Protocol of the Session on February 3, 2011

Meine Damen und Herren! Fragen wir zunächst, ob unser Land weltoffen ist. Alle Vernunft spricht dafür, dass wir es sein müssten. Denn sobald wir den Blick aus etwas größerer räumlicher und zeitlicher Entfernung auf uns richten, wird unmittelbar klar: Deutschland liegt in der Mitte Europas und Sachsen-Anhalt liegt mitten in Deutschland. Wir haben viele Grenzen, zu unterschiedlichen Nachbarn.

Wir sind seit jeher ein Durchgangsland, wodurch unter anderem der große kulturelle Reichtum in unserem Land entstanden ist. Das Zusammentreffen von germanischen und slawischen Völkern, die später miteinander verschmolzen, fand gerade hier im Raum Magdeburg besonders intensiv statt, und wir waren über Jahrhunderte ein Zuwanderungsland. Denken wir nur an die Flamen im Fläming und die Hugenotten in Halle und anderswo. Demzufolge waren die Menschen in diesem Raum weltoffen.

Die Fähigkeit dazu kann jedoch offenbar verloren gehen und muss wieder erlernt werden. In den Jahren von 1933 bis 1989 waren wir nämlich alles andere als weltoffen.

(Beifall im ganzen Hause)

Zu DDR-Zeiten blieben ausländische Arbeitskräfte abgeschottet. Österreichische Montagearbeiter lebten in einem eher komfortablen Ghetto; bei vietnamesischen Gastarbeitern ging es dagegen sehr einfach zu. Private ausländische Besucherinnen und Besucher standen ohnehin unter Generalverdacht. Weltoffenheit konnte hier weniger geübt werden. Diese Zeit wirkt gewiss nach - zum Glück jedoch bei der überwiegenden Zahl der Menschen in unserem Lande nicht mehr.

Und wie steht es mit der Toleranz? Sind wir ein tolerantes Land oder das Gegenteil? - Das Urteil darüber steht am ehesten dem jeweiligen Gegenüber zu. Gesetze und staatliche Einrichtungen reichen zur Bewertung nicht aus. Das Verhalten der Menschen im täglichen Umgang miteinander ist entscheidend.

Von welchen Menschen sprechen wir? - Im Zusammenhang mit Weltoffenheit bezieht sich der Begriff Toleranz in erster Linie auf Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen bzw. auf Menschen, die mit so genanntem Migrationshintergrund bei uns, besser jedoch mit uns leben.

Toleranz muss jedoch auch gegenüber allen anderen Gruppen unserer Gesellschaft gelten. Diese sind am Holocaust-Gedenktag in der vorigen Woche wiederholt aufgezählt worden; das betrifft nicht nur die Behinderten. Intoleranz gegenüber allem, was in irgendeiner Weise anders als man selbst ist, ist ein erschreckender Rückfall in frühe Zeiten unserer Zivilisation.

Wir sind heute stolz darauf, dass unser Grundgesetz mit dem Satz beginnt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Bekanntlich steht dort nicht, die Würde des deutschen und gesunden Menschen usw. ist unantastbar.

Diese Zivilisationsleistung wird immer wieder durch Vorurteile, Angst, Dummheit und auch Lernfaulheit infrage gestellt. Das Lernen selbst können wir den Menschen nicht abnehmen, aber wir können ihnen dabei helfen. Das gilt für Familien und Schulen sowie alle Orte, an denen sich Menschen begegnen.

Ein Beispiel aus den Schulen ist der Umgang mit behinderten Kindern. Von dort hören wir immer wieder das Gleiche: Die Kleinen wachsen ganz selbstverständlich mit behinderten Kindern gemeinsam auf und finden einen natürlichen Umgang miteinander. Sie lernen dabei sogar noch einen wichtigen ethischen Unterschied; denn, meine Damen und Herren, Tolerieren heißt nicht nur Dulden. Toleranz hat nur dann einen tieferen sittlichen Wert, wenn sie zur Anerkennung führt, womit wir

wieder bei der Unantastbarkeit der menschlichen Würde sind, der nicht Teile entzogen werden dürfen.

