Protocol of the Session on June 17, 2004

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Gürth zu beantworten?

Einen Satz noch? - Danke.

Ich bin auf die Ausführungen im Wirtschaftsausschuss sehr gespannt.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank. - Bitte sehr, Herr Gürth, jetzt haben Sie die Möglichkeit, zu fragen.

Sehr verehrte geschätzte Kollegin, stimmen Sie der These zu, dass eine zu lange Rede auch eine Barriere für die Konzentrationsfähigkeit der Zuhörer sein kann?

(Unruhe)

Ich habe meine Redezeit nicht einmal ausgeschöpft. Im Übrigen ist es auch nicht meine Schuld, dass ein so wichtiges Thema als letzter Punkt auf die Tagesordnung gesetzt wurde.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Czeke, PDS: Herr Gürth, damit haben Sie sich jetzt keine Freunde gemacht!)

Vielen Dank, Frau Kachel. - Meine Damen und Herren! Wir treten nun in die angekündigte Debatte ein. Zunächst hat der für Tourismus zuständige Minister für

Wirtschaft und Arbeit Herr Dr. Rehberger um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich, Frau Kollegin Kachel, werden wir den Bericht im Ausschuss vortragen und darüber mit Ihnen diskutieren. Aus Ihren Ausführungen habe ich das Zitat mit Interesse zur Kenntnis genommen, wonach Sachsen-Anhalt fünf Jahre hinter anderen hinterher hinke. Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal zurückzurechnen. Wenn ich fünf Jahre zurückgehe, bin ich im Jahr 1999.

(Zustimmung bei der CDU)

Daran sieht man, dass Kritik eine zweischneidige Angelegenheit sein kann. Aber schauen wir nicht zurück, sondern schauen wir in die Zukunft.

Ich möchte an dieser Stelle drei Punkte ansprechen.

Erstens. Touristische Angebote für Menschen mit Handicap - darin stimmen wir uneingeschränkt überein - gewinnen in unserer Gesellschaft, in unserem Land, in unserer Welt eine immer größere ökonomische und soziale Bedeutung. Allein in der Bundesrepublik wird das Potenzial auf mehr als 10 Millionen € geschätzt. Es ist also enorm. Insofern ist es in der Tat für alle diejenigen, die vom Tourismus leben, von größter Bedeutung, sich auf diese Entwicklung einzustellen.

Zweitens. Die Schaffung von barrierefreien Einrichtungen ist im Bereich der Infrastruktur unstreitig eine Angelegenheit der kommunalen Gebietskörperschaften, der Städte, der Gemeinden und der Kreise. Soweit es um private Angebote geht, also Angebote im Bereich der Hotellerie, der Gastronomie und in sonstigen privaten Bereichen, ist es Sache des Eigentümers, des Bauherrn, inwieweit er die Belange der Menschen mit Handicaps berücksichtigt.

Meine Damen und Herren! Dabei muss ich eines klar sagen: So wichtig es ist, dass wir in der Tourismuswirtschaft ein sehr differenziertes Angebot unterbreiten, so sehr bin ich auch der Meinung, dass es unangemessen wäre, bei jeder Baumaßnahme über die Landesbauordnung zwingend vorzuschreiben, dass jeweils auf die Behinderten Rücksicht zu nehmen ist. Wer alles und jedes im Gesetz regeln will, der trägt nicht dazu bei, dass die Probleme gelöst werden, sondern er schafft neue Probleme, weil dann viele aus Kostengründen gar nicht investieren werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Im Übrigen brauchen wir im Tourismus, wie in allen Bereichen, in denen viele Konsumenten zur Debatte stehen, ein vielfältiges Angebot. Nicht jeder muss für alle etwas anbieten. Der eine bietet für zahlungskräftige Gäste an, der andere für solche, die naturnah und preiswert leben wollen. Der eine bietet für Touristen mit Handicap und ein anderer eben für andere Gruppen etwas an. Kurz und gut: Wir sollten nicht zu perfektionistisch sein.

Aber wir haben - Sie haben das zu Recht erwähnt - im Handbuch „Tourismus für alle“ im Jahr 2002 - das hat noch meine Vorgängerin in Auftrag zu geben - Grundlagen, Inhalte und Best-practice-Beispiele für einen bar

rierefreien Tourismus beschrieben und Handlungsanweisungen gegeben. Jetzt ist es sicherlich Sache zum Beispiel der touristischen Regionalverbände, der für Heilbäder und Kurorte Verantwortlichen, des Dehoga oder des Verbandes der Campingplatzbetreiber, dafür zu werben, dass ein ausreichendes Angebot für Menschen mit Handicap unterbreitet wird.

