Protocol of the Session on January 26, 2001

Herr Minister, würden Sie eine Frage von Frau Bull beantworten?

Ja, das mache ich.

Bitte, Kollegin Bull.

Herr Minister, ich will mir jede Ironie und auch den Zynismus verkneifen, weil ich denke, dass es in dieser Debatte nicht um die Verunglimpfung von Arbeitslosen und Empfängerinnen von sozialen Leistungen des Staates geht, sondern dass es sich um eine grund-legende Debatte handelt.

Deshalb frage ich Sie: Wie wollen Sie es erreichen bzw. wie soll es gelingen, angesichts von reichlich 267 000 Erwerbslosen in diesem Land auf der einen Seite und von reichlich 9 000 als frei gemeldeten Stellen auf der anderen Seite durch Motivationsschübe bei denen, die erwerbslos sind, die Anzahl der angebotenen Stellen signifikant zu erhöhen, es sei denn - meine zweite Frage -, Sie wollen den Vorlauf für ein umfassendes Angebot an Arbeitsplätzen im Niedriglohnsektor schaffen?

(Zustimmung bei der PDS - Zuruf von Herrn Kühn, SPD)

Ich möchte darum bitten, dass ich den begonnen Punkt zu Ende führen darf. Aber die Frage beantworte ich natürlich.

Zunächst ist es so, dass wir in verschiedenen Bereichen, gerade im Bereich neuer Technologien, auch über Umfragen festgestellt haben, dass eine Arbeitskräftenachfrage im vierstelligen Bereich besteht, die nicht gedeckt werden kann. Wir müssen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt enger zusammenbringen.

Recht haben Sie darin, dass die Zahl der ausgewiesenen Stellen stark von der Zahl der Arbeitslosen abweicht und dass wir allein durch die Besetzung der freien Stellen die Probleme nicht lösen können.

Ich biete gern Gespräche zu punktuellen Themen an. Wir werden das nicht auf sich beruhen lassen. Es gibt auch Ansatzpunkte, wo man etwas tun kann. Es geht am Ende darum, mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen, und um gar nichts anderes. Dieses Ziel sollte nicht übersehen werden.

(Zuruf von Frau Stange, CDU)

Ich wäre dankbar, wenn ich meinen Vortrag nunmehr zu Ende führen könnte.

Wenn wir uns nicht verdeutlichen, in welch hartem internationalen Wettbewerb wir stehen, dann können wir uns im Grunde genommen schon von der Idee verabschieden, an ein westdeutsches Niveau, was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit angeht, heranzukommen. Wir können keine Reserven verschenken. Dabei ist das

Engagement der Bürgerinnen und Bürger im Grunde genommen der Hauptmotor. Das müssen wir über die Motivation schaffen. Von daher ist klar, wie umfangreich die Anstrengungen sein müssen.

Es darf aber kein Tabu sein, darüber zu sprechen, dass es Leute gibt, die sich engagieren, und andere, die sich weniger engagieren. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über Anreizsysteme reden, über finanzielle Anreizsysteme, und auch darüber, welchen Stellenwert die Arbeit in den Köpfen wirklich genießt. Ich sehe manchmal eine Diskrepanz zwischen der Engagiertheit, mit der über Arbeitslosigkeit gesprochen wird, und der Bereitschaft, wirklich selbst etwas zu tun. Ich pauschalisiere nicht; das sind die Beobachtungen, nicht nur von Einzelbeispielen.

Die Frage ist also: Wie können wir es schaffen, dass Menschen, egal ob in Ost- oder Westdeutschland und egal ob mit oder ohne Arbeit, mehr Engagement und mehr Eigeninitiative aufbringen, um den Herausforderungen der Globalisierung die Stirn zu bieten? Darüber werden wir Sozial- und Wirtschaftspolitiker hoffentlich gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern in den nächsten Monaten und Jahren intensiv nachdenken müssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Da der Herr Minister ganz leicht überzogen hat, werde ich auch bei anderen Rednern ganz leichte Überziehungen tolerieren.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Schülerinnen und Schüler der Francke-Sekundarschule Halle in unserem Hause herzlich begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Fikentscher.

(Oh! bei der CDU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Meinungsäußerungen, die man nicht beliebig verkürzen kann, ohne dass sie missverständlich, unverständlich oder gar falsch werden. Und es gibt Themen, die man in der Hoffnung auf eine sachliche Diskussion nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt in die öffentliche Debatte bringen sollte. Das muss man wissen oder lieber schweigen, als einer solchen Gefahr zu erliegen. Insofern kritisiere ich das Interview unseres Wirtschaftsministers Matthias Gabriel.

Eine ausgedehnte und emotionale Folgediskussion war unvermeidlich und wohl auch notwendig. Die heutige Landtagsdebatte gehört dazu. Wir begrüßen die Diskussionen und werden dem CDU-Antrag zustimmen.

Es muss offen und öffentlich erklärt werden - der Minister hat heute einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet -, was tatsächlich gedacht und gemeint war, oder was in einem Diskussionsprozess neu bedacht werden muss. Es muss auch deutlich werden, was wohl begründet war oder zurückzuweisen ist.

Ich meine das Ergebnis vorwegnehmen zu können, indem ich sage, dass am Ende deutlich sein wird, dass es sich nicht um einen Politikwechsel der Landesregierung und der sie tragenden SPD-Fraktion handelt.

