Protocol of the Session on January 25, 2001

Von den Broschüren, die Mitte November gedruckt worden sind, war schon die Rede. Das war damals der Endpunkt der Entwicklung. Wenn Sie solch eine Broschüre heute zu lesen bekommen, dann werden Sie feststellen, dass kaum noch etwas von dem, was darin steht, zutrifft - und das innerhalb von sechs Wochen. So schnell ist die Entwicklung, wenn es darum geht, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich sage ganz deutlich: Es gibt eine Reihe von Umständen, die nicht anders zu lösen sind, als es jetzt vorgeschlagen wird. Der Dissens zwischen unseren Vorstellungen und dem, was Herr Riester jetzt vorgelegt hat, ist Woche für Woche kleiner geworden.

Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, morgen wird die CDU-Fraktion im Bundestag diesen Entwurf ablehnen. Sie wird aber auch sagen, wenn der Entwurf in den Vermittlungsausschuss kommt, wird darin noch viel Bewegung sein und man wird sich deshalb in mancher Hinsicht einig werden können.

Noch ist ein breiter Konsens nicht völlig ausgeschlossen. Es muss aber an einigen Stellen noch Bewegung hineinkommen; denn das, was sie kritisch gesagt haben, was vor allen Dingen die Altersversorgung der Frauen und das methodische Verfahren einer privaten Altersvorsorge betrifft, ist noch so unklar und verwaltungstechnisch noch so monströs, dass es mit Sicherheit von uns noch nicht mitgetragen werden kann. Das Prinzip, eine gemeinsame Lösung für eine Reform dieses sozialen Versicherungswerkes zu finden, ist aber bisher noch nicht aufgegeben worden.

Nun kommen Sie mit diesem Antrag und Ihren Vorstellungen. Wissen Sie, ich kann dazu nicht allzu viel sagen. Manches wäre richtig schön.

Schon zu dem Begriff der bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung stellt sich die Frage, nach welchem Bedarf wir uns richten wollen. Ich kenne Ihren Bedarf nicht und Sie kennen meinen nicht, aber mir fiele allerhand ein, wenn ich nach meinem Bedarf gefragt würde; das muss man einmal sagen. Was soll denn das?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU - Heiterkeit bei der SPD)

Natürlich muss es eine Grundsicherung für Menschen geben, die sonst unversorgt wären - das gibt es auch jetzt schon bei der Sozialhilfe. Wenn Sie aber sagen, wir machen einen Rentenanspruch, mit dem garantiert wird, dass jeder etwas bekommt, zwingt Sie das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes dazu, auch einem Millionär eine Grundsicherung zu zahlen. Das ist anders nicht zu machen. Wenn Sie das ausschließen wollen, müssen Sie eine Bedürfnisprüfung voranstellen und erst einmal fragen, ob das Bedürfnis da ist.

(Herr Schomburg, CDU: Das haben wir doch schon!)

Das haben wir schon in der Sozialhilfe. Es bestand auch in der Rentenrunde bei Herrn Blüm - ich war wochenlang dabei - die Absicht, die Sozialhilfestrukturen mit der Rentenversorgung für diese Personengruppe zu koppeln. Wir sind aber niemals auf den Gedanken gekommen zu sagen: Jeder muss etwas bekommen, egal ob er noch etwas hat oder nicht.

(Frau Wiechmann, FDVP: Warum nicht?)

Wenn es dann so ist, dass jemand, der vorsorgt und etwas leistet, eine Rente bekommt und derjenige, der das nicht macht, ohne Prüfung der Bedürftigkeit auch etwas bekommt, dann sind diejenigen, die noch etwas machen, dumm. Das wird doch nicht laufen.

(Herr Schomburg, CDU: So ist es!)

Diese Dinge sind noch klärungsbedürftig. Im Moment ist der Gesetzentwurf deshalb für uns noch nicht zustimmungsfähig, weil diese grundsätzlichen Sachen nicht geklärt sind.

Es macht auch keinen Sinn, das in den Ausschuss zu überweisen.

