Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Über das Thema, dem sich unser Antrag widmet, wird derzeit zumindest auf der Bundesebene heftig diskutiert. Es geht um die ab dem Jahr 2013 geplante Einführung eines Betreuungsgeldes für Eltern, die ihre Kinder nicht in einer Kita betreuen lassen wollen. So jedenfalls steht es in § 16 Absatz 4 SGB VIII.
Was konnte man dazu bisher alles in der Presse lesen? - “Die CDU-Frauen sind empört über den Vorstoß der CSU-Schwestern“, so titelt „SpiegelOnline“ am 14. November 2011. Oder: „Riesenkrach in Merkels Führungszirkel“, so heißt es ebenfalls bei „Spiegel-Online“ am 14. November 2011. Oder: „Am Betreuungsgeld scheiden sich die Geister“ stellt die „Volksstimme“ am 9. November 2011 fest. Diese Liste ließe sich fortsetzen.
Für besonders viel Aufregung in den Reihen der CDU sorgten die Äußerungen von Bayerns Sozialministerin Frau Haderthauer. Sie möchte das Betreuungsgeld auch an vollzeitbeschäftigte Eltern auszahlen und entblößt das Betreuungsgeld damit ganz klar als ein Anti-Kita-Programm.
Auch die Bundesfamilienministerin Frau Schröder denkt laut darüber nach, Eltern, die ihre Kinder bis zu fünf Stunden in die Kita bringen, das Betreuungsgeld zu zahlen. Das wiederum verärgert die CSU. Was wir also auf der Bundesebene erleben, ist ein riesiges Hin und Her. Oder, um mit der „Welt“ vom 23. November 2011 zu sprechen: „Jeder gegen jeden beim Betreuungsgeld“.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es existiert eine ganze Reihe von Studien, die die Folgewirkungen von Betreuungsgeldsystemen untersucht haben. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat im Jahr 2009 im Auftrag des Bundesfinanzministeriums hochgerechnet, dass die Einführung eines Betreuungsgeldes in Deutschland dazu führen würde, dass sich jede zweite teilzeitbeschäftigte Mutter vom Arbeitsmarkt gänzlich zurückziehen würde. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, würde die Einkommens- und später die Altersarmut von Frauen verschärfen.
Ein Blick nach Skandinavien zeigt, dass die dort existierenden Betreuungsgeldsysteme eine traditionelle Rollenverteilung fördern und ein Hemmnis für die Gleichberechtigung der Geschlechter sind; so eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2007.
Der im Jahr 2009 erschienene Thüringer Kindersozialbericht verdeutlicht, dass es mit der Einführung des Thüringer Landeserziehungsgeldes im
Jahr 2006 zu einem zum Teil erheblichen Rückgang der Betreuungsquoten in den Kindertageseinrichtungen kam. Das Thüringer Landeserziehungsgeld setzte falsche finanzielle Anreize, die insgesamt dazu führten, die Bildungsbeteiligung der betroffenen Kinder zu verringern, anstatt sie zu erhöhen. Außerdem, so der Bericht, herrsche eine signifikante Korrelation zwischen Familien in Armutslebenslagen und der Inanspruchnahme des Erziehungsgeldes.
Das heißt übersetzt nichts anderes, als dass diejenigen Kinder, die frühkindliche Bildung und Betreuung am dringendsten brauchen, davon eben ausgeschlossen werden, und zwar deshalb, weil sich ihre Eltern, rein monetär betrachtet, völlig rational verhalten.
Hierzu, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, bleibt mir nur der Verweis auf ein Zitat: Das Betreuungsgeld sei „finanzpolitisch, familienpolitisch, integrationspolitisch, frauenpolitisch und wirtschaftspolitisch Unsinn“ - so Frank-Walter Steinmeier, Vorsitzender Ihrer Bundestagsfraktion, in der „FAZ“ vom 10. November 2011.
Dazu kann ich nur sagen: Recht hat er! Und da Unsinn möglichst vermieden werden sollte, stellen wir heute diesen Antrag. Mit diesem Antrag stehen wir nicht allein. Einige Fraktionen im Deutschen Bundestag sind mit mehreren Initiativen gegen das geplante Betreuungsgeld aktiv geworden: die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits im Oktober 2007, die SPD-Bundestagsfraktion mehrmals, zuletzt im Juni 2011, und natürlich die Linksfraktion im Bundestag, zuletzt im September 2011.
