Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon wieder EU, schon wieder Ärger - das prägt. Ich möchte an dieser Stelle hinzufügen, dass Deutschland vom dritten Platz im Weltindex im Jahr 1992 auf den 14. Platz im Jahr 2000 abgerutscht ist. Im Weltindex sind ausgesuchte Daten wie Arbeitslosigkeit, Bruttoinlandsprodukt, Schulwesen und Lebensunterhaltung des betreffenden Landes enthalten.
Es erscheint geradezu paradox, dass gerade in Deutschland, dem Hauptzahlmeister der EU, die meisten Prüfverfahren für Beihilfefälle an Unternehmen stattfinden
und hier wiederum im Land Sachsen-Anhalt. Gerade die neuen Bundesländer sind aufgrund der Reprivatisierung von ehemaligen Staatsbetrieben am meisten von der unerträglich langen Prüfzeit betroffen.
Seit Jahresbeginn gelten EU-weit die Leitlinien zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten. Umstrukturierungsbeihilfen dürfen in der Regel nur einmal gewährt werden. Die neuen Bundesländer hatten seit der Einheit einen Sonderstatus inne. Bis zum 31. Dezember 2000, bis vor wenigen Tagen, wurde der Grundsatz der Einmaligkeit von Umstrukturierungs- und Rettungsbeihilfen auf die neuen Länder nicht angewendet. Die Europäische Kommission trug damit dem Umstand Rechnung, dass die meisten Erstprivatisierungen den Sprung in die Marktwirtschaft nicht schafften.
Die Europäische Kommission hat für 198 Zweitprivatisierungen Zuschüsse genehmigt. Lediglich für aussichtslose Sanierungen sind keine Zuschüsse genehmigt worden. Herausragendes Beispiel ist die Zahlung von Zuschüssen an alle sechs Nachfolgefirmen des in Konkurs gegangenen Magdeburger Schwermaschinenbaukombinats Sket. Für dieses wurden insgesamt Beihilfen in Höhe von 3 Milliarden DM ausgereicht.
Das Land Sachsen-Anhalt bedarf weiterhin - wie alle anderen neuen Bundesländer - der höchsten Regionalbeihilfen aus dem EU-Haushalt.
Meine Damen und Herren! Man kann es nennen, wie man will, die Europäische Union ist Bürokratie in Reinstkultur. Dort sind 19 862 Mitarbeiter beschäftigt bzw. beschäftigen sich mit irgendetwas. Wir kennen die komödienhaften Beispiele Abmessung für Obst, für bäuerliche Misthaufen, für gerade und krumme Bananen und Gurken. Das ist einfach unverzichtbar. Zurzeit gibt es einige Hunderttausend Vorschriften, Anleitungen, Reglementierungen usw.
Ein kleiner Lichtblick am Rande: Ab 1. Januar 2001 gibt es Gruppenerleichterungen bei Subventionen an kleine und mittlere Unternehmen. Immerhin! Für Zahlungen des Bundes oder des Landes entfällt damit das langwierige Prüfungs- und Genehmigungsverfahren bis zu einem bestimmten Höchstbetrag.
Zurzeit gibt es in den Ländern der Europäischen Union 19,4 Millionen Arbeitslose. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat der Europäische Rat im Juni 1997 an die Spitze der Prioritätenliste gesetzt. Immerhin! Hier scheint der Hase im Pfeffer zu liegen.
Es gibt in Sachsen-Anhalt zwei Betriebe, die durch die Brüsseler Mühlen ausgehungert worden sind. Es handelt sich hierbei - es wurde schon mehrfach gesagt - um den Kranbau Köthen und die Zemag Zeitz.
Der Kranbau Köthen beschäftigte vor der Wende 3 900 Mitarbeiter. Nach der zweiten Privatisierung mit dem Investor Georgsmarienhütte stieg die Anzahl der Mitarbeiter von 47 auf derzeit 206. Die Firma schreibt schwarze Zahlen; für dieses Jahr sind Aufträge in Höhe von 50 Millionen DM eingegangen.
Die Europäische Kommission hatte nach mehr als zweijähriger Prüfung die Beihilfen in Höhe von 27,8 Millionen DM genehmigt. Die Höhe der Kosten der zweijährigen Prüfung wird inzwischen die Höhe der Beihilfen erreicht haben. Endlich wurde der Weg für die endgültige Übernahme durch die Georgsmarienhütte Holding frei und der Kranbau Köthen hat eine vorerst gesicherte Zukunft.
