Protocol of the Session on April 10, 2003

Ich könnte mich gut mit dem Vorschlag meines Kollegen Bischoff anfreunden und sagen, lassen Sie uns über die vorliegenden Vorschläge und über die möglichen Alternativen, die in einigen Redebeiträgen angeklungen sind, im Ausschuss diskutieren. Das stünde einem landespolitischen Ausschuss für Gesundheit und Soziales gut zu Gesicht. In diesem Sinne bitte ich um die Überweisung unseres Antrages in den Ausschuss.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke, Frau Bull. - Damit ist die Debatte beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/650 ein.

Es ist der Wunsch nach einer Ausschussüberweisung geäußert worden. Wer zustimmt, dass der Antrag in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales überwiesen wird, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt worden.

Somit treten wir jetzt in die Abstimmung über den Antrag selbst ein. Wer dem Antrag der PDS-Fraktion in der Drs. 4/650 zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die PDS-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Das ist die SPD-Fraktion. Damit ist der Antrag der PDS abgelehnt und wir verlassen den Tagesordnungspunkt 8.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 9:

Beratung

Berichterstattung zum Emissionsrechtehandel

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/651

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Budde für die SPD-Fraktion. Frau Budde, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem im Oktober 2001 vorgelegten Vorschlag über ein System für den Handel mit Treibhausgasen und Emissionsberechtigungen hat die Europäische Kommission den Start für die Diskussion in Rat und Parlament und darüber hinaus auch für die notwendige öffentliche Debatte und für die Debatte in Fachkreisen gegeben. Erstmals geht die Kommission dabei in der Umweltpolitik neue Wege. Nicht mehr die Festsetzung von Grenzwerten - im Übrigen ein sehr erfolgreicher Weg - ist Mittel zum Zweck, sondern der Handel mit Emissionen, ein marktwirtschaftliches Element.

Indirekt ist damit nunmehr der Preis das Steuerungsinstrument. Einsparungen sollen dort erfolgen, wo sie betriebswirtschaftlich am günstigsten sind. Es müssen nicht mehr alle technischen Möglichkeiten zur Reduzierung der Emissionen genutzt werden. Darin besteht natürlich ein gewisses Risiko.

Es ist klar, dass die Verlagerung in die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise hinein damit zu leben hat, dass auch entsprechend gehandelt und entschieden wird. Also werden die Fragen der mittelfristigen Planung, der möglichen Substitute und der vorhandenen Elastizitäten die Entscheidungen prägen und nicht die technischen Potenziale oder die politisch gewünschten Technologien zum Klimaschutz. Auch die Anforderungen an den Einsatz der bestmöglichen Technik einzelner Anlagen fallen dann weg und die indirekte Steuerung nimmt somit die Verantwortung von den einzelnen Anlagen herunter und kann dadurch bestehende Regelungen über Standards, wie die TA Luft und andere, durchaus infrage stellen.

Verschärft würde dieser Prozess, wenn die Emissionsrechte auch noch versteigert würden. In diesem Falle spielte die Energieeffizienz der einzelnen Anlage überhaupt keine Rolle mehr, sondern allein das ökonomische Potenzial eines Unternehmens, an den entsprechenden Versteigerungen teilzunehmen. Damit würden die schon sehr unterschiedlichen Bedingungen in den Mitgliedstaaten, etwa die unterschiedliche Besteuerung, zu zusätzlichen Wettbewerbsverzerrungen führen.

Darüber hinaus kommt die Kernenergie in dem Richtlinienvorschlag nicht vor. Kombiniert mit einer Belastung für einen Teil der fossilen Energieträger könnte der Emissionsrechtehandel die gesamte nationale Energiepolitik, insbesondere die derzeit in Deutschland herrschende Energiepolitik, damit quasi über den Haufen werfen und aushebeln.

Die erste Diskussionsrunde im Rat und im Europäischen Parlament ist abgeschlossen. Es liegen Vorschläge zu Veränderungen vor. Es handelt sich dabei um sehr vernünftige Vorschläge, zum Teil vom Rat, zum Teil vom Europäischen Parlament eingebracht.

