Protocol of the Session on December 16, 2011

Danke schön. - Frau Kollegin Dr. Paschke, bitte.

Herr Staatsminister, Sie betonten mehrfach das umfassende Marketingkonzept, in das diese Aktion eingebettet ist. Wir kennen das umfängliche Marketingkonzept noch nicht und wissen nicht, welche weiteren Aktivitäten mit welchen Zielstellungen konkret geplant sind. Sind Sie bereit, in den Ausschüssen - wir müssen sehen, wo das Thema am besten angesiedelt ist - darüber zu berichten, was insgesamt und vor allem im nächsten Jahr geplant ist und wie lange das Konzept läuft?

Ja, selbstverständlich. Gerne.

Damit ist die Fragestunde abgeschlossen worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 15:

Erste Beratung

Übernahme bedeutsamer Gedenkstätten in die Trägerschaft der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt

Antrag mehrere Abgeordnete - Drs. 6/614

Einbringer ist der Kollege Herr Steinecke. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In zwei Orten in unserer unmittelbaren Nähe wurden von Deutschen im Zweiten Weltkrieg ungeheuerliche Verbrechen verübt.

In Isenschnibbe bei Gardelegen wurden am 13. April 1945 1 016 Häftlinge bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Täter waren Männer der SS, Soldaten der Wehrmacht und Mitläufer.

Altengrabow erinnert an das Leiden von mehr 60 000 Kriegsgefangenen. Tausende sind durch die unmenschlichen Haftbedingungen zu Tode gekommen.

Es sind also zwei bedeutende Gedenkstätten, die weit über die Grenzen Sachsen-Anhalts hinaus von großer Bedeutung sind.

Ich darf mich bei den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Verantwortlichen vor Ort für ihr engagiertes Arbeiten herzlich bedanken; denn sie waren es, die mit einem Verein die Erinnerung an das Geschehen bis heute wach gehalten haben. Dafür, glaube ich, gebührt ihnen Dank und Anerkennung.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich bin auch meinen Kollegen aus den Fraktionen dankbar, die die Idee aufgegriffen haben zu prüfen, ob wir die bedeutenden Gedenkstätten in die Gedenkstättenstiftung eingliedern können. Ich halte es für so bedeutsam, weil es besonders auch für die wissenschaftlich-historische Aufarbeitung von Wichtigkeit ist, aber auch im Kampf gegen das Vergessen und gegen das Sich-nicht-mehrerinnern-Wollen. Siegfried Lenz hat dazu einmal so eindrucksvoll formuliert:

„Auf Erinnerungen zu bestehen, kann mitunter schon Widerstand sein, zumindest dann, wenn Vergesslichkeit groß geschrieben oder diskreditiert wird.“

Meine Damen und Herren! Die Erinnerung an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte schmerzt bis heute. Die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft haben unendlich viele Narben, die wir bis heute noch sehen, hinterlassen. Um zu verhindern, dass neue Wunden entstehen, müssen wir dafür sorgen, dass die Vergangenheit gegenwärtig bleibt und wir uns auch damit auseinandersetzen.

Wir, die Nachgeborenen und die kommende Generation, tragen zwar keine individuelle Schuld, aber wir dürfen und können uns nicht dem Erbe dieser Schuld entziehen. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat dies so wunderbar formuliert - ich darf zitieren -:

„Wir können noch nachträglich mitschuldig werden, wenn wir diese Verantwortung nicht erkennen.“

Ich sehe uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb in der Pflicht, diese historische Ursprungsschuld Nazideutschlands an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch in Isenschnibbe und in Altengrabow niemals aus den Augen zu verlieren. Das Gleiche gilt für den bis dahin nicht gekannten Versuch, auf industrielle Weise einen Ge

nozid an Juden, Sinti, Roma und anderen Völkern zu begehen.

Meine Damen und Herren! Die Beendigung des Zweiten Weltkrieges ist schon fast 67 Jahre her. Aber der größte Feind, den wir uns vorstellen können, ist, dass wir das vergessen, was damals geschah.

Wer nur in sicheren Grenzen und in einer stabilen Demokratie gelebt hat, der kann kaum erahnen, was Krieg wirklich bedeutet, was es für einen Menschen heißt, Freunde oder Verwandte durch Krieg oder Verfolgung verloren zu haben, aber selbst überlebt zu haben.

Sicherlich kann man dies niemandem zum Vorwurf machen, der ein solches Schicksal nicht erlitten hat. Aber es ist unsere Pflicht, die junge Generation zu ermutigen, sich mit diesen dunklen Stunden und der Vergangenheit auseinandersetzen. Nur so lernt sie auch für die Zukunft.

Meine Damen und Herren! Obwohl der Friedensraum Europa mittlerweile 60 Jahre von der Irischen See bis zum Schwarzen Meer und vom Baltikum bis zur Ägäis reicht, dürfen wir die Gefahr von Nationalismus, Rassismus, Terrorismus und rechtsextremer Gewalt niemals unterschätzen.

(Beifall im ganzen Hause)

Diese Ideologie bleibt eine gefährliche Mischung, ein Nährboden für Gewalt und Unfreiheit, weil damit Straftaten verbrämt werden, die sich gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, mit anderen Ansichten oder anderer Religion und Minderheiten richten.

