Protocol of the Session on February 3, 2011

(Zustimmung bei der LINKEN)

Diese Engagierten brauchen eines aber sicherlich nicht: eine Debatte, die die Aktiven gegen Rechts selbst zum Problem erklärt. Wir befinden uns mitten in einer bisher nicht dagewesenen Auseinandersetzung um die so genannte Extremismusklausel zwischen dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der einen und einer Vielzahl von Trägern zivilgesellschaftlichen Engagements auf der anderen Seite.

Das Bundesministerium fordert von den Trägern nicht nur ein Bekenntnis zu unseren Verfassungsgrundsätzen - das an sich ist schon mehr als ein schlechter Scherz, bedenkt man, dass beispielsweise der Verein Miteinander e. V. im Jahr 1998 hier bei uns in Reaktion auf den Einzug der antidemokratischen und rechtspopulistischen DVU in diesen Landtag ins Leben gerufen wurde -, es wird darüber hinaus geradezu der offizielle Auftrag erteilt, die Partner in dieser mühevollen, tagtäglichen Arbeit auch noch unter Zuhilfenahme des Verfassungsschutzes auszuschnüffeln und gegebenenfalls anzuzeigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit solchen Maßnahmen wird Engagement für ein demokratisches und weltoffenes Sachsen-Anhalt pauschal diskreditiert, aber keinesfalls befördert.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es wurde höchste Zeit, dass sich die Landesregierung in dieser Woche sehr klar dazu positioniert hat. Allerdings ist uns die Landesregierung noch die Antwort darauf schuldig, was denn mit den Trägern geschieht, sollte der Bund auf seiner Position beharren. Verhält sich das Land Sachsen-Anhalt dann wie das Land Berlin und übernimmt die ausfallenden Fördermittel? - Das wäre konsequent, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in ihrer im Jahr 2010 veröffentlichten Studie „Die Mitte in der Krise“ leider zum wiederholten Male nachgewiesen: Rechtsextreme Einstellungen sind keine Randerscheinung, sondern finden sich in der Mitte der Gesellschaft. Die Studie hat eine signifikante Zunahme bestimmter Einstellungsmuster gemessen. Der Anteil der Befragten, die ausländerfeindlichen Aussagen zustimmten, stieg auf 24,7 %, der Anteil derer, die chauvinistischen Aussagen zustimmten, auf 19,3 %. Einem Anteil von 8,2 % der Deutschen wird ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild nachgewiesen, im Osten beträgt dieser Anteil sogar 10,5 %.

Die Autoren der Studie kommen zu mehreren Schlüssen. Erstens. Die wachsende Ausländerfeindlichkeit wird

in einem Zusammenhang mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise und deren Folgen gesehen. Im Jahr 2008, also vor der Krise, waren die ermittelten Werte deutlich niedriger als im Jahr 2010.

Zweitens. Es gibt einen Zusammenhang zwischen rechtsextremen Einstellungen und dem Bildungsgrad.

Drittens. Die Ausbreitung rechtsextremer Einstellungen muss als Warnsignal in Bezug auf den Zustand unserer Demokratie insgesamt angesehen werden. Lediglich ein Anteil von 46,1 % der Bürgerinnen und Bürger sind mit der Demokratie in ihrer heutigen Umsetzung zufrieden.

Meine Damen und Herren! Politik darf sich nicht darauf beschränken, über diese Befunde zu reden und den Wert der Demokratie hochzuhalten. So wichtig das ist, aber allein dadurch wird die Kluft zwischen Politik und Bürgern noch nicht geschlossen, allein dadurch wächst kein verstärktes Zutrauen in demokratische Entscheidungsprozesse, allein dadurch wird der Ausgrenzung und der Abwertung nicht entgegengewirkt.

