Protocol of the Session on December 15, 2011

Mit dem gemeinsamen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen soll das Verfahren zur Besetzung des Amtes der oder des Landesbeauftragten teilweise neu geregelt werden. Die Vorredner gingen schon darauf ein. Unter Verzicht auf das Vorschlagsrecht der Landesregierung soll sich nunmehr die Bestimmung eines oder einer Landesbeauftragten auf den parlamentarischen Raum konzentrieren.

Nach unserer Auffassung bedarf es keiner Unterbreitung eines Wahlvorschlages durch die Landesregierung, zumal aufgrund des festgelegten Wahlquorums die Wahl auf einen breiten parlamentarischen Konsens gerichtet sein soll. Hierdurch wird der gesellschaftlichen Bedeutung des Amtes Rechnung getragen, zumal das Auswahlverfahren nach parlamentarischen und damit nach politischen und nicht nach beamtenrechtlichen Gesichtspunkten erfolgen soll. Daneben enthält der

Gesetzentwurf die Streichung der Regelaltersgrenze - darauf ging Herr Rothe auch schon ein - als Wählbarkeitsvoraussetzung und als Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit.

Für eine wirksame Auswahl im Sinne des Gesetzes muss aus unserer Sicht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Vita des Beauftragten und den Grundanforderungen des Absatzes 2 bestehen.

Nun könnte man der Logik folgen, Herr Dr. Thiel, dass auch jemand geeignet ist, der hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Ich versuche das einmal zu übersetzen. Er hat die größte Eignung. Er kennt die Akten, er kennt die Registratur und braucht nicht irgendwelche Helfer.

Wir meinen es genau anders herum. Wir meinten eigentlich, dass jemand, der diesen Repressalien ausgesetzt war, unter Umständen ein geeigneter Kandidat ist. Deshalb ist unter anderem die Frage der Regelaltersgrenze für uns durchaus ein wesentliches Element.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kreis der geeigneten Kandidaten, der den Hintergrund dieser höchstpersönlichen Erfahrungen in der ehemaligen DDR vorweisen kann - das möchte ich noch einmal bekräftigen -, wird nach über 20 Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung künftig leider immer enger werden. Aus diesem Grund halten wir die Streichung des Absatzes 4 für absolut zweckmäßig. Daneben soll mit dem Ziel der Rechtsklarheit sichergestellt werden, dass es einer Stellenausschreibung für das Amt der oder des Landesbeauftragten nicht bedarf.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass der Gesetzentwurf die Stärkung der parlamentarischen Rechte, die Schaffung von Rechtsklarheit sowie die künftige Sicherstellung eines Kreises von geeigneten Bewerbern, die die notwendigen persönlichen Voraussetzungen erfüllen, beinhaltet. Ich bitte Sie daher ebenfalls um Zustimmung zu der Überweisung unseres Gesetzentwurfs in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein paar abschließende Worte zum Gesetzeszweck, nämlich die wirksame Aufarbeitung von Vertrauensmissbrauch, Bespitzelung, Verrat von Nachbarn, Freunden und Arbeitskollegen und deren existenzvernichtenden Folgen. Wir sind es den Opfern der Diktatur schuldig, dass ihre Schicksale umfassend aufgearbeitet werden.

Die bzw. der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes leistet hierfür einen unverzichtbaren und hoch einzuschätzenden Beitrag. Die CDU-Fraktion möchte in diesem Haus ausdrücklich bekräftigen, dass es mit uns zu keiner neuen gesetzlichen Regelung kommen wird, mit der ein Schlussstrich - darin unterscheiden wir uns, Herr Kollege Rothe - unter die Aufarbeitungsdebat

te über die DDR-Geschichte, die Rolle der SED und der Staatssicherheit als deren Schild und Schwert gezogen wird.

Damit komme ich, Herr Kollege Rothe, auf Ihren Hinweis zu sprechen, den ich auch nicht nachvollziehen kann. Sie haben gesagt, dass beispielsweise Morde, mit Ausnahme der NS-Morde, nach 30 Jahren verjähren. Dann haben Sie gesagt: Das ist aus Ihrer Sicht nicht übertragbar. Wenn Sie das, was Ihr sehr verehrter Kollege Miesterfeldt letztens über Hoheneck und andere Dinge ausgeführt hat, sehen, dann sind nach unserer Auffassung StasiMorde genauso nicht verjährbar.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nötiger denn je, den Bürgern, aber gerade auch jungen Menschen zu erklären, welche Mechanismen totalitären Strukturen eigen sind. Unterdrückung und Verfolgung, fehlende Gewaltenteilung, Nichtbeachtung der Menschenrechte, all das wird in den Schulen heute anscheinend noch unzureichend vermittelt.