Natürlich haben Weltoffenheit und Toleranz in unserem Land und in unserem Handeln auch Grenzen. Dieser Grenzen müssen wir uns bewusst sein, sonst erleiden wir in jeder Diskussion Schiffbruch.

Willi Brandt hat in den 70er-Jahren als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission unter anderem eindeutig klargestellt, dass weder Deutschland noch Europa insgesamt in der Lage sind, alle Elenden dieser Welt aufzunehmen und alles Elend in dieser Welt zu überwinden. Folglich haben wir klare Regeln für Asyl und Zuwanderung.

Toleranz endet aber bei den Feinden unserer Demokratie und unseres Zusammenlebens in Freiheit und Sicherheit. Deswegen haben wir klare Gesetze, um grenzüberschreitend organisierte Kriminalität, Terrorismus und anderes zurückzuweisen - auch wenn sie in Nadelstreifen daherkommen. Im Grunde ist das selbstverständlich; denn im Privaten und Persönlichen kann sich auch der größte Menschenfreund nicht alles bieten lassen. Aber dies, meine Damen und Herren, darf niemandem dazu dienen, dergleichen Maßnahmen zur allgemeinen Abschottung und zur Intoleranz auszuweiten.

Über Einzelfragen auf diesem weiten Feld miteinander zu diskutieren, ist nicht Gegenstand der heutigen Debatte, bei der es um grundsätzliche Fragen geht. Wir können hier lediglich andeuten, dass wir sehr wohl wissen, wie vielfältig und kompliziert das tatsächliche Leben sein kann.

Meine Damen und Herren! Wir wollen keinen Extremismus. Herkömmlicherweise wird das politische Spektrum von der Mitte ausgehend nach rechts und links unterschieden. Weit rechts und weit links können weit voneinander entfernt liegen, dürfen aber den Bereich der Demokratie nicht verlassen. Denn bildlich gesprochen wölben sich dann die beiden Linien zu einem Kreis, und beide Extreme treffen sich im Rücken der Demokratie, um sie zu überwinden.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Weimarer Republik ist daran gescheitert. Folglich ist es gerechtfertigt, auf beide zu achten. Gegenwärtig ist jedoch der Rechtsextremismus der weitaus gefährlichere. Aus diesem Grunde ist es wichtig und unverzichtbar, zahlreiche Aktionen gegen den Rechtsextremismus durchzuführen, dagegen aufzurufen, die Rechtsextremen zu behindern, ihnen in den Arm zu fallen, wo immer es nötig ist, und auch mit der Polizei und der Justiz gegen sie vorzugehen, sobald sie Anlass dafür bieten.

Langfristig und dauerhaft wirksam ist jedoch die Erziehung zur Demokratie. Ein guter Demokrat wird kein Rechtsradikaler. Je mehr gute Demokraten es gibt, umso enger wird der Raum für die verbleibenden Unverbesserlichen, Unbelehrbaren und ideologisch Verblendeten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zustim- mung bei der FDP)

Durch intensive und dauerhafte Erziehung ist dieses Ziel erreichbar. Aber noch ist es nicht so weit. Deswegen hoffe ich sehr, dass dem nächsten Landtag keine rechtsextreme Partei angehören wird. In Erinnerung an das Jahr 1998 kann man dies jedoch nicht mit Sicherheit ausschließen. Sollte es also doch der Fall sein, so müssen alle anderen Fraktionen gemeinsam und mit der not

wendigen Konsequenz diese Gegner der Demokratie in die parlamentarischen Schranken weisen.

(Beifall im ganzen Hause)

Wie schwer das sein kann, erlebten wir bis zum Jahr 2002 und können wir aus dem Freistaat Sachsen sowie dem Land Mecklenburg-Vorpommern hören und lesen. Wem auch immer die Hauptverantwortung dafür im Landtag übertragen wird, der sollte sich gut auf alle Eventualitäten vorbereiten und nicht davon ausgehen, nur Dummköpfen gegenüberzusitzen.

