Protocol of the Session on April 6, 2001

Der Antrag wird eingebracht durch den Abgeordneten Herrn Wolf. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle freuen uns, dass es uns immer wieder gelingt, trotz anderer Bestrebungen unsere Anträge sozusagen zur besten Sendezeit einzubringen. Herzlichen Dank dem parlamentarischen Dienst.

Meine Damen und Herren! BSE und MKS sind die Kürzel einer versagenden Europapolitik. Mit vorübergehenden Einfuhr- und Transportverboten sowie mit Massenschlachtungen und mittelalterlicher Scheiterhaufenpolitik versucht die Politik einem Problem, dessen Tragweite wahrscheinlich heute noch gar nicht abschätzbar ist, zu begegnen.

Das zeitliche Zusammentreffen beider Seuchen zeigt, dass das heutige europäisch diktierte Bewirtschaftungsund Vermarktungssystem in der Landwirtschaft längst an den natürlichen Rahmenbedingungen vorbeigeht und dass eine Agrarindustrie entstanden ist, welche die Lebewesen zur Ware degradiert hat, die ausschließlich nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage querbeet importiert oder exportiert wird. Der Tier- und der Seuchenschutz bleiben dabei zwangsläufig auf der Strecke.

Meine Damen und Herren! Solange mit dem Herumkarren von Mitgeschöpfen durch lohnende europäische Fehlsubventionen Milliarden zu verdienen sind, wird sich im Bereich des Lebendtiertransports nichts dauerhaft ändern. In einigen Regionen Europas wird viel Fleisch produziert, in anderen ist die Nachfrage höher. Der Effekt: 250 Millionen Schlachttiere werden jährlich durch Euroland gekarrt, von Holland nach Spanien, von Deutschland nach Kroatien und Slowenien, von Großbritannien nach Frankreich und Belgien.

Niedrige Einkaufspreise hier, hohe Verkaufserlöse dort und massive Exportsubventionen der Europäischen Union sind die Ursache dieser tierquälerischen Praxis und der Seuchenverbreitung durch Tiertransporte.

Nicht selten werden so neben dem Verkaufserlös der Tiere zusätzlich bis zu 45 000 DM Exporterstattung pro Lkw-Ladung gezahlt. Die reinen Transportkosten hingegen betragen beispielsweise für eine Strecke von 1 500 Kilometern gerade einmal 4 500 DM. Tierquälerei wird durch die EU belohnt.

Meine Damen und Herren! Das Schlachtvieh muss 29 Stunden in so genannten besonders ausgestatteten Fahrzeugen aushalten. Beim kombinierten Land-SeeTransport - beispielsweise mit einer Fähre - nach Marokko bleiben die Tiere nahezu 100 Stunden eingepfercht. Das ist keinem Lebewesen zumutbar.

Auf der Grundlage der verkommenen europäischen Subventionspolitik wird sich der Export lebender Tiere in Drittländer auch weiterhin als lukrativer erweisen als das sinnvollere Schlachten von Tieren vor Ort und der anschließende Export des kontrollierten Fleisches.

Hier müssen die politischen Alarmglocken läuten - überall und von allen. Es dürfen nicht weiterhin jedes Jahr Millionen von Tieren kreuz und quer über den Kontinent verschoben werden. Wir Deutschen haben als größte Nettoeinzahler in die EU eine Sonderverantwortung bezüglich der unmoralischen Verwendung dieser Mittel.

Die Ziele der Tiertransporte liegen nicht selten in Regionen, die besonders MKS-gefährdet sind, in Nordafrika, im Nahen Osten. Vor allem lebendes Geflügel wird in die

Türkei, einem klassischen Transitland für MKS-Stämme aus Asien, exportiert.

Was nützt es dem deutschen Bauern, wenn er sich mit seinem Tierbestand verbarrikadiert, jedoch die Seuche per durchreisendem Tiertransporter bereits vor Tagen oder Wochen eingeschleppt wurde? Jahrelange Arbeit und Investitionen für eine umweltverträgliche, natürliche und artgerechte Tierhaltung sind damit in wenigen Tagen zunichte gemacht.

Man hätte in Europa eigentlich viel früher hellhörig werden müssen. Tiertransporte über die Grenzen in alle Herrgottsländer hätten in Anbetracht der bekannten Gefahren schon längst eingestellt werden müssen.

Aber ob Europa-, Bundes- oder Landesebene - Ignoranz, Blindheit und Tatenlosigkeit bestimmen den Umgang mit diesem Thema, aber auch mit anderen Themen. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft entwikkelt sich mit jedem Skandal, mit jeder Seuche und mit jedem weiteren Absinken der weichen Einheitswährung zu einem Sumpf aus Korruption, Erpressung, Meinungsmache und Verstrickung der Wirtschaft mit der Politik.