Das Land Sachsen-Anhalt ist aufgrund seiner Wirtschaftsstruktur in ganz besonderer Weise von dem geplanten System zum Emissionsrechtehandel betroffen. Wir brauchen bloß an den Braunkohleabbau und an die Braunkohleverbrennung, an die Kalk- und Zementindustrie, an die Aluminiumverarbeitung oder auch an die chemische Industrie, die es in der Folge treffen wird, zu denken. Diese Industrien gehören zu den Leistungsträgern und sind strukturbestimmend für unsere Wirtschaft. Gerade sie werden von den Regelungen betroffen werden.

Da mit der Einführung des Emissionsrechtehandels auf der europäischen Ebene zu rechnen ist, ist es, denke ich, angesagt, auf allen politischen Ebenen Forderungen für faire Bedingungen und vernünftige Regelungen aufzumachen. Dazu gehört auch der Landtag in SachsenAnhalt und dazu gehört auch eine Debatte im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Ich will unsere Forderungen deshalb auch deutlich benennen. Die erste ist, dass ein vernünftiges Opt-in und Opt-out möglich sein muss. Die Mitgliedsstaaten können schließlich gute Gründe haben, andere Bereiche außer den bisher in der Richtlinie festgeschriebenen, zum Beispiel den Verkehrs- und den Gebäudesektor, in den Emissionshandel einzubeziehen. Dort liegen eventuell viel größere Einsparpotenziale, was die Emissionen angeht, als etwa nur bei den CO2-Emissionen, die bis jetzt in der Richtlinie genannt sind.

Genauso gut kann es Gründe geben, die für ein Opt-out, also für eine Herausnahme sprechen, zum Beispiel wenn gerade die industriellen Sektoren, die derzeit in der Richtlinie genannt sind, schon sehr viele Einsparungen gebracht haben und Reduzierungen in diesem Bereich kaum noch möglich sind.

Deshalb sollten die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer nationalen Verpflichtung zur Senkung der Emissionen dann auch die nötige Flexibilität haben und selbst entscheiden, welche Anlagen und Sektoren am Emissionshandel teilnehmen.

Das Zweite und Entscheidende ist die Forderung nach dem Basisjahr. Das Jahr 1990 ist als Basisjahr bei der Aufstellung der nationalen Zuteilungspläne für die Gesamtsumme der Emissionsrechte zugrunde zu legen. Es müssen die bereits unternommenen Anstrengungen zur Reduktion von Treibhausgasen seit 1990 berücksichtigt werden.

Das Jahr 1990 bietet sich natürlich für Ostdeutschland als ein Zeitpunkt an, wo mit der Modernisierung der Anlagen, mit dem Neubau und auch mit der Stilllegung von Anlagen begonnen worden ist. Aber es hat auch einen Bezug zum Kyoto-Prozess. Als Ausgangsjahr für den Kyoto-Prozess ist es als Basisjahr durchaus empfehlenswert.

Was die Reduzierungen seit 1990 angeht, ist es nicht nur Ostdeutschland mit den davon betroffenen Ländern, die dafür werben, sondern unter anderem auch Nordrhein-Westfalen, das Anfang der 90er-Jahre auch extrem viele Verbesserungen der technischen Standards vorgenommen hat und somit innerhalb Deutschlands auch für dieses Basisjahr 1990 werben wird.

Dann gilt es die Early Actions abzusichern, also das, was an Anstrengungen der Nationalstaaten schon unternommen worden ist, bevor es diesen Richtlinienentwurf gab und außerhalb des Emissionshandels. Schließlich gilt es, eine gerechte Inanspruchnahme zu sichern. Das heißt unter anderem, dass die Industrien eben nur maximal zu dem Prozentsatz zur Erfüllung herangezogen werden, den sie an der gesamten nationalen Treibhausgasemission haben.

Die kostenlose Erstausgabe muss verankert werden. Eine Gleichbehandlung der Teilnehmer muss sichergestellt werden. Wie es nach der kostenlosen Erstausgabe weitergeht, sollte in einem neuen Gesetzgebungsverfahren entschieden werden.

