Protocol of the Session on December 16, 2011

Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag in der Drs. 6/668 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Es sieht so aus, als ob es alle Fraktionen sind. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Dann ist das einstimmig beschlossen worden. Ich bedanke mich. Der Tagesordnungspunkt 10 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Erste Beratung

a) Entwurf eines Gesetzes über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in Sachsen-Anhalt (Vergabegesetz Sachsen-Anhalt - Ver- gabeG LSA)

Gesetzentwurf Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/626

b) Entwurf eines Gesetzes zur Verabschiedung eines Vergabegesetzes und Aufhebung von Teilen des Mittelstandsförderungsgesetzes (Landesvergabegesetz - LVG LSA)

Gesetzentwurf Fraktionen CDU und SPD - Drs. 6/644

Im Ältestenrat ist Folgendes vereinbart worden: Die Gesetzentwürfe werden getrennt eingebracht und danach findet eine verbundene Debatte mit jeweils zehn Minuten Redezeit pro Fraktion statt. Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE wird von dem Abgeordneten Herrn Dr. Frank Thiel eingebracht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE erfüllt heute eines ihrer wichtigsten Wahlversprechen, nämlich zügig nach der Wahl ein Vergabegesetz für das Land SachsenAnhalt vorzulegen, in dem vor allem ein verbindliches Mindestentgelt geregelt wird.

Seit Jahren wird immer wieder über die Vergabe öffentlicher Aufträge diskutiert. Sie berühren ein großes Auftragsvolumen, das vielfach dem einheimischen Mittelstand zugute kommt, das regionale Wirtschaftskreisläufe anstößt und auch zur Stärkung der Binnenkonjunktur beitragen soll.

Genauso oft wird aber auch der Streit darüber geführt, welche Vergabepraktiken existieren. Das haben wir gerade gestern beim Thema Deutsche Bahn erörtert. Es wird über Vergabehandbücher und über den vermeintlichen Zugzwang diskutiert, möglichst billige Angebote zu nehmen, um a) der

Kommunalaufsicht Genüge zu tun, b) sparsam mit öffentlichen Mitteln umzugehen oder c) für möglichst wenig Geld viel Leistung zu bekommen.

Vor allem Unternehmerinnen und Unternehmer beklagen, dass bei öffentlichen Aufträgen Dumpingangebote eine unrühmliche Rolle spielen. In Gesprächen mit kleinen und mittleren Unternehmen, die wir geführt haben, wurde das hohe Interesse daran signalisiert, Angebote unterbreiten zu können, die dem Unternehmen einen vernünftigen Gewinn, den Beschäftigten eine ordentliche Bezahlung und dem Auftraggeber eine Leistung in hoher Qualität bescheren.

Nicht der Wettbewerb um Dumpingangebote soll die öffentliche Auftragsvergabe charakterisieren, sondern der Wettbewerb um die Qualität der angebotenen Leistungen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Diese Intention haben wir aufgegriffen, um mit einem Vergabegesetz solchen Ansprüchen zu genügen und zugleich auch als Politik gesellschaftliche Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Entwicklungen zu definieren.

Daher verwundert uns schon manche Reaktion aus Wirtschaftskreisen, manchmal fälschlicherweise als „die Wirtschaft“ bezeichnet. „Die Wirtschaft“ als solche gibt es nicht, sondern es sind meist Verbandsakteure, die sich zu Wort melden. Man sollte sich nicht gleich den Schneid davon abkaufen lassen, dass einem, wenn man solche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen definiert, oft Wirtschaftsunfreundlichkeit vorgeworfen wird.

Meine Damen und Herren! Die Zeit ist reif für ein Vergabegesetz in Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wurde nicht nur in unserem Wahlprogramm für die Landtagswahl festgestellt, sondern auch im Koalitionsvertrag. Seit Jahren herrscht bei der Vergabe im Landesrecht ein Regelungsvakuum. Das im Jahr 2011 verabschiedete Vergabegesetz wurde nur ein Jahr später wieder von der neu gebildeten CDU-FDP-Regierung aufgehoben. Eine tatsächliche Evaluierung konnte in dieser kurzen Zeit gar nicht stattfinden. Noch heute wird wiederholt davon gesprochen, dass das damalige Gesetz keine Wirkung entfaltet hätte. Das kann man bei einer so kurzen Wirkdauer auch gar nicht erwarten.