Uns allen muss klar sein: Die Gefahr der Einschleppung und Verschleppung von Tierseuchen durch Lebendtiertransporte wächst mit der befohlenen Öffnung der Märkte in Richtung Globalisierung ins Unermessliche. Das können wir lebhaft nachvollziehen am Seuchengeschehen in Europa als Vision eines Szenarios wesentlich größeren Stils, heute in England, morgen auf dem Festland und übermorgen in Argentinien und Korea.

Die vermeintliche Ausflucht über eine so genannte Marktregulierung ist reiner Selbstbetrug und kann nicht ständig fortgesetzt werden. Es ist einfach der Preis für das Außer-Acht-Lassen jedweder Warnsignale, politische Überheblichkeit und bewusste Missachtung der Mitgeschöpfe.

Doch das ist nicht alles. Dass Tierschutz eben auch Menschenschutz bedeutet, zeigt uns wiederum das Verschweigen der heiklen Lage. Mitten in der Informationsgesellschaft Sachsen-Anhalts bekommen Sie keine Information über die Ansteckungsgefahr für die Menschen, die durch MKS besteht. Darauf werde ich in meinem Debattenbeitrag noch zurückkommen.

Was wir heute einbringen, hätte eine verantwortungsbewusste Landesregierung für sich selbst in Auftrag geben müssen. Das Land Sachsen-Anhalt muss es sich letztlich verbitten, für Transite von Lebendtieren benutzt zu werden, und das dauerhaft und nicht nur zeitweilig.

Das Land Sachsen-Anhalt soll dies für ganz Deutschland vorschlagen. Aus Sachsen-Anhalt soll die Aufforderung an die Bundesregierung ergehen, national eine sofortige flächendeckende MKS-Schutzimpfung anzuordnen und darüber hinaus in der restlichen EU eine solche einzufordern.

Meine Damen und Herren! Wir haben schon längst den Eindruck, dass man diese Landesregierung im Bund eben nicht ernst nimmt. Dann tun Sie einmal etwas ernst zu Nehmendes, wie das andere Bundesländer gelegentlich im Alleingang tun, wenn Anlass dafür gegeben ist. Wollen Sie Sachsen-Anhalt wieder durch Nichtstun ein Stückchen sterben lassen? Die Aussage „Wir können nichts tun, weil wir in Europa einen freien Markt haben“, ist inzwischen nun wirklich antiquiert und einer Landesregierung unwürdig.

Die Maximalstrecke für Tiertransporte ist sowohl aus der Sicht des Tierschutzes als auch aus der Sicht des vorbeugenden Seuchenschutzes sofort auf ein Regionalmaß herunterzufahren. Der Ferntransport lebender Tiere darf in naher Zukunft nur noch eine genehmigungspflichtige Ausnahme sein.

Das Modell der regionalen, transparenten Produktion von Fleisch, wie von uns favorisiert, wird dabei äußerst effektiv sein. Erzeugung und Verarbeitung liegen räumlich eng beieinander, lange Transportwege der Schlachttiere und damit unnötige Qualen der Geschöpfe werden von Anfang an nicht benötigt und das kontrollierte Endprodukt kann ohne nennenswerte Gefahren transportiert werden. Die räumliche Trennung von Einzelpopulationen behindert in hohem Maße eine flächendeckende Übertragung der Seuchen von Art zu Art.

Erneut haben wir, auf welchen Umwegen auch immer, eine durch Versäumnisse und Fehlentscheidungen eingeleitete, im Grunde unnötige Katastrophe auszufinanzieren. Es wurden Verzerrungen durch eine verfehlte EU-Agrarpolitik geschaffen, die zu extrem hoher Tierdichte in manchen Regionen Europas und zu Betrieben mit gigantischen Tierbeständen geführt haben.

Meine Damen und Herren! Nichts gegen große Herden mit hohen Tierbeständen, die artgerecht gehalten werden. Wenn das aber zu unsinnig langen Tiertransporten führt, lauert das beschriebene Problem schon wieder. Die Politik muss sich deshalb folgende entscheidenden Fragen stellen lassen: Warum hat die EU unter diesen von ihr geförderten Umständen im Jahr 1991 das Impfen gegen MKS verboten und warum bläst diese Landesregierung in das gleiche „Seuchenhorn“? Wie viel Seuchen kann man als Marktbereinigung verkaufen? Wie viele Lügen werden noch geglaubt?

Seit Februar dieses Jahres haben mehr als 1 200 Lebendtiertransporte, aus den Niederlanden kommend, die grüne Grenze passiert. Der Virus lässt sich nicht am Scheunentor verhaften, er ist schnell, effektiv und anpassungsfähig - eben anders als die EU-Politik, die Bundespolitik und die Landespolitik. Da sagt man „Vorübergehend bitte keine Tiertransporte durch Deutschland“, das ist alles, „Schutzimpfungen wollen und dürfen wir nicht“. Keine Chance für Experten, die sich für eine flächendeckende Schutzimpfung aussprechen.

