Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, ich habe in meinem Redebeitrag deutlich gemacht, dass auch wir in unserem Antrag davon ausgegangen sind, dass die Pauschalierung zu einer erheblichen Verringerung des Abrechnungsaufwandes sowohl für die Betreuer als auch für die Rechtspfleger führen wird. Das wurde auch bei der Veranstaltung in Oschersleben von den meisten Betreuern so gesehen. Mit nur ganz wenigen Ausnahmen gibt es eine generelle Ablehnung der Pauschalierung. Aber dieser Argumentation haben wir uns nicht angeschlossen, weil wir das nicht so sehen.
Nun wird ja Juristen nachgesagt, dass sie Juristen geworden sind, weil sie mit der Mathematik nichts am Hut haben.
- Das ist jetzt nicht zum Klatschen. - Aber die Rechenbeispiele, die in Oschersleben hinsichtlich des Medians und des arithmetischen Mittels vorgebracht wurden, beweisen, dass nach dem Median die Berechnungen des Stundenkontingents unseriös sind, dass sie dem nicht gerecht werden.
(Herr Scharf, CDU: Es ist doch mathematischer Unsinn, Median und arithmetisches Mittel gegen- einander auszuspielen!)
- Ich bin Juristin. Vielleicht können Sie es mir nachher im Gespräch kurz erklären. Zumindest erschloss sich für mich anhand dieser Beratung, dass auch hinsichtlich des Stundenkontingents eine bessere Möglichkeit ausgerechnet werden könnte.
In Oschersleben wurde zum Beispiel darauf hingewiesen, dass bereits eine Erhöhung des Stundenkontingents um eine Stunde für die Berufsbetreuer und für die Betreuungsvereine eine existenzsichernde und bedarfsgerechte Pauschalierung ermöglichen würde. Das heißt: Es geht hierbei um eine Stunde.
Zur Rechtsberatung. Betreuungsvereine haben ganz konkret bei Haftpflichtversicherern nachgefragt, ob sie die Rechtsberatung absichern würden, das heißt, ob sie für den Fall der fehlerhaften Rechtsberatung als Haftpflichtversicherung einstehen würden. Dies ist bislang von den Haftpflichtversicherern abgelehnt worden. Diesbezüglich bedarf es natürlich auch der Unterstützung der Länder bzw. der Bundesregierung, damit die Haftpflichtversicherer dieses Risiko, das sehr groß sein kann, absichern. Denn wenn ein Betreuer eine fehlerhafte Rechtsberatung macht, kann das für ihn verdammt teuer werden.
Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir viele Familienangehörige gewinnen könnten, die die Betreuung ehrenamtlich vornähmen. Aber sehen wir uns die Situation in vielen Familien an: Die Kinder leben nicht mehr an dem Ort, an dem ihre Eltern leben. Sie leben meistens in anderen Bundesländern, sodass es für diese Familienangehörigen schon aus diesem Grunde sehr schwierig ist, im Falle einer notwendigen Betreuung dieses Amt zu übernehmen. Aber ich denke, diesbezüglich sollte noch mehr Aufklärungsarbeit betrieben werden.
Ich kann Sie nur bitten: Nutzen Sie auch den heutigen parlamentarischen Abend mit dem Landesverband der Lebenshilfe e. V., um genau über diese Probleme zu sprechen und um auch aus deren Sicht auf die Probleme und auf die Kritiken hingewiesen zu werden. - Ich danke Ihnen.
Weil Frau Grimm-Benne darauf abgezielt hat, dass sich das Sozialministerium aus dieser Aufgabe verabschiede, möchte ich ein wenig in der Geschichte dieses Landtages zurückblättern. Im Jahr 1998 wurde die so genannte Anschubfinanzierung von 1,5 Millionen DM abgeschafft und auf null gesetzt. Daraufhin erhöhten sich die Kosten im Justizhaushalt auf über 3 Millionen DM. Ich denke, wir können eine Änderung nur dahin gehend herbeiführen, dass wir die ehrenamtliche Betreuung fördern. Hierfür muss sich natürlich auch die Entscheidungspraxis der Vormundschaftsrichter ändern. Da wir wissen, dass die Richter unabhängig und weisungsfrei sind, ist das schwierig.
Mein Beitrag ist eine Zwischenbemerkung auf eine Zwischenbemerkung. Ich weiß nicht, wie das von der Geschäftsordnung her gehandhabt wird.