Frau Präsidentin, ich komme jetzt zum Ende. Ich habe die Redezeit schon leicht überzogen.

Neben der Befassung mit vielen aktuellen politischen Zukunftsaufgaben dürfen wir in der Befassung mit unserer jüngsten Geschichte nicht nachlassen. Es liegt, meine Damen und Herren, im Interesse der gesamten Republik, dass die Auseinandersetzung mit der totalitären Vergangenheit im Osten Deutschlands weiterhin engagiert betrieben wird. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr, Herr Borgwardt. Sie hatten noch zwölf Sekunden Redezeit.

Es blinkte aber schon, Frau Präsidentin.

(Heiterkeit)

Herr Borgwardt, es blinkt immer eine Minute vorher. Wenn ich Sie darauf hinweisen darf.

Ich hatte mein Blatt so gelegt, dass ich die Zeit besser sehen kann. Entschuldigung.

Das kommt, wenn man die Zeit nicht mehr sehen will und das Blatt so legt. Das ist in Ordnung. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Amt der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen - ich übernehme einmal diese Sprachform - ist seit Frühjahr 2010 unbesetzt. Aber wir befinden uns heute in einer Situation, die darauf hoffen lässt, dass dieser Missstand in wenigen Wochen endlich behoben sein wird, damit die Opfer der kommunistischen Diktatur in Deutschland auch in unserem Bundesland wieder einen festen Ansprechpartner haben.

Es darf aber nicht einfach ein „Weiter so!“ geben. Wir sind es dem Ansehen des Amtes und dem Ansehen unseres Landes schuldig, es gemeinsam besser zu machen. Unsere Aufgabe ist es, nicht nur ein Amt neu zu besetzen, unsere Aufgabe ist es auch, Vertrauen in das Handeln der Politik zurückzugewinnen.

Wir möchten mit Ihnen gemeinsam das Amt des Landesbeauftragten neu besetzen. Wir setzen dabei genau wie Sie auf ein verbessertes Verfahren, das die Rechte des Parlaments stärkt. Die Findung einer geeigneten Persönlichkeit sollte von einer breiten Mehrheit des Hauses mitgetragen werden können.

Den Entwurf der Fraktionen der CDU und der SPD zur Änderung des Ausführungsgesetzes des StasiUnterlagengesetzes sehen wir daher als einen Schritt in die richtige Richtung an. Insbesondere das Vorschlagsrecht der Landesregierung erscheint uns kontraproduktiv. Hauptaufgabe des Landesbeauftragten ist dem Gesetze nach, durch den Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern einen wirkungsvollen Beitrag zur Aufarbeitung und Bewältigung der vom Staatssicherheitsdienst belasteten Vergangenheit zu leisten. Wer könnte das besser als eine Beauftragte des Landtages? - Die Beauftragte ist also in einem äußerst spannungsgeladenen gesellschaftlichen Umfeld tätig. Die beabsichtigte Neuregelung trägt diesem Umstand in richtiger Weise Rechnung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die weiteren Änderungen in dem vorliegenden Entwurf halten wir für sinnvoll. Wir möchten sie gemeinsam mit Ihnen auf den Weg bringen. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass es weitere Punkte gibt, die das Amt der Landesbeauftragten unabhängiger machen können und unbedingt auch unabhängiger machen sollten.

Die richtige Konsequenz aus dem, was wir heute hier in der ersten Lesung beraten und auf den parlamentarischen Weg bringen, und aus den Debatten über die Aufarbeitung der DDR, die wir in den letzten Wochen hier im Parlament geführt haben, ist, dass mehr erforderlich ist, und zwar mehr Unabhängigkeit für das Amt und einen breiter gefassten inhaltlichen Fokus, weg von der ausschließlichen Fokussierung auf die Staatssicherheit, hin

zu einer Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur. Dies sind Aufgaben, die wir uns in Zukunft vornehmen sollten.

Die Aufarbeitung der DDR-Unrechtsgeschichte darf keine blinden Flecken haben. Nur so können wir unserem Auftrag voll gerecht werden.

Ich freue mich darüber, dass auch in den Beiträgen von Herrn Rothe und Herrn Borgwardt signalisiert wurde, dass wir uns in dem Kontext der Beratungen, die wir jetzt starten wollen, durchaus mit mehr beschäftigen wollen. Es waren interessante Vorschläge dabei. Einiges sehen wir ähnlich, anderes sehen wir anders, zum Beispiel den Vorschlag mit der Übertragung in das Landeshauptarchiv. Ich glaube, die Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlichen Spannungsfeld der Geschichte aus einem Archiv heraus ist ausgesprochen schwierig. Über diese Dinge müssen wir noch einmal sprechen. Aber ich freue mich, dass Sie diskussionsbereit sind.