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Bischoff zu beantworten?

Gern.

Herr Bischoff, bitte.

Auf die Gefahr, mich vielleicht unbeliebt zu machen, möchte ich doch eine Frage stellen. Herr Minister, Sie sind als Wirtschaftsminister sicherlich weltgereist. Welche Erklärung haben Sie dafür, dass es in Amerika, wo mit Sicherheit die Eigeninitiative und das Private eine viel größere Rolle spielen, keine öffentliche oder private Einrichtung gibt, weder Theater noch Kinos noch Hotels, die nicht behindertengerecht ausgestattet sind?

(Herr Gürth, CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

- Ich habe das sehr häufig gelesen - vielleicht gebe ich Ihnen das einmal. - Woran liegt es, dass es dort möglich und durchgesetzt worden ist, aber hier nicht?

Herr Bischoff, ich bin mehrfach in Amerika, und zwar quer durch die USA, auch touristisch unterwegs gewesen. Es ist in der Tat so: Dort, wo öffentliche Einrichtungen sind, ist durch die Bank an Menschen mit Handicaps gedacht worden. Damit haben Sie völlig Recht.

Aber wenn Sie davon ausgehen, dass das im privaten Bereich, in der Hotellerie oder in der Gastronomie, generell so sei, dann ist das unzutreffend. Das kann ich verlässlich sagen. Alle, die dort waren, werden das bestätigen. Man differenziert auch in Amerika. Bei dem, was die öffentliche Hand baut, Gehwege und vieles andere, muss sie auch an Minderheiten wie Behinderte denken. Wenn aber Private bauen, kann man nicht alles und jedes vorschreiben, weil das zur Folge hätte, dass vieles nicht gebaut würde, weil es dann zu teuer wird.

Ich denke auch, wir sollten dem typisch deutschen Perfektionismus nicht anheim fallen und nicht glauben, wenn man alles per Gesetz regelt, dann wäre auch das Problem gelöst. Es wird eben nicht gelöst. Ich habe das eben ausgeführt.

Ich bin aber dankbar dafür, dass das Bewusstsein für ausreichende Angebote für behinderte Menschen sehr zugenommen hat. Zum Beispiel ist im Nordharz vor einigen Monaten der Verein barrierefreier Nordharz Netzwerk e. V. gegründet worden. Auch im Bereich des Tourismusverbandes Anhalt-Wittenberg gibt es eine Reihe

sehr konstruktiver Vorschläge und Maßnahmen, um den behinderten Menschen gerecht zu werden.

Drittens. Hinsichtlich der Vermarktung, meine Damen und Herren, auch hinsichtlich der Vermarktung barrierefreier Angebote hat die Landesmarketinggesellschaft eine federführende Aufgabe übernommen. Es gibt dort - Frau Kachel hat darauf hingewiesen - einen Beirat barrierefreier Tourismus, in dem die wesentlichen Dinge besprochen werden.

Ich muss immerhin sagen - Frau Kachel, ich habe jetzt leider nicht die bunte Version, sondern nur eine Ablichtung -: In dem neuesten Reisekatalog für das Jahr 2004 sind 58 Hotels, die dies wünschten, aufgeführt. Immerhin 16 Hotels - das sind rund 27 % - sind ausdrücklich als barrierefrei ausgewiesen. Das heißt, jeder, der sich in unserem Land über Angebote für Menschen mit Handicaps informieren will, kann sie diesem Katalog für das Jahr 2004 entnehmen. Er beinhaltet selbstverständlich nur ein Segment des Gesamtangebotes, aber weist immerhin eine beachtliche Zahl von Hotels und gastronomischen Einrichtungen aus, die ganz gezielt für Behinderte zugeschnitten sind.

Ich begrüße das. Ich sage nicht, dass wir unsere Aufgaben auf diesem Sektor gelöst haben. Ich sage, dass wir auf einem sehr guten Wege sind. Das kann man übrigens auch daran ablesen, dass wir nicht nur entgegen dem Bundestrend im Jahr 2003 einen Zuwachs bei der Zahl der Übernachtungen haben, sondern dass wir in den ersten Monaten des Jahres 2004 sogar einen zweistelligen Zuwachs hatten und damit bundesweit hinter Berlin an zweiter Stelle liegen.