Doch was sich im Landtag dazu abspielen könnte, ist nicht das Wichtigste. Viel nachteiliger wäre die Wirkung im Lande. Was werden andere Länder des In- und Auslandes über das Land Sachsen-Anhalt denken, was werden die Medien berichten, wenn klar würde, dass die Zeit von 1998 bis 2002 nicht als heilsamer Schock gewirkt hat?

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie unser damaliger Wirtschaftsminister Klaus Schucht davon berichtete, was er aufgrund dieses Wahlergebnisses in anderen Ländern, bis hin zu den USA, für Fragen gestellt bekam. Es wurde gefragt, ob denn im Land Sachsen-Anhalt ausländische Investitionen noch möglich seien. Es wurde auch gefragt, ob man es den eigenen Leuten noch zumuten könne, hier zu arbeiten usw.

Meine Damen und Herren! Ich male nicht den Teufel an die Wand, um uns Angst zu machen. Ich führe uns das vor Augen, damit wir alle gemeinsam in den kommenden Wochen das uns Mögliche tun, um diesen Fall zu verhindern, und damit wir bei jeder Veranstaltung und jeder Verlautbarung genau das sagen: Rechtsextreme Parteien gehören nicht in den Landtag von Sachsen-Anhalt.

(Starker Beifall im ganzen Hause)

Wer in Sicherheit und Wohlstand leben möchte, sollte diese Gefahr kennen. Er oder sie sollte von dem wichtigsten Recht in der Demokratie, dem Wahlrecht, Gebrauch machen, demokratische Parteien wählen und auch im eigenen Umfeld dafür werben. Denn das ist nicht nur ein gemeinsames Anliegen von Parteien, sondern dient dem Wohl des ganzen Landes.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Das Verlangen nach Weltoffenheit und Toleranz in unserem Land ist nicht irgendein Thema und nicht irgendeine Aufgabe, sondern eine grundsätzliche und dauerhafte Verpflichtung aller Demokraten. Lassen Sie uns über Wahlperioden hinaus weiter dafür arbeiten und zugleich hoffen, dass sich immer mehr Menschen im Lande diesem Ziel ebenso verpflichtet fühlen wie wir hier im Saal, die gewählten Vertreter des Volkes von Sachsen-Anhalt. - Ich danke Ihnen.

(Starker Beifall im ganzen Hause)

Herzlichen Dank für Ihren Redebeitrag, Herr Dr. Fikentscher. - Wir kommen nun zum Redebeitrag der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens von der Fraktion der FDP. Sie haben das Wort, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner zu einem Antrag zu sprechen, der von allen vier Fraktionen getragen wird, ist nicht unbedingt eine dank

bare Aufgabe. Gleichwohl habe ich mich sehr darüber gefreut; denn allein der Umstand, dass wir hier in der Lage sind, uns auf einen gemeinsamen Antrag zu verständigen, ist nach wie vor bemerkenswert.

(Zustimmung bei der FDP)

Wir sind dazu in der Lage trotz der sehr unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wie unser Land im Detail gestaltet und regiert werden soll.

Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie schwierig das in der letzten Legislaturperiode noch war. Wir haben damals in den Runden der parlamentarischen Geschäftsführer bei dem einen oder anderen Antrag sehr lange um jedes Wort, um jeden Punkt und um jedes Komma gerungen, um einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Ich erinnere auch an die Diskussion, die wir hier im Jahr 2009 im Rahmen einer Aktuellen Debatte zu Pömmelte hatten, wo es tatsächlich im Vorfeld eine Reihe von Irritationen gegeben hat.

