Protocol of the Session on May 12, 2011

Das soll mir einmal jemand erklären. Es gibt eine Erklärung,

(Minister Herr Bullerjahn: Die Schuldenbrem- se!)

die ich nun vorgestern in der Zeitung gelesen habe.

(Minister Herr Bullerjahn: Genau!)

Man muss noch einmal ausdrücklich sagen: Nichts von dem, was heute als Begründung dafür angeführt wird, war vor einem halben Jahr nicht bekannt oder war im Jahr 2009 nicht bekannt. Alle Rahmenbedingungen waren bekannt. Die finanziellen Prognosen waren zu diesem Zeitpunkt eher noch negativer, als sie es heute sind.

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Genau!)

Und dann sagt der Kollege Bullerjahn im Interview: Wir hatten vor der Wahl zunächst alle Stellenwünsche der Ministerien aufgenommen in dem Wissen, dass diese Zahlen nach der Wahl keinen Bestand haben können.

(Minister Herr Bullerjahn: Das kann man so- gar im Protokoll hier nachlesen! Genau!)

Dazu sage ich mit aller Deutlichkeit: Wenn die politische Aussage war, wir machen für die nächste

Legislaturperiode ein Koalitionskonzept, aber wenn der Wahltermin vorbei ist und die nächste Koalition steht, sagen wir, all das, was wir euch ein halbes Jahr vorher erzählt haben, war Quatsch, die Wahrheit ist eine völlig andere, die Wahrheit ist eine ziemlich dramatische, dann ist das - das sage ich ausdrücklich - klarer Wahlbetrug, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN - Herr Lange, DIE LINKE: Eiskalt!)

Wissen Sie, der Witz dabei ist, dass dieser Wahlbetrug zum großen Teil auch Selbstbetrug ist. Wir haben zum Beispiel - ich hoffe, Sie haben es jetzt auch noch einmal gesagt; zumindest war es vorher im Manuskript enthalten; ich weiß es nicht, möglicherweise war es in der Rede nicht mehr enthalten, aber zumindest haben Sie es der Presse vorher gesagt - die Aussage gehabt: Wir werden weiterhin jährlich 180 Polizisten einstellen - 180 Polizisten! Dazu muss ich sagen: Das fließt in die 400 noch mit ein, wenn man die anderen Bereiche einmal völlig außen vor lässt.

Nun sage ich Ihnen einmal Folgendes: Wir werden in dieser Legislaturperiode pro Jahr etwa 2 000 Menschen aus dem öffentlichen Dienst verlieren. Es geht hierbei also nicht darum, die Zahl konstant zu halten. Es geht auch nicht um die Frage, ob die Zahl gesenkt werden muss. Nein, die Frage ist: Wie stark muss die Zahl gesenkt werden?

Wir haben eine inzwischen fünfjährige Debatte zur personellen Vorausschau im Bereich der Lehrer im Land Sachsen-Anhalt. Wir wissen, dass in den nächsten Jahren der laufenden Legislaturperiode pro Jahr 500 bis 800 Lehrer die Schulen verlassen werden. Wir sind im Ergebnis einer vierjährigen Debatte in der letzten Legislaturperiode zu der Erkenntnis gekommen, dass der Einstellungskorridor so nicht bleiben kann. Und es gab eine politische Maßnahme der Landesregierung, die nämlich gesagt hat: Wir müssen unbedingt mehr Lehrer in die Schulen bekommen, als wir es zumindest bisher vorgesehen hatten. Das bedeutet immer noch einen personellen Rückgang.

Wir haben die Zahl der Referendariatsstellen, also die zweite Stufe der Lehrerausbildung, in der Jahreskapazität von 150 auf 310 mehr als verdoppelt, damit wir zumindest einen Teil der Lehrer, die die Schulen aus Altersgründen verlassen, ersetzen können.

Wir haben das vor eineinhalb Jahren beschlossen; jetzt haben wir damit begonnen. Nach dem aktuellen Koalitionsvertrag müssten wir die Referendariate augenblicklich wieder abschaffen, weil die Referendare bei diesem Neueinstellungskorridor überhaupt keine Perspektive haben.

