Protocol of the Session on April 5, 2001

Die CDU räumt ein, dass sich die Rahmenbedingungen in den zurückliegenden Jahren verändert haben. Seit dem 1. Januar 1995 ist das von der CDU geschaffene Pflegeversicherungsgesetz prägend für die sozialmedizinische Versorgung geworden. Mit diesem Gesetzeswerk ist eine weitere Säule der Sozialversicherung geschaffen worden.

Ferner hat unsere damalige Bundesregierung durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts im Juni 1996 den § 93 d in das Bundessozialhilfegesetz eingefügt. Aus verschiedenen Gründen konnte das Bundesarbeitsministerium die in § 93 d Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes erteilte Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung nicht nutzen. Daher war die Landesregierung aufgefordert, einen Rahmenvertrag gemäß § 93 d Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes abzuschließen.

Während die Mehrzahl der anderen Bundesländer bereits seit Januar 1999 einen Rahmenvertrag geschlossen hat, brauchte Sachsen-Anhalt dafür zwei Jahre länger, nämlich bis zum 29. November 2000. Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist der Rahmenvertrag nunmehr auch in Sachsen-Anhalt in Kraft.

Man sollte meinen, mit dem Pflegeversicherungsgesetz und dem Abschluss des Rahmenvertrages gemäß § 93 d Abs. 2 BSHG sei für das Land Sachsen-Anhalt eine entscheidende Verbesserung für die Hilfeempfänger erreicht worden.

Auf Frage 9, in welcher Höhe Mittel für den Ausbau der Werkstätten für Behinderte zur Verfügung gestellt wurden, teilt die Landesregierung mit, dass in dem Zeitraum von 1990 bis 1994 unter der CDU-geführten Landesregierung bereits 45 % aller in den zehn Jahren ausgegebenen Mittel bereitgestellt wurden. Die CDU hat Bundesmittel in Höhe von 75 Millionen DM mit Landesmitteln in Höhe von insgesamt 70 Millionen DM kofinanziert.

Demgegenüber schaffte es diese Landesregierung in sechs Jahren lediglich, rund 20 Millionen DM aus dem eigenen Landeshaushalt für diesen Zweck aufzubringen. Wenn auch die Landesregierung in sechs Jahren so viel Geld investierte wie die CDU-geführte Landesregierung in vier Jahren, so hat sie seit 1995 die notwendigen Landesmittel zu 90 % durch Bundesmittel nach dem Investitionsförderungsgesetz Ost substituiert.

(Zuruf von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Vergleicht man die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben aus dem Landeshaushalt, dann wird deutlich, dass die SPD pro Jahr Mittel in Höhe von 3,3 Millionen DM ausgibt, während die CDU jährlich 17,5 Millionen DM bereitgestellt hat. Diese Zahlen nenne ich nur, um klarzustellen, wer wirklich bereit ist, soziale Taten zu vollbringen. Die CDU hat dies jedenfalls unter Beweis gestellt.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU - Minis- terin Frau Dr. Kuppe: Das war in der ersten För- derperiode, Frau Liebrecht! Wir haben den Soli- darpakt I! - Herr Bischoff, SPD: Wie man nur so vergleichen kann!)

Weiterhin ist Folgendes anzumerken: Der Liga-Fachausschuss Behindertenhilfe kommt in Einklang mit dem Ausschuss für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung zu dem Ergebnis, dass die Fortschritte im Enthospitalisierungsprozess als sehr kritikwürdig angesehen werden müssen. Es wird konstatiert, dass der Enthospitalisierungsprozess in weiten Teilen noch nicht umgesetzt ist. Der Landesregierung wird bescheinigt, es fehle die fachpolitisch geplante kontinuierliche Arbeit am Aufbau eines flächendeckenden Netzes differenzierter Versorgungsangebote. Fachleute sprechen daher nicht von einer Enthospitalisierung, sondern von einer Umhospitalisierung.

Das Ziel, ambulante Angebote aufzubauen, setzt aber voraus, dass mit dem Abbau der spektakulär hohen Zahlen stationärer Plätze begonnen wird und dass die Gelder, die dadurch frei werden, in die neu zu schaffenden ambulanten Strukturen investiert werden.