Fakt ist, dass Sachsen-Anhalt eines der wenigen Bundesländer in Deutschland ist, die nicht über ein Vergabegesetz verfügen. Die zögerliche Haltung wurde häufig mit europarechtlichen Grenzen begründet, die uns als Gesetzgeber vom Europäischen Gerichtshof mit dem sogenannten RüffertUrteil vorgegeben worden seien. Doch dieses Urteil, meine Damen und Herren, - diese Diskussion

hatten wir bereits in der letzten Legislaturperiode in diesem Hohen Hause - hat mitnichten ein Mindestentgelt in einem Vergabegesetz kategorisch ausgeschlossen.

Ich möchte nicht unbedingt in die rechtlichen Tiefen abschweifen, möchte jedoch einen Punkt klarstellen. Der entscheidende Punkt bei der Begründung des Urteils gegen das Land Niedersachsen war, dass es dort eine Bindung an den niedersächsischen Bautarifvertrag gab, der jedoch nicht allgemeinverbindlich war. Diese Bindung an den niedersächsischen Bautarifvertrag stellte einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit dar.

Um das hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Hätten wir in Deutschland einen gesetzlich verankerten Mindestlohn, dann hätten wir dieses Problem nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das besagt übrigens auch das Rüffert-Urteil. Schon aus diesem Grunde und aufgrund der Tatsache, dass wir mit unserem Gesetz nur verbindliche Mindestentgelte für die Ausführung öffentlicher Aufträge festlegen können, werden wir als LINKE auch immer wieder einen gesetzlich verankerten Mindestlohn in Deutschland fordern.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man das Stichwort Vergabegesetz ausspricht, hört man entweder „das ist notwendig“ oder es wird einem reflexartig der Begriff „Bürokratiemonster“ entgegengehalten. Wir haben in unserem Gesetzentwurf versucht, das Notwendige mit den erforderlichen Regelmechanismen zu verbinden.

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Was sind die Notwendigkeiten? - Mit unserem Gesetz soll geregelt werden, dass ein Unternehmen, das sich an einer öffentlichen Ausschreibung in Sachsen-Anhalt beteiligt und den Zuschlag für diesen Auftrag erhält, nicht nur bei der Entlohnung seiner Beschäftigten an die im Arbeitnehmer-Entsendegesetz fixierten Löhne gebunden ist. Vielmehr soll auch in dem Fall, dass es für eine Branche keinen Tarifvertrag gibt oder dass der Lohn nach dem bestehenden Tarifvertrag unter 8,50 € pro Stunde liegt, ein Mindestentgelt von 8,50 € gezahlt werden.

Warum schlagen wir das vor? - Fakt ist doch, dass trotz des konjunkturellen Aufschwungs in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt immer mehr Menschen von ihrem Verdienst nicht leben können. Die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse steigt. Es steigt vor allem die Zahl der geringfügig Beschäftigten. Seit dem Jahr 2000 hat die Zahl der geringfügig Beschäftigten im Land um fast 10 % zugenommen. Der Anteil der ausschließlich geringfügig Beschäftigten hat um 25 % zugenommen. In Sachsen-Anhalt gibt es derzeit etwa

116 000 Geringverdiener. Damit wollen wir uns einfach nicht abfinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich wissen wir, dass wir mit unserem Gesetzentwurf einen ersten Schritt zur Lösung des Problems vorschlagen. Natürlich ist uns klar, dass wir damit nicht alle Probleme des Niedriglohnsektors lösen können; denn dieses Gesetz gilt nur für die Vergabe öffentlicher Aufträge.

Aber mit diesem Gesetz sollen das Land SachsenAnhalt und alle öffentlichen Auftraggeber in diesem Land ihrer Vorbildfunktion nachkommen. Aufträge der öffentlichen Hand dürfen in diesem Land nicht länger an Unternehmen vergeben werden, die sich durch die Zahlung von Niedriglöhnen einen Wettbewerbsvorteil bei der Vergabe erschleichen. Es muss verhindert werden, dass es über die Lohnkosten zu einem Verdrängungswettbewerb kommt.

