Protocol of the Session on June 29, 2001

Grundsätzlich ist es so, dass die Sozialhilfe eine nachrangige Leistung ist, die dann eintritt, wenn der Lebensunterhalt nicht mehr aus eigener Kraft oder mit eigenen Mitteln bestritten werden kann. Kindergeld zählt als Einkommensbestandteil und wird auf die Hilfe zum Lebensunterhalt angerechnet.

(Zuruf von Frau Krause, PDS - Herr Krause, PDS: Das kann man aber ändern!)

Im Gegensatz zum Erwerbseinkommen wird die Sozialhilfe gemäß der Zahl der Haushaltsmitglieder gestaffelt. Dadurch wird der Bedarf von Kindern in der Sozialhilfe mit berücksichtigt. Wenn die Familienkomponente der Sozialhilfe wesentlich erhöht wird, ist davon auszugehen, dass die Familien mit Erwerbseinkommen plus Transferleistungen weniger Geld zur Verfügung haben als bei Bezug von Sozialhilfe, sodass das Lohnabstandsgebot nicht mehr gewahrt ist und der Anreiz für Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger, Arbeit aufzunehmen, nicht mehr gegeben ist.

(Zuruf von der PDS: Das ist doch so undifferen- ziert! - Zuruf von Frau Dr. Weiher, PDS)

Wer arbeitet, muss grundsätzlich netto mehr verdienen als die Personen, die nicht arbeiten und Transferleistungen erhalten. Daran sollten wir uns halten.

(Zustimmung von Herrn Jeziorsky, CDU)

Bereits bei der letzten Kindergelderhöhung haben wir darüber im Landtag debattiert und in den Ausschüssen ausführlich diskutiert. Im November 1999 hat der Landtag darüber einstimmig beschlossen und die Landesregierung aufgefordert, sich für einen gerechteren Familienausgleich einzusetzen und zu prüfen, inwieweit die Möglichkeit besteht, das BSHG zu ändern, damit das Kindergeld nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird.

Entgegen der Systematik des Bundessozialhilfegesetzes hat der Bundesgesetzgeber dann bei der letzen Kindergelderhöhung eine Ausnahme vorgesehen: Er hat in den § 76 Abs. 2 eine Nummer 5 eingefügt, wonach die Kindergelderhöhung von 20 bzw. 40 DM ab Januar 2000 bzw. 2001 bei der Berechnung der Sozialhilfe vom Einkommen abgesetzt wird. Zwar greift der Gesetzeswortlaut nicht das Wort „Kindergeld“ auf, aber es wird die Wirkung erzielt, dass die Kindergelderhöhung bis zum 30. Juni 2002 nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird.

Die Union hat diesem Ersten Gesetz zur Familienförderung insgesamt zugestimmt, obwohl sie der Auffassung ist, dass es sich nur um eine Minimalumsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts handelt. Die Bundesländer haben dagegen bei der Konferenz der obersten Landessozialbehörden aus fachlicher Sicht die Nichtanrechnung des Kindergeldes bzw. von Teilen des Kindergeldes auf Leistungen nach dem BSHG einstimmig abgelehnt.

Ebenfalls muss beachtet werden, dass durch die Neuregelung weitere Familien mit Kindern Ansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz geltend machen können, die bisher nicht zu dem Kreis der Anspruchsberechtigten gehört haben. Somit erhöht sich die Zahl der anspruchsberechtigten Sozialhilfeempfänger. Das bedeutet eine zusätzliche finanzielle Belastung für die örtlichen Träger der Sozialhilfe.

Das jetzt in der Beratung befindliche Zweite Gesetz zur Familienförderung sieht vor, dass analog zur bevorstehenden Kindergelderhöhung von 30 DM die Befristung der Nichtanrechnung vom 30. Juni 2002 auf den 30. Juni 2003 hinausgeschoben wird. Dadurch sollen die 30 DM mehr Kindergeld bis zu einem Stichtag ebenfalls nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden.

Das Zweite Gesetz zur Familienförderung wird bei InKraft-Treten für unseren Landeshaushalt voraussichtlich zu einer zusätzlichen Belastung in zweistelliger Millionenhöhe führen. Welche finanziellen Auswirkungen dies hat, muss allerdings noch dargelegt werden.

Die CDU-Fraktion ist der Ansicht, dass wir diesen Antrag in die Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie für Finanzen überweisen sollten, damit der Antrag im Zusammenhang mit den anstehenden Haushaltsberatungen für das Jahr 2002 diskutiert und berücksichtigt werden kann.