(Herr Schomburg, CDU: Ja!)

Morgen entscheidet der Bundestag. Die SPD wird zustimmen. Ich habe noch nicht erlebt, dass unsere Landesregierung im Bundesrat etwas abgelehnt hat, nur weil dieser Landtag ein solches Votum abgegeben hätte.

(Beifall bei der CDU)

Aber, meine Damen und Herren, ich bin ja offen, weil ich auch gern mit der PDS diskutiere. Das macht mir Freude. Wenn Sie einen solchen Antrag nur deshalb in den Ausschuss haben wollen, damit wir wieder einmal miteinander diskutieren können - also, mir macht das Freude. Das will ich ganz ehrlich sagen. Dagegen habe ich nichts.

Wenn Sie dann mit Ihrer finanzpolitischen Wunderwaffe kommen, der Wertschöpfungsabgabe - ja, mein lieber Mann, wo haben wir das nicht schon überall gehört, angefangen bei der Steuerreform. Überall, wo Geld gebraucht wird, kommen Sie mit Ihrer Wertschöpfungs- abgabe!

Herr Professor, ich weiß, dass Sie schlau genug waren, Ihr Brillenetui auf diese Lampe zu legen,

(Heiterkeit im ganzen Hause - Beifall bei der CDU)

aber ich habe die Zeit trotzdem im Blick und bitte Sie, Ihre Rede zu beenden, so spannend ich sie auch finde.

Frau Präsidentin, Sie merken aber auch alles!

Meine Damen und Herren! Ich weiß, dass ich jetzt aufhören muss und ich werde es auch tun.

Wenn es eine Mehrheit für die Überweisung gibt, bin ich gerne bereit, dies im Ausschuss weiter zu diskutieren. Dann machen wir das aber nur für uns, nicht mehr für die Sache. In dieser Hinsicht gäbe es keinen Grund, dies zu tun. Dann wäre es sinnvoll, diesen Antrag abzulehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Kollegin Dirlich, Sie haben noch einmal das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte noch einmal auf einige Dinge eingehen.

Kommt der Antrag zu spät? - Wenn wir von diesem Landtag aus tatsächlich Einfluss hätten und wenn wir sicher sein könnten, dass unsere Diskussionen im Landtag Einfluss auf die Diskussionen auf der Bundesebene gehabt hätten, käme er tatsächlich zu spät. Wir wissen aber, dass es eigentlich nur noch darum gehen konnte, unsere grundsätzlichen Differenzen klar zu machen, und ich finde, dazu sollte uns die Zeit auch nicht zu schade sein. Zum Umgang mit dem Antrag kann ich auch noch etwas sagen.

Was die Einbeziehung der sozialen Grundsicherung in den jetzigen Rentenreformentwurf betrifft, so stimme ich Ihnen zu, dass dort die Worte „auf Sozialhilfeniveau“ stehen.

Die Definition von Armut, die nicht in Deutschland erfunden wurde, lautet, dass derjenige arm ist, der weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung bezieht. Das sind zurzeit in der Bundesrepublik Deutschland 1 425 DM. Wenn eine Definition von Armut gelten soll und wenn die Renten armutsfest gemacht werden sollen, kann aus unserer Sicht das Sozialhilfeniveau dazu nicht als Orientierung dienen. Genau deshalb steht diese Forderung noch einmal drin.

Was die Bedarfsorientierung betrifft, so ist es natürlich richtig, dass keiner den Bedarf des anderen genau beziffern kann; aber die Bedarfsorientierung heißt in diesem Falle nichts anderes - das besagt übrigens auch der Rentenreformentwurf der SPD -, als dass jemand nachweisen muss, dass er Bedarf daran hat, seine Rente bzw. sein Einkommen im Alter durch eine staatliche Leistung aufstocken zu lassen. Etwas anderes wird hier gar nicht gesagt.

Trotzdem denke ich, dass es eigentlich darum gehen müsste, vom Sozialhilfeniveau wegzukommen und Armut im Alter zu verhindern.

