Protocol of the Session on December 10, 2015

(Beifall im ganzen Hause)

Wir fahren in der Rednerliste fort. Es spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege Meister. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt Änderungen im Aufnahmegesetz und im Finanzausgleichsgesetz vor. Die Notwendigkeit der Änderungen ergibt sich vor dem Hintergrund des Themas, das das zurückliegende Jahr wie kein zweites geprägt hat. Eine große Zahl von Menschen ist weltweit auf der Flucht vor Krieg, Terror, Vertreibung, Verfolgung, Hunger. Ein Teil der Menschen sucht Schutz in Europa, auf einem Kontinent, der sich bei all seinen uns gut bekannten Problemen in seinem Inneren einen andauernden Frieden errungen hat, von dem andere Teile der Welt leider weit entfernt sind, ein Kontinent, der seinen Einwohnern persönliche Freiheit, religiöse Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit bietet und das hoffentlich auch in Zukunft tut.

Für viele dieser Menschen war und ist die Bundesrepublik und damit auch Sachsen-Anhalt Ziel ihrer Flucht. Diese Situation besteht dem Grunde nach zwar schon länger; die im Laufe des Jahres stark angestiegenen Zahlen stellten und stellen jedoch unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Das beginnt mit der menschenwürdigen Aufnahme und Unterbringung und geht weiter zur Integration der Menschen in unsere Gesellschaft. Integration heißt dabei auch, die für unser Land mit der Einwanderung einhergehenden Chancen und Möglichkeiten zu begreifen, sie verständlich zu machen und letztlich zu nutzen.

Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen wir an den unterschiedlichsten Stellen reagieren und agieren. Bisher geltende Regelungen müssen daraufhin überprüft werden, ob sie noch auf die veränderte Situation passen; ande

renfalls müssen sie geändert werden. Selbstverständlich gilt das auch für den Finanzbereich und für die Finanzbeziehungen der beteiligten Körperschaften.

Als ungünstig erwies sich in der Vergangenheit insbesondere die Tatsache, dass die vom Land an die Kommunen auszureichenden Finanzmittel für die Aufnahme und Unterbringung im Finanzausgleichsgesetz enthalten waren. Das Finanzausgleichsgesetz ist so konstruiert, dass entstehende Kostensteigerungen nur nachläufig berücksichtigt werden.

Das ist bei kleineren Schwankungen von Aufnahmezahlen kein Problem. Bei der stürmischen Entwicklung, die wir in den letzten Monaten gesehen haben, führt dies in der Praxis aber dazu, dass die Kommunen die steigenden Kosten erst einmal vorfinanzieren müssten. Das ist vielfach nicht möglich und wäre gegenüber den Kommunen auch nicht fair. Auf diese Art und Weise verzögerte Zahlungen würden letztlich zu erheblichen Problemen bei der Unterbringung in den Kommunen führen. Die Finanzierung muss sich an den aktuellen Fallzahlen orientieren, auch wenn sich diese möglicherweise schnell in die eine oder andere Richtung verändern. Um diese Problematik zu lösen, ist es sinnvoll, die Zahlungen aus den Regelungen des FAG herauszulösen und in das Aufnahmegesetz zu überführen.

Selbstverständlich ergab sich faktisch sofort - ich hatte es in der ersten Lesung bereits vermutet - eine Diskussion über die Höhe der Zahlungen. Als Pauschale ist zunächst ein Betrag von 8 600 € vorgesehen. Seitens der Kommunen wird der Betrag als deutlich zu gering kritisiert. Diese Kritik dürfte letztlich berechtigt sein. Die Berechnung der Pauschale beruht auf Kostenerhebungen aus dem Jahr 2014. Zwar ist die allgemeine Inflation niedrig, aufgrund der stark gestiegenen Nachfrage sind jedoch die Preise für Unterkünfte, Ausstattung etc. deutlich angestiegen.

Das Gesetz sieht in der Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses nun ein Verfahren vor, wie zukünftig die Kostenermittlung und die Bestimmung der Pauschale erfolgen sollen. Dass das gewählte Verfahren zu sachgerechten Ergebnissen führen wird, ist zu hoffen; es bleibt aber abzuwarten, ob dies so eintritt. Sinnvollerweise wurde auch eine Evaluierungsklausel - meine Vorredner sind bereits darauf eingegangen - aufgenommen.