Aber ich glaube, dass das die Diskussionen waren, in denen wir gemeinsam eines festgestellt haben - das sagen wir auch mit diesem Antrag heute -: In unserer Mitte hat niemand Platz, der sich nicht zu den Grundlagen unserer Demokratie bekennt.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Wir werden jede politische Gruppierung, die diese Grundlagen, also die Würde des Menschen, seine Gleichwertigkeit, seine Gleichheit vor dem Gesetz und seine Bürger- und Freiheitsrechte, nicht akzeptiert, mit politischen Mitteln bekämpfen.

Ich erinnere die Magdeburger an die Meile der Demokratie. Mich freut es sehr, dass wir dort mit allen demokratischen Parteien stehen, inzwischen auch beieinander, gemeinsam organisieren und ein klares Zeichen gegen Rechtsradikalismus setzen.

Meine Damen und Herren! Ich bin mir auch darin sicher, dass wir alle dafür Sorge tragen werden, dass dort, wo es erforderlich und geboten ist, radikale Parteien mit rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt werden - aber auch nur dort und in keinem Fall mit anderen Mitteln. Denn ein Punkt sollte uns ebenfalls alle einen: Wenn wir versuchen, radikale Parteien mit rechtswidrigen Mitteln zu bekämpfen, dann begeben wir uns außerhalb unserer eigenen Regeln.

Meine Damen und Herren! Ich finde es auch wichtig, dass wir die Aussage jetzt mitten im Wahlkampf treffen. Denn wir sind davon überzeugt, dass es bei dem Thema nicht darum gehen kann, dass wir uns noch ein Stück weit voneinander abgrenzen oder uns wechselseitig erzählen, dass wir vielleicht die doch etwas besseren Demokraten sind.

Ich muss ehrlich sagen, ich hätte es schön gefunden, wenn heute jeder der Redner auch der Versuchung widerstanden hätte zu zeigen: Wir sind doch etwas besser als die anderen. Ich glaube, ein noch klareres Bekenntnis aller Fraktionen zu dem heutigen Antrag hätte dem auch gut getan.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Uns verbindet, dass wir ein weltoffenes und ein tolerantes Sachsen-Anhalt wollen. Der Ministerpräsident hat gerade die Punkte aufgezählt, warum das aus objektiven Gründen für uns alle sinnvoll

ist. Wir alle wissen auch, dass man das nicht per Verordnung festlegen kann. Gerade wir als Parlamentarier wissen vielmehr, dass es viel Arbeit kostet, unsere Gesellschaft in diesem Sinne zu gestalten.

Die zahlreichen persönlichen Erfahrungen von Umbrüchen und die zahlreichen persönlichen Erfahrungen von sozialer Unsicherheit lassen in unserem Bundesland viele Menschen an unserer Demokratie zweifeln. Das führt dann häufig dazu, dass man nach einfacheren Lösungen sucht. Wenn Demokratie sagt, es ist schwierig, es gibt viele Graubereiche, dann neigen viele Menschen dazu, zu sagen: Okay, es gibt auch ein einfacheres Angebot; dort verspricht man mir das Heil innerhalb weniger Wochen.

Den meisten von uns ist in den letzten Wochen wahrscheinlich auch das eine oder andere Werbematerial von der NPD zugegangen, in dem auf sehr einfache Art und Weise alle Probleme, über die wir hier oft diskutieren und um deren Lösung wir hier ringen, ganz simpel dargestellt werden. Da wird auf bestem Stammtischniveau suggeriert, es müsse nur einer kommen und kräftig auf den Tisch hauen und schon wären die Probleme gelöst. Meine Damen und Herren! Toleranz hat in einem solchen Umfeld leider keinen Platz.

Die scheinbar einfachen Antworten extremistischer Parteien auf unsere gesellschaftlichen Fragen, aber auch das Umfeld, das Gruppengefühl, das sie zu vermitteln versuchen, eine scheinbar klare Orientierung, führen leider gerade junge Menschen zu rechtsextremistischem Gedankengut. Wir sehen das bei Veranstaltungen immer wieder.