Dazu sage ich noch einmal eindeutig: Das ist doch absurd. Kann man so Personalentwicklung betrei

ben? Kann man mit solchen politischen Bocksprüngen ein langfristiges Problem lösen? - Nein, ausdrücklich nicht. Dagegen ist unser erbitterter Widerstand zu erwarten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das waren einige der Probleme, die hierin enthalten sind. Ich möchte einige andere kurz benennen.

Wir stellen uns ausdrücklich gegen die Ausweitung der Überwachung nach dem Motto der Illusion: Wir überwachen euch mehr; denn mehr Daten schaffen mehr Sicherheit in diesem Land. - Nein, wir sind ausdrücklich der Meinung, dass die zentralen Vorhaben in diesem Koalitionsvertrag falsch sind.

Es ist nicht so, dass sie uns überraschen würden, insbesondere nicht bei dem neuen Innenminister. Aber wir sagen eindeutig: Die Vorhaben sind falsch, weil hierbei die komplizierte Waage zwischen der Sicherung von Freiheits- und Bürgerrechten auf der einen Seite und den Sicherheitsinteressen auf der anderen Seite eben nicht gehalten wird, weil Sie zu sehr der Ideologie anhängen, die Einschränkung von Bürgerrechten führe zu mehr Sicherheit. Da widerstreiten wir. Dagegen werden wir uns wehren.

Das nächste Problem ist die Zuordnung des Wissenschaftsbereiches zum Wirtschaftsministerium. Ich will noch einmal ganz deutlich sagen: Die erstaunlichen Rochaden bei der Zuordnung von Verantwortungsbereichen zu Ministerien, die es zu Beginn der Legislaturperiode gegeben hat, werden wir in den meisten Fällen nicht kommentieren. Wenn die Kollegen ihre Machtclaims anders abstecken wollen, dann sollen sie es tun. Das hat für die inhaltliche Positionierung noch nicht allzu viel zu bedeuten. Es gibt allerdings einen Punkt, bei dem ich eine Ausnahme mache.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann den Baubereich in das Finanzministerium holen. Man kann notfalls auch den Kommunalfinanzbereich in das Finanzministerium holen. Ich frage mich allerdings, ob dann der Innenminister noch der Kommunalminister ist. Das ist eine Frage, die Sie unter sich klären müssen. Das ist nicht unser Problem.

(Unruhe)

Aber eines ist klar: In einem Land wie SachsenAnhalt mit knapp zwei Millionen Einwohnern und einem sinkenden Investitionsvolumen im Bereich der Infrastruktur ein eigenständiges, allein für den Verkehr zuständiges Ministerium vorzuhalten, das ist nicht erklärbar. Das ist nicht begründbar. Wer Einsparungen realisieren möchte, der kann an dieser Stelle einmal mit gutem Beispiel voranschreiten. Wir brauchen kein alleinstehendes Verkehrs

ministerium in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist doch wohl klar.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Bommersbach, CDU)

Das Problem bei der Zuordnung des Wissenschaftsbereichs zum Wirtschaftsministerium ist allerdings ein inhaltliches. Deswegen will ich darauf Bezug nehmen.

Welche Gründe kann es eigentlich dafür geben, diesen Bereich in das Wirtschaftsministerium einzugliedern? Allen Vermutungen, die dazu geäußert worden sind, ist in der Vergangenheit widersprochen worden. Nein, es gehe gar nicht darum, den Wissenschaftsbereich den Interessen des Wirtschaftsbereiches unmittelbar und stringent unterzuordnen. Das wäre eine völlige Fehlinterpretation.

Ich sage: Diese Fehlinterpretation ist bei verschiedenen Leuten hervorragend angekommen. Zum Beispiel meint der Chef des Arbeitgeberverbandes in Sachsen-Anhalt Herr Gutmann, diesen Schritt ausdrücklich begrüßen zu müssen. Er begründet das damit, dass die Hochschulen und die Wissenschaftseinrichtungen endlich eindeutig auf die Interessen der Wirtschaft ausgerichtet werden müssten.