Außerdem wollen wir nicht, dass Unternehmen auf Kosten der öffentlichen Hand ihre Gewinne maximieren, indem sie ihren Beschäftigten so niedrige Löhne zahlen, dass deren Existenzminimum durch zusätzliche staatliche Leistungen gesichert werden muss.

Leider ist dieser Ansatz in dem zweiten Gesetzentwurf, der heute zur ersten Beratung ansteht, nicht enthalten. Meine sehr geehrten Kollegen von der SPD-Fraktion, ich weiß, dass der Druck, den Sie auszuhalten hatten, groß war; denn Sie wollten sich nicht die Blöße geben, gewissermaßen im Nachhinein, also nach uns, einen Gesetzentwurf dazu einzubringen.

Aber ich befürchte, dass der Preis, den Sie dafür zahlen, ziemlich groß ist. Denn das, was Sie gestrichen haben, um die Zustimmung des Koalitionspartners zu bekommen, führt diesen Gesetzentwurf, den Sie zur Erfüllung Ihres Wahlkampfversprechens erarbeitet haben, zur Bekämpfung des Niedriglohns ein ordentliches Vergabegesetz einzubringen, ad absurdum.

(Beifall bei der LINKEN)

Für einheitliche Formulare, Sicherheitsleistungen bei Bauaufträgen und die Einführung von Präqualifizierungsmaßnahmen hätte es nach unserer Meinung nicht eines Vergabegesetzes bedurft. Doch das, was das Gesetz im Kern regeln soll und was solche Gesetze in vielen anderen Bundesländern bereits regeln und was die Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes an ein Vergabegesetz beinhaltet, haben Sie auf Drängen des Koalitionspartners wieder gestrichen, nämlich die verbindliche Höhe eines Mindestentgeltes, im konkreten Fall die Angabe „8,50 €“.

Und das wird in der Öffentlichkeit noch als ein großer Erfolg der CDU gefeiert. Angesichts dessen kann man nur den Kopf schütteln. Zum gleichen Zeitpunkt erhöht zum Beispiel die CDU gemein

sam mit der SPD im Vergabegesetz von Berlin das vereinbarte Mindestentgelt von 7,50 € auf 8,50 €. So viel zum Thema Provinzialität von SachsenAnhalt.

Welche weiteren Regelungen sind uns wichtig? - Neben Mindestentgelten sollen bei Vergaben soziale und ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Der europäische Gesetzgeber und der Bundesgesetzgeber geben uns unter anderem mit dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb die Möglichkeit, zusätzliche Anforderungen an den Auftragnehmer zu stellen, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem konkreten Auftragsgegenstand stehen.

Daher sollen mit dem vorgelegten Gesetzentwurf auch in den Bereichen umweltverträgliche Beschaffung, Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau, Beachtung von Ausbildung sowie Kontrollen und Sanktionen verbindliche Regelungen geschaffen werden. Zudem wird die Vergabe an die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gekoppelt.

Auch diesbezüglich mussten in dem zweiten Gesetzentwurf offenbar Abstriche gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben gemacht werden. Die Regelungen, die ich gerade genannt habe und die bei uns verbindlich gelten sollen, sind in dem Entwurf der Koalitionspartner nur optional vorgesehen. Wir halten es für mehr als fatal, Kontrollen lediglich mit einer Kann-Bestimmung zu verankern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sehen es auch sehr kritisch, dass selbst die Kernforderungen im sozialen Bereich auf die eventuelle Beschäftigung von Auszubildenden, auf eventuelle qualitative Maßnahmen der Frauenförderung und auf eine eventuelle Sicherung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern beschränkt bleiben.

Meine Damen und Herren! Es ist schon bedauerlich, dass es in Ihrem Gesetzentwurf nicht einmal zur Chancengleichheit von Männern und Frauen gereicht hat, sondern nur zur Entgeltgleichheit,

(Beifall bei der LINKEN)

und dass auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Ihnen nicht stattfindet.

Es gibt nämlich noch ganz andere Möglichkeiten für kleine und Kleinstunternehmen. Das fängt an bei einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung und geht über die unkomplizierte Gewährung von Elternteilzeit bis hin zur Hilfe bei der Suche nach Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Das fehlt bei Ihnen leider völlig. Das ist für uns ein immanenter Bestandteil einer modernen Unternehmenskultur in Sachsen-Anhalt.