Protocol of the Session on December 15, 2011

(Beifall bei der CDU)

Sie haben heute unsere Sicherheitsbehörden und namentlich den Verfassungsschutz unter einen - ja, ich möchte schon sagen - Generalverdacht gestellt. Ich habe jetzt die konkrete Frage: Liegen Ihnen konkreten Erkenntnisse vor, wo der Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt in dieser Frage versagt hat?

Sehr geehrter Herr Kollege, Straftaten sind als Straftaten zu bestrafen, und zwar unabhängig davon, wer sie begangen hat.

(Herr Kolze, CDU: Danke schön!)

Darüber herrscht vollständige Einmütigkeit. Aber wenn Unschuldige verfolgt werden, wenn es eine Kriminalisierung von antifaschistischem, demokratischem Engagement gibt, die auch nicht durch die Strafgesetzbücher und die Strafprozessordnung gedeckt ist, dann muss ich mich fragen, ob wir uns tatsächlich noch in dem Bereich befinden, den Sie da beschreiben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Aber ansonsten besteht Klarheit: Straftaten sind zu verfolgen.

Ich möchte sehr deutlich darauf hinweisen, dass es mir fern liegt, den sachsen-anhaltischen Verfassungsschutz, den Verfassungsschutz anderer Bundesländer oder auch nur andere Sicherheitsbehörden unter einen Generalverdacht zu stellen.

(Frau Brakebusch, CDU: Das haben Sie aber gemacht! - Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Was ich getan habe - - Ich möchte Ihnen dazu die Formulierung noch einmal vorlesen, damit Sie sich daran erinnern können:

„Doch bevor Verschwörungstheorien blühen und sich hinter jedem illegal erworbenen Ausweis ein Verfassungsschutzskandal aufzutun scheint,“

(Minister Herr Stahlknecht: Na, na! - Zurufe von der CDU)

„sollten wir uns fragen, wie wir, jede und jeder von uns, die Morde wahrgenommen haben.“

(Minister Herr Stahlknecht: 17!)

Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Wir müssen uns fragen, wie konnte es passieren, dass 17 Verfassungsschutzämter - ja, Herr Minister - diese Taten nicht bemerkt haben. Das ist eine legitime Fragestellung, die aufzuklären ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Minister Herr Stahlknecht: Versach- lichen!)

Und um die Frage des Ministers zu beantworten: Die Qualifizierung „Versagen“ stammt nicht von mir. Sie stammt vom Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz selbst, von Heinz Fromm. Ich kann ihn an dieser Stelle gern noch einmal zitieren:

„Wir haben es mit einem Versagen, mit einer Niederlage der Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland zu tun.“

Dies aufzuklären, muss unser gemeinsam getragenes Interesse sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Es gibt eine weitere Anfrage von Herrn Kollegen Erben.

Zunächst, Herr Kollege Striegel, keine Angst. Es ist keine Frage, sondern eine Intervention.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich hätte mir, auch nach den einleitenden Worten des Herrn Präsidenten, gewünscht, dass wir hier heute eine Debatte führen, die dem Thema angemessen ist.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Ich hätte mir auch gewünscht - dabei darf man durchaus Kritik üben -, dass Sie Kritik in angemessener Weise vorbringen und sich hier nicht als selbsternannter Antiterrorexperte aufführen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Sie haben heute hier in mehreren Fällen, sowohl was den Tonfall als auch was die Formulierung betrifft, einen Generalverdacht gegen unsere Sicherheitsbehörden ausgesprochen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Ich will auch nicht verhehlen, dass dieses Maß an Selbstgerechtigkeit, das Sie bei einer Debatte in dieser Woche schon einmal an den Tag gelegt haben, nämlich frei nach dem Motto: „Wir sind ja alle gegen rechts; das sprechen wir euch Demokraten auch nicht ab; aber wir sind es noch mehr“, uns die Arbeit in diesem Hause an diesem Thema wirklich schwer macht. Das ist auch der Grund, warum wir Ihren Antrag nachher ablehnen werden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das war eine Zwischenintervention, keine Frage. Vielen Dank. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die Fraktion der CDU spricht der Fraktionsvorsitzende Herr Schröder.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Debatte zeigt, dass diese beispiellose Mordserie der Neonazibande uns alle zwar fassungslos, aber nicht sprachlos gemacht hat. Ich denke, wir fragen uns alle zu Recht, wie diese Verbrechen nur geschehen konnten und was man hätte tun können oder wie es möglicherweise hätte gelingen können, den Tätern früher das Handwerk zu legen.