Diese Ideologie berührt auch die Existenz unseres Rechtsstaats wie auch die Zukunft unserer Europäischen Union. Ich sage den Kräften, wir werden unsere Kräfte genau bündeln und dies zu verhindern wissen.

Meine Damen und Herren! Wir können unseren Kindern und Enkeln eine friedliche und eine demokratische Gesellschaft nur dann dauerhaft sichern, wenn wir ihnen auch erklären, warum lebendiges Gedenken und Erinnern so überaus notwendig ist, warum Gedenkstätten wie Isenschnibbe und Altengrabow für die friedenspädagogische Arbeit unverzichtbar sind.

Meine Damen und Herren! Allerdings müssen wir auch bei der Ausgestaltung der Erinnerungskultur im Blick haben, dass viele Zeitzeugen nicht mehr unter uns sind. Schon in wenigen Jahren wird niemand mehr aus eigenem Erleben vom Schrecken der Shoah berichten können.

Weil wir aber hoffen, dass dieses Jahrhundert friedlicher und menschlicher wird als das vergangene, das Hannah Arendt das grausamste Jahrhundert der überlieferten Geschichte nannte, müssen wir den Opfern von Krieg und Holocaust dauerhaft Gesicht und Namen geben und Formen der

Erinnerung finden, die verhindern, dass Konturen des ethischen Tabubruchs der Nationalsozialisten in der Rückschau unscharf werden.

Die Verbrechen der Nazis dürfen nicht in das fahle Licht der sachlichen Beschreibung eintauchen. Deshalb sind wir verpflichtet, die Erfahrungen der Erlebnisgeneration mithilfe aller modernen Medien so aufzubereiten, dass sie auch unsere Nachkommen wachrütteln und zum Einschreiten mahnen, sobald Frieden, Freiheit Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaat in Gefahr sind.

Deshalb brauchen wir auch gut dokumentierte persönliche Überlieferungen, die uns vor Augen führen, welche tödliche Konsequenz sich aus mancher harmlos erscheinenden Entwicklung letztlich ergibt.

Deshalb müssen wir den Dialog mit den Historikern führen, um Formen der Erinnerungskultur zu finden, die gerade junge Menschen berühren und nachdenklich machen. Ein gutes Beispiel ist die Aktion Stolpersteine in unseren Städten, die an jüdisches Leben erinnern soll.

Deshalb sollten wir für die Pflege einer lebendigen Erinnerung auch die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen. Frieden, meine Damen und Herren, fällt nun einmal nicht vom Himmel. Das sollten wir alle wissen.

(Beifall im ganzen Hause)

Deshalb muss auch an unseren Schulen diese dunkle Epoche der deutschen und europäischen Geschichte ein wesentlicher Bestandteil des Unterrichts sein. Wir müssen den Jungen erklären, wie schließlich der Weg nach Auschwitz führte. Auschwitz lag nicht irgendwo in einer anderen Zeit an einem anderen Ort. Wir müssen ihnen sagen, dass der Geist von Auschwitz überall da ist, wo wir intolerant gegen fremdes Aussehen, fremde Sprachen, andere Religionen und anderes Denken sind und wo Herzlosigkeit, Ablehnung und Diffamierung sich wieder breitmachen.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Gerade auch deswegen brauchen wir Orte des Gedenkens, des Erinnerns und des Lernens als Stachel im Fleisch unserer Vergesslichkeit, als Aufschrei dagegen, dass auch heute viele Menschen leiden müssen unter Krieg, Vertreibung Folter, Gewalt und Terror.

Meine Damen und Herren! Es trifft immer nur die Unschuldigen, die Frauen, die Kinder, die Alten und die Schwachen. Albert Schweitzer erhob darum seine mahnende Stimme und erinnerte uns daran: Kriegsgräber sind die großen Mahner für den Frieden.

Meine Damen und Herren! Als Mahner für den Frieden dienen sicherlich auch Isenschnibbe und Altengrabow. Ich halte es deshalb für sachgerecht, den Antrag in der Drs. 6/614 in den Ausschuss für

Bildung und Kultur zur federführenden Beratung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Finanzen zu überweisen. Ich bitte um eine zügige Beratung und um Ihre Zustimmung. - Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Vielen Dank, Herr Kollege Steinecke. - Wir treten jetzt in eine Fünfminutendebatte ein. Die Fraktionen sprechen in der folgenden Reihenfolge: DIE LINKE, SPD, GRÜNE und CDU.

Zuerst spricht für die Landesregierung Herr Minister Dorgerloh. Bitte schön.

Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich von dem fraktionsübergreifenden Antrag zur Erweiterung der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt erfuhr, hat das bei mir zwei ganz unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.

Zum einen habe ich mich sehr gefreut, weil aus dem Vorschlag, zwei weitere Gedenkstätten in die Stiftung zu überführen, auch viel Anerkennung für die Arbeit der Stiftung Gedenkstätten spricht.

Wer am 1. Dezember 2011 mit dabei sein konnte und in Prettin erlebt hat, wie nach Jahren der Auseinandersetzung und des Ringens endlich die neue Gedenkstätte KZ Lichtenburg eingeweiht wurde, der konnte sehen, dass die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt ihre Arbeit wirklich versteht.