Die Krise der Zemag Zeitz ist etwas anders geartet. In der Bewertung der Wirtschaftskraft belegt der Burgenlandkreis einen der letzten Plätze in Sachsen-Anhalt. Die Arbeitslosenquote liegt bei knapp 19 %. Dieser Betrieb befindet sich nunmehr zum dritten Mal in der Gesamtvollstreckung.
Zemag hatte im Dezember 2000 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, da die Banken keine Kredite mehr ausreichten. Dies wurde durch die Zweifel der EU an der Rechtmäßigkeit der gewährten Beihilfen in Höhe von 26,6 Millionen DM hervorgerufen. Die Lohnrückstände für die 160 Mitarbeiter betragen 950 000 DM. Aufträge liegen für drei Monate vor. Die Prüfung durch die EU-Kommission dauert auch hier wie im ersten Fall schon fast zwei Jahre.
Damit ist der vorliegende Antrag allein schon durch die Sachlage mehr als begründet. Er erhält unsere Zustimmung. Aufweichenden Änderungsanträgen stimmen wir natürlich nicht zu. - Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Problem kann nicht losgelöst von der Europapolitik insgesamt gesehen werden. Der Verlauf der Diskussion zeigt das. Das, was viele vor zehn Jahren nicht wussten oder sich nicht vergegenwärtigten, ist die Tatsache, dass sich die Bürgerinnen und Bürger der DDR mit dem Beitritt zur BRD zugleich in die Europäische Gemeinschaft und die hier geltenden Rechtsverhältnisse begeben haben.
Zu den positiven Erfahrungen und Bedingungen zählen unter anderem die problemlose Einreise in die Länder der EU und die Teilnahme an finanziellen Förderungen regionaler, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen durch die EU. Zu den Risiken, die sich in den Regionen mit dem Beitritt zur EU ergeben haben, zählt neben dem umstrittenen Euro, der fehlenden Vereinbarung der Mitgliedstaaten zu sozialen Standards und dem ungenügenden Einfluss des Europaparlaments der Umstand, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Rechte an die EU abgegeben haben.
Das bekommen in unserem Land derzeit jene Betriebe und deren Beschäftigte zu spüren, die wegen einer oftmals kritikwürdigen und regelrecht schlechten Privatisierung durch die Treuhandanstalt den Weg der Zweitprivatisierung oder eines Investorwechsels gehen mussten. Ich erinnere nur an die Management-KGs, die Lintra Holding, an SKL, Landtechnik Schönebeck, Zemag und Mafa Halle. Alle diese Fälle beschäftigen uns. Eine Ursache dafür liegt in der miesen Treuhandpolitik.
In diesen Fällen versagt die Brüsseler EU-Kommission oft die wiederholte Gewährung staatlicher Beihilfen oder leitet lange Prüfverfahren ein, die einer erfolgreichen Arbeit auf den hart umkämpften Märkten überhaupt nicht dienlich sind. Darin sind wir uns völlig einig.
Völliges Unverständnis über solche Entscheidungen oder über deren Verzögerung ist die verständliche Folge. Es stellt sich allerdings die Frage: Sind die Wettbewerbshüter in Brüssel in diesem Zusammenhang zu Recht als Buhmänner Europas anzusehen?
Die EU-Kommission stützt sich bei ihrem Vorgehen auf den EG-Vertrag. Artikel 87 Abs. 1 des EG-Vertrags zufolge sind staatliche Beihilfen grundsätzlich mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar. Gemäß Artikel 88 des EG-Vertrags ist die EU-Kommission zur Kontrolle staatlicher Beihilfen verpflichtet. Dennoch sind Ausnahmen zulässig. Durch ein umfangreiches Regelwerk ist das Verfahren zur ausnahmsweisen Gewährung staatlicher Beihilfen festgelegt, zum Beispiel in den Leitlinien für die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten; so heißt der Titel dieser Leitlinie.
Das EU-Recht ist mit Zustimmung der nationalen Regierungen und Staaten entstanden, auch mit Zustimmung der Bundesrepublik, damals unter CDU-Führung. Das darf nicht vergessen werden.
Die Übertragung der Verantwortung für die Durchsetzung der Beihilferegelung auf die Europäische Kommission ist damit verbunden. Ihr Entscheidungsermessen legt die Kommission in Kontakt mit den Mitgliedstaaten in für diese verbindlichen Leitlinien fest. Das Recht auf direkte Mitwirkung der Länder oder des Bundes an Entscheidungen der EU in Beihilfesachen gibt es quasi nicht.
