Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gürth, wissen Sie, Sie kommen mir so vor, als wären Sie hier die Unschuld vom Lande, und draußen sind Sie der große Wahlkampfpopulist. Überlegen Sie einmal, was Konstruktivität ist!
Sie brauchen keine Angst zu haben, ich lobe Sie natürlich für das, was an Fundament gelegt worden ist, weil das ein Ausgangspunkt war. Sachsen-Anhalt wird allerdings - darin bin ich anderer Auffassung als Sie und im Übrigen der gleichen Auffassung wie Ihr Wahlkampfwirtschaftspolitiker Herr Ludewig - im globalen Wettrennen
seinen Platz finden, und zwar einen guten Platz finden, wenn es sich auf die wirtschaftlichen Kernkompetenzen, die es hat, konzentriert und wenn es gleichzeitig neue wirtschaftliche Optionen in den Erfolg versprechenden Branchen entwickelt.
Ich bin auch der Überzeugung, dass das Land dem nur gerecht werden kann, wenn es sich den Herausforderungen stellt, insbesondere im Zusammenhang mit der Globalisierung, mit einer hohen Dynamik des Strukturwandels und mit der Wirkung der EU-Osterweiterung. Wir können dem nur begegnen und wir können nur eine Antwort darauf geben. Das ist eine neue Qualität im Dialog zwischen der Politik und der Wirtschaft, die in Sachsen Anhalt nicht erst seit gestern gepflegt wird.
Wir pflegen diesen Dialog, insbesondere branchenbezogen, nicht nur mit einer Branche. Jedoch haben wir ihn mit der chemischen Industrie begonnen, weil dort die Voraussetzungen besser und anders waren als in den anderen Branchen in Sachsen-Anhalt, weil es dort Marktführer und auch größere Unternehmen gibt, die über die Tagesarbeit hinaus den Kopf frei haben, um diese Strategien mit uns überhaupt zu entwickeln.
Ein Dialog bedeutet, man muss einen Partner auf der Unternehmensseite haben. Diesen hatten wir zuerst in der chemischen Industrie und das war gut so, denn die Erfolge zeigen es.
Natürlich verlangt diese Art der Wirtschaftspolitik Beharrlichkeit. Man kann hierbei nicht mit Populismus arbeiten. Sie verlangt ein wirkliches Interesse an der hiesigen Entwicklung und auch die Mitwirkung von beiden Seiten. Ich bin fest davon überzeugt, dass jede Branche neben den allgemeinen Rahmenbedingungen auch ganz spezifische Rahmenbedingungen braucht, um sich zu entwickeln.
Die Rahmenbedingungen liegen insbesondere in einer branchenspezifischen Infrastruktur, in einem entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsumfeld und darin, Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen zu haben.
Die meisten von Ihnen waren auf dem IHK-Neujahrsempfang oder haben zumindest von dem Vergleich mit den Turnschuhen gehört. Ich glaube, unsere Unternehmen haben diese Turnschuhe an, um das Unternehmen zu sein, das nicht vom Bären gefressen wird.
Es gibt auch nicht mehr den Standort Sachsen-Anhalt, den deutschen Standort, sondern es gibt nur noch den sachsen-anhaltinischen Wirtschaftsstandort als Region in Europa. Darauf müssen wir uns einstellen. Das können wir nur, wenn wir gemeinsam mit den Branchen langfristig und strategisch an ihrer Entwicklung arbeiten.
Den Anstoß zur heutigen Debatte haben in der Tat die chemische Industrie und die Erfolge dieses Modells gegeben. Aber natürlich ist es nur ein Muster. Es ist ein Muster, das auf andere Branchen übertragen werden kann, damit dort die gleichen Erfolge erzielt werden können.
Die Erfolge sind, dass wir in Sachsen-Anhalt die Hälfte des Umsatzes der gesamten ostdeutschen Chemieindustrie erzielen: 3,5 Milliarden € im Jahr 2000. Die Hälfte aller Beschäftigten der chemischen Industrie in Ostdeutschland arbeitet in Sachsen-Anhalt.
Die Zahl der Unternehmen ist seit 1998 kontinuierlich von 64 auf 78 Unternehmen gestiegen und in den ersten Monaten des Jahres 2001 sind allein von Januar bis September fünf neue Unternehmen entstanden. Trotz Konjunkturflaute, weltweiter Konjunkturflaute, gibt es nach wie vor höhere Wachstumsraten in unseren Unternehmen in Sachsen-Anhalt als in den westdeutschen Unternehmen.