Ich sage es noch einmal: Das ist noch nicht die Lösung des Problems. Aber wir sind ganz offenbar auf einem guten Wege zusammen mit denjenigen, die am Tourismus interessiert sind. Über alles Weitere, meine Damen und Herren, werden wir im Ausschuss beraten. - Danke schön.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Kachel zu beantworten? - Bitte sehr, Frau Kachel.

Vielen Dank, Herr Minister. - § 57 des Gesetzes ist zitiert worden. Hierbei geht es um öffentliche Mittel. Wenn bestimmte Einrichtungen mit öffentlichen Mitteln gefördert werden - das ist in dem Gesetz auch aufgeführt -, dann muss barrierefrei gebaut werden. Ich habe das Kurzentrum Bad Suderode als Beispiel genannt. Hier sind öffentliche Mittel geflossen, aber es ist nicht barrierefrei gebaut worden. Wie geht man mit solchen Einrichtungen um? Ich werde dazu auch noch eine Kleine Anfrage stellen.

(Minister Herr Dr. Daehre: Kommen Sie einmal ins Ministerium! Dann werden wir es versuchen!)

- Ich habe Sie verstanden. - Ein weiterer Punkt. Sie sprachen von einem Zuwachs bei den Übernachtungszahlen. Ich freue mich, dass Sachsen-Anhalt sich vorwärts entwickelt. Haben Sie diese Zahlen einmal mit den Zahlen aus dem Jahr 2000 verglichen?

Frau Kachel, ich habe darauf hingewiesen, dass wir nach der sehr ungünstigen Entwicklung im Jahr 2002, in dem das Hochwasser in wesentlichen Teilen unseres Landes einen Strich durch die Tourismusrechnung gemacht hat, inzwischen wieder in einer guten Entwicklung sind. Wir werden, wenn die Entwicklung im Jahr 2004 so weitergeht, die Zahl der Übernachtungen des Jahres 2000 deutlich übertreffen. Das muss Sie freuen und es freut - mit Verlaub gesagt - auch mich.

Nun zu der Frage, die Sie noch gestellt haben, in Bezug auf

(Frau Kachel, SPD: Die öffentlichen Mittel!)

die öffentlichen Mittel. Diesbezüglich kann ich noch einmal darauf aufmerksam machen, dass das Wirtschaftsministerium - wir fördern solche Einrichtungen, wenn es überhaupt eine Förderung gibt, über die Gemeinschaftsaufgabe - inzwischen die privaten Investitionen im touristischen Bereich, insbesondere Hotels, nicht mehr fördert, und zwar aus folgendem simplen Grunde:

Sachsen-Anhalt hat eine durchschnittliche Bettenauslastung von ca. 30 %. Die bestehenden Hotels sind durch die Bank mit öffentlichen Mitteln gefördert worden. Es wäre volkswirtschaftlich der helle Wahnsinn, wenn wir weitere Hotels fördern würden und damit bei denen, die noch nicht ausgelastet sind, eine Entwicklung herbeiführen würden, die zu weiteren Insolvenzen führt. Ich glaube, es ist unstreitig, dass es sinnvoll war, die Tourismusförderung im Bereich der einzelbetrieblichen Förderung einzustellen.

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Rehberger. - Wir kommen nun zur Fünfminutendebatte der Fraktionen. Für die CDU-Fraktion spricht als Erster der Abgeordnete Herr Zimmer. Bitte sehr, Herr Zimmer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gleichbehandlung aller touristischen Zielgruppen ist ein wichtiges Thema. Darin sind wir uns einig. Deshalb sollten wir Tourismus für alle nicht starr auf den Tourismus allein für Alte und für Behinderte reduzieren. Die Barrierefreiheit spielt im Leben vieler touristischer Zielgruppen eine große Rolle.

Darunter fallen nicht nur die Menschen mit auffälligen körperlichen Behinderungen, sondern auch Menschen mit einer Vielzahl von geistigen und anderen körperlichen Handicaps. Auch beispielsweise junge Familien sind auf eine besondere Barrierefreiheit angewiesen.

Ca. 90 % der heute mobilitätseingeschränkten Personen wären bei entsprechenden barrierefreien Angeboten voll reisefähig, und das bei einem Potenzial von ca. zehn Millionen Menschen. Im Hinblick darauf, dass im Jahr 2010 ca. 35 % der mobilitätseingeschränkten Personen aufgrund der soziodemografischen Entwicklung Barrierefreiheit benötigen, wird deutlich, dass der Bereich der Gleichbehandlung innerhalb des Tourismus noch auf eine ganz andere Weise betrachtet werden muss.