Ich muss an der Stelle zumindest Folgendes anmerken: Dieser Prozess der Streichung der Mittel für die ehrenamtlichen Betreuungsvereine dauert tatsächlich schon seit der letzten Legislaturperiode an. Die Mittelreduzierung ist aber in dieser Legislaturperiode konsequent fortgesetzt worden.
Den Zusammenhang, auf den Sie gerade hingewiesen haben, haben wir in die Haushaltsdebatten der letzten Jahre permanent eingebracht. Dieser Zusammenhang ist vorhanden. Er ist von den jeweiligen Justizministern nie bestätigt worden. Das muss ich hier auch einmal ganz deutlich sagen. Er ist auch weder bei der letzten noch bei dieser Landesregierung in die haushalterische Planung eingeflossen. Reden Sie also mit Ihrer eigenen Landesregierung über diesen Zusammenhang.
Beantragt wurde die Überweisung des Antrages zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Recht und Verfassung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Das sind nahezu alle. Stimmt jemand dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dies ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen worden und der Tagesordnungspunkt 17 ist beendet.
Meine Damen und Herren! Die Gesundheitsreform trifft alle, zumindest alle gesetzlich Versicherten. - Ich weiß nicht, wie hoch der prozentuale Anteil unter uns ist. - Sie wird deshalb widerwillig hingenommen. Besonders problematisch wird dies aber für die mittleren und für die unteren Einkommensschichten - wir gehören weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe -; denn 2 % von deren Jahreseinkommen werden mitnichten aus der Spareinlage genommen, sondern gehen zulasten der Alltagsausgaben.
Die Reform des Arbeitslosengeldes I trifft diejenigen - das sage ich etwas zynisch -, die als Arbeitslose das Ergebnis des ganz normalen Marktagierens von Unternehmen sind. Das Problem dabei ist, sie haben zumindest hierzulande, in den neuen Bundesländern, keine Alternative. Deshalb finden sie sich nach einem Jahr im Arbeitslosengeld II wieder. Das bekommen diejenigen,
denen es seit langem so geht. Damit ist die Agenda 2010 bei denen angekommen, die genau genommen nicht die Adressaten sind.
Die Agenda 2010 richtet sich an Menschen, die relativ autonom mit ihrer Arbeitskraft am Markt agieren können, die im Allgemeinen über ein regelmäßiges Einkommen verfügen, die regelmäßig Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen können und die dadurch an den verbliebenen Sozialleistungen teilhaben und damit einigermaßen ihren Lebensstandard sichern können. Sie richtet sich an Menschen, die über eine relativ hohe Qualifikation verfügen, die ökonomisch interessant und verwertbar ist. Diese Menschen werden mit Anreiz und mit Druck im Rücken dazu gedrängt, ihre ganz persönliche rationale Kosten-Nutzen-Rechnung aufzumachen.
Ich stimme insofern mit Ihnen überein, meine Damen und Herren von der riesengroßen Koalition, dass das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Rechnung bei Hochqualifizierten nicht zu einer dauerhaften Alimentierung führen kann. Das ist keine Frage. Das Problem ist aber auch an dieser Stelle: Begibt man sich nämlich in deren persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung, so fehlt eine ganz entscheidende Rechnungsgröße, nämlich qualifizierte und einigermaßen existenzsichernde Arbeit hierzulande. Das heißt, zumindest in den neuen Bundesländern geht die Agenda 2010 elendig weit am wirklichen Leben vorbei.
Wir haben hierüber schon oft genug diskutiert. Auch die Ministerpräsidenten und die Arbeitsminister der neuen Länder haben sich dazu geäußert. Dabei sahen sie die Probleme allerdings weniger aus der Sicht der Betroffenen, sondern beklagten vielmehr den Verlust der Kaufkraft. Zumindest bei dieser Einschätzung gehen unsere Meinungen kaum auseinander.
Die Agenda 2010 richtet sich allerdings auch an Menschen, die im Ergebnis der vorhin von mir erwähnten persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung zu dem Schluss kommen, dass es für sie persönlich günstiger sei, wenn sie nur für ihre eigenen Lebensrisiken verantwortlich seien und nicht zusätzlich für Otto und Ottilie Normalverbraucher mit aufkommen müssten, die krank, chronisch krank, behindert oder dergleichen sind; denn schließlich sei - auch das ist etwas zynisch gesagt - jeder bzw. jede seines bzw. ihres Glückes Schmied.
Meine Damen und Herren! Dazu ist zunächst unmissverständlich zu sagen: Ja, eine Gesellschaft muss Leistung und Kreativität fördern. Manchmal muss dies auch herausgefordert werden.