All diesen Anträgen ist die Forderung gemein, dass auf ein Betreuungsgeld verzichtet werden soll und dass die freiwerdenden Mittel stattdessen besser in den Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur zu investieren sind.
Auch hier im Landtag hat uns das Thema bereits beschäftigt. Im Februar 2010 hatte die Fraktion der FDP einen fast gleichlautenden Antrag eingebracht. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Reinecke, möchte ich aus Ihrem Debattenbeitrag in der Landtagssitzung am 19. Februar 2010 zitieren. Sie sagten:
„Sie alle hier im Raum kennen das ungeliebte Wort der Herdprämie. Daran ist in der Tat etwas Wahres.“
In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass mittlerweile auch das Land Nordrhein-West
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Abgeordnete! Als ich vor ein paar Wochen die Artikel zum Thema Betreuungsgeld gelesen habe, fiel mir auf, dass ich das völlig vergessen hatte.
Denn die Debatte gab es schon einmal im Zusammenhang mit dem Krippenausbauprogramm. Viele können sich vielleicht noch daran erinnern, dass es damals Streit gab. Ich glaube, das ist vier oder fünf Jahre her.
Damals ist dann der Kompromiss gefunden worden, wir machen erst das Krippenausbauprogramm - die Länder stellen 30 % ihrer Plätze in Kindertageseinrichtungen für die Betreuung von unter Dreijährigen zur Verfügung; darauf besteht ein Rechtsanspruch -, und wenn dieses Ziel erreicht ist, wird neu entschieden. Das war damals der Kompromiss.
Jetzt wissen wir - ich weiß es aus der Fachministerkonferenz -, dass die alten Bundesländer von diesem Ziel meilenweit entfernt sind. Inzwischen gibt es auch einen Antrag des Landes Bayern, die Quote abzusenken bzw. ganz auszusetzen. Die Betreuungsquote in Bayern liegt derzeit, so glaube ich, bei 16 %.
Wir im Osten können an dieser Stelle gar nicht mitreden. Da es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung gibt, liegt Sachsen-Anhalt eigentlich bei 100 %. Diesen Rechtsanspruch gibt es in allen neuen Bundesländern. Die Inanspruchnahme in Sachsen-Anhalt liegt im Krippenbereich bei rund 52 %. Insofern müsste man darüber gar nicht reden. Deshalb habe ich auch nicht mehr daran gedacht, dass dieser Antrag kommt.
Nun sage ich gleich am Anfang, was am Ende stehen müsste: Die Landesregierung - in deren Namen spreche ich jetzt, und nicht als Mitglied der SPD oder als Privatperson - wird sich in der morgigen Abstimmung des Bundesrates zu diesem Antrag aus Baden-Württemberg der Stimme enthalten. Übrigens ist der Umstand, dass ein solcher Antrag aus Baden-Württemberg kommt, Klasse. Daran hätte man vor Jahren gar nicht gedacht.
- Ja, das hätte man tun können. - Aber ich möchte der Fairness halber einschränkend sagen, dass alle Länder, die zustimmen werden - der Antrag wird eine Mehrheit finden -, Regierungen unter der Führung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder der SPD haben. Die Länder, in denen große Koalitionen regieren, werden sich der Stimme enthalten; denn in allen Koalitionsvereinbarungen ist festgelegt, dass man sich bei strittigen Themen der Stimme enthält.
Des Weiteren muss man der Ehrlichkeit halber auch sagen - wir haben das am Dienstag im Kabinett besprochen -, dass dem Ministerpräsidenten - ich weiß nicht, ob alle Kollegen im Kabinett diese Ansicht teilen, aber ich gehe davon aus - eine Ablehnung des Antrages schwergefallen wäre, weil es auch dem Koalitionsvertrag nicht ganz entsprochen hätte.
Denn darin haben sich die SPD und die CDU darauf geeinigt, eine Ganztagsbetreuung für alle Kinder einzuführen, und zwar deshalb, damit gerade diejenigen Kinder im Hinblick auf die frühkindliche Bildung diesen Anspruch haben, deren Elternhäuser dies nicht leisten können oder wollen. Deshalb wurde deutlich gesagt, dass auch dann eine Enthaltung in Frage gekommen wäre, wenn das nicht im Koalitionsvertrag stünde.
Die SPD sieht das - wie Frank-Walter Steinmeier auch - seit Jahren genauso. Ich weiß auch, dass es viele, aber eben nicht alle in der CDU so sehen. Die Meinungen innerhalb einer Partei sind vielfältig. Es ist auch in der SPD manchmal so.