Kritisch sehen wir Bündnisgrünen die in § 1 Abs. 3 enthaltene Regelung, wonach die Kommunen, in denen sich eine zentrale Aufnahmeeinrichtung oder eine Außenstelle einer solchen Einrichtung befindet, weniger Menschen zugewiesen bekommen. Das kann dazu führen, dass die Zuweisungen gerade an größere Städte unterdurchschnitt

lich ausfallen. Dies wäre ungünstig, da wir dort über Kapazitäten zur Unterbringung und zur Integration verfügen, die so möglicherweise nicht optimal genutzt werden.

Meine Fraktion hatte vor diesem Hintergrund einen Änderungsantrag eingebracht, dem im Ausschuss jedoch leider kein Erfolg vergönnt war. In dem Änderungsantrag thematisieren wir auch den im § 1 Abs. 5 des Gesetzes stehenden Vorzug von kleineren Gemeinschaftsunterkünften. Hierbei wäre es sinnvoll gewesen, einen Vorrang für eine Wohnungsunterbringung zu formulieren. Dass gerade bei hohen Flüchtlingszahlen die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften vor Ort eine nicht vermeidbare Notwendigkeit sein kann, ist dabei unbestritten. Wir sollten aber im Gesetz als vorrangiges Ziel diejenige Wohnform benennen, die die besten Aussichten für Integration bietet, und das ist nun einmal die Unterbringung in Wohnungen.

(Zustimmung von Frau Wicke-Scheil, GRÜ- NE, und von Herrn Knöchel, DIE LINKE)

Der zweite Teil des Gesetzes befasst sich mit Änderungen im Finanzausgleichsgesetz. Leider werden die grundlegenden Probleme des Finanzausgleichs nicht angegangen. Der deutliche Anstieg der von den Kommunen aufgenommenen Liquiditätskredite ist besorgniserregend und steht in einem auffälligen Gegensatz zu den Überschüssen des Landeshaushaltes. Die Ausgleichsmasse ist letztlich unzureichend; Frau Feußner ist darauf eben erfreulicherweise deutlich eingegangen.

In der Beschlussempfehlung findet sich als neue Bestimmung der Artikel 1/1, der den Gemeinden und Landkreisen für die Jahre 2015 und 2016 jeweils eine einmalige Sonderzuweisung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben - so heißt es da so schön - gönnt. Ich habe im Ausschuss für diesen Artikel gestimmt - wir werden das, da hierzu eine Einzelabstimmung beantragt worden ist, auch hier tun -, da diese Zahlung die Finanznot der Kommunen lindert. Ein solches Einmalgeschenk in Sichtweite der Wahl ersetzt aber natürlich nicht ein konzeptionelles Vorgehen. Das Wahlgeschenk ist genaugenommen das Eingeständnis, dass sich die Kommunalfinanzen und das FAG in einer Schieflage befinden.

(Zustimmung von Herrn Knöchel, DIE LIN- KE)

Vor dem Hintergrund unseres eigentlich bedarfsfinanzierten Finanzausgleichs habe ich Spaßes halber einmal im Ausschuss nachgefragt, wie denn die Höhe der beiden Sonderzuweisungen an die Kommunen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben errechnet wurde. Bei der Antwort herrschte eine gewisse Einsilbigkeit. Wir sollten von Wahl

geschenken wegkommen und die Probleme grundlegender angehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Dazu gehört es - auch darauf ist Frau Feußner erfreulicherweise eingegangen -, den Kommunen Anreize zur Haushaltskonsolidierung zu geben, indem nicht jeder von ihnen erwirtschaftete Konsolidierungserfolg, sei es durch die Erhöhung von Einnahmen oder durch die Senkung von Ausgaben, praktisch sofort in voller Höhe für den Landeshaushalt vereinnahmt wird.

(Minister Herr Bullerjahn: Das stimmt doch gar nicht! Das ist falsch!)