Ebenso wird kritisiert - dies wird von der CDU-Fraktion genau beobachtet -, dass in den Jahren 1998 und 1999 mehr als 70 % der für die Enthospitalisierung zur Verfügung gestellten Mittel in das liebste Kind von Frau Dr. Kuppe, in die Salus gGmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Landes, geflossen sind.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Herrn Dr. Reh- hahn, SPD)

Die Bevorzugung eines Leistungserbringers beweist, dass der Landesregierung die klaren Umsetzungsideen für eine qualifizierte sozialmedizinische Versorgung fehlen; denn mit einem bevorzugten Anbieter ist eine flächendeckende Netzplanung so gut wie unmöglich.

(Beifall bei der CDU)

Wir fordern daher die Landesregierung auf, den Handlungsbedarf beim Aufbau teilstationärer und ambulanter Versorgungsangebote nicht nur zu sehen, sondern auch entsprechende Maßnahmen folgen zu lassen.

Kommen Sie bitte zum Ende, Frau Liebrecht. Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen.

Der letzte Satz: Ich kann mich daher den Worten des Kollegen Herrn Dr. Nehler aus dem Jahr 1994 anschließen, dass die Landesregierung eine Perspektivplanung nicht erkennen lässt.

(Zustimmung von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

Ebenso ist nicht erkennbar, welche Ziele die Landesregierung -

(Zustimmung von Herrn Scharf, CDU)

Sie haben gesagt, Sie sprechen den letzten Satz, Frau Liebrecht. Sie haben um eine Minute überzogen.

(Die Rednerin verlässt das Rednerpult - Zustim- mung bei der CDU)

Die Fraktion der DVU hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Deshalb erteile ich der Abgeordneten Frau Lindemann für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte, Frau Lindemann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Liebrecht, so manches von dem, was Sie hier kundgetan haben, können wir von der SPD-Fraktion weiß Gott nicht nachvollziehen. Ich denke, über die Summen, die Sie genannt haben, könnten wir uns vielleicht nachher noch einmal unterhalten. Die Mittel, die die Landesregierung für die Enthospitalisierung eingesetzt hat, sind nicht in der Weise schlechtzureden, wie Sie es getan haben. Wir sind auf einem guten Weg.

Die Perspektiv- und Netzplanung wurde im Jahr 1994 von der Landesregierung vorgelegt. Es sollten damit neue Strukturen der sozialmedizinischen Versorgung geschaffen werden. Für den Behindertenbereich, der in der Großen Anfrage hauptsächlich angesprochen wird, wurden von 1990 an sukzessive Strukturänderungen vorgenommen, angefangen bei den Werkstätten für Behinderte, über diesen Werkstätten angegliederte Wohnheime, die stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenpflege bis hin zu teilstationären und ambulanten Angeboten für Behinderte.

Die stufenweise Umsetzung musste dem steigenden Bedarf angepasst werden. Gleichzeitig sollten Fehlbelegungen abgebaut und zukünftig vermieden werden. Der planerische Bedarf an stationären Plätzen in der Altenhilfe wurde im Jahr 1994 noch mit 2,5 Plätzen auf 100 Bürger im Alter von 65 Jahren und darüber berechnet. Diese Quote konnte nicht gehalten werden.

Man ging zwar davon aus, dass die Nachfrage nach stationären Plätzen zurückgehen würde, und zwar in dem Maße, wie teilstationäre und ambulante Strukturen aufgebaut werden würden; ganz wie erhofft hat es sich aber nicht entwickelt. Einige Landkreise und kreisfreie Städte benennen höhere Versorgungsgrade als bedarfsdekkend, nämlich 3,5 Plätze auf 100 Bürger im Alter von 65 Jahren und älter.

Sicherlich muss die Netzplanung der demografischen Entwicklung Rechnung tragen. Aber ist diese Quote wirklich berechtigt?

(Zustimmung von Frau Krause, PDS)

Meiner Meinung nach ist in einem Anpassungsprozess die ständige Überprüfung der vorhandenen Strukturen

im Hinblick auf die Umsetzung des Grundsatzes „ambulant vor teilstationär vor stationär“ ganz entscheidend.

(Zustimmung von Frau Krause, PDS)

Leider ist es in einigen Kommunen unseres Landes nicht so. Eine bedarfsgerechte Unterbringung ist oft nicht zu erkennen, aber genau das muss die Grundprämisse der Netzplanung sein.

Der Auftrag, die Unterbringung bedarfsgerecht sowie gemeinde- und wohnortnah zu gestalten, wird meiner Meinung nach unzureichend erfüllt. Ich denke, gerade an diesem Punkt muss angesetzt werden. Das geht allerdings nur in einem Miteinander von örtlichem und überörtlichem Träger der Sozialhilfe, und zwar im Interesse von behinderten und alten Menschen. Hierbei ist eine enge Kooperation mit den Kommunen notwendig, die ich leider zurzeit vermisse.

Die Pflichtaufgaben, die die Träger der örtlichen Sozialhilfe hierbei haben, werden unzureichend wahrgenommen und vielfach einfach weitergeschoben. Das zeigt sich leider auch daran, dass - nachdem die jahrelange, übrigens freiwillige Förderung des Landes zum Aufbau ambulanter Plätze weggefallen ist - die Zahl der ambulant betreuten Wohnplätze rückläufig ist. Jetzt sage niemand, es müsse erst wieder Geld folgen. Der kommunale Finanzausgleich bringt nämlich diese Mittel.

Ich will an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen, zumal diese Problematik auf dieser Landtagssitzung noch einmal angesprochen werden wird. Entscheidend ist, dass die Perspektiv- und Netzplanung nicht zum Selbstzweck betrieben wird, sondern dazu dient, Integrationsmöglichkeiten zu stärken und gerade Menschen mit Behinderungen ein so weit wie möglich selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Frau Krause, PDS, meldet sich zu seiner Zwischenfrage)

Danke sehr.

(Herr Dr. Eckert, PDS: Hier!)

Frau Abgeordnete Lindemann, es gibt eine Frage an Sie. Sind Sie bereit zu antworten? Ich habe das zu spät gesehen. - Bitte, Frau Krause, stellen Sie Ihre Frage.

Natürlich ist es erwähnenswert, dass das Land über Jahre hinweg eine Finanzierung mitgetragen hat. Das erkennen wir hoch an; das wollen wir auch nicht kleinreden.

Frau Lindemann, stimmen Sie mir darin zu, dass sich vor dem Hintergrund, dass der Finanzausgleich für die Kommunen in jedem Jahr gekürzt wurde - wenn auch nicht so drastisch wie jeweils angedacht -, die Frage erhebt, ob die im Rahmen des Finanzausgleiches bereitgestellten Mittel dann auch für die Erfüllung dieser Pflichtaufgabe ausreichen?

Zufällig stattete gerade gestern der Finanzminister meinem Wahlkreis einen Arbeitsbesuch ab. Er wies anhand des Zahlenmaterials nach, dass genau das, was Sie jetzt vorbringen, nicht stimmt. Ich denke, dem muss man auch so Rechnung tragen. Wenn man sich die Zahlen

genau ansieht, dann stellt man fest, dass das, was Sie behaupten, einfach nicht stimmt.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Scharf, CDU: Welche Haushaltsmittel haben Sie eingesetzt in den letzten Jahren? - Herr Dr. Bergner, CDU: Schlagende Argumente, hammerhart! - Herr Scharf, CDU: Hammerhart!)

Danke sehr. - Für die FDVP-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Weich. Bitte, Herr Weich, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Landesregierung strotzt vor Selbstgefälligkeit hinsichtlich der bereits geleisteten Arbeit. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Die Fragestellung geht auch weit an der eigentlichen Problematik vorbei. Somit ist eine zufrieden stellende Antwort eigentlich nicht zu erwarten gewesen.

Befragt man zu diesem Thema zum Beispiel Behindertenverbände und die Verbände der Wohlfahrtspflege, so bleiben doch erhebliche Mängel und Beanstandungen zurück. Die Werkstätten für Behinderte sind nur teilweise gut bzw. sehr mangelhaft ausgestattet, ganz zu schweigen vom Fachpersonal.

(Unruhe bei der PDS - Herr Hoffmann, Dessau, PDS: Woher nehmen Sie Ihre Erkenntnisse?)

Diese Einrichtungen sind außerdem noch nicht immer ortsnah integriert, sodass längere Anfahrtswege notwendig sind.