Nach unserer Meinung sind bei dem Beitritt der DDR zur BRD vor zehn Jahren die spezifischen Probleme der Transformation von der staatlichen Planwirtschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft ungenügend oder gar nicht beachtet worden, auch nicht die später daraus gewonnenen Erkenntnisse. Dafür sind an erster Stelle die Bundesregierung und die sie tragenden parlamentarischen Mehrheiten verantwortlich.
Mit der Treuhandpolitik der Bundesregierung wurde ein Ausverkauf der ostdeutschen Wirtschaft betrieben, statt faire Chancen im Wettbewerb zu schaffen. Diese Geburtsfehler dürfen nicht vergessen werden.
Wir tun unseren Leuten keinen Gefallen, wenn wir hier auf den europäischen Bürokraten herumhacken. Natürlich werden dort Fehler gemacht. Das geschieht bei uns auch. Aber die Ursachen sind nie zu vergessen,
„Die Treuhandanstalt hat die Strukturanpassung der Wirtschaft an die Erfordernisse des Marktes zu fördern,“
„indem sie insbesondere auf die Entwicklung sanierungsfähiger Betriebe zu wettbewerbsfähigen Unternehmen und deren Privatisierung Einfluss nimmt. Sie wirkt darauf hin, dass sich marktfähige Unternehmen herausbilden und eine effiziente Wirtschaftsstruktur entsteht.“
Dieses nationale Recht hätte nach unserer Meinung in angemessener Form in das EU-Recht aufgenommen werden müssen. Dies ist nicht erfolgt.
Das Mindestziel muss heute darin bestehen, mit der EUWettbewerbskommission eine volle Ausschöpfung der Ermessenspielräume des geltenden Rechts zu erreichen
und damit chancenreichen Unternehmen und ihren Beschäftigten eine Zukunft zu geben. Dies ist Sache der Bundesregierung. Die Landesregierung muss dies mit Nachdruck fordern, aber auch mit eigener engagierter Arbeit stärker unterstützen. Dies erwarten die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu Recht.
Die Erfahrungen der neuen Bundesländer, insbesondere Sachsen-Anhalts, müssen unseres Erachtens mit Blick auf die Osterweiterung der EU Beachtung finden und im EU-Recht verankert werden. Den Mitgliedstaaten der EU muss daran gelegen sein, dass der Transformationsprozess der Marktwirtschaft in den mittel- und osteuropäischen Staaten ohne katastrophale soziale Verwerfungen verläuft und Europa den neuen Mitgliedstaaten reale Chancen für eine stabile Entwicklung bietet. Hierbei kann Sachsen-Anhalt aus eigenen Erfahrungen vieles in den weiteren Prozess der europäischen Entwicklung einbringen.
Wir werden dem Änderungsantrag der SPD zustimmen, nicht weil wir den Antrag der CDU für falsch halten, sondern weil er an einigen Stellen unscharf ist. Herr Gürth, darin wird ausgeführt:
Die Berichterstattung bietet die Chance, dass wir darüber ganz intensiv reden und uns Klarheit darüber verschaffen. - Ich danke Ihnen.
Danke sehr. - Den Standpunkt der SPD-Fraktion trägt die Abgeordnete Frau Budde vor. Bitte, Frau Budde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gürth, zunächst herzlichen Dank dafür, dass Sie das Niveau in der Europadebatte wieder auf eine sachliche Ebene geholt haben. Bei den Beiträgen vorher, die aus Ihrer Fraktion und aus einigen anderen Fraktionen kamen, hatte ich eher das Gefühl, wir begeben uns auf das Niveau der Plakate, die von der CDU vorgeschlagen worden sind.
Eben weil Sie diese Debatte so sachlich geführt haben und weil ich weiß, was Sie eigentlich mit dem Antrag wollen, hätte ich mir gewünscht, dass Sie es genau so hineingeschrieben hätten.
(Starke Unruhe bei der CDU - Herr Dr. Daehre, CDU, hält erneut ein Schriftstück hoch - Frau Stange, CDU: Das ist SPD-Niveau! - Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)
- Wollen wir uns jetzt über das Thema unterhalten oder wollen Sie sich über irgendetwas aufregen? Dann kann ich gern so lange warten.