Elementar wichtig ist, dass alle Treibhausgase einbezogen werden. Das Kyoto-Protokoll umfasst in seinem Anhang ja alle Gase, der Richtlinienvorschlag nennt nur noch CO2 und schränkt somit ein. Damit kommt es bei dem Thema Emissionen zu einer zusätzlichen Wettbewerbsverzerrung. Mit Fairness ist da derzeit nicht viel gemacht.

Die Produktionsbedingungen müssen berücksichtigt werden. Wir hatten ein ähnliches Thema schon einmal bei der Chemikalienpolitik. Es muss klar sein, dass die Verwendung von Energieträgern als Rohstoff, also nicht für die Verbrennung, nicht als Emission gerechnet werden darf. In bestimmten Produktionen werden ja kohlenstoffhaltige Produkte nicht als Energielieferant, sondern für die Produktion verwendet. Hierbei gibt es Parallelen zur Chemikalienpolitik. Es ist unbedingt festzulegen und zu verankern, dass die Verwendung dieser Rohstoffe nicht als emissionsträchtig gilt.

Ein umstrittenes Element ist die Poolbildung. Wir stehen immer noch auf dem Standpunkt, dass sie zugelassen werden sollte. Erstaunlich ist, dass die Industrie, die dies zuerst gefordert hat, jetzt sagt, sie wolle diese Poolbildung nicht mehr. Ich denke aber, dass das ein vernünftiges Instrument ist. Es sollte durchaus die Möglichkeit geschaffen werden, sich aus einem Pool von mehreren Anlagen am Emissionsrechtehandel zu beteiligen. Das würde auch flexiblere Lösungen ermöglichen.

Ein ganz entscheidendes Kriterium insbesondere für unsere wirtschaftliche Weiterentwicklung ist das Beschäftigungskriterium. Beschäftigungsrisiken sind unbedingt zu vermeiden. Derzeit ist das noch nicht abgesichert.

Der Emissionshandel kann erhebliche industriepolitische Konsequenzen in Form von veränderten Investitionsentscheidungen oder von Verlagerungen von Betrieben mit sich bringen. Ich denke, dabei ist besonders darauf zu achten, dass die Stilllegung von Anlagen oder die schlichte Verlagerung von Produktion nicht als mögliche Einnahmequelle durch frei werdende Emissionsrechte angesehen und somit mit der Schließung noch Handel getrieben werden kann.

Zudem muss man bei einer Verlagerung ja auch bedenken, dass es auch ökologisch absolut unsinnig ist. Was würde es bringen, wenn zu schlechteren Bedingungen in EU-Staaten nach der EU-Osterweiterung oder in anderen EU-Staaten produziert würde und die Produkte dann über den Verkehrsweg - übrigens einer der größten Emittenten, gerade was das CO2 angeht - wieder zurückgebracht würden? Das würde sogar heißen, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Zudem - ich habe es vorhin angesprochen - darf das Ergebnis nicht so sein, dass am Ende eine Bevorzugung von Kernenergie eintritt. Das wäre kontraproduktiv, auch was die gesamte deutsche Energiepolitik angeht.

Ich will noch kurz bemerken - das ist bei europäischen Regelungen immer wichtig und angebracht -, dass auch der Bürokratieaufwand eine der entscheidenden Bedingungen ist, welcher deshalb sehr gering gehalten werden sollte. Inwieweit das geschafft wird, möchte ich im Raum stehen lassen. Auf jeden Fall sollte das als eine Forderung bestehen bleiben.

Was ich zuletzt nennen möchte, ist ebenso entscheidend: Nationale Maßnahmen dürfen nicht gefährdet werden. Es gibt verschiedene Mitgliedstaaten, die unterschiedliche Maßnahmen mit dem gleichen Ziel eingeleitet haben, eigene Systeme des Handels mit Emissions

berechtigungen eingeführt haben, gesetzliche Fördermaßnahmen für erneuerbare Energien aufgelegt haben - wie in Deutschland - oder in denen es eine Selbstverpflichtung der Industrie gibt, die gerade in Deutschland zu starken Emissionsreduzierungen geführt hat.

