Protocol of the Session on February 24, 2012

(Beifall bei den GRÜNEN - Herr Kolze, CDU: Das stimmt nicht! - Weitere Zurufe von der CDU)

Es ist dreist, weil am 14. Januar in Magdeburg von einer verschwindend geringen Minderheit unter Tausenden anwesenden Bürgerinnen und Bürgern Gewalt gegen Polizeibeamte ausgeübt wurde. Diese Gewalt ist zu verurteilen. Punktum!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Was die Sachbeschädigung bzw. Brandstiftung in Dessau, Magdeburg und Halle anbelangt, meine ich, wir sollten sie alle verurteilen, aber in der Bewertung noch zurückhaltend agieren, da bislang niemand die genauen Hintergründe kennt. Die Polizei ermittelt bekanntlich in alle Richtungen.

(Herr Kolze, CDU: Es bleibt aber Gewalt! - Weitere Zurufe von der CDU)

Aus den isolierten Gewalthandlungen am 14. Januar abzuleiten, in Sachsen-Anhalt wären Polizisten Freiwild, ihnen würde täglich nach dem Leben getrachtet und kein Uniformierter könne sich eigentlich mehr auf die Straße begeben, ohne um sein Leben zu fürchten, ist undifferenziert.

Dreist ist es im Übrigen auch, Herr Kolze, wenn Sie zivilen Ungehorsam pauschal als Straftat diffamieren. Ziviler Ungehorsam ist in einer Demokratie bisweilen notwendig.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Die Innenminister haben in den vergangenen Jahren dankenswerterweise - Herr Hövelmann sitzt im Saal - begonnen, dem eklatanten Mangel an Daten zur Gewalt gegen Polizeibeamte entgegenzuwir

ken, und haben das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen beauftragt, dieses Dunkelfeld aufzuhellen.

Nach dem Zwischenbericht wissen wir vor allem, dass wir nicht genug wissen. Die Datenbasis ist spärlich, die Erfassungsdaten für Gewalt gegen Polizeibeamte waren bis vor Kurzem uneinheitlich, und erst in den kommenden Jahren wird man mit Sicherheit sagen können, ob das Gefühlsbild permanenter und ständiger Gewalt sich auch in Zahlen nachweisen lässt.

Aktuell legen die Zahlen jedenfalls nicht eindeutig nahe, dass es einen starken Anstieg von Gewalt gegen Polizeibeamte gibt. Es wird nicht alles immer schlimmer.

Fragt man den renommierten Polizeiforscher Rafael Behr, so hat sich aber die Wahrnehmung verschoben und sicherlich auch - Herr Gallert sagte es - die verbale Bedrohungssituation. So lag die Zahl der Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte in Sachsen-Anhalt im Jahr 2007 bei 830 Fällen, im Jahr 2010 waren es 646 Tathandlungen und im Jahr 2011 934 - also schwankende Werte bei einem ohnehin problematischen, weil kaum abgrenzbarem Delikt.

Inwieweit bei den Taten mit Gewalt gedroht oder diese angewandt wurde, lässt sich auch aus den sachsen-anhaltischen Zahlen nicht eindeutig herauslesen. Sicher feststellbar ist nur, Herr Kolze, dass im Jahr 2011 156 Beamte im Dienst verletzt worden sind. Das sind 156 Beamte zu viel.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Aber um diese Zahlen einordnen zu können, Herr Kolze, ist es zu begrüßen, dass seit dem vergangenen Jahr bundeseinheitlich gezählt wird; denn nur so kann die reale Bedrohung von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten realistisch eingeschätzt und können notwendige Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Für einen vermeintlichen Anstieg von Fällen von Gewalt gegen Polizisten zur Durchsetzung politischer Ziele, wie es hier vom Herrn Innenminister vorgetragen worden ist, gibt es dagegen keinen statistischen Beleg. Klar ist nur, es ist eine kleine Minderheit von Polizeibeamten - deutlich unter 10 % -, die im Einsatz am Rande von Demonstrationen verletzt wird. Auch Fußballspiele, die von Polizeigewerkschaften und interessierten Konservativen gern als Hort ausufernder Gewalt gegen Beamte beschrieben werden, bilden mit ca. 3 % keinen Verletzungsschwerpunkt.

70 % der Verletzten sind Beamte im Streifendienst. Das war mehrmals Thema. Ein knappes Drittel dieser Beamten wurde bei der Festnahme von Tatverdächtigen und knapp ein Viertel bei Streitsituationen im öffentlichen Raum oder in Familien verletzt.

Das alles sind Situationen, bei denen durch bessere Ausbildung, mehr Training und Übung zum Umgang mit eskalierenden Situationen für die Beamten mehr Sicherheit herzustellen ist als durch placebohafte Strafverschärfung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Härtere Strafen helfen keinem Polizisten mit Gewalterfahrung, meine Damen und Herren. Sie schrecken alkoholisierte Täter - knapp 90 % der Angreifer sind männlich, zwei Drittel agieren unter Alkohol und Drogen - nicht ab. Was wir stattdessen brauchen, ist - erstens - besseres Training, um unsere Polizisten besser auf Situationen vorzubereiten, in denen mit Gewalt gedroht oder diese gegen sie angewandt wird.

Zweitens. Wir sollten in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass Gewalt gegen Polizeibeamte bisweilen eine unrechtmäßige, zu verurteilende, aber auf Agieren der Polizei zurückzuführende Reaktion ist.

(Zurufe von der CDU)

Wir brauchen deshalb noch mehr Übung in Deeskalation, um Situationen, die zu Gewaltausübung gegen Beamte führen können, besser vermeiden oder entschärfen zu können.