Das heißt absolute Wettbewerbsfähigkeit und das heißt, das sind die Unternehmen, die auch in den nächsten Jahren Bestand haben werden und sich behaupten können.
Die Umsätze der Chemieindustrie der neuen Länder haben im ersten Halbjahr 2000 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 11,7 % auf 7,6 Milliarden DM zugenommen. Das sind deutlich höhere Wachstumsraten als auf der Bundesebene, auf der dieser Anstieg nur bei 3,9 % lag. Das sind nackte Zahlen und das ist auch kein Schönreden.
Die Zahl der Arbeitsplätze - das ist das Wichtige auch für uns - steigt wieder. Von Januar 2001 bis September 2001 sind mehr als 500 neue Arbeitsplätze entstanden. Wenn diese Dynamik weiterhin anhält, wenn dies kontinuierlich passiert, dann können wir auch mit einem Abbau der Arbeitslosigkeit rechnen.
Man geht davon aus, dass in dem Umfeld eines Chemiearbeitsplatzes drei weitere Arbeitsplätze entstehen. Das ist das, was wir wollen. Die Arbeitsplätze, die wir im produzierenden Gewerbe durch Investitionszuschüsse in beträchtlicher Höhe mitfinanzieren, lösen weitere Arbeitsplätze im Umfeld aus. Wenn man von dieser Zahl, die realistisch ist, ausgeht, dann sind das 1 500 Arbeitsplätze. Ich denke, das ist eine Hausnummer, an der man sich orientieren sollte, und diesen Weg muss man so weitergehen.
Natürlich hat Herr Kohl mit Leuna, mit der Begleitung dieser Entscheidung und auch mit Dow einen Beitrag geleistet. Aber lassen Sie uns bitte nicht vergessen, dass der Chemiedialog nicht erst seit 1999 geführt wird, sondern dass er insbesondere durch den Wirtschaftsminister Klaus Schucht geführt worden ist und dass erst er diese Entwicklung auf den Grundsteinen, die in der ersten Legislaturperiode gelegt worden sind, aufgebaut hat.
Im Übrigen ist heute der Todestag von Klaus Schucht. Ich denke, das ist auch ein Anlass, an die Erfolge zu erinnern, die in den Jahren, in denen er die Politik mitgestaltet hat, erreicht worden sind.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU, bei der PDS, von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)
Der Strategiedialog Chemie ist beispielhaft für andere Branchen; das ist richtig. Er ist zur Maxime unserer Wirtschaftspolitik geworden und wir haben gemeinsam mit dem Verband der Chemischen Industrie und im Übrigen auch mit dem Landesverband der Arbeitgeber nach einem Jahr Strategiedialog Bilanz gezogen. Diese fiel von allen Beteiligten uneingeschränkt positiv aus, und entgegen den Äußerungen, die ich heute wieder in der Zeitung lesen darf - langsam reicht es mir nämlich auch mit dem Hü und Hott; so werden wir den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt nie verkaufen können -, hat der Präsident der Arbeitgebervereinigung Herr Fän
ger bei der Bilanz zum Chemiedialog gesagt, er könne allen Branchen nur empfehlen, so mit der Landesregierung zusammenzuarbeiten, wie das im Chemiedialog stattgefunden habe, weil das die Lösung sei, wie man Branchen nach vorn entwickeln könne.
Meine Damen und Herren! Ich denke, die Unternehmen und auch die Verbände sollten dabei bleiben, mit uns zusammen sachbezogen an ihrer eigenen Entwicklung zu arbeiten. Wir sind natürlich bereit, die Rahmenbedingungen zu gestalten, so wie wir das im Chemiedialog auf der europäischen Ebene - was Sie sehr wohl wissen, Herr Gürth - und auf der Bundesebene - was Sie sehr wohl wissen, Herr Gürth - getan haben, aber eben auch, wenn es um den Wettbewerbsvorteil bei Forschung und Entwicklung geht. Es geht auch darum, die Infrastruktur in den Chemieparks zu füllen, denn bisher sind nur die Fundamente gelegt, und es geht jetzt darum, die Wertschöpfungsketten auch im Bereich der Chemie weiter zu gestalten und aufzubauen.
Der Strategiedialog mit den Branchen findet nicht nur in der chemischen Industrie statt, sondern er findet selbstverständlich auch in den anderen Branchen statt. Lassen Sie mich nur einige davon nennen.
Das ist zum einen der Dialog mit der Abfallwirtschaft, der schon seit Dezember letzten Jahres läuft. Sie wissen, dass in dieser Branche, die mit entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung ist, Regulierungen anstehen, dass es neue Herausforderungen gibt, zum Beispiel mit neuen Regelungen im Bereich der Deponiesanierung und anderem. Dieser Dialog findet statt und wird Stück für Stück in vernünftiger, sachbezogener Arbeit weitergeführt.