In einem außergewöhnlichen Schritt wird in diesem Haus durch alle Fraktionen ein Antrag eingebracht, der unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl mit den Opfern der beispiellosen Mordserie der rechten Terroristen zum Ausdruck bringt. Für die Angehörigen der Ermordeten ist das Geschehene unfassbar. Unser Mitgefühl gilt allen Opfern der entsetzlichen Verbrechen, auch den Verletzten und traumatisierten Opfern der Banküberfälle.

Jahrelang bestand Ungewissheit über die Täter. Es ist zutiefst beschämend, dass es in Deutschland eine rechtsextremistische Ideologie gibt, die wieder zu Mord und Terror führen konnte, und dass wir diese Verbrechen nicht verhindert bzw. nicht frühzeitig aufgeklärt haben.

Für alle Fraktionen ist klar, dass die Abläufe und die Hintergründe dieser Taten umfassend aufgeklärt werden müssen. Wir sollten uns gerade deshalb davor hüten, auf die Fragen nach Versäumnissen von Sicherheitsbehörden vorschnelle Antworten auch für Sachsen-Anhalt zu formulieren.

Die Aufklärung, die wir mit großer Konsequenz fortführen müssen, wird in allen Parlamenten die Grundlage der weiteren Diskussion und auch der erforderlichen rechtlichen und administrativen Schlussfolgerungen sein. Fest steht, dass man über die Strukturen von Sicherheitsbehörden prüfend reden muss.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen Rechtsextremismus, gegen Rechtsterrorismus müssen alle aufrechten Demokraten zusammenstehen. Es geht um die Entschlossenheit, die in diesem Hohen Hause bestehen muss - deswegen der gemeinsame Entschließungstext -, allen extremistischen und terroristischen Strömungen, ganz gleich aus welcher Richtung sie kommen, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Verfassungsfeindliche, menschenverachtende Organisationen und ihre Vertreter dürfen weder einen Platz in dieser Gesellschaft noch in diesem Parlament finden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden prüfen, wo es Hindernisse gibt, wenn sich demokratische Gruppen gegen Rechtsextremismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen Antisemitismus engagieren.

Aber bei all dieser Unterstützung und Prüfung: Wo gibt es diese konkreten Hindernisse? - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Demokratieerklärung, die Initiativen abgeben sollen, sofern sie staatliche Gelder erhalten, also ein Bekenntnis zur Verfassungstreue, dass man für die freiheitlichdemokratische Grundordnung einsteht, kann ich beim besten Willen nicht als ein Hindernis betrachten.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Bei der Rede von Frau Tiedge habe ich ein paar Mal durchatmen müssen, weil da etwas von „wirkungslosem Populismus“, vom „Trauerspiel“ gesagt worden ist und auch die Sicherheitsbehörden genannt worden sind, die - so ist es ja nach Ihrer Ansicht berechtigterweise zu vermuten - auf dem rechten Auge blind seien und die Gefahren systematisch verharmlost hätten.

Ich habe nicht erwartet, dass mir dieses tiefe Durchatmen noch zum stockenden Atmen geraten würde, als ich die Rede von Herrn Striegel gehört habe; denn diese Rede war selbstgerecht und boshaft zugleich.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Sie konnten auf die konkrete Nachfrage, wo die Verfassungsschutzbehörden in Sachsen-Anhalt ver

sagt haben, keine klare Antwort geben. Sie haben bei dem, was Sie zitiert haben, den Satz davor natürlich nicht zitiert.

(Zuruf von Herrn Striegel, GRÜNE)

Sie haben gesagt, dass man deshalb von einem Generalverdacht sprechen muss, weil Sicherheitsbehörden systematisch verharmlost haben. Sie wollten sich nicht an Verschwörungstheorien beteiligen, sprachen aber in dem vorherigen Satz von den „stillen Mitwissern“ und - noch schlimmer - von „Unterstützern im Bereich der Behörden, die möglich scheinen“.

Ist ein solcher Ausspruch einmal in der Welt, dann ist das, meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz des Nachsatzes: „Aber es soll keine Verschwörungstheorie sein!“, nicht hilfreich.

Ich bin Herrn Kollegen Miesterfeldt ausgesprochen dankbar. Ich will an dieser Stelle einmal ganz deutlich sagen - nicht nur, weil Dönerbuden in der Mitte der Gesellschaft und in der Mitte unserer Städte anzutreffen sind -: Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit einem Mord kann ich nicht leben. Auch wenn er den Boulevardzusatz „Döner-Mord“ bekommt, kann man mit diesem Mord nicht leben. Die Aussage, damit könne man leben, weil es an den Rand der Gesellschaft gehöre, findet nicht meine Zustimmung.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)