(Beifall bei der PDS)

Die Rückkehr zur Nettolohnformel: Es mag ja sein, dass Sie es so bezeichnen. Sie findet trotzdem nicht statt, weil wir es mit einer neuen, modifizierten Bruttolohnformel zu tun haben, von der in Zukunft nur noch die Beiträge zur Altersvorsorge abgezogen werden und eben nicht mehr die Beiträge in andere Sozialversicherungskassen oder aber die Lohnsteuer.

Wenn wir davon ausgehen, dass beispielsweise die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sinken sollen, und wenn wir davon ausgehen, dass die Lohnsteuer aufgrund der Steuerreform sinken soll, wird sich dadurch das Nettoeinkommen logischerweise erhöhen, und diese Erhöhung des Nettoeinkommens wird eben nicht mehr an die Rentnerinnen und Rentner weitergegeben. Deswegen ist die Behauptung, dass Sie zur Nettolohnformel zurückkehren, schlicht und einfach nicht ganz richtig.

Was die Entwicklung der Beitragssätze und die Frage nach der Belastung durch die demografische Entwicklung anbetrifft: Die Beitragssätze haben sich von 14 % im Jahre 1960 auf 20 % Ende der 90er-Jahre, also um sechs Prozentpunkte, erhöht. Wenn man die Entwicklung der Beitragssätze ohne Reform zugrunde legt, so wird für das Jahr 2030 ein Beitragssatz von 23,6 % vorausgesagt. Das sind 4,5 Prozentpunkte mehr als heute. Wir haben in den letzten Jahren aber eine Erhöhung um sechs Prozentpunkte verkraftet.

Deshalb muss die Frage gestattet sein, ob diese Hysterie angesichts der demografischen Entwicklung nicht fehl am Platze ist. Niemand leugnet die demografische Entwicklung. Wir fragen allerdings, ob die Belastung der Unternehmen und die Belastung der Gesellschaft durch diese demografische Entwicklung richtig eingeschätzt wird.

Die Löhne sind bekanntermaßen die Bemessungsgrundlage für die Beiträge. Seit 20 Jahren steigen die Löhne aber langsamer als die Produktivität. Das heißt, die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, also alles zusammen, nicht nur zur Rente, sind seit dem Jahre 1975 relativ konstant bei ca. 11 % der Bruttowertschöpfung geblieben - und das bei all den Zahlen, die ich vorhin genannt habe, also bei einer Verdoppelung der Zahl der Rentnerinnen und Rentner, bei einer Veranderthalbfachung der Rentenlaufzeit und bei einer Erhöhung des Rentenniveaus von 60 auf 70 %. Das war alles möglich und trotzdem ist die Belastung nicht über 11 % der Bruttowertschöpfung gestiegen.

Deshalb fragen wir - wie ich glaube, mit Recht -, ob die Belastung in den nächsten 30 Jahren tatsächlich so sein wird, wie sie prognostiziert wird, und vor allen Dingen, ob diese Belastung es rechtfertigt, aus der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungskassen auszusteigen. Wir fragen, ob ein um 1,8 Prozentpunkte höherer Beitragssatz für die Unternehmen tatsächlich ausreichend ist zur Begründung dafür, eine solche so genannte zweite Säule einzuführen.

Die betriebliche Altersversorgung ist wahrhaftig nur ein Weg, und wenn die Unternehmen die Möglichkeit haben, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf andere Wege zu schicken und damit ihren Beitrag zu einer solchen betrieblichen Altersversorgung zu sparen, dann dürfen Sie doch dreimal raten, ob die Unternehmen diesen Weg gehen werden oder nicht.

Kollegin Dirlich, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Wenn Sie das Vertrauen in die Rente wiederherstellen wollen, muss man fragen dürfen, ob angesichts eines zukünftigen Rentenniveaus, bei dem eine Arbeitnehmerin, die 75 % des Durchschnittsverdienstes erzielt, in Zukunft ca. 40 Jahre lang Beiträge leisten muss, um eine Rente auf Sozialhilