Protocol of the Session on November 12, 2015

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Sie haben Zeiträume genannt: sechs Wochen, fünf Monate. Sollte vielleicht - auch wenn es ein Versprecher war - gänzlich auf die Übergabe von Fördermitteln verzichtet werden? Oder sollen Regierungsmitglieder vor Wahlen am besten nicht mehr öffentlich auftreten, wie auch immer man das definiert? Keine Besuche, keine Reden im Landtag, keine Gespräche mit Journalisten, keine Interviews? Sollten sie auch nichts mehr selber unterschreiben? - Dann könnten wir die Regierungsmitglieder auch ganz abschaffen.

Können Sie sich übrigens auch vorstellen, dass sich die Antragsteller freuen, wenn ihnen Aufmerksamkeit von der Regierung entgegenbracht wird,

(Zustimmung von Herrn Weigelt, CDU)

wenn sie dadurch auch einmal mit ihrem Projekt in den Medien auftauchen und darüber interessant berichtet wird? Oder können Sie sich vorstellen, dass Abgeordnete - ich will einmal uns selber als Beispiel nehmen -, die sich über längere Zeit für ein Projekt einsetzen, auch bei der Übergabe des Fördermittelbescheides dabei sein wollen?

Auch das ist doch Ausdruck von politischer Tätigkeit. Schließlich geben die Minister nur das Geld weiter, über das wir beim Haushalt beschlossen haben. Ich persönlich sehe es auch nicht ein, dass immer nur die Minister oder Staatssekretäre im Medieninteresse und im öffentlichen Interesse stehen,

(Zustimmung bei der CDU)

sondern auch die Abgeordneten sollten beteiligt werden, auch wenn man es in der Regel nicht für sich allein reklamieren kann. Glauben Sie mir, ich habe es selbst oft genug erlebt, auch als Mitglied einer Regierungsfraktion, dass man dann vergessen wird oder davon aus der Zeitung erfährt.

Es gibt natürlich auch positive Beispiele. Ich möchte einmal ein unverdächtiges und aus meiner Sicht positives Beispiel nennen: Kollege Daehre hat es zu seiner Zeit als Minister immer sehr gut hinbekommen, die Abgeordneten bei solchen Dingen einzubeziehen, auch die der Opposition.

Ich erwarte auch von der Regierung, dass sie bei der Übergabe solcher Mittel alle Abgeordneten, auch die der Opposition, einlädt und das auch rechtzeitig bekannt gibt, damit man das terminlich einplanen kann. Das ist leider nicht immer der Fall.

Ich erwarte weiterhin von der Regierung dass sie angemessen und sensibel mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen jeglicher Art umgeht. Ich halte es tatsächlich für ein Problem, wenn Kandidaten, die bisher zumindest keine MdL sind, in den Vordergrund geschoben werden, damit sie auch auf dem Foto auftauchen. Das ist aus meiner Sicht

(Zustimmung bei der LINKEN)

eine tatsächliche Übertreibung von Öffentlichkeitsarbeit. Bei MdL ist es aus meiner Sicht etwas anderes, aber bei Kandidaten halte ich das für problematisch.

(Zustimmung bei der SPD)

Es wird übrigens nie eine messerscharfe Trennung zwischen Amt, Funktion, Kandidatenstatus und Partei geben können. Es wird immer einen Einfluss auf Wahlen, zumindest auf den Bekanntheitsgrad eines Politikers geben. Das lässt sich sicherlich nicht leugnen. Aber wenn dieser Einfluss wirklich so groß wäre, wie Sie befürchten, dann würde es - glauben Sie mir das - bei keiner Wahl zu anderen Mehrheitsverhältnissen kommen. Ich traue der Öffentlichkeit und auch den Medien das entsprechende Augenmaß zu, dies auch in ihrer Berichterstattung zu berücksichtigen. Deswegen lassen Sie uns das einigermaßen entspannt sehen. - Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Kollege Tögel, es gibt noch eine Nachfrage des Herrn Abgeordneten Gallert. Möchten Sie diese beantworten?

Herr Kollege Tögel, dass Sie das als Koalitionsabgeordneter viel entspannter sehen als Oppositionsabgeordnete, überrascht an der Stelle nicht.

Aber ich habe noch eine Frage. Sie sagten, im Normalfall sei es auch so, dass die Fördermittelempfänger ganz froh sind, wenn sie praktisch mit dieser Übergabe in das Licht der Öffentlichkeit treten. Dazu - das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen - gibt es zumindest eine geteilte Wahrnehmung. Uns berichten Leute auch, dass sie sozusagen in eine öffentliche PR-Aktion der Landesregierung hineingezogen werden. Sie sagen, dass sie im Normalfall gern über ihre Projekte berichten, aber häufig nicht so gern darüber, dass sie sie überhaupt nur mit Fördermitteln zustande bekommen.

Wir kennen solche Fälle, wie Sie sie genannt haben. Wir wissen aber auch von Anrufen von Ministern, die sagen: Leute, Fördermittelbescheid ja, das ist okay, aber unter der Bedingung, dass ihr mir einen öffentlichen Auftritt organisiert. Auch so etwas gibt es. Da ist, sage ich einmal, eine gewisse Sensibilität an der Tagesordnung.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Lieber Herr Gallert, ich habe zu Anfang gesagt, dass ich selber lange genug in der Opposition war, viel zu lange. Es waren nämlich insgesamt zweimal vier Jahre. Die hätte ich mir auch gern erspart. Regieren macht mehr Spaß, darin gebe ich Ihnen durchaus Recht.

Den Eindruck habe ich nicht gehabt.

Aber wie gesagt, ich sehe es erstens aus der Sicht eines Parlamentariers. Ich denke, wir sollten uns den Schneid und das Selbstbewusstsein durch die Regierung nicht abkaufen lassen. Wir werden darüber auch unter einem anderen Tagesordnungspunkt noch zu reden haben. - Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist, dass es natürlich sowohl positive als auch negative Fälle gibt. Aber ich kenne keine Firma - jedenfalls ist mir kein Beispiel bekannt -, die es nicht wollte, dass über die Fördermittelübergabe öffentlich berichtet wurde und die dazu gedrängt wurde, das öffentlich zu machen, oder die anderenfalls keine Fördermittel bekommen hätte. Ein solches Beispiel kenne ich nicht.

Ich denke, wenn jemand sagt, dass er nicht in der Öffentlichkeit erscheinen möchte, wird das von der

Regierung respektiert. Wenn Sie ein anderes Beispiel haben, wäre ich daran interessiert, dass wir dem im Einzelnen nachgehen. Ich denke, so etwas muss immer im Einvernehmen mit dem Geldempfänger passieren und vorbereitet werden, aber auch unter Einbeziehung aller Abgeordneten, einschließlich der der Opposition. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke schön. - Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Als Nächster spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN der Abgeordnete Herr Striegel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Was wir in den vergangenen viereinhalb Jahren erleben durften - Minister neben einer Drehleiter hier, vor einem Straßenbauabschnitt dort, den Ministerpräsidenten mit Spaten an jener Stelle und die Übergabe von Fördermittelbescheiden an anderer -, das wird in dem immer stärker an Fahrt aufnehmenden Landtagswahlkampf sicherlich nicht ausbleiben, sondern eher verstärkt auftreten. Kollege Thiel hat auf die Bugwelle von ausstehenden Fördermittelbescheiden verwiesen.

Es ist deshalb gut, dass die Fraktion DIE LINKE den Umstand thematisiert, dass auch und gerade diese Landesregierung in ihrer Öffentlichkeitsarbeit zur Neutralität verpflichtet ist, und dass dieses Neutralitätsgebot umso strikter auszulegen ist, je näher der Wahltermin rückt.