Zunehmende Abstiegsängste und eine zunehmende Prekarisierung unserer Gesellschaft sind Folge erlebter gesellschaftlicher Praxis. Die Gruppe derer, die sich von gesellschaftlicher Teilhabe seit Jahren ausgeschlossen fühlt oder die real ausgeschlossen ist, verfestigt sich. Auf langjährige Arbeitslosigkeit und auf die Abhängigkeit von Transferleistungen ohne die Chance auf eine spürbare Verbesserung der Lebenssituation folgt oft Resignation. Und auf materielle Armut folgt in den meisten Fällen auch Bildungsarmut; ein Kreislauf entsteht.

In dieser Bevölkerungsgruppe findet Politik kaum noch statt, und wenn doch, dann werden Politiker als abgehobene Kaste wahrgenommen, die sich nur auf den eigenen Vorteil konzentriert. Wir als Politikerinnen und Politiker mögen dieses Urteil vielleicht als nicht gerechtfertigt ansehen, aber solange unsere demokratische Gesellschaft nicht in der Lage ist, für diese Menschen eine greifbare Perspektive dafür zu eröffnen, wie sie sich wieder als selbstbestimmte und gleichberechtigte Mitglieder in dieser Gesellschaft empfinden können,

(Zuruf von der CDU)

solange ihnen nicht das Gefühl vermittelt wird, dass sie gebraucht werden, so lange werden die Politik und ihre demokratischen Institutionen dort auch kein neues Vertrauen und Zutrauen schaffen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Jene, die heute noch zur so genannten Mittelschicht zählen, sehen sich immer häufiger mit Leiharbeit, befristeten Beschäftigungsverhältnissen und sinkenden Löhnen konfrontiert. Die Angst, weiter abzurutschen, wächst. Mit ihr wächst der Reflex, die eigene Person, das eigene Lebensumfeld aufzuwerten, indem man das vermeintlich Schwächere, das Fremde abwertet.

(Zuruf von der CDU: Wo leben Sie denn?)

Die Frage nach der Perspektive unseres Sozialstaates, die Frage nach dem Maß gesellschaftlicher Umverteilung und gesellschaftlichen Ausgleichs lässt sich darum nicht von der Stärke unserer Demokratie und dem Zurückdrängen rechtsextremer und undemokratischer Einstellungen trennen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von der CDU: Thema verfehlt!)

Bildung ist ein weiterer zentraler Ansatzpunkt. Er steht leider in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den eben angesprochenen Problemen. Demokratie kann nur mit Leben gefüllt werden, wenn Bürgerinnen und Bürger eine stabile soziale Basis und eine gleichberechtigte Bildungsbeteiligung für alle gleichermaßen erfahren.

Meine Damen und Herren, lassen sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Wer dominiert die öffentlichen Debatten mit welchen Themen? Solange jemand wie Thilo Sarrazin in allen Medien die Deutungshoheit über das Thema Integration hat, müssen wir uns nicht wundern, wenn Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus in der Mitte der Gesellschaft Fuß fassen.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Er ist jemand aus dieser Mitte, er kommt aus dem so genannten Bildungsbürgertum, er steht mit seiner Biografie auch für das politische Establishment. An dieser Stelle braucht es klare Signale der Distanzierung.

(Zuruf von der CDU)

Mitunter hat man den Eindruck, „political correctness“ wird zum Schimpfwort - nach dem Motto: Man wird ja wohl noch sagen dürfen… - An diesem Punkt haben wir eine gemeinsame Verantwortung. Demokratie und Toleranz finden dort ihre Grenzen, wo Intoleranz, Ausgrenzung und Menschenverachtung gepredigt werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr 2006 sank die Wahlbeteiligung im Land Sachsen-Anhalt auf dramatische 44 %, und wir sind nicht sicher, ob es uns dieses Mal gelingt, den langjährigen Trend endlich umzukehren.