Wenn man ehrlich ist, muss man feststellen, dass sich diese Auseinandersetzung zurzeit eher zwischen Ost und West abspielt. Im Osten wird darüber gar nicht in dem Maße diskutiert, weil wir eine andere Vergangenheit haben. Das Thema ist tatsächlich vielschichtig. Vielleicht gehen die Sprecher noch darauf ein. Es ist eine Gemengelage.
Jedoch besteht reell die Gefahr, dass gerade die Eltern, deren Kinder es nötig hätten, in eine Einrichtung zu gehen, ihre Kinder wegen des Betrages von 150 € im Monat nicht in eine Einrichtung geben. Das Geld lockt immer mehr. Viele dieser Eltern würden dann die Kinder zu Hause behalten, ohne ihren Erziehungs- oder gar Bildungsauftrag zu erfüllen.
Das Thema hat vielfältige Dimensionen. So sagen diejenigen, die sich für den Kinderschutz einsetzen, dass Kinder zu Hause isoliert sind. Insbesondere für Kinder aus gefährdeten Familien wäre es auch unter diesem Blickwinkel besser, wenn sie in öffentlichen Einrichtungen betreut würden, weil man sie dann besser im Blick hätte.
sehr frühzeitig, nämlich im Krippenalter. Vor diesem Hintergrund wäre insbesondere für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund ein Krippenbesuch sinnvoll. Es besteht aber die Gefahr, dass die Eltern diese Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen, weil das Betreuungsgeld in Höhe von 150 € für diese Familien ein triftiger Grund dafür sein kann, das Kind zu Hause zu betreuen.
Im Rahmen einer repräsentativen Emnid-Umfrage haben sich 80 % der Bundesbürger dafür ausgesprochen, die Mittel für das Betreuungsgeld besser für die Schaffung von Kindertagesstätten zur Verfügung zu stellen. Das Ergebnis der Befragung zeigt, dass diese Ansicht im Westen wie im Osten Deutschlands ähnlich weit verbreitet ist. Es ist also nicht so, dass man diese Auffassung insbesondere im Osten vertritt.
Ich glaube, wir sollten von unserer - in Teilen etwas unterschiedlichen - Auffassung, die wir in der Koalition haben, nicht abrücken. Die SPD ist ganz klar dafür, eine Ganztagsbetreuung in der vorschulischen Bildung zu gewährleisten und auch in den Schulen Ganztagsangebote zu unterbreiten. Ich glaube, dass das der bessere Anspruch ist.
Es besteht auch die Gefahr - diese sehe auch ich; viele von Ihnen haben auch Verwandte und Bekannte im Westen, bei denen Sie das sehen -, dass die Rollenverteilung wieder ein Stück weit zementiert wird, dass am Ende die Frau doch wieder zu Hause bleibt, um sich um die Kinder zu kümmern, und der Mann einer Berufstätigkeit nachgeht. Das wollen wir aufbrechen, indem wir regeln, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen wie für Männer gelten muss.
Ich möchte zum Schluss deutlich sagen: Ich habe - das darf man als Fachminister - den Antrag des Landes Baden-Württemberg im Bundesratsausschuss für Frauen und Jugend und im Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik unterstützt.
Der Antrag wird morgen die Mehrheit erhalten. Das kann man absehen, wenn man die Länderkonstellation kennt. Man weiß, wer sich der Stimme enthalten wird; man weiß, wer dagegen stimmen wird. Es wird eine Mehrheit dafür geben. Da aber das Betreuungsgeld im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist - das ist ein Entschließungsantrag -, steht es der Bundesregierung - das muss man fairerweise auch sagen - frei, es trotzdem einzuführen. Das möchte ich zur Klarheit noch einmal sagen. - Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich den Antrag der LINKEN gelesen habe, habe ich mich gefragt, was dieses bundespolitische Thema auf der Tagesordnung der heutigen Landtagssitzung soll.
(Frau Bull, DIE LINKE: Schön! Das ist doch aber klar! - Zuruf von der CDU: So ein Quatsch! - Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Dann können Sie im Bundesrat die Hand heben! - Heiterkeit bei der LINKEN - Frau Bull, DIE LINKE: Kein Quatsch! - Zuruf von Frau Weiß, CDU)
Nach dem Redebeitrag der antragstellenden Fraktion weiß ich jetzt, dass meine Erwartungen voll und ganz erfüllt werden: