Protocol of the Session on March 13, 2003

Mit der Freistellung des Richters im Punkt der Beweisführung - § 261 der Strafprozessordnung - sind alle diese Einschränkungen weggefallen. Heute ist eine Verurteilung auch aufgrund bloßen Indizienbeweises zulässig. Damit einhergehend ist heute anerkannt, dass kein Beschuldigter Zeuge gegen sich selbst sein muss. Die Strafprozessordnung bestimmt, dass der Beschuldigte darauf hinzuweisen ist, dass es ihm nach dem Gesetz frei stehe, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, und jederzeit - auch schon vor seiner Vernehmung - einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen darf - ebenfalls § 136 der Strafprozessordnung. Der Beschuldigte kann auch nicht gezwungen werden, in der Vernehmung die Wahrheit zu sagen.

Diese anerkannten Grundsätze unserer Rechtsordnung sind mit einer Aufweichung des Folterverbots nicht vereinbar. Jeder Beschuldigte würde wieder zum Beweismittel gegen sich selbst und zum Objekt eines staatlichen Verfahrens.

Für den Staat müssen eben Grenzen gelten. Ein konkretes Ziel oder ein konkreter Zweck darf nicht die Mittel heiligen. Aus keinem Grund darf daher die Anwendung

von Folter möglich und zulässig sein. Im Ergebnis würde eine Entrechtung jedes Einzelnen eintreten, was die CDU aus innerster Überzeugung ablehnt.

Der PDS-Antrag, der in der Form eines Entschließungsantrages gestellt worden ist, erweckt demgegenüber den unzutreffenden Eindruck, dass unsere bestehende Rechtsordnung nicht gefestigt und eine Veränderung hin zu einem Aufweichen des Folterverbots möglich erscheint. Dies sieht die CDU nicht so.

Die Aufforderung an die Landesregierung, sich auf Bundesebene gegen jede Aufweichung des Folterverbots einzusetzen, geht daher ins Leere. Es ist nicht bekannt und ich halte es auch für abwegig, dass die Bundesregierung beabsichtigen könnte, das Grundgesetz zu ändern bzw. aus den entsprechenden völkerrechtlichen Verträgen auszusteigen.

Die im Antrag der PDS angesprochene stärkere Anwendung beschleunigter Verfahren und die Ausweitung der Möglichkeit von DNA-Analysen sind Fragen, die fachlich ernsthaft erörtert werden müssen. Ein voreiliger Beschluss dazu wäre nicht sachgerecht.

Die CDU lehnt daher den PDS-Antrag aus den vorgenannten Gründen ab. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.

Ich möchte gern noch persönlich an Frau Tiedge einen Hinweis richten. Ihr Exkurs in die Geschichte hat deshalb unsere Verwunderung bzw. unseren Ärger hervorgerufen, weil Sie - - Sie kennen ja die Schauprozesse; Hilde Benjamin ist ja dafür bekannt und ich empfehle Ihnen auch die Wochenschaudokumentationen. Auch das ist Folter!

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie so etwas als Einziges nicht erwähnen, sage ich Ihnen mit Verlaub, dann fordern Sie unseren Widerspruch heraus. Nur das war der Punkt und nichts anderes. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Borgwardt. - Für die SPDFraktion erteile ich der Abgeordneten Frau GrimmBenne das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Aus der Diskussion eines tragischen Einzelfalls, mit der Androhung von Gewalt dem mutmaßlichen Mörder den Aufenthaltsort des Frankfurter Bankierssohns Jacob von Metzler zu entlocken, hat der Frankfurter Vizepolizeipräsident Daschner in Politik und Medien eine Debatte über die Folter ausgelöst.

Viel war in den vergangenen Tagen und Wochen den Medien zu der Folterdebatte zu entnehmen, leider nicht immer von sachlichen Argumenten getragen. Es hat mich gefreut, dass sich Justizminister Becker öffentlich frühzeitig und klar gegen die Folter ausgesprochen hat.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS)

Umso mehr habe ich aber eine öffentliche Äußerung des Innenministers Jeziorsky vermisst. Dabei geht es in der

Debatte um die Androhung von Gewalt in polizeilichen Vernehmungen.

(Zuruf von Minister Herrn Jeziorsky - Herr Scharf, CDU: So ein Quatsch!)

Das Schicksal des entführten Jungen hat zu Recht viele bewegt. Es darf aber nicht dazu führen, dass eine menschliche Errungenschaft, die für die aufgeklärte Menschheit seit mehr als zwei Jahrhunderten ohne Zweifel gilt, infrage gestellt wird.