Nahezu alle Abgeordneten im Hohen Hause werden aus ihren Wahlkreisen Geschichten erzählen können, von welchen Fördermittelbescheidübergaben sie im Nachhinein im Lokalteil ihrer Zeitung lesen konnten. Bisweilen finden sich dann auf wundersame Weise zumindest die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen ein, um zumindest einen Teil des Parlaments als Haushaltsgesetzgeber und damit als eigentlich Verantwortlicher zu vertreten.

(Zuruf von Frau Take, CDU)

Absprachen zwischen Parlament und Landesregierung dazu, dass Informationen zu öffentlichen Terminen von Ministerinnen und Ministern in den Wahlkreisen regelmäßig und vorausschauend allen - ich betone: allen - regionalen Abgeordneten zuzuleiten sind, sind in der laufenden Legislaturperiode jedenfalls nicht mit Leben erfüllt worden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich bedauere das.

(Zuruf von Frau Take, CDU)

- Werte Frau Kollegin, wenn Sie andere Erfahrungen machen, dann zeigt das ja nur die Richtigkeit meiner These.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich bedauere das und stelle fest, dass bereits hierdurch die Neutralitätspflicht der Landesregierung nicht eingehalten wurde. Vor dem Hintergrund des enormen Staus beim Abfluss von Fördermitteln aus dem Europäischen Sozialfonds und der nahenden Landtagswahl ist es kein weit hergeholter Verdacht, dass die Ministerien, nachgeordnete Behörden oder auch Landesgesellschaften in den kommenden Wochen versucht sein könnten, Fördermittelbescheide öffentlichkeitswirksam durch die Hausspitzen zu übergeben und damit die Trommel auch für die Koalitionsfraktionen und die dahinter stehenden Parteien zu rühren.

Das Bedürfnis, durch solche Übergaben und durch möglicherweise noch in der Pipeline befindliche Bilanzbroschüren - von einer haben wir gerade gehört - und andere möglicherweise mit europäischen Mitteln finanzierte Publikationen Ergebniskorrektur zu betreiben, kann ich angesichts der mageren Bilanz dieser Landesregierung durchaus verstehen. Es ist nicht schön, meine Damen und Herren, sich eingestehen zu müssen, dass Sachsen-Anhalt das ostdeutsche Bundesland mit dem geringsten Wirtschaftswachstum ist.

(Oh! bei der CDU)

Es ist nicht schön, den Menschen hier sagen zu müssen, dass nur in Mecklenburg-Vorpommern die Arbeitslosigkeit noch höher ist. Und es ist ganz sicher kein Ausweis von Erfolg, was in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung an Fördermittelskandalen ans Licht kam. Die Liste ließe sich fortsetzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir haben heute im Landtag sehr deutlich gehört, dass auch beim Klimaschutz die Bilanz sehr dürftig, sehr mager ausfällt. Den Bürgerinnen und Bürgern aber nun kurz vor dem Wahltag Sand in die Augen zu streuen und durch die medienwirksame Übergabe von Fördermittelbescheiden Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und Sympathiepunkte für die Landesregierung abzuholen, kann kein Mittel der politischen Auseinandersetzung und des Ringens um die besseren Konzepte in diesem Land sein.

Meine Fraktion erwartet, dass die Landesregierung sich in den kommenden Monaten eine strikte Selbstbeschränkung auferlegt. Wir erwarten, dass der Landtagswahlkampf mit fairen Mitteln geführt wird und dass die Landesregierung nicht versucht, Ressourcen des Landes parteipolitisch zu

kanalisieren und zum eigenen Vorteil zu verwenden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Hören Sie auf - dieser Hinweis geht insbesondere an die Damen und Herren von der CDU -, sich als Staatspartei zu inszenieren. In der „Volksstimme“ war heute der Satz zu lesen: Wir brauchen keine Opposition. - Ich glaube Ihnen, dass Sie das tatsächlich ernst meinen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der LIN- KEN)