Protocol of the Session on July 4, 2003

Einbringer ist der Minister des Innern Herr Jeziorsky. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und zur Stärkung der gemeindlichen Verwaltungstätigkeit legt die Landesregierung einen weiteren wesentlichen Baustein der Reformvorhaben im Land Sachsen-Anhalt vor.

Der Reformprozess wurde mit dem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 7. August 2002 auf eine neue Grundlage gestellt. Viele Gemeinden haben die neue Situation genutzt und auf freiwilliger Basis Verhandlungen über die Bildung größerer und leistungsstärkerer Verwaltungsgemeinschaften und verwaltungsgemeinschaftsfreier Gemeinden geführt. Durch den jetzt eingebrachten Gesetzentwurf wird dieser Reformprozess konsequent weiter verfolgt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf unterscheidet sich in wesentlichen Teilen von den Vorstellungen der Vorgängerregierung. Ich möchte die wesentlichen Unterschiede zusammenfassen: Wenn wir auf unser Land schauen, so zeigt sich, dass sich das Modell der Verwaltungsgemeinschaft in Sachsen-Anhalt grundsätzlich bewährt hat. Es gilt, dieses Modell zu stärken.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir brauchen keine zusätzliche Selbstverwaltungsebene wie bei der Verbandsgemeinde mit eigenem Verbandsgemeinderat und einem Verbandsgemeindedirektor. Dadurch würden die Verwaltungsabläufe und die Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben erschwert und zusätzlich bürokratisiert.

Es macht gar keinen Sinn, wenn Selbstverwaltungsorgane definiert werden, die letztlich über keine wesent

liche Entscheidungskompetenz verfügen. Ich bezweifle sogar, dass es flächendeckend genügend Bürger geben würde, die zu einer ehrenamtlichen Arbeit in Gemeinderäten und Ortschaftsräten bereit wären, wenn alle wesentlichen Entscheidungen im Verbandgemeinderat getroffen würden.

Die Selbstverwaltung setzt die Bereitschaft für einen ehrenamtlichen Einsatz voraus. Die Bereitschaft für einen ehrenamtlichen Einsatz schwindet, wenn Entscheidungen nicht mehr beeinflussbar sind. Sie schwindet auch, wenn gemeindliche Strukturen zerschlagen werden. Wir wollen nicht einfach größere Strukturen schaffen, sondern den Gemeinden ihr Recht auf Selbstverwaltung bewahren, ihnen aber gleichzeitig eine Möglichkeit bieten, um ihre Verwaltungsarbeit wirtschaftlicher und effektiver wahrzunehmen.

Dabei wird dem Grundsatz der Freiwilligkeit in unserem Gesetz besondere Bedeutung beigemessen und das Gesetz über die Kommunale Gemeinschaftsarbeit parallel dazu überarbeitet. Eine Zwangseingemeindung soll es nicht geben.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir nehmen die kommunale Selbstverwaltung in diesem Punkt ernster als andere.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Der Gebietsbestand von Gemeinden wird nicht infrage gestellt. Gegen freiwillige Gebietsänderungen hat jedoch niemand etwas. Diese sind durchaus erwünscht. Größenvorgaben für Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Es bleibt der Entscheidung vor Ort überlassen, ob und in welcher Größe sich Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft zur weiteren Steigerung der Effektivität freiwillig zusammenschließen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Änderung kommunaler Größenstrukturen ist kein Selbstzweck, sondern abhängig von den auf dieser Ebene zu erledigenden Aufgaben. Demgemäß setzt jede Überlegung hinsichtlich der Mindestgröße eine eingehende Betrachtung der vorhandenen und auch der künftig zu übertragenen Aufgaben voraus.

In diesem Zusammenhang sind die Neuregelung der Zuständigkeiten auf kommunaler Ebene und die Änderung von Rechtsvorschriften zu sehen. Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Zuständigkeiten auf kommunaler Ebene werden die Vorgaben von § 4 Abs. 1 des Verwaltungsmodernisierungs-Grundsätzegesetzes umgesetzt. Die in dem Gesetz genannten Aufgaben waren bisher auf der Ebene der Landkreise im Bereich des übertragenen Wirkungskreises angesiedelt.