Ich stelle jedenfalls für meine Fraktion fest, dass wir keinen Politikwechsel bei der Umsetzung der Interes- sen der ostdeutschen Länder beabsichtigen, dass die Schließung der Infrastrukturlücke und die Wirtschaftsförderung im Land Sachsen-Anhalt noch über viele Jahre erfolgen muss und dass selbstverständlich die Mittel des zweiten Arbeitsmarktes weiterhin effektiv eingesetzt werden müssen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sind auch der Ansicht, dass unsere Sozialpolitik in ihren wesentlichen Grundzügen nicht geändert werden darf. Allerdings werden wir uns weiterhin ständig darum bemühen, die Instrumente den Verhältnissen anzupassen und nach neuen Wegen zu suchen, die der Gesamtsituation Rechnung tragen.

Ich habe in dieser kurzen Debatte weder die Zeit noch die Neigung, auf die vielfältigen Reaktionen auf den Artikel im „Spiegel“ näher einzugehen. Es ist jedoch festzustellen, dass die öffentliche Kritik - wenigstens nach meinem Eindruck - überwog, auch wenn ich den Beifall beim Neujahrsempfang der IHK Magdeburg noch sehr wohl im Ohr habe. Die Beifallsspender waren sich hoffentlich darüber bewusst, dass ihre Unternehmen zu einem erheblichen Teil durch Fördermittel entstanden und auf diese auch weiterhin angewiesen sind.

(Unruhe bei und Zurufe von der CDU)

Nun mache ich vier Bemerkungen zu dem Artikel.

Erstens. Ich halte - der Minister hat dies inzwischen auch deutlich gemacht - den Zeitpunkt für denkbar ungünstig, weil gleichzeitig schwierige Verhandlungen über Fragen des Solidarpaktes II, des Länderfinanzausgleichs und anderes geführt werden und der Eindruck entstand, wir zweifelten die Notwendigkeit der Fortführung der Ostförderung an.

Natürlich muss es zulässig sein, über längerfristige Fragen der Ostförderung nachzudenken. Natürlich werden wir sie 20 oder 30 Jahre nach der Einheit Deutschlands in der Form nicht mehr haben und so nicht mehr fordern können. Das steht aber im Jahr 2001 nicht auf der Tagesordnung.

Zweitens. Bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist die Lage umgekehrt. Die Diskussion liegt im Grunde hinter uns. Wir brauchen sie, und zwar noch lange. Seit einigen Jahren hat sich aber vieles grundlegend geändert. Die Zeit der großen Gesellschaften ist vorbei. Das meiste Geld aus diesen Kassen fließt bereits heute in den ersten Arbeitsmarkt, sodass pauschale Vorwürfe aus der Vergangenheit heute nicht mehr erhoben werden dürfen.

Drittens. Es ist wohl unstrittig, dass wir weiterhin und vielleicht konsequenter dafür werben müssen, dass sich die Eigeninitiative der Menschen in unserem Lande weiterentwickelt.

Hinsichtlich der Arbeitslosen, die zwar in dem Artikel im „Spiegel“ nicht namentlich genannt sind, aber bei dem gezeichneten Bild selbstverständlich gemeint sein müssen, möchte ich nur zwei einfache Zahlen nennen, die heute schon erwähnt worden sind. Im November 2000 gab es in Sachsen-Anhalt 255 000 registrierte Arbeitslose und 10 500 offene Stellen, also 25 Arbeitsuchende für eine freie Stelle.

Selbst wenn jeder einzelne Arbeitslose fähig und bereit wäre, jede beliebige Arbeitsstelle anzunehmen, blieben

von 25 immer noch 24 erfolglos zurück. Sie werden den Vorwurf der mangelnden Eigeninitiative als Kränkung empfinden müssen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS)

Viertens. Nach allen Erfahrungen mit plastischen Ausdrücken ist anzunehmen, dass uns das gezeichnete Bild von Menschen, die ihre Kissen in die Fensterbank legen und zuschauen, noch über Jahre bei verschiedenen Diskussionen präsentiert werden wird.

Das bedauere ich, weil es zwar gewiss Menschen gibt, die sich so verhalten, weil aber gerade jene sich vermutlich weniger ertappt oder gar motiviert fühlen werden als die vielen, die nicht gemeint sein können und zu Recht gekränkt sein müssen. Ich begrüße, dass unser Wirtschaftsminister dies klargestellt hat.

Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen. Unsere Zustimmung zu dem Antrag der CDU-Fraktion begründet sich aus der Notwendigkeit, unsere Politik noch einmal zu erläutern, weil an ihrer Geradlinigkeit durch den Artikel im „Spiegel“ öffentliche Zweifel aufgekommen sind.

In den Ausschusssitzungen sollte die Gelegenheit sein, Missverständnisse - sofern es sich um solche handelt - auszuräumen und über ernsthafte Fragen auch ernsthaft zu diskutieren. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Kollege Fikentscher hat jetzt den Nachschlag genutzt. Er steht natürlich auch Herrn Wiechmann von der FDVPFraktion zu. Bitte schön, Sie haben das Wort.

(Frau Theil, PDS: Ich hätte eine Anfrage!)

- Eine Nachfrage? - Moment, Kollege Wiechmann. - Herr Fikentscher, würden Sie noch eine Anfrage von Frau Theil beantworten?

Wenn es gewünscht ist.

Sie wünscht es. Es hängt von Ihnen ab, ob Sie diese Frage beantworten wollen. Bitte schön.

Herr Fikentscher, ich akzeptiere Ihre Ausführungen bis zu einem Punkt. Meinen Sie wirklich, dass es nur ein ungünstiger Zeitpunkt des Interviews war, oder denken Sie nicht auch, dass die Aussage grundsätzlich - so klar und deutlich ist es heute eben nicht von unserem Minister herübergekommen - so nicht getroffen werden kann?