Frist zur Stellungnahme endet erst am 2. März 2012 zur Bundesratssitzung. Daher fordern wir die Landesregierung auf, diese EU-Vorlage im Bundesrat erneut aufzurufen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Czeke. - Für die Landesregierung hat jetzt Herr Staatsminister Robra das Wort. Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Abgeordneter Czeke, es ist in Ihrer Partei so üblich, dass solche Anträge in mehrere Landtage gleichzeitig eingebracht werden. Dieser Antrag wurde auch in Sachsen in den Landtag eingebracht.
(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU - Frau von Angern, DIE LINKE: Na ja! - Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Ach!)
Da das so ist, glaube ich, davon ausgehen zu können, dass irgendjemand an zentraler Stelle sitzt, der sich mit solchen Fragen beschäftigt und der Ihnen ein klein wenig zuarbeitet und Sie in der Meinungsbildung unterstützt, was nicht schlimm ist.
(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der LINKEN: Was soll denn das? - Herr Borg- wardt, CDU: Das könnte der Fall sein!)
Es wäre hilfreich, wenn derjenige, der dort sitzt und der sich mit Fragen von Subsidiaritätsbedenken und dergleichen beschäftigt, davon auch wirklich etwas verstünde.
So sehr man in der Sache selbst darüber diskutieren kann - ich möchte das an dieser Stelle nicht tun -,