Abschließend möchte ich noch wiederholt darauf hinweisen, dass unser vorrangiges Ziel eine Verbesserung der Situation von Familien und Alleinerziehenden mit Kindern sein sollte, damit diese grundsätzlich nicht von der Sozialhilfe leben müssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Die DVU-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Für die SPD-Fraktion spricht dann die Abgeordnete Frau Wiedemann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, bringt mich als sozialdemokratische Familienpolitikerin in einen argen Zwiespalt. Herz und Verstand sprechen eine unterschiedliche Sprache. Mein Herz und mein Bauch sagen mir, du musst zustimmen; aber mein Verstand und meine im Gemeinderat, im Kreistag und im Landtag gesammelten Erfahrungen sagen mir, nein, so geht es nicht.

Einigkeit herrscht sicherlich im Saal, dass wir das Wohl aller Kinder im Land nicht aus den Augen verlieren dürfen. Wir müssen uns aber trotz allem im rechtlichen Rahmen bewegen, gerade um alle Kinder gerecht zu behandeln. Sicherzustellen, dass allen Kindern Gerechtigkeit in ihren Familien widerfährt, liegt leider nicht in den Händen der Gesetzgeber. Sie geben den Rahmen vor, aber die Umsetzung liegt bei den Familien. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein.

Wenn wir die Familien vor Augen haben, wo beide Elternteile für wenig Geld arbeiten gehen, jeden Pfennig zweimal umdrehen müssen, ehe sie ihn ausgeben, dann bin ich natürlich froh über jede noch so geringe Erhöhung des Kindergeldes. Auch den Familien, die aus irgendwelchen Gründen kurze oder längere Zeit von Sozialhilfe leben müssen, gönne ich jede Unterstützung, die der Staat gewährleisten kann.

Aber seien wir ehrlich miteinander: Es gibt auch Familien, die verhalten sich anders. Ich möchte nicht polemisieren, aber diese Ausnahmen der Gesellschaft, die es in allen Bevölkerungskreisen gibt, würden doch von der Lösung - so wie es die PDS beantragt hat - profitieren. Sind diese Leute denn überhaupt daran interessiert, nach Wegen zu suchen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und selbst zu erarbeiten?

Es ist keine Stimmungsmache, wenn ich hier sage, dass die Kinder dieser Familien aus einer Nichtanrechnung der Kindergelderhöhung auf die Sozialhilfe nicht den geringsten Nutzen ziehen würden.

(Zuruf von Frau Krause, PDS)

Sie würden dann weiter ohne Frühstück in die Kindertagesstätte oder in die Schule gehen, während ihre Eltern oder ein Elternteil schon früh am Morgen Nachschub an Zigaretten und Alkohol besorgen würde.

(Widerspruch bei der PDS - Herr Dr. Bergner, CDU: Also, mein lieber Mann!)

- Das ist so! Wir können uns doch nicht stets und ständig ein ideales Lebensbild vormalen. Wir dürfen davor nicht die Augen verschließen. Seien wir doch einmal ehrlich miteinander!

(Widerspruch bei der PDS - Herr Dr. Bergner, CDU: Wie viel Prozent der Eltern betrifft denn das, was Sie hier sagen? - Unruhe)

Die Ministerin hat die jetzt geltenden Rahmenbedingungen, die begründen, warum wir dem Antrag so zum jetzigen Zeitpunkt nicht zustimmen können, bereits erläutert. Das will ich nicht noch einmal wiederholen. Nur noch so viel: Der sozialhilferechtlich durchschnittlich anerkannte Lebensunterhalt von Kindern ist höher als das Kindergeld. Die Sozialhilfe gewährt bis zu 495 DM zuzüglich anteiliger Unterkunftskosten; das Kindergeld beträgt zurzeit 270 DM. Deshalb ist das Kindergeld nach der jetzigen Gesetzeslage als der Sozialhilfe vorrangiges Einkommen anzurechnen, weil aus ihm ein Teil des Be

darfes zum Lebensunterhalt gedeckt werden soll und kann.

Die Befürchtungen der Kommunen, dass die Nichtanrechnung zu erheblichen Mehrkosten zulasten der Kommunen führen würde, sind nicht von der Hand zu weisen.

Die letzte Kindergelderhöhung wurde - als Ausnahme nicht auf die Sozialhilfe angerechnet.

(Zuruf von Frau Krause, PDS)

Ich weiß, dass es trotz eindeutiger Gesetzeslage im Bund zurzeit immer noch Diskussionen darüber gibt, ob dies anzurechnen ist oder nicht.

Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie einer Überweisung zur federführenden Beratung in den Sozialausschuss und zur Mitberatung in den Gleichstellungsausschuss zu und lassen Sie uns um Wege streiten, wie wir das Sozialsystem so ändern können, dass Kinder und Familien Nutznießer der staatlichen Unterstützungen werden. Eine Verweigerung im Bundesrat würde womöglich die Erhöhung des Kindergeldes überhaupt verhindern. Das kann familienpolitisch nicht gewollt sein.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Krause, PDS: Davon steht auch nichts in dem Antrag, etwas zu verweigern!)