Das alles muss bei den Überlegungen zum EU-weiten Emissionshandel berücksichtigt werden. Es muss auch darauf geachtet werden, dass eine Kompatibilität zur nationalen Gesetzgebung, zum Beispiel zur Regelung der Genehmigung zum Betrieb von Anlagen, gegeben ist. Das alles ist noch nicht abgeglichen.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat aufgrund eines Briefes der Kalk- und Zementindustrie schon eine Selbstbefassung mit diesem Thema beschlossen.

(Herr Gürth, CDU: Wozu dann der Antrag?)

Die Beratung dazu kann mit der über unseren Antrag zusammengefasst werden. Aber der Antrag - Herr Gürth, weil Sie meinen, er sei schon erledigt - ist eben nicht erledigt. Wir werden natürlich nicht fordern oder zur Abstimmung stellen, dass der Ausschuss eine zusätzliche Anhörung durchführen soll - wenn ich einmal darauf abheben darf.

(Herr Gürth, CDU: Die ist nämlich schon be- schlossen!)

Bei der der Anhörung folgenden Beratung sollten dann aber - das ist der Sinn des Antrages - durchaus die in unserem Antrag genannten Punkte Berücksichtigung finden. Die Landesregierung sollte zum Stand berichten, es sollten die Einflussmöglichkeiten der Landesregierung dargestellt und die Auswirkungen auf die Wirtschaft beraten werden.

(Frau Fischer, Merseburg, CDU: Das ist schon beschlossen worden, Frau Budde! Lesen Sie die Ausschussprotokolle!)

Insofern sehen wir unseren Antrag nicht als überflüssig an. Ein solches Thema gehört auch über den Rahmen der Selbstbefassung hinaus in die parlamentarische Debatte. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Abgeordnete Frau Budde, für die Einbringung des Antrages. - Wir treten jetzt in die Debatte ein. Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion. Zuvor hat allerdings die Landesregierung um das Wort gebeten. Frau Ministerin Wernicke, ich erteile es Ihnen.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Budde hat bei der Einbringung des Antrages sehr intensiv auf die Problematik des Emissionsrechtehandels hingewiesen und ausgeführt, dass die Einführung eines Systems handelbarer Emissionsrechte für Treibhausgase Teil eines Maßnahmenbündels im EU-Klimaschutzprogramm ist, eine Reaktion auf den erschreckend schlechten Erfüllungsstand der Minderungsverpflichtungen in vielen Mitgliedstaaten.

Die vorgeschlagene Richtlinie der Europäischen Kommission vom 23. Oktober 2001 verpflichtet die Mitgliedstaaten, ab dem Jahr 2005 für ausgewählte Sektoren Obergrenzen für Treibhausgasemissionen festzulegen

und den betroffenen Unternehmen in einer Anfangsausstattung in der Gemeinschaft frei handelbare Emissionsberechtigungen zuzuteilen.

Der Emissionsrechtehandel ist ein neues, marktwirtschaftlich orientiertes Instrument des Klimaschutzes, das bei einem funktionierenden Markt geeignet ist, die Minderungsziele punktgenau und mit volkswirtschaftlich minimalen Kosten zu erreichen. Die Flexibilität, die finanziellen Mittel damit an die Stellen zu leiten, wo die kostengünstigsten Minderungsleistungen erbracht werden können, entspricht dem globalen Charakter des Klimaschutzes. Für die Unternehmen bestehen dabei Freiräume, wie sie ihre Verpflichtungen erfüllen.

Im März 2002 hat die damalige Landesregierung vor dem Wirtschaftsausschuss zum Emissionsrechtehandel berichtet. Damals war in Deutschland noch die Fundamentaldiskussion über dieses neue Klimaschutzinstrument in vollem Gange und der damalige Richtlinienentwurf stand mit Recht im Feuer der Kritik. Mögliche Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt konnten daher nicht konkretisiert oder bewertet werden.