Wir sind uns selbstverständlich auch darüber einig, dass materieller Wohlstand dabei eine entscheidende Triebkraft ist. Das ist keine Frage, meine Damen und Herren von der FDP.
Aber eine Gesellschaft wie diese muss sich immer auch fragen: Wie geht sie mit dem unteren Fünftel der Einkommenspyramide um? Wie geht sie mit den Menschen um, deren Sozialisation eben nicht zu dieser von dem Leitbild getragenen Leistungsfähigkeit, zu diesem Leistungsvermögen und zu dieser persönlichen psychischen und physischen Stabilität geführt hat?
Meine Damen und Herren! Es wäre ein abendfüllendes Programm, auch einmal darüber zu diskutieren, welchen Anteil diese Gesellschaft an dieser Sozialisation hat. Wie geht die Gesellschaft mit kranken und mit behinderten
Menschen um? Wie geht sie mit denen um, die nicht die Adressaten der Agenda 2010 sind, sondern auf deren Kosten sie realisiert wird?
Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten. Entweder ermöglicht man diesen Menschen ein Leben in Anstand und Würde, ein Mindestmaß an sozialer und kultureller Teilhabe und bemüht sich, die soziologische Vererbung der gesamten Palette dieser vorhin geschilderten persönlichen Schwierigkeiten auf die Kinder und die Kindeskinder zumindest in Grenzen gehalten wird. Dazu gehört unter anderem der uneingeschränkte Zugang zu Bildung. Das beginnt in der Kindertagesstätte. Das wäre nach unserer Auffassung ein wirklich moderner, liberaler Wohlfahrtsstaat.
Oder, meine Damen und Herren, man veranstaltet eine Art Erziehungsdiktatur nach dem biblischen Motto „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“. Ich weiß, das ist starker Tobak. Aber nichts anderes bricht sich mit dem Entwurf zum Sozialgesetzbuch XII Bahn.
In dem Regierungsentwurf zum Sozialgesetzbuch XII sind beispielsweise sämtliche Kriterien für die Zumutbarkeit von Arbeit gestrichen worden. Davon sind Menschen betroffen, die nach dem Rentenrecht ohnehin nur drei Stunden am Tag arbeiten können. Es handelt sich also um Leute, die ohnehin bereits dadurch gestraft sind, dass sie krank oder behindert sind. Sie werden nun noch dadurch gestraft, dass sie mit 330 € im Monat auskommen müssen.
„Pauschalierung der Sozialhilfe“ heißt das große Wort. Meine Damen und Herren! Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich vor drei Jahren auf dem Parteitag der PDS in Magdeburg eine flammende Rede für die Pauschalierung der Sozialhilfe als einen Schritt in Richtung Menschenwürde gehalten habe. Dazu stehe ich nach wie vor. Das ist keine Frage.
Aber das, was mit dem Gesetzentwurf vorgelegt wird, verkehrt das Ganze in sein Gegenteil. Die Sozialhilfe ist nach der Ansicht von Experten, beispielsweise des Deutschen Vereins oder des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, seit mehr als zehn Jahren unterfinanziert. Der Paritätische Wohlfahrtsverband beziffert die Unterfinanzierung auf ca. 16 %.
Meine Damen und Herren! Ich habe meine Kollegin vorhin gebeten, noch einmal in den Armuts- und Reichtumsbericht Sachsen-Anhalts hineinzusehen. Der Medianwert des Äquivalenzeinkommens in Sachsen-Anhalt wird damit zur Berechnungsgrundlage für Armut gemacht. Dieser Medianwert liegt in Sachsen-Anhalt bei 1 141 €. Die Armutsgrenze liegt nach diesem Bericht bei 60 % des Äquivalenzeinkommens. Das sind 685 €. Der Betrag von 685 € markiert in diesem Land die Grenze zwischen Arm und Reich. Selbst wenn ich mich auf eine Grenze von 50 % dieses Äquivalenzeinkommens einlassen würde, handelt es sich immer noch um 550 €, meine Damen und Herren.
Es kommt hinzu, dass nach dem neuen SGB XII alle möglichen einmaligen Leistungen in die Pauschale eingerechnet werden. Es gibt drei Ausnahmen. Das ist erstens ein Zuschuss für mehrtägige Klassenfahrten, zweitens ein Betrag für die Erstausstattung einer Wohnung
und drittens die Erstausstattung mit Bekleidung bei Schwangerschaft sowie nach der Geburt. Das ist abschließend geregelt, sodass andere Ausnahmen nicht mehr möglich sind.