Der Branchendialog mit der Metallindustrie, mit dem Maschinenbau, der vor allem das nördliche SachsenAnhalt prägt, ist im Werden und er baut auf. Denn es gibt die Maschinenbauinitiative mit den Unternehmen des Maschinenbaus und der Metallindustrie schon seit Jahren, und in dieser sind die Themen wie Export, Facharbeiterentwicklung und Kreditfinanzierung beraten worden, auch mit ersten Ergebnissen, was Veränderungen angeht, zum Beispiel im Bereich Basel II.
Auch bei dem Programm, das meine Kollegin Gerlinde Kuppe für die Facharbeiterentwicklung mit dem Verband Metall und Elektro zusammen macht, gibt es schon Ergebnisse. Auch die ausgeprägte Automobilzulieferindustrie, die weiter wächst, ist das Ergebnis von kontinuierlichen Gesprächen mit dieser Branche.
Auch hierzu gibt es Zahlen. Lassen Sie mich aufteilen zwischen den Metallerzeugnissen und dem Maschinenbau. Seit 1998 gibt es einen ständig steigenden Umsatz: 1,1 Milliarden € im Jahr 2000 trotz Konjunkturflaute allein im Bereich der Metallerzeugnisse.
Die Anzahl der Betriebe ist seit 1999 von 211 auf 226 gestiegen, und statt knapp 12 000 Mitarbeitern sind es heute mehr als 14 000, die in dieser Branche arbeiten.
Im Maschinenbau, der dazu gehört, ist der Umsatz ebenfalls leicht gestiegen, und wir haben eine stetige Steigerung bei der Anzahl der Betriebe zu verzeichnen, von 145 im Jahr 1998 auf 161 heute. Natürlich gehört dazu auch die Weiterentwicklung so großer Unter
Die Besonderheit in diesem Bereich ist, dass wir anders als in der Chemie einen industriellen Mittelstand haben. Wir haben hier nicht die Riesen wie Dow, nicht die Riesen wie Leuna, aber wir haben einen solide, vernünftig und gesund ausgeprägten industriellen Mittelstand im Maschinenbau.
Im Branchendialog wird ähnlich wie mit der Chemieindustrie nicht nur geredet, sondern es werden Themen wie Zukunftsmärkte, EU-Osterweiterung gemeinsam gestaltet. Während bei der chemischen Industrie strategische Allianzen mit Masowien und Nordböhmen eingegangen werden, sind es im Maschinenbau, im Nutzfahrzeugbau insbesondere Regionen wie die Ukraine, wohin schon Verbindungen bestehen, die jetzt weiter untersetzt werden.
Es ist also ein ähnliches Muster - damit haben Sie Recht. Das ähnliche Muster besteht aber insbesondere darin, dass wir auch ressortübergreifend an der Lösung der Probleme arbeiten. Es gibt viele theoretische Abhandlungen über integrative Politikansätze. Wir in Sachsen-Anhalt setzen diese um.
Das ist die einzige Möglichkeit. Anders als in den westdeutschen Ländern wird es hier auch zukünftig eine Zusammenarbeit insbesondere mit den Bereichen des Umweltministeriums und mit den Bereichen des Arbeitsmarktes aus dem Ministerium von Gerlinde Kuppe geben.
Frau Ministerin, nur zu ihrer Information: Sie haben Ihre Redezeit um gut 10 % überschritten. Wir hatten es anders vereinbart.
Ich bitte das nicht als Ordnungsruf zu betrachten, sondern vielmehr als einen vorsichtigen Hinweis auf die gegenseitige Rücksichtnahme zwischen Landesregierung und Landtag.
Das ist in Ordnung. Nur mit einem solchem Dialog werden wir weiterkommen, Herr Präsident. Ich werde mich natürlich daran halten.
Lassen Sie mich zum Abschluss die unterschiedliche Philosophie in zwei Sätzen zusammenfassen. Wir haben in der Tat unterschiedliche Philosophien, und zwar im Hinblick darauf, wie Sie und wie wir an das Thema herangehen.
Sie reden über das, was noch nicht geschafft worden ist. Sie reden über das, was schlecht ist. Wir reden über das Fundament, das gelegt worden ist, ohne dabei zu ver
gessen, dass noch viel an Entwicklung notwendig ist und dass wir uns darauf nicht ausruhen können. Das ist die unterschiedliche Philosophie.