(Zurufe von der CDU)

Dabei sollten wir das bereits vorhandene Wissen in der Organisation der Polizei nutzen. Wenn eine in Aschersleben Studierende in Medienberichten darauf hinweist, dass Frauen in Einsätzen deeskalierend wirken können, spricht sie damit einen Befund der Forschung aus: Der Anteil an Polizistinnen, die Verletzungen durch Angriffe gegen die Polizei erlitten, ist substanziell niedriger als bei den Polizisten. Das muss bei einem ansonsten grundsätzlich gleichen Tätigkeitsfeld Gründe haben.

(Zuruf von der CDU: Das glaube ich nicht! - Unruhe bei der CDU)

Drittens. Wir benötigen - das ist vielleicht der wichtigste Punkt - eine deutlich bessere Nachsorge. Wer als Polizeibeamter Gewalt erfährt, der muss Hilfe in Anspruch nehmen können, ohne dass ihm das als Schwäche ausgelegt wird. Gibt es keine professionelle Begleitung von Gewaltopfern in der Polizei, drohen zusätzlich zu den erlittenen physischen Folgen auch psychische Beeinträchtigungen bis hin zu Traumata. Die Cop Culture reagiert auf Traumata mit Misstrauen, Distanziertheit, Zynismus und Autoritarismus. In einer männlich geprägten polizeilichen Welt sind dies typisch männliche Reaktionen, die seelische Verwundungen überspielen sollen. Sie erzeugen vermeintliche Härte und machen die polizeieigene Gewaltanwendung in kommenden Konfliktsituationen wahrscheinlicher - ein Teufelskreis, den es zu vermeiden gilt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ja, meine Damen und Herren, wir brauchen auch Strafe. Verbrechen muss in diesem Land mit Strafen geahndet werden. Diese Strafen sind konsequent und zügig an den Mann und gegebenenfalls an die Frau zu bringen. Das ist der entscheidende Punkt. Zwar brauchen wir keine Strafverschärfungen, jedoch konsequentes und zügiges Handeln.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Was wir beim Kampf gegen Polizeigewalt überhaupt nicht gebrauchen können, sind politische Schreibtischgeneräle, die aus der eigenen warmen Wohnung heraus zur Stürmung von Häusern aufrufen. Sie, Herr Kolze, gefährden mit Ihren Äußerungen zum Polizeieinsatz in der Magdeburger Alexander-PuschkinStraße konkret das Leben und die Gesundheit unserer Beamtinnen und Beamten.

(Unruhe bei der CDU)

Sie gebärden sich mit Ihren Äußerungen wie ein politisches Gummigeschoss: laut im Abschuss, schnell und gefährlich, aber ohne nachhaltigen Effekt, um die Sicherheit der Beamten zu erhöhen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Oh! bei der CDU)

Ihre Kritik am Einsatzkonzept am Abend des 14. Januar richtet sich direkt gegen die nach sorgfältiger Abwägung aller verfügbaren Fakten getroffene Einschätzung des Einsatzleiters,

(Unruhe bei der CDU)

der davon ausgehen musste, dass bei einer Stürmung des Wohnhauses in der Alexander-Puschkin-Straße Schwerverletzte auf beiden Seiten zu beklagen sein würden. Ich bin der Polizei deshalb außerordentlich dankbar, dass sie auf Deeskalation gesetzt und sich auf eine Verhandlungslösung eingelassen hat.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Gewalt gegen Polizisten kann und darf nicht toleriert werden. Sie ist mit rechtsstaatlichen Mitteln konsequent zu ahnden. Alle Mitglieder dieses Hohen Hauses sollten danach trachten, ihre Entstehung so weit als möglich zu vermeiden. Die Polizei darf kein permanenter Prellbock für politische Konflikte unserer Gesellschaft werden. Konrad Freiberg, der ehemalige Chef der GdP, hat Recht, wenn er sagt: Wir wollen als Polizisten nicht für ungelöste gesellschaftliche Konflikte den Kopf hinhalten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Fraktion setzt im Umgang mit Gewalt gegen die Polizei auf Rechtsstaatlichkeit, Transparenz, bessere Erforschung des Problems und Konzepte zur Deeskalation. Härtere Strafen und markige

Worte schützen in Sachsen-Anhalt keinen einzigen Polizisten.

(Zuruf von der CDU)

Arbeiten Sie deshalb mit uns daran, dass eine rechtsstaatlich agierende Polizei vor Gewalt geschützt wird.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Kollege Striegel. - Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Abgeordneter Schröder, hat um das Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion hat diese Aktuelle Debatte beantragt, weil wir auf konkrete, leider immer noch aktuelle Vorwürfe gegen die Polizei und Übergriffe auf die Polizei - konkret belegbar auch hier in Sachsen-Anhalt - reagieren wollten. Wir haben diese Debatte nutzen wollen, um in diesem Haus auf eine Ächtung dieser Gewalttaten zu drängen. Wir wollten diese Debatte nicht nutzen, um eine Extremismusdebatte wiederaufleben zu lassen.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der LINKEN)

Wir haben Grund, über die Sicherheitsausstattung unserer Polizisten zu reden. Herr Striegel hat es auch angesprochen: Wie schützen wir unsere Polizisten? Wohl wahr! Wir wollten diese Aktuelle Debatte nicht, um zu hinterfragen, ob es richtig ist, dass unser Innenminister gerade Schutzfolien für die Einsatzfahrzeuge anschafft, die nicht nur gegen Steinwürfe, sondern auch gegen das Durchstechen der Scheibe schützen. Wir haben die Aktuelle Debatte beantragt, um auch zu hinterfragen, warum es solcher Maßnahmen eigentlich bedarf.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)