Diese staatlichen Aufgaben werden nunmehr auf die Ebene der Gemeinden verlagert. Mit dieser Verlagerung soll eine ortsnähere und damit gleichzeitig zweckmäßigere Aufgabenerfüllung sichergestellt werden. Der Novellierung des Rechts der Verwaltungsgemeinschaft werden Novellen des Rechts der kommunalen Gemeinschaftsarbeit und des Kommunalwahlrechts folgen. Nach dem Abschluss dieser Vorhaben wird nach einer Phase der praktischen Erfahrung mit den neuen Aufgabenstrukturen zu beurteilen sein, ob und gegebenenfalls wie Verwaltungsstrukturen noch weiter modifiziert werden können oder müssen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von diesen Überlegungen ausgehend, hat die Landesregierung ihre

Leitvorstellungen für ein Gesetz zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und zur Stärkung der gemeindlichen Verwaltungstätigkeit entwickelt. Die Leitvorstellungen lassen sich wie folgt zusammen:

Grundmodelle für die hauptamtliche Verwaltung auf gemeindlicher Ebene sind die Verwaltungsgemeinschaften, deren Mitgliedsgemeinden in der Summe mindestens 10 000 Einwohner zählen sollen, und verwaltungsgemeinschaftsfreie Gemeinden mit mindestens 8 000 Einwohnern. Soweit besondere Umstände vorliegen, kann die Beurteilung der Leistungsfähigkeit auch aufgrund anderer Kriterien erfolgen. Aber auch hierbei darf die Einwohnerzahl 5 000 nicht unterschreiten.

Die Gemeinden sind aufgefordert, freiwillig Strukturen zu bilden, die diesen Vorgaben entsprechen. Die Gemeinschaftsvereinbarungen von den Verwaltungsgemeinschaften angehörenden Gemeinden sind bis zum 31. Dezember 2004 an die geänderte Rechtslage anzupassen.

Freiwilligen Zusammenschlüsse zu verwaltungsgemeinschaftsfreien Gemeinden mit mindestens 8 000 Einwohnern wird Vorrang eingeräumt. Dem Vorrang dieses Modells wird in der Weise Rechnung getragen, dass bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals öffentliches Wohl regelmäßig das Interesse an der Bildung oder der Vergrößerung der verwaltungsgemeinschaftsfreien Gemeinde als sehr hoch eingestuft wird. Zur Erreichung der Größenvorgaben bei Verwaltungsgemeinschaften wird die Vollfusion von bereits bestehenden Verwaltungsgemeinschaften als besonders effektiv angesehen.

Wird die erforderliche Leistungsfähigkeit nicht im Wege der Freiwilligkeit erreicht, so wird das Ministerium des Innern ermächtigt, ab dem 1. April 2004 alle oder einzelne Gemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft zuzuordnen. Das gilt auch für die Gemeinden, die bislang keiner Verwaltungsgemeinschaft angehören und die nicht die für eine verwaltungsgemeinschaftsfreie Gemeinde erforderliche Leistungsfähigkeit erreichen.

Meine Damen und Herren! Es sind Fälle denkbar, in denen einzelne Gemeinden, zum Beispiel wegen ihrer Lage, weder eine leistungsfähige Verwaltungsgemeinschaft noch eine verwaltungsgemeinschaftsfreie Gemeinde bilden können. In diesen Fällen kann auch eine Zuordnung zu einer anderen Gemeinde erfolgen, die die erforderliche Leistungsfähigkeit für eine verwaltungsgemeinschaftsfreie Gemeinde hat.

(Zuruf von Frau Fischer, Naumburg, SPD)

In diesem Fall wird die an sich verwaltungsgemeinschaftsfreie Gemeinde Trägergemeinde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine maßvolle Fortentwicklung und Stärkung der Verwaltungsgemeinschaften unter Wahrung des Selbstverwaltungsrechts der Mitgliedsgemeinden dient sowohl dem Ziel der Beibehaltung vielfältiger gemeindlicher Entwicklungsmöglichkeiten als auch der Optimierung der Verwaltungskraft der bürgernächsten Verwaltungsebene. Ich hoffe auf eine zügige Beratung im Ausschuss. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Sind Sie bereit, eine Frage zu beantworten?

Ja.

Bitte, Herr Dr. Püchel.