Neben den Fragen, ob sich Bürgerinnen und Bürger von der Politik noch ausreichend vertreten sehen, ob sie sich noch unserer Gesellschaft zugehörig fühlen oder ob sie sich längst - wie es Bauman nennt - zu den „Ausgegrenzten der Moderne“ gehörend fühlen, spielt ein weiterer Aspekt eine entscheidende und gleichfalls politisch strittige Rolle: Welchen Einfluss hat die Politik, haben demzufolge demokratisch legitimierte Strukturen noch auf gesellschaftliche Entscheidungen? Gerade die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat diesen Punkt wieder ganz nach oben gesetzt. Die Mehrheitsmeinung der Politik der vergangenen Jahre lässt sich auf den Nenner bringen: weniger Staat, mehr Markt.

Was die Konsequenz dieser absoluten Marktgläubigkeit war, mussten wir in der internationalen Finanzkrise bitter erfahren:

(Zurufe von der CDU: Nein! Das ist falsch! - Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Die Politik gab wenigen Unternehmen und Spekulanten Instrumente in die Hand, die diese dann auch reichlich nutzten, mit dem Ergebnis, dass nun ganze Staaten vor dem Bankrott stehen und dass die Allgemeinheit, der Steuerzahler dafür geradestehen muss.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU und von der FDP)

Meine Damen und Herren! Wir sollten nicht unterschätzen, dass Bürgerinnen und Bürger dies sehr genau beobachten

(Zuruf von der CDU: Genau!)

und uns als Politikern nicht unberechtigt die Frage stellen: Was habt ihr denn noch zu entscheiden?

Wer der Politik und damit den demokratisch legitimierten Gremien de facto die Entscheidungskompetenz in Bezug auf grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklungen nimmt, darf sich nicht wundern, dass das Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger in diese Politik schwindet.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wir brauchen, ist eine Wiedergewinnung des Öffentlichen, eine Stärkung demokratischer Einflussmöglichkeiten. Wir müssen die Dinge wieder dorthin holen, wo sie hingehören, und zwar in den gesellschaftlichen Diskurs und in die gewählten Gremien. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Höhn. - Wir kommen nun zum Debattenbeitrag der SPD-Fraktion. Bevor Herr Dr. Fikentscher jedoch seine Rede beginnt, dürfen wir die Damen und Herren der Bildungsgesellschaft Magdeburg auf der Tribüne begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sie haben das Wort, Herr Dr. Fikentscher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns das hundertmal Gesagte noch einmal wiederholen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wird: Weltoffenheit und Toleranz sind für unser Land wichtig, sogar lebenswichtig, und damit eine Aufgabe für alle Demokraten. Intoleranz und Abschottung sind das Gegenteil einer offenen und pluralistischen Gesellschaft und folglich eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

(Beifall im ganzen Hause)

Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat das Thema nicht vernachlässigt, sondern über Jahre hinweg immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Dafür gab es verschiedene Anlässe. Auch betonten die Vertreter der Fraktionen unterschiedliche Gesichtspunkte. Sie wiesen auf Versäumnisse hin und übten Kritik. Doch zu dem gemeinsamen Ziel bekannten sich alle.

Heute, zum Abschluss der Wahlperiode, dieses Thema mit einem Antrag aller Fraktionen noch einmal aufzugreifen, das wird, so hoffe ich, seine Wirkung im Lande nicht verfehlen und wird als Dank und Ermutigung für all die ungezählten Ehrenamtlichen verstanden werden, die seit Jahren mit großem Engagement dafür tätig sind, und als Ermutigung für die Regierung, in ihrem Bemühen nicht nachzulassen, wie wir es eben auch von dem Herrn Ministerpräsidenten gehört haben.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Fragen wir zunächst, ob unser Land weltoffen ist. Alle Vernunft spricht dafür, dass wir es sein müssten. Denn sobald wir den Blick aus etwas größerer räumlicher und zeitlicher Entfernung auf uns richten, wird unmittelbar klar: Deutschland liegt in der Mitte Europas und Sachsen-Anhalt liegt mitten in Deutschland. Wir haben viele Grenzen, zu unterschiedlichen Nachbarn.