Protocol of the Session on May 12, 2011

Die Bilanz ist nicht gut und deswegen sagen wir: Ein Weiter-so ist falsch. In diesem Bereich brauchen wir politische Änderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Ich möchte auf ein zweites Problem aufmerksam machen, das nach wie vor eine der zentralen politischen Herausforderungen in diesem Land ist. Wir sind - darin haben Sie Recht - bei der Arbeitsproduktivität nach den neusten Berechnungen nun leider nicht mehr das produktivste Land im Osten Deutschlands, sondern wir sind wieder hinter Brandenburg zurückgefallen.

Ich sage auch noch einmal ausdrücklich: Damit sind wir auf einem guten Weg - ja, Entschuldigung, das sind wir seit 2001. Die Situation, dass die Wertschöpfung bei uns in Sachsen-Anhalt höher war als in Sachsen und in Thüringen, haben wir seit 2001.

Wer sich ein bisschen mit Wirtschaftspolitik auskennt, der weiß auch genau, warum das seit 2001 der Fall ist. Damals ist Leuna ans Netz gegangen. Das hat einen entsprechenden statistischen Effekt gehabt. An dieser Situation hat sich übrigens in den letzten zehn Jahren nichts verändert.

Aber wir haben nach wie vor die niedrigsten Stundenlöhne in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist eine zentrale landespolitische Herausforderung und diese war auch im Wahlkampf ein Thema. Dazu sage ich: An dieser Stelle versagt der Koalitionsvertrag eindeutig.

Eine der zentralen politischen Positionen, über die debattiert worden ist, war die Forderung nach dem gesetzlichen Mindestlohn - nicht nur von uns. Drei Wochen vor dem Wahltermin hat beispielsweise der Koalitionspartner SPD einen Fünfpunkteplan mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn für Sachsen-Anhalt aufgestellt, insbesondere die Herren Kollegen Bullerjahn und Steppuhn; aber sie sprachen für die Partei.

Interessant war, dass diese Forderung bereits wenige Tage nach der Wahl in dem Forderungskatalog für die Sondierungsgespräche der Sozialdemokraten mit der CDU nicht mehr enthalten war. Obwohl man noch drei Wochen vorher auf eine eindeutige politische Mehrheitsposition in der Bevölkerung Sachsen-Anhalts gesetzt hatte, war drei Tage später davon nichts mehr zu hören.

Es ist nicht so, dass man sich damit auseinandergesetzt hätte, dass man verloren hätte - nein, man hat diese Forderung überhaupt nicht mehr eingebracht. Und warum? Diese Frage beantwortet uns

der Kollege Bullerjahn in einem MDR-Interview am 6. April 2011 - ich zitiere ihn -:

„Eine generelle Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn - das haben wir in der SPD schon lange diskutiert - wird es jetzt so auch nicht mehr geben.“

(Minister Herr Bullerjahn: Wenn die CDU das nicht mitmacht!)

Dazu sage ich mit aller Deutlichkeit: Wenn die SPD schon seit langem darüber diskutiert hat, dass sie eine solche Forderung nicht aufrechterhält, warum erzählt sie den Leuten in SachsenAnhalt das dann drei Wochen vor der Wahl?

(Beifall bei der LINKEN - Frau Take, CDU: Das ist doch Quatsch! - Zuruf von Minister Herrn Bullerjahn)

Warum erzählt sie es den Menschen drei Wochen vor der Wahl, wenn die SPD schon lange darüber diskutiert hat, dass sie das nicht will? Dann wäre es doch ehrlich gewesen zu sagen: Wir halten diese politische Position für falsch.

Das hat man nicht getan, weil man weiß, dass es in Sachsen-Anhalt mehrheitlich so gesehen wird, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen in dem Land mit dem größten Niedriglohnsektor der Bundesrepublik Deutschland. Dazu sage ich ganz deutlich: Das ist die Ursache dafür, dass es in diesem Koalitionsvertrag nicht steht.