Die Versuchung, ein bisschen Menschenwürde gegen ein bisschen mehr Rechtsschutz und Sicherheit einzutauschen, ist bei uns schon des Öfteren laut geworden. So wurde zum Beispiel bei der Entführung von Arbeitgeberpräsident Schleyer und bei der Entführung einer Lufthansa-Maschine mit 82 Urlaubern der Vorschlag gemacht, Standgerichte zu schaffen, um für jede erschossene Geisel einen RAF-Häftling erschießen zu lassen.

Die Forderung, die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel, um Menschenleben zu retten, auch im Verhör zu gestatten, bis hin zu der Frage, ob die staatliche Erzwingung einer Auskunft zur Rettung von Menschenleben tatsächlich als Folter oder als körperliche Misshandlung im Sinne des UN-Übereinkommens gegen Folter und der europäischen Menschenrechtskonvention zu werten sei, rüttelt an rechtsstaatlichen Grundsätzen. Gibt der Rechtsstaat hier nach, würde er sich selbst aufgeben.

In dem jüngsten Fall war im Übrigen der Preis nur scheinbar nicht so hoch, weil die Androhung der Folter nicht vollstreckt werden musste. Überall, wo es um den Schutz des Willens der Menschen geht, stellt die Rechtsordnung die Drohung mit Gewalt der tatsächlichen Ausübung gleich. Nicht erst das Wehtun ist die Katastrophe, sondern schon der Einbruch in den Willen des Menschen.

Die Diskussion über die Zulässigkeit von so genannten Foltermethoden muss beendet werden. Die Menschenwürde ist unantastbar und darf durch keinerlei Regelung angetastet werden. Im Übrigen lässt sich unsere Polizei nicht dazu zwingen, die Menschenrechte zu missbrauchen. Wenn sie es sich so einfach machen würde, nicht nach dem Recht, sondern nach öffentlicher Stimmungslage zu handeln, dann wäre in der Tat unser Rechtsstaat keinen Pfifferling mehr wert. - Jetzt habe ich aus Versehen eine falsche Seite gegriffen. Ich hoffe, ich bin in fünf Minuten Redezeit durch.

(Heiterkeit - Herr Scharf, CDU: Eigentlich müss- ten Sie ja frei sprechen!)

Für eine weitere gesetzliche Regelung besteht kein Handlungsbedarf. Die gesetzlichen Grundlagen sind ausreichend und sie sind rechtsstaatlich. Es existieren bewährte rechtsstaatliche Vernehmungsmethoden.

Dass Eltern jedes Mittel segnen, das ihrem Kind das Leben retten kann, wird niemand kritisieren. Wir alle wissen, dass man in bestimmten Lebenssituationen gefühlsmäßig anders entscheiden möchte. Aber Grundsätze sind dafür da, dass sie in jedem Fall geachtet werden, weil sie Grundlage unserer staatlichen Ordnung sind.

Zum Schluss möchte ich kurz erklären, warum wir einen Alternativantrag gestellt haben. Die Formulierung unter Punkt 2 in dem Antrag der PDS würde unserer Ansicht nach dem Sachverhalt nicht gerecht. In der öffentlichen Debatte geht es nicht darum, dass der Täter durch die Folter überführt werden soll, sondern es geht darum,

dass er unter der Folter Hinweise gibt, die zur Rettung des Opfers beitragen, und somit um Gefahrenabwehr.

Das beschleunigte Verfahren und die Ausweitung der DNA-Analyse stehen in keinem Zusammenhang mit der Folterdebatte. Daher haben wir einen Alternativantrag gestellt, dessen Punkt 2 weiter geht als der Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP, weil er auch allen Ansätzen begegnet, die versuchen, einen Eingriff in die Menschenwürde zu rechtfertigen.

Da es nach meiner Auffassung bei der Entschließung zum Verbot jeglicher Folter aber auf die Konsensbildung des gesamten Plenums ankommt, um zu demonstrieren, dass wir hier eng zusammenstehen, ziehe ich unseren Alternativantrag zurück. Wir werden dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP zustimmen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Danke, Frau Abgeordnete Grimm-Benne. - Für die FDPFraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Wolpert das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Im Zusammenhang mit dem Mordfall Jacob von Metzler ist bekannt geworden, dass der Frankfurter Polizeivizepräsident dem mutmaßlichen Täter mit Folter drohen ließ. Die Äußerungen des Präsidenten des Richterbundes hinsichtlich einer Situation, die eine solche Drohung rechtfertigen könnte, haben die Diskussion in der Öffentlichkeit eröffnet.

Meine Damen und Herren! Das Folterverbot ist in unserem Rechtssystem mehrfach verankert. Nach Artikel 3 der Menschenrechtskonvention bzw. nach Artikel 1 Abs. 2 des Grundgesetzes und nach § 136a StPO ist die Folter unzulässig. In dem Antifolterabkommen der Uno heißt es:

„Außergewöhnliche Umstände dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.“

Meine Damen und Herren! Das Folterverbot ist einer Rechtsgüterabwägung nicht zugänglich.

(Zustimmung bei der FDP)

Selbst wenn man einem Polizisten als Person einen rechtfertigenden Ausnahmezustand zubilligen wollte, wären die Folgen fatal. Ein Polizist, der derartig gerechtfertigt wäre, könnte von seinen Kollegen an der Folterhandlung nicht gehindert werden, weil der Polizist, der handelt, im Recht wäre. Er wäre ja gerechtfertigt.

Das geht natürlich in einem Verhältnis Staat/Bürger schon gar nicht. Dem Staat steht kein übergesetzlicher Notstand im Rahmen einer Güterabwägung bei der Folter zur Seite, um sein Handeln zu rechtfertigen.

Ein Aufweichen der bisherigen Standpunkte hätte fatale Folgen. Wäre die Folter einer Güterabwägung zugänglich, würde sich aus dem hoheitlichen Handeln auch eine Pflicht zur Güterabwägung ergeben. Ein Polizist müsste also abwägen, ob die Folter in dem ihm vorliegenden Fall das Mittel der Wahl ist, weil in seiner Abwägung das Recht auf Leben des Opfers das Recht auf körperliche Unversehrtheit des vermeintlichen Täters überwiegt. Ab

gesehen von der im Vergleich zur jetzigen Rechtslage wesentlich erhöhten Gewissensnot der Polizisten bei einer solchen Entscheidung ergeben sich zwei weitere Gedankenstränge, die ich Ihnen vor Augen führen möchte.

Erstens. Können Rechtsgüter gegeneinander abgewogen werden, ohne dass die Umstände klar sind? Lebt das zu schützende Opfer noch? Ist der Beschuldigte wirklich der Täter? - Herr Stahlknecht, hier gilt auch die Unschuldsvermutung.

Daran wird deutlich, warum sich auch im präventiven Bereich eine Einschränkung der Grundrechte der Bürger so schwierig gestaltet, ja gestalten muss. Man fischt im Trüben und hat aus einer Ex-post-Betrachtung oft genug keine Rechtfertigung für das einschränkende Handeln mehr.

Folter ist auch nicht mit einem finalen Rettungsschuss vergleichbar, weil dort eine konkrete, gegenwärtige Gefahr abgewendet wird. Die haben Sie nicht bei einem mutmaßlichen Täter. Da haben Sie noch nicht einmal die Gewissheit, dass er der Täter ist. Es werden Informationen erpresst, nicht etwa eine Gefahr abgewehrt.

Der zweite Gedankenstrang ist meines Erachtens viel wesentlicher: Wenn die Folter einer Rechtsgüterabwägung zugänglich wäre und damit eine Pflicht zur Abwägung von Rechtsgütern bestünde, ist die einfache Folge, dass der Staat nach Abwägung der Rechtsgüter zu dem Schluss kommen kann, dass die Anwendung der Folter gerechtfertigt ist. Hat das Opfer dann ein Recht zu verlangen, dass gefoltert wird, um sich zu retten? Hat dann der Staat die Pflicht zu foltern? Wenn der Staat die Pflicht hat, hat er dann nicht auch die Pflicht, richtig zu foltern? Wie foltert man richtig? Gibt es dafür eine Ausbildung? Muss der Staat Folterknechte ausbilden?

Daran sehen Sie, wenn Sie diesen Gedankenstrang einmal zu Ende denken, warum die Folter den Rechtsstaat in den Grundfesten berührt. Sie können keinen Rechtsstaat bilden, der Folterknechte ausbilden muss.

(Beifall bei der FDP und bei der PDS - Zustim- mung bei der SPD, bei der CDU und von Minister Herrn Becker)

Meine Damen und Herren! Der Wert der erlangten Informationen dürfte äußerst zweifelhaft sein.

Kurz etwas zu unserem Änderungsantrag. Die DNAAnalysen und das beschleunigte Verfahren im Zusammenhang mit dem Thema Folter zu diskutieren, ist äußerst unglücklich. Das hat nichts miteinander zu tun.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und bei der SPD)