Vielen Dank. - Die Abgeordnete Frau Krause hat in dieser Debatte sowieso das letzte Wort. Dazu rufe ich dann noch auf. Aber im Moment sind wir noch nicht so weit, Frau Kollegin. Jetzt spricht für die FDVP-Fraktion der Abgeordnete Herr Weich. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bekenntnis zur Familie darf in keiner Sonntagsrede eines Politikers fehlen: die Familie in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft, in ihrer Vorbildfunktion und in ihrer Schutzwürdigkeit. Schöne Worte - die Realität sieht jedoch ganz anders aus.

Kinder gelten heute schon als hinderlich für die Karriere. Sie werden oft nur noch als Kostenfaktor gesehen. Doch die Politik unternimmt keinen ernsthaften Versuch, die Familie in der Gesellschaft finanziell besser zu stellen, auch Sie nicht, meine Damen und Herren von der PDS.

Nach der Freigabe der Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM für das Jahr 2002 durch Bundesfinanzminister Eichel besteht keinerlei Anlass für die öffentlich zur Schau getragene regierungsamtliche Selbstzufriedenheit. Weder wird der Mindestbedarf der Kinder auf absehbare Zeit abgesichert, noch wird der Einkommensanteil von Eltern gegenüber Kinderlosen verringert. Diese Fehlentwicklung hat der Bundeskanzler zu verantworten, war er es doch, der sich über die Karlsruher Vorgaben hinweggesetzt hat und somit die Eltern in ihrer finanziellen Not allein gelassen hat.

Entgegen dem regierungsamtlich erzeugten Eindruck geht es hierbei nicht um finanzielle Wohltaten für die Familien, sondern um die Schaffung eines verfassungsgemäßen Zustandes, das heißt um den Abbau der jahrzehntelangen systematischen Benachteiligung der Familie, die durch parlamentarische Mehrheiten immer wieder sanktioniert wurde.

Zu der gebotenen Umverteilung von Reich zu Arm muss die Umverteilung von Haushalten ohne Kinder zu Haushalten mit Kindern hinzukommen. Genau davor aber schrecken bislang alle Parteien mit Blick auf das schwindende Wählergewicht zurück. Familien haben in Deutschland keine wirkliche Lobby, die sich dagegen stellt. Wer sich für Kinder entscheidet, wählt die Armut. Abtreibung wird in 80 % aller Fälle mit finanziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten begründet, da zum Beispiel die Zahlung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt keineswegs das Existenzminimum überschreitet.

Eine deutliche Kindergelderhöhung ist der eigentliche Verfassungsauftrag und somit ist Ihr Antrag nur ein Tropfen auf den heißen Stein und geht letztendlich nicht weit genug. Wir könnten diesem Antrag zustimmen. Jedoch fehlt es uns an einem wichtigen inhaltlichen Detail. Wir sind dagegen, dass alle Kinder in Ihre Forderung einbezogen werden. Wir sehen das anders. Es müssen deutlich die deutschen Familien und die deutschen Kinder gefördert werden.

(Unruhe bei der SPD - Frau Fischer, Leuna, SPD: Ach!)

Wenn Sie diese Änderung nachträglich in Ihren Antrag aufnehmen, können wir diesem zustimmen. Den Antrag in der vorliegenden Fassung lehnt die FDVP-Fraktion grundsätzlich ab.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Schlusswort der Debatte bitte, möchte ich Damen und Herren der Ortsgruppe Wolfen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Erden unter uns begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Zum Schluss der Debatte erteile ich Frau Krause für die PDS-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Ich möchte nur kurz etwas zum Abschluss sagen. Das Problem ist erörtert worden.

Frau Ministerin, wir verkennen mitnichten die Bemühungen der Bundesregierung, gerade im Bereich der Familienentwicklung und Familienförderung zu Verbesserungen zu kommen und schrittweise eine Kindergelderhöhung zu realisieren. Man kann sicherlich unterschiedlicher Meinung darüber sein, wie schnell das gehen sollte. Aber es entspricht nicht der Realität, dass wir das nicht anerkennen. Das war auch nicht Gegenstand unseres Antrages. Ich denke, diesbezüglich sind richtige Schritte eingeleitet worden.

Frau Wiedemann, ich glaube, Ihre Ministerin ist im Denken ein Stück weiter als Sie. Jawohl, das eigentliche System dieser Dinge, wie es derzeit gestrickt ist, ist in Frage zu stellen. Da haben Sie meine volle Unterstützung, Frau Ministerin. Darüber muss diskutiert werden. Ich bin auch der Meinung, dass wir darüber im Ausschuss diskutieren sollten; denn letztendlich geht es darum, diesen systemischen Fehler endgültig zu beseitigen.

Allerdings bezieht sich unser Antrag nur auf einen Teilschritt; darauf habe ich bereits hingewiesen. Wir wissen, dass wir mit diesem Antrag mitnichten eine Änderung dieses fehlerhaften Systems erreichen.