Dazu sage ich ausdrücklich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nein, Wissenschaft und Hochschule sind mehr als eine Zulieferindustrie für die Wirtschaft. Wissenschaft und Hochschule - das ist mehr als Student just in time.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das sage ich aus zwei Gründen. Zum einen gibt es eine sehr alte, eine bürgerliche Erkenntnis über die Entwicklung von Wissenschaft und Forschung; das ist die Freiheit von Lehre und Forschung.

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Wir haben die begründete Angst, dass eben diese Freiheit von Lehre und Forschung durch kurzfristige Renditeerwartungen eingeengt wird.

Ihre Rede, Herr Haseloff, hat uns in dieser Befürchtung ausdrücklich bestätigt. Zum Beispiel die Äußerung, wie schön es wäre, die Neurobiologie in Sachsen-Anhalt als Grundlagenbereich hervorzuheben, und zwar ausdrücklich mit der Begründung, daran könne man sehen, wie schnell sich das rentierlich umsetzen lasse, lässt doch genau die Argumentation erkennen, die an dieser Stelle alle Befürchtungen bestätigt.

Zum anderen leben wir in einer Zeit des beschleunigten wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Wir kommen aber als Gesellschaft immer weniger hinterher, diesen wissenschaftlich-technischen Fortschritt zivilisationskritisch zu untersuchen und zu hinterfragen.

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Das Erste, was eine staatlich finanzierte Wissenschaft braucht, ist die Möglichkeit, ein kritisches Verhältnis, ein reflexives Verhältnis zur Wirtschaft zu entwickeln, und nicht ihr hinterherzurennen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Beifall bei den GRÜNEN)

Wo soll denn die Risikoforschung für neue Technologien stattfinden, wenn nicht im staatlich finanzierten Bereich?

Ich sage ausdrücklich: Solche Ankündigungen, wie es sie bisher gegeben hat: Na ja, die Hochschulbudgets sind ja über die Zielvereinbarungen abgesichert - -

(Frau Niestädt, SPD: Ja, und?)

Gut und schön. Erstens haben wir deutlich gehört, dass das ab 2013 nicht mehr gilt. Hierzu gab es heute eine der wenigen klaren Ansagen von Ihnen, Herr Haseloff: Nichts bleibt dort so, wie es ist. Das geht so nicht weiter.

Zweitens. Wer sich mit dem Bereich ein bisschen auskennt, weiß, dass die Hochschulbudgets selbst in etwa nur die Hälfte des Finanzvolumens ausmachen, das für Wissenschaft ausgegeben wird. Das Finanzvolumen für die Wissenschaft umfasst 600 Millionen €, das der Hochschulen rund 300 Millionen €. Mit diesen anderen 300 Millionen € kann man natürlich strategische Entwicklungen in diesem Bereich sehr wohl ausrichten, abstoppen bzw. kanalisieren.

Deswegen kritisieren wir die Zuordnung des Wissenschaftsbereiches zum Wirtschaftsministerium aus grundsätzlichen Gründen. Das ist eine falsche Entwicklung, weil dadurch die Wissenschaft zur Serviceeinrichtung, zum Zubringer der Wirtschaft degradiert wird. In einer zivilisatorischen Gesellschaft, liebe Kollegen, muss sie jedoch mehr sein.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der nächste Bereich betrifft die Haushaltspolitik. Es ist interessant, welche Positionierungen es dazu gibt. Diese sind übrigens auch relativ klar und eindeutig: erstens grundsätzlich nur noch Doppelhaushalte, zweitens mehr Budgetierung, drittens Ausbau von Deckungsfähigkeiten; ferner soll die Investitionsbank des Landes Sachsen-Anhalt als strategischer Partner des Landes ausgebaut werden.

Ich fange beim letzten Punkt an. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich noch daran erinnern kann, wie diese Investitionsbank entstanden ist, kann sich an dieser Stelle nur wundern. Die Investitionsbank ist vom Land Sachsen-Anhalt gegründet worden. Sie gehört uns. Sie ist unser Instrument.

Wieso ist sie auf einmal Partner? Werden wir demnächst mit der Investitionsbank über die Fördermittelprogramme des Landes verhandeln? - Das