(Zuruf von Herrn Felke, SPD)

Zweites Problem: Vergabegesetz. Dazu steht der kryptische Satz im Koalitionsvertrag: Man wolle sich bei dem Vergabegesetz an europagesetzliche Regelungen halten. - Ich finde es schon einmal interessant, dass eine Koalition in einen Koalitionsvertrag hineinschreibt, dass sie sich an die Gesetze halten will. Davon sind wir eigentlich immer ausgegangen.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Das Problem besteht darin - das habe ich heute wieder gehört und noch deutlicher wurde es bei dem entsprechenden Interview der Wirtschaftsministerin dazu -: Was kann man denn in einem Vergabegesetz im Land Sachsen-Anhalt wirklich regeln?

Das sind im Grunde genommen noch drei Dinge. Man kann bei öffentlichen Vergaben einen gesetzlichen Mindeststundenlohn definieren, unter dem die Leute bei öffentlichen Aufträgen nicht arbeiten dürfen. Diesbezüglich schlagen wir gemeinsam mit dem DGB einen Mindeststundenlohn von 8,50 € vor. Davon hört man in dem Koalitionsvertrag gar nichts.

Dann kann man Folgendes tun: Für den Bereich, für den das Entsendegesetz allgemeinverbindliche Tarifverträge vorschreibt, also gesetzlich verbriefte

Tarifverträge, kann man in einem solchen Vergabegesetz Kontrollen und Sanktionen festlegen, damit diese Dinge auch wirklich eingehalten werden, was leider zurzeit häufig nicht der Fall ist.

Frau Ministerin Wolff hat sich dazu positioniert: klare Absage. Das Einzige, was sie haben will, ist die schriftliche Erklärung der Leute, die sich an öffentlichen Vergabeverfahren beteiligen wollen: Wir zahlen Tarif.

Dazu sage ich Ihnen, Frau Wolff: Erstens - -

(Ministerin Frau Prof. Dr. Wolff: Wir machen Stichproben! Ich will aber keinen Stasistaat!)

- Na ja, Frau Wolff, wenn Sie jetzt sagen, dass die Kontrolle der Einhaltung von Gesetzen bei öffentlichen Aufträgen, wie es in Berlin im Gesetz verankert ist, mit Stasistaat-Methoden zu vergleichen ist, dann - das sage ich Ihnen eindeutig - ist das eine Diskreditierung all derjenigen, die diese Position aufrechterhalten, unter anderem des DGB.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Diese Erklärung von denjenigen, die sich daran beteiligen, nützt überhaupt nichts.

(Zuruf von Herrn Bommersbach, CDU)

Erstens. In dem Bereich, in dem Tarifverträge nicht gesetzlich verankert sind, dürfen Sie eine solche Erklärung seit dem Rüffert-Urteil nicht abfordern. Das wissen eigentlich alle, die sich mit dem Thema beschäftigen. Diejenigen, die im Bereich des Entsendegesetzes tätig sind, die also die Tarife ohnehin gesetzlich vorgegeben bekommen, müssen eine solche Erklärung auch nicht abgeben, weil sie per Gesetz ohnehin dazu gezwungen sind.

Es gibt eine Ausnahme, bei der man das tun kann, das ist der Verkehrsbereich. Das habe ich noch nirgends gehört. Aber dann sage ich: Wenn Sie ein solches Vergabegesetz realisieren wollen, dann lassen Sie es. Dann ist es das Papier nicht wert, auf dem es dann steht.

Es gibt Alternativen. Der DGB hat Anfang des Jahres ein entsprechendes Positionspapier herumgeschickt. Wir werden uns mit den Kollegen aus den Gewerkschaften beraten. Das wird unsere Verhandlungsgrundlage sein, die wir hier einbringen. Das wäre ein Vergabegesetz, das in dieser Situation wirklich nötig ist; nicht aber das, über das Sie diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Daran merkt man eben, dass es in diesem Koalitionsvertrag gewaltige Bereiche gibt, in denen wir es tatsächlich nur mit allgemeinverbindlichen, sozusagen friedensstiftenden Formulierungen zu tun haben, die dann jeder auslegen kann, wie er will. Es gibt sogar einige wenige klare Formulierungen,

zum Beispiel die zum Saalekanal - die legt aber trotzdem jeder aus, wie er will.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Mit diesen Dingen werden wir uns an den nächsten beiden Tagen noch mehrfach beschäftigen. Insofern wiederhole ich meine Einschätzung: Dieser Koalitionsvertrag ist wie Pudding. Der Versuch, ihn zu bewerten, kommt dem Versuch gleich, Pudding an die Wand zu nageln. Das geht nicht nur uns so, sondern vielen Menschen in diesem Land.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das trifft allerdings nicht auf alle Punkte zu. Es gibt auch Punkte in diesem Koalitionsvertrag, die sind eindeutig und an denen sollte man wahrscheinlich zumindest innerhalb der Koalition - so müsste man das verstehen - nicht rütteln.