Neben dem Präsidenten des Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, und der nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn fordert auch der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, vorsorglich Schutzimpfungen. Ringsum Bewegung - in Sachsen-Anhalt herrscht Funkstille. Wir haben die Gendatenbank erfunden und zum Patent angemeldet. Davor haben die Erreger keine Angst.

Die Vorgaben aus Euroland sind klar - Frau Künast ordnet sich nun doch unter -: Impfen nur zur Eindämmung, danach das geimpfte Vieh trotzdem abschlachten, sich lieber nicht an der EU verbrennen.

Oskar-Rüdiger Kahl, der Seuchenspezialist an der Universität München, will die im Jahr 1991 eingestellte vorbeugende Impfung wieder einführen. Nur dank der Impfung sei die Seuche in Deutschland zwischen 1967 und 1991 besiegt worden, sagte er dem „Stern“.

Das einzige Argument, das dagegen spricht, ist nicht logischer Natur, sondern ist die Erpressbarkeit Deutschlands durch die EU. Der Fingerzeig aus Brüssel kann gar nicht eindeutiger sein: Wenn ihr vorbeugend impft,

geltet ihr als MKS-Land und dann machen wir euch dicht. Keine Exporte mehr in die EU und basta.

Drei Dinge lehrt uns diese Situation:

Erstens. Die Bundesrepublik wird zunehmend fremdregiert.

Zweitens. Deutschland ist erpressbar.

Drittens. Die falschen Politiker vertreten uns willenlos in Brüssel und werden von vielen willenlosen Kollegen in den Bundesländern unterstützt. Die Untätigkeit ist dabei von Bundesland zu Bundesland verschieden; den Barometerstand von Sachsen-Anhalt kennen wir.

Meine Damen und Herren! Es zeugt von außergewöhnlichem Starrsinn, heute noch zu glauben, dass Deutschland trotz der weltweiten Verbreitung von MKS-Stämmen und deren Einschleppung durch Tiertransporte, aber auch durch Reisende ohne vorbeugende Schutzimpfung auf Dauer MKS-frei bleibt. Wir sind erst am Anfang eines gewaltigen Problems, nicht am Ende. Ich bin auch gespannt, wie lange sich das Gesundheitsministerium noch herauszuhalten gedenkt.

Fest steht: Die großen politischen Fehlleistungen weniger schütten ihre Ergebnisse über alle aus. Das ist die Ungerechtigkeit und die Lehre zugleich. Die Irrtümer aber zuzugeben und eine Umkehr einzuleiten, fordert ehrliche Politiker und tapfere dazu; denn die Lösung wachsender Probleme auf der Straße wollen wir nicht.

(Beifall bei der FDVP)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Bevor ich zur Debatte aufrufe, freue ich mich, Damen und Herren der Berufsbildenden Schulen II, Fachgymnasium Stendal, in unserem Hause herzlich begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion in der Reihenfolge PDS, DVU, CDU, SPD und FDVP vereinbart worden. Als Erstem erteile ich für die Landesregierung Minister Herrn Keller das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende des Einbringungsbeitrages ist Ehrlichkeit von Politikern eingefordert worden,

(Frau Krause, PDS: Tapferkeit!)

in dieser Tirade, die hier eben abgelassen worden ist. Was daran ehrlich gewesen ist, das wage ich nicht zu beurteilen. Es ist ein Kauderwelsch von irgendwelchen Vorstellungen gewesen, die überhaupt nicht zu akzeptieren sind.

(Zustimmung bei der SPD, bei der PDS und von der Regierungsbank)

Wenn Sie sich einmal Rechenschaft über das ablegen, was Sie alles erzählt haben, Herr Wolf, dann müssen Sie wirklich einmal in sich gehen und die Frage nach der Ehrlichkeit an sich selber stellen.

Denn Fakt ist, dass es mit der Impfpolitik der Europäischen Union von 1990 bis zum Jahr 2001 keinen Ausbruch von MKS gegeben hat. Fakt ist unter anderem

auch, dass die derzeit in einigen Ländern Europas grassierende Seuche mit Sicherheit nicht durch die Tiertransporte durch Sachsen-Anhalt verursacht worden ist und durch ein Verbot auch nicht hätte vermieden werden können.

(Frau Wiechmann, FDVP: Das wollen wir aber mal festgeschrieben haben, Herr Keller! - Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

- Schreien Sie doch hier nicht herum, sondern stellen Sie sich den Fakten! - Die Seuche ist aus Asien über Speisen, über Fleisch, das von dort eingeführt worden ist, nach Großbritannien eingeschleppt worden.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)