So wird Konsolidierung nicht betrieben, sondern verhindert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

In der Gesamtschau kann man zu dem Gesetz sagen: Es trifft notwendige Regelungen, die zu begrüßen sind; es hat aber auch viele Punkte, an denen zum einen unsere Intention nicht getroffen wird und an denen zum anderen notwendige Dinge nicht umgesetzt werden. Wir werden uns daher bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf insgesamt der Stimme enthalten.

Dem Antrag der LINKEN, der auch mit zur Abstimmung steht, werden wir zustimmen. Darin sind insbesondere noch die Punkte Bund und Kommunen enthalten; beide Punkte sind aktuell und richtig. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Meister. - Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Kollege Erben. Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute Änderungen des FAG und des Aufnahmegesetzes. Mit Blick auf die Gesetzgebungsvorhaben, die im Laufe eines Jahres hier in diesem Hohen Haus behandelt werden, ist festzustellen, dass das Finanzausgleichsgesetz zur Champions League gehört; denn kein anderes Landesgesetz bewegt so viel Geld hin zu den Kommunen und zwischen den Kommunen. Man muss selbstkritisch anmerken: Kein anderes Gesetz ist so kompliziert und kein anderes Gesetz entfaltet so umfangreiche Auswirkungen auf die Betroffenheit des Lebens in unseren Kommunen.

Wir sind in diesem Jahr in einem Zwischenjahr. Insofern steht das Finanzausgleichsgesetz nicht wirklich im Zentrum. Wir nehmen nur einige Än

derungen an dem geltenden Gesetz für die Jahre 2015 und 2016 vor.

Trotzdem hat es in Bezug auf das Verfahren in diesem Hohen Hause eine wesentliche Änderung geben. Das ist bereits mehrfach erwähnt worden. Es geht um § 4b FAG. Ich möchte die Motivlage der Koalitionsfraktionen an dieser Stelle noch einmal kurz erklären. Wir wollten eine Stärkung der Finanzkraft mit einem Instrument erreichen, das nichts mit den Kosten in der Flüchtlingsunterbringung zu tun hat. Wir wollten alle Mitglieder der kommunalen Familie an dieser Zuweisung teilhaben lassen und wir wollten das je nach Steuerkraft tun.

Nun kommt natürlich sofort die Frage auf: Weshalb bemisst sich die Verteilung dann nach der Höhe der Schlüsselzuweisungen im Jahr 2015? - Das hat einen ganz einfachen Grund: Zu Beginn des Jahres 2016 liegen die erforderlichen Datengrundlagen noch nicht vor. Deswegen soll das auf diese Weise geschehen.

Die Herausforderungen der Flüchtlingskrise überlagern trotzdem alles andere bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs. Wir haben die Strukturentscheidung getroffen, die Finanzierung der Aufnahme von Flüchtlingen in den Landkreisen und kreisfreien Städten zukünftig wieder über das Aufnahmegesetz zu regeln. Das war bereits bis zum Beginn des letzten Jahrzehnts so.

Außerdem war ein Versprechen der Landesregierung vom April 2015 umzusetzen, das ich kurz zitieren möchte. Der für das Aufnahmegesetz zuständige Minister hatte am 12. April 2015 in Naumburg gesagt:

„Wir werden die Kommunen so unterstützen, dass keine Kosten an ihnen hängen bleiben.“

Wir werden sehen, was demnächst daraus wird. Der Gesetzentwurf der Landesregierung hat an dieser Stelle auch ein paar Veränderungen erfahren. Die bereits mehrfach genannte Revisionsklausel zum 31. März ist eine dieser Veränderungen.

Wir sollten zunächst einmal ganz unaufgeregt die Kostenentwicklung abwarten. Ich glaube, ein Punkt ist in der ganzen Debatte etwas in den Hintergrund geraten. Wir haben die Konstruktion einer Quartalspauschale. Das heißt, für den Asylbewerber, der im September zugewiesen wird, gibt es die Pauschale bereits ab dem 1. Juli. Da sich insbesondere im Herbst eine erhebliche Dynamik im Hinblick auf die Anzahl der Zuweisungen ergab, dürften sich gewisse Verschiebungen ergeben, sodass man nicht einfach die Pauschale von 8 600 € heranziehen kann. Vielmehr muss man sich die Entwicklung genau anschauen. Das werden wir sicherlich erst in einigen Monaten tun können.