Das ist zum einen der Finanzierungsvorbehalt: Nichts geht mit Schulden. Dazu sage ich: Jawohl, das ist vernünftig und richtig; Schuldenmachen ist auf keinen Fall gut, weil Schulden natürlich die Handlungsoptionen für die nächsten Jahre einschränken.

Wenn man diese Regelung so apodiktisch stehen lässt - das wird übrigens in dem Doppelhaushalt zurzeit nicht getan; wir alle wissen, dass dafür gewaltige Schulden aufgenommen werden -, dann muss man noch einmal deutlich sagen: Nein, die Ganztagsbetreuung für alle Kinder in den Kindertagesstätten ist nicht vereinbart worden. Es ist vereinbart worden zu prüfen, ob man das umsetzen kann, wenn dann zufälligerweise genug Geld zur Verfügung stehen sollte.

So muss man den Koalitionsvertrag lesen, und dann reduziert sich seine Aussagekraft, die er in dem einen oder anderen Teil hat, noch einmal deutlich. Deswegen üben wir grundsätzliche Kritik an diesem Papier, weil es keine klaren Signale in die Gesellschaft aussendet.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Kommen wir zum nächsten Punkt. Der ist allerdings nun wirklich bemerkenswert; denn er ist sehr eindeutig, sehr definiert und sehr festgelegt. Wir haben in diesem Jahr - so kann man sagen - inzwischen fast schon das zehnjährige Jubiläum einer wirklich inhaltsreichen und strategischen Debatte um die Personalentwicklung in unserem Land Sachsen-Anhalt.

Zehn Jahre, das dürfte in etwa hinkommen. Das waren so die ersten Papiere, die der Kollege Bullerjahn dazu gemacht hat. Es mag sein, dass es ein Jahr eher oder ein Jahr später gewesen ist. Aber wir definieren das einmal so, wie es die Kommunen mit ihren Jubiläen immer sehr frei tun, und definieren etwa an diesem Punkt den zehnten Jahrestag der Diskussion.

In den letzten fünf Jahren haben wir uns besonders intensiv darüber ausgetauscht und haben besonders viel darüber geredet, und zwar in einer Enquetekommission in diesem Landtag mit den Vertretern aller Ministerien, von entsprechenden Einrichtungen, ausdrücklich unter Beachtung der finanziellen Vorausschau für dieses Land. Das Ergebnis waren Kompromisse und Positionen, die wir lange nicht geteilt haben und zu denen wir auch ausdrücklich gesagt haben: Wir werden an dieser Stelle und an verschiedenen anderen Stellen mehr tun.

Aber eines möchte ich in Erinnerung rufen: 750 Neueinstellungen pro Jahr in dieser Legislaturperiode - das war ein Kabinettsbeschluss der alten Koalition von CDU und SPD aus dem Jahr 2009, basierend auf einer Vorlage des Finanzministers. 750 Neueinstellungen pro Jahr.

Im Jahr 2010 gab es eine Fortschreibung und einen Zwischenbericht zu diesem Personalentwicklungskonzept. Dieses beinhaltete für die neue Legislaturperiode 800 Neueinstellungen pro Jahr. Dazu kamen Aussagen auch von jetzigen Vertretern der Koalition, die die Zahl 800 eigentlich in Wahrheit noch nach oben korrigiert haben.

Wenn wir jetzt in diesen Koalitionsvertrag hineinschauen, sehen wir, dass die Koalition, die personell und inhaltlich im Wesentlichen die gleiche ist wie vorher, auf einmal schreibt: Wir beschränken den Neueinstellungskorridor für die nächste Legislaturperiode auf maximal 400 Neueinstellungen pro Jahr.

Das soll mir einmal jemand erklären. Es gibt eine Erklärung,