Herr Minister, ich habe Ihre Rede vom letzten Jahr noch in Erinnerung. Das, was Sie heute gesagt haben, ist de facto das Gegenteil von dem, was Sie vor einem Jahr gesagt haben. Vor einem Jahr waren Sie froh, dass es nie wieder Zahlen geben würde. Heute kommen Sie mit einem Modell, das sich dem annähert, was wir diskutiert hatten. Woher kommt dieser Sinneswandel?

Herr Püchel, Sie haben die Diskussion im letzten Jahr verfolgt. Wir kommen nicht zu einem Modell, das sich dem Ihren annähert; denn wir verzichten auf die zwangsweise Auflösung von Gemeinden.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Dr. Püchel, SPD: Größere Einheiten! Zahlen!)

- Ja, ja. Trotzdem verzichten wir auf die zwangsweise Auflösung von Gemeinden. Sie hatten Mindestgrößen für eine Gemeinde vorgegeben, die dann auch nicht die vollständige Selbstverwaltung bekommen sollte, sondern die sich in einer Verbandsgemeinde wiederfinden sollte. Das ist ein großer Unterschied.

In der Diskussion des letzten Jahres war die Bewertung dessen, was auf der Verwaltungsebene durchgeführt werden soll - das hat etwas damit zu tun, wie viele Verwaltungsmitarbeiter ich brauche in bezug auf die dort zu betreuenden und lebenden Einwohner -, eine strittige Frage. Das wissen Sie. Das haben Sie sicherlich in der Presse verfolgt. Es gab einen langwierigen, aber intensiven Abstimmungsprozess auch mit den Vertretern beider Fraktionen. Das ist das Ergebnis, auf das wir uns verständigt haben. Ich hoffe, dass es dann auch so beschlossen wird.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Danke, Herr Minister, für die Einbringung. - Wir treten jetzt in eine Fünfminutendebatte ein. Als erster Debattenredner wird der Abgeordnete Herr Dr. Polte für die SPD-Fraktion sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Innenminister hat soeben den Gesetzentwurf zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und zur gemeindlichen Verwaltungstätigkeit eingebracht. Herr Minister, dieser Entwurf ist sicherlich nicht der Ihre, auch wenn er aus Ihrem Hause kommt;

(Herr Scharf, CDU: Ist er doch!)

denn hier haben ein Stück weit andere Kräfte mitgewirkt. So heißt es auch in der Begründung zum Gesetzentwurf zum Beispiel: „Infolge dieser Diskussion wurde durch den Herrn Ministerpräsident entschieden“. Es gibt andere Stellen, an denen man das noch weiter belegen kann.

(Zustimmung von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Vor allem zeigt das auch Ihre Position, die Sie im Zusammenhang mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung“ vor einem Jahr hierzu vertreten haben. Sie sprachen damals von einer neuen Qualität für die Arbeit der Kommunen und von der Beseitigung von Pressionen gegenüber den Kommunen. Ich darf Ihnen versichern, Herr Minister, es gab in den Kommunen noch nie so viele Pressionen wie heute, zum Beispiel, wenn ich an die Kommunalfinanzen denke.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Weiß, CDU: So ein Quatsch! Das ist Quatsch, was Sie da sagen! - Weitere Zurufe von der CDU)

Sie schlossen damals jegliche Form der Rasterung für den Entscheidungsspielraum der örtlichen Akteure aus.

(Herr Gürth, CDU: Wird das eine Büttenrede? - Herr Herr Püchel, Herr: Nein, nein! Das ist die Wahrheit!)

Der Gesetzentwurf, Herr Gürth, sieht Gemeinden, die Verwaltungsgemeinschaften angehören, und verwaltungsgemeinschaftsfreie Gemeinden vor. Hierbei allerdings frage ich mich, warum ein neuer Begriff eingeführt wird. Das sind eindeutig Einheitsgemeinden. Es trägt vor Ort zu Verwirrung bei, wenn nunmehr mit einem neuen Begriff operiert wird.

(Zustimmung bei der Herr - Herr Herr Püchel, Herr: Weil sie Angst vor der Wahrheit haben!)

Vor einem Jahr kamen für Sie staatliche Vorgaben zur Mindestgröße kommunaler Einheiten nicht infrage.

(Herr Herr Püchel, Herr: Tja!)

Der Gesetzentwurf sieht eine Mindesteinwohnerzahl vor; für Verwaltungsgemeinschaften 10 000 Einwohner, für Einheitsgemeinden 8 000.