Deswegen gibt es schließlich auch die Revisionsklausel.

Die Flüchtlingsunterbringung ist eine gemeinsame Aufgabe des Landes und der Kommunen. Hierbei gibt es vielfältige Wechselwirkungen, die nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, sondern es muss zu einer gemeinsamen Lösung kommen.

In den letzten Monaten haben wir im wahrsten Sinne des Wortes eine dynamische Lageentwicklung erlebt. Damit meine ich sowohl den Anstieg der Flüchtlingszahlen im Herbst als auch den starken Rückgang der Flüchtlingszahlen in den letzten Wochen. Wir haben hohe Kapazitäten für die Erstaufnahme beim Land, die teilweise über Jahre gebunden sind. Gleichzeitig stehen weitere Kapazitäten wie beispielsweise in Halberstadt unmittelbar vor der Fertigstellung.

Wir haben in der letzten Woche feststellen müssen, dass lediglich 2 900 Plätze in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen belegt sind. Das hat verschiedene Gründe. Dies ist natürlich auf den Rückgang der Flüchtlingszahlen zurückzuführen. Das hat auch mit der - ich bezeichne das einmal so - Selbstverlegung von Flüchtlingen in andere Bundesländer - oder wohin auch immer - zu tun.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Das hat aber auch mit der hohen Geschwindigkeit der Zuweisung der Asylbewerber und Flüchtlinge an die Landkreise und kreisfreien Städte in unserem Land zu tun. Zum Schluss betrug die durchschnittliche Verweildauer in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen nur noch zweieinhalb Wochen. Das ist sicherlich deutlich zu kurz.

Deswegen ist es richtig, wenn die Landesregierung ankündigt, dass es für einige Wochen einen Verteilungsstopp geben soll. Dies ist aus mehreren Gründen richtig. Zunächst einmal brauchen die Kommunen die Möglichkeit zum Durchatmen. Außerdem darf man nicht den finanziellen Aspekt außer Acht lassen. Die nicht genutzten Aufnahmekapazitäten des Landes verursachen Kosten beim Land; die Aufnahme durch die Kommunen löst unmittelbar die Zahlung der entsprechenden Pauschale aus. Auch in solch schwierigen Zeiten darf das nicht einfach hintanstehen.

Für ganz wichtig halte ich es, dass alle Landkreise und kreisfreien Städte jetzt endlich ihre Aufnahmeverpflichtung erfüllen müssen. Ehrlich gesagt ist mir nicht eingängig, weshalb seit Wochen beispielsweise der Landkreis Anhalt-Bitterfeld, der etwa genau so groß wie der Burgenlandkreis ist, 500 Asylbewerber weniger aufgenommen hat als der gleich große Burgenlandkreis. Mir ist auch nicht eingängig, warum selbst nach Korrektur der Zahlen die Stadt Halle, die 50 000 Einwohner mehr hat als der Burgenlandkreis, gerade einmal genau

so viele Asylbewerber aufgenommen hat wie der Burgenlandkreis.

Es bedarf also einer erheblichen Nacharbeit, was die Verteilungsquoten in unserem Bundesland betrifft. Das ist keine Momentaufnahme aus einer Woche, sondern ich beobachte diese Zahlen seit Wochen in den wöchentlichen Lageberichten der Landesregierung. Dabei gibt es erhebliche Verwerfungen.

Dazu gehört auch ein kritisches Hinterfragen des einen oder anderen Ausbauplanes des Landes. Ich nenne nur die bereits angekündigte und nunmehr offensichtlich ausgesetzte Bindung weiterer Übergangskapazitäten diverser Hotels im Harz oder auch in Halle. Dazu gehört aus meiner Sicht auch die Überprüfung der Notwendigkeit der ZASt in Halle hinsichtlich der Notwendigkeit und hinsichtlich ihrer Größe.

Wir sehen auch keine Notwendigkeit mehr für die weitere Nutzung des Instituts für Brand- und Katastrophenschutz in Heyrothsberge für die Flüchtlingsunterbringung.

(Zustimmung bei der SPD)