Meine Damen und Herren! Wir sehen in dem Gesetzentwurf einen wichtigen Schritt für das kommende Besetzungsverfahren. Wir verbinden diesen Schritt mit dem Wunsch nach einer Aufarbeitung, die nicht verkleistert, sondern uns im Heute erklärt, was Teil unserer gemeinsamen jüngsten Geschichte ist. Wir verbinden diesen Schritt auch mit der Hoffnung auf ein Besetzungsverfahren, in dem der Landtag durch sein gemeinsames Handeln zeigt, dass wir uns unserer Verantwortung bewusst sind. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Herr Kollege Herbst. - Für die SPDFraktion hat der Abgeordnete Herr Rothe das Wort.

Frau Präsidentin! Ich möchte mich eigentlich nur für die konstruktiven Beiträge der Kollegen bedanken. Wie Sie wissen, bin ich in Westdeutschland aufgewachsen. Ich bin meiner Fraktion dafür dankbar, dass ich heute trotzdem zu so einem Thema hier sprechen durfte.

Die Debatte 1979 um die Aufhebung der 30-Jahresfrist für die Verfolgungsverjährung bei Mordtaten habe ich in meinem ersten Jahr als Jurastudent mit großem Interesse verfolgt. Es gab damals die Grundauffassung und es gibt sie noch immer, dass der Staat über Menschen nicht bis zu ihrem Lebensende richtend verfügen darf. Das kann man als Respekt vor der Schöpfung oder als Respekt vor der Natur bezeichnen. Ich denke, das ist eine rechtstaatliche Maxime, die wir beibehalten sollten.

Man hat 1979 diesen Grundsatz dann in einem Punkt aufgeweicht, indem man sagte: Unter die

Nazimorde können wir diesen Schlussstrich nicht ziehen.

Herr Kollege Borgwardt, ich wollte nicht etwa zwischen verschiedenen Morden unterscheiden. Man hat im Jahr 1979 die Strafverfolgungsverjährung für Morde insgesamt aufgehoben. Natürlich ist das - egal von wem - insofern gleichzusetzen. Ich wollte jedoch die Aufhebung der Strafverfolgungsverjährung nach 30 Jahren in Bezug auf Morde nicht auf die Überprüfung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit übertragen.

Meine persönliche Auffassung dazu ist, dass nach 30 Jahren Schluss sein sollte, also im Jahr 2019. Wenn ich sage, es sollte Schluss sein, dann meine ich damit aber keinen generellen Schlussstrich, sondern den Übergang von der Verfolgung der persönlich Verantwortlichen hin zur historischen Aufarbeitung. Dem entspricht meines Erachtens auch der Übergang der Unterlagen von der GauckBehörde in die Landesarchive, soweit es sich um Unterlagen der Bezirksverwaltungen handelt. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Borgwardt, CDU: Danke für die Klarstellung!)

Danke, Herr Kollege Rothe. - Damit treten wir in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 6/638 ein. Einer Überweisung steht nichts im Wege. Es wurde der Vorschlag unterbreitet, den Gesetzentwurf in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das sehe ich nicht.

Wer der Überweisung des Gesetzentwurfs in der Drs. 6/638 in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Damit ist der Gesetzentwurf in den Ausschuss überwiesen worden.

Wir werden jetzt vereinbarungsgemäß den Tagesordnungspunkt 17 behandeln. Danach sollen die Tagesordnungspunkte 14 und 20, zu denen keine Debatte vorgesehen ist, behandelt werden. Dass dann noch genügend Zeit bleibt, um den Tagesordnungspunkt 18 zu behandeln, wage ich im Moment zu bezweifeln. Aber dieser Wunsch wurde von den Fraktionen geäußert. Gegebenenfalls müssen wir uns noch einmal neu dazu verständigen, wenn die Zeit gekommen ist.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung

Betreuungsgeld verhindern - § 16 Absatz 4 SGB VIII streichen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/628

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Hohmann. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Über das Thema, dem sich unser Antrag widmet, wird derzeit zumindest auf der Bundesebene heftig diskutiert. Es geht um die ab dem Jahr 2013 geplante Einführung eines Betreuungsgeldes für Eltern, die ihre Kinder nicht in einer Kita betreuen lassen wollen. So jedenfalls steht es in § 16 Absatz 4 SGB VIII.