Es gibt also eine Menge guter Gründe, den Dialog zwischen Landesregierung und Chemieindustrie fortzusetzen sowie auf weitere Branchen auszudehnen. Diese Absicht wurde von der Landesregierung bereits erklärt. Wir unterstützen dies in vollem Umfang und uneingeschränkt. - Vielen Dank.
Danke schön. - Bevor ich in der Debatte fortfahren lasse, begrüße ich Schülerinnen und Schüler des WilhelmRaabe-Gymnasiums in Magdeburg, die heute unsere Gäste sind und der Landtagsdebatte zuhören. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufzählung einigermaßen erfolgreicher Branchen in SachsenAnhalt ist schnell erledigt: erstens Ernährung, zweitens Chemie. Wer schwarzen Humor besitzt, zählt noch die Landesregierung hinzu.
Auf der Grünen Woche stellte Herr Höppner mit Recht die herausragende Rolle der zuerst genannten Branche für Sachsen-Anhalt fest. So sind seit 1991 bis heute ca. 300 neue Arbeitsplätze entstanden und das Land belegt dort zum ersten Mal eine eigene Ausstellungshalle.
Nun darf man annehmen, dass Aktuelle Debatten im Grunde genommen dazu dienen sollen, aktuelle Probleme zu beleuchten, an denen es im Land wahrlich nicht mangelt. Die Feststellung, dass etwas ganz toll läuft - dies wäre noch zu relativieren -, ist wirklich kein Füllstoff für eine Aktuelle Debatte. Wie der Dialog zwischen Wirtschaft und Politik wirklich aussieht, können wir in Ammendorf sehr genau beobachten. Wir hoffen und bangen. Aber in der Chemieindustrie ist es nicht so schlecht gelaufen. Oder doch?
Erinnern wir uns an die frühere Achse Kohle/Chemie, so sieht das Bild schon anders aus. Die Hälfte der Achse ist weg. Das kann nicht gefeiert werden, auch nicht mit dieser Debatte. Ferner sind wirtschaftliche Erfolge nur dann auch politische Erfolge, wenn dringend benötigte Arbeitsplätze die Lage entspannen. Gerade in der Chemie mit hochgradig automatisierten Abläufen ist dieser Aspekt ziemlich schwach entwickelt.
Wir dürfen sicher sein: Die Osterweiterung wird Billigarbeiter hereindrücken wie noch nie und das wird erst der Anfang sein. Wenn es heißt, neue Strategien für die
Chemiestandorte Sachsen-Anhalts zu entwickeln, glauben wir, dass das zu kurz gegriffen ist. In banger Erwartung der Osterweiterung der EU und der Globalisierung sind größere Einheiten als das Chemiedreieck gefragt. Dazu gehört eine echte Interessenvertretung der chemischen Industrie beim Bund und bei der Europäischen Union.
Dazu hatten wir unlängst schon etwas Unerfreuliches. Am 12. Oktober 2001 hatten wir eine Aktuelle Debatte zum Strategiedialog Chemie zwischen Politik und Wirtschaft. Wir stellten damals fest: Die EU und ihr Weißbuch zur Reform der Chemikalienpolitik sind ein gefährlicher Klotz am Bein der Chemieindustrie. Der Kanzler wollte uns gegen die Regulierungswut der EU unterstützen. Bis jetzt haben wir nichts mehr davon gehört.
20 000 Mitarbeiter hat das EU-Bürokratiemonster. Bisher wurden Richtlinien und Empfehlungen der EU auf 80 000 DIN-A4-Seiten verbindlich für alle Mitgliedsländer geregelt. Allein die Richtlinien für den zulässigen Lärmpegel eines Rasenmähers sind auf zwei Seiten festgehalten.
Meine Damen und Herren! Nun darf man sich vorstellen, welch ein Wälzer das Chemikalienbuch werden wird.
Im Bundesrat hat sich Sachsen-Anhalt mit einigen Änderungen zum Weißbuch einbringen können; das ist gut. Sollte die im Weißbuch vorgesehene Registrierungspflicht und Beweislastumkehr bei gefährlichen Stoffen in EU-Recht umgesetzt werden, wird es in Sachsen-Anhalt zu einer verstärkten Abwanderung von Unternehmen kommen. Zum Glück sind Verfahren der EU aufgebläht und dauern lange.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Brief der 47 Unternehmer, Manager, Bänker und Wirtschaftswissenschaftler an den Ministerpräsidenten vom 3. November vorigen Jahres erinnern. Darin wird eine Kurskorrektur bei der Wirtschaftspolitik um 180 Grad gefordert. Herr Höppner bezeichnete besagten offenen Brief daraufhin als Rückenstärkung für seine Politik und freut sich darauf, das Land mit den Managern im Land voranbringen zu können.
Meine Damen und Herren! Wir können es schon selbst nicht mehr hören, aber es ist doch wahr: Sachsen-Anhalt hat das geringste Pro-Kopf-Einkommen, die geringste Steuerkraft, die kleinste Selbständigenquote und die höchste Arbeitslosigkeit aller Bundesländer.
Zusammenfassend muss man nachfragen: Was hat eine Regierungspartei geritten, eine solche Aktuelle Debatte zu beantragen? Natürlich steht die Chemie nicht am schlechtesten da. Das ist gut, weil es besser ist als gar nichts. Die Hauptfrage ist jedoch: Was bewirkt das für die arbeitslosen Menschen im Land? Was macht der Rest der Wirtschaft, derjenige Rest, der, anders als die Chemie, Arbeitsplätze in erheblichen Größenordnungen bereitstellen könnte? So kommt man von der Chemie schnell zum Mittelstand und bei diesem herrscht eben Ebbe.
Aus dem hauseigenen Statistischen Landesamt kommen Wirtschaftsmeldungen, eine schlechter als die andere: Auftragsbestände sind für den Hochbau im Rekordtief, der Umsatz der Industrie liegt unter dem Vorjahreswert, die Investitionsquote für das Bauhauptgewerbe liegt auf dem absoluten Tiefpunkt. Als Letztes noch eine ganz neue Aktion: Flugblätter über Insolvenz
Im Antrag steht quasi: Wir sind gut und wollen deshalb von uns selbst lernen. Diese Aktuelle Debatte hätte man sich lieber verkneifen sollen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben an dieser Stelle zwar erst vor zwei Monaten über den Strategiedialog im Land zur Entwicklung der chemischen Industrie gesprochen, aber wenn man von der Bedeutung der chemischen Industrie ausgeht, dann könnte man in jeder Landtagssitzung darüber sprechen.
Alle diejenigen, die erwarten, dass die CDU-Fraktion als Oppositionsfraktion eine kritische Wertung dieses Strategiedialogs in den Mittelpunkt stellt, muss ich enttäuschen. Das, was die Landesregierung in der chemischen Industrie seit Dezember 2000 mit dem Strategiedialog veranstaltet, ist eine vernünftige Angelegenheit.
Der Strategiedialog ist außerordentlich positiv. Ich wünschte mir nur, dass wir genau das, was wir, insbesondere die Landesregierung, mit der chemischen Industrie in diesem Land erleben, auch mit anderen Branchen erleben könnten. Wir bräuchten eine solche konstruktive Zusammenarbeit, eine offene Diskussion über die Probleme und eine aktive Begleitung auch in vielen anderen Branchen.
Ich erinnere daran - das ISW hat es erst kürzlich veröffentlicht -, dass der Strategiedialog erst am 19. Dezember 2000 mit einem Spitzengespräch zwischen der Landesregierung und der Wirtschaft begann. Wenn es einen solchen konstruktiven Strategiedialog schon Jahre vorher gegeben hätte, wären wir jetzt schon einen wesentlichen Schritt weiter.
Es muss erlaubt sein, von dieser Stelle aus daran zu erinnern, dass es ab 1994 Zeiten gab, in denen man wichtige Indikatoren und wichtige Bereiche der chemischen Industrie allein aus politischen Gründen gar nicht nennen durfte. Erinnert sei an die Chlorchemie. Herr Kollege Rahmig bekommt zu Recht Falten auf der Stirn, wenn er das Wort Chlorchemie hört.
Aus Angst vor den Grünen und aus der Räson der damaligen Koalition war es nicht erlaubt, einen offenen, vernünftigen Dialog über die Entwicklung der Chlorchemie in unserem Land zu führen, obwohl die Chlorchemie - wie wir alle wissen - ein Grundbestandteil und unverzichtbar nicht nur für die Kunststoffherstellung, sondern auch für die Lösungsmittelindustrie und viele andere Bereiche ist.
Deswegen bin ich froh, dass dies nun in diesem Bereich vielleicht etwas besser funktioniert. Ich denke, dass ist auch gut so an dieser Stelle.
Ein zweiter Punkt, den ich erwähnen möchte, ist folgender: Herr Eckel, Sie haben, wie ich finde, zu Recht gesagt, dass wir nicht bestehen werden, wenn wir nur negative Statistiken vor uns hertragen. Darin gebe ich Ihnen völlig Recht. Aber ich sage Ihnen auch, dass wir nicht bestehen werden, wenn wir nur schönreden, Probleme negieren und die Probleme nicht lösen. Wir werden nicht bestehen, wenn das Reden mit der erlebten Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Deswegen ist es wichtig, dass wir offen und kritisch mit den Differenzen, die es in der Entwicklung gibt, umgehen und dass wir nicht nur schönreden, sondern dass die Probleme benannt und gelöst werden.
Wenn wir uns das in den anderen Branchen anschauen, dann müssen wir feststellen, dass wichtige Fragen nach den Zukunftschancen für die Menschen, die hier leben, ob sie eine Hoffnung auf eine vernünftige berufliche Karriere haben, insbesondere die jungen Leute, ob sie berechtigte Aussichten haben, ein vernünftiges Einkommen zu erzielen in einem ordentlichen Beruf, nicht geklärt sind.
Allein im letzten Jahr gingen in Sachsen-Anhalt 25 800 Jobs verloren. Die Zahl der Erwerbstätigen nimmt in Sachsen-Anhalt ab. Wenn wir nicht noch eine weitere schlimme Zahl zu verzeichnen hätten, nämlich dass Sachsen-Anhalt das Land mit der höchsten Pendler- und Abwanderungsrate ist - bei Pendlern nehme ich das Land Brandenburg wegen des Sonderstatus von Berlin heraus -, dann würde das automatisch bedeuten, dass die Statistik im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern noch dramatischer aussehen würde.
Ein weiterer Punkt muss bei der Debatte um die Entwicklung der chemischen Industrie genannt werden. Ich hätte auch von Ihnen, Herr Kollege Eckel, erwartet, dass Sie diesen Punkt ansprechen. Vielleicht wird die Ministerin dazu Stellung nehmen.
Wenn wir über die chemische Industrie sprechen, dann können wir eine Reihe bedeutender Zahlen nennen. Herr Dr. Süß hat völlig zu Recht die Entwicklung der chemischen Industrie benannt und welchen Anteil sie an unserer Volkswirtschaft in Sachsen-Anhalt hat. Ich brauche die Zahlen nicht noch einmal zu erwähnen. Fakt ist aber, dass wir ohne die Raffinerien und ohne den Leuna-Effekt diesen Erfolg in Sachsen-Anhalt nicht hätten.
Wenn wir über die positive Entwicklung der chemischen Industrie in Sachsen-Anhalt sprechen, dann stünde es auch Ihnen gut zu Gesicht, wenn Sie würdigen würden, dass wir diese Entwicklung heute nicht verzeichnen könnten, wenn nicht der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sich so vehement für die chemische Industrie in Sachsen-Anhalt eingesetzt hätte.
Was bedeutet dieser Leuna-Effekt für die Region, für unser Land Sachsen-Anhalt? In den Jahren von 1995 bis 1997 belegte der überdurchschnittlich hohe Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen mit einem Investitionsvolumen von allein 3,7 Milliarden DM eindeutig den Leuna-Effekt. Das sind bis 1999 allein 40 % aller getätigten ausländischen Direktinvestitionen in SachsenAnhalt. Insgesamt beliefen sich die Baukosten für das Leuna-Projekt auf 5,1 Milliarden DM. Das macht deut
Leuna, also die Mitteldeutsche Erdölraffinerie, ist heute mit rund 6 Milliarden DM Jahresumsatz das größte Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt des Landes beträgt rund 6 %. Für ein einzelnes Unternehmen ist das ein beachtliches Ergebnis.
Wir haben, wenn wir von der chemischen Industrie sprechen, noch eine Reihe von Problemen zu lösen, die wir auf keinen Fall vergessen dürfen. Ich denke dabei nur an die Diskussion über das Weißbuch der chemischen Industrie, die noch nicht zu Ende ist. Ich denke dabei an die folgenden Investitionen und an die riesigen Herausforderungen, wenn wir die nachfolgenden Investitionen vernünftig finanziell begleiten wollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deswegen rufe ich Sie an dieser Stelle auf, insbesondere die Landesregierung in der ihr noch verbleibenden Zeit: Lassen Sie uns das, was recht spät, aber vernünftig in die Tat umgesetzt worden ist, nämlich den ordentlichen Umgang mit der Wirtschaft in diesem Land, die Arbeitsplätze schafft und Steuern zahlt, fortsetzen und auch auf die anderen Branchen übertragen. Wenn wir uns aus politischen Gründen nur auf einen Industriezweig beschränken, hat Sachsen-Anhalt keine Chance, die Schlusslichtposition abzugeben.
Herr Kollege Eckel, ich denke, es ist gut, wenn wir die Kraft aufbringen, über vernünftige Entwicklungen in Sachsen-Anhalt zu sprechen und konstruktiv um die Lösungen zu streiten. Ich hoffe, dass wir nicht bei der chemischen Industrie stehen bleiben. Ich hoffe, dass wir das, was wir in der chemischen Industrie gemeinsam in den letzten Jahren geschaffen haben, auch auf andere Branchen übertragen können.
Ich möchte zum Abschluss ein altes deutsches Sprichwort bringen: „So mancher Uhu glaubt, die Nacht käme nur seinetwegen.“ Wenn Sie über die chemische Industrie sprechen, dann würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie auch einmal die Leistungen der ersten Landesregierung und vor allen Dingen die Leistungen des alten Bundeskanzlers Helmut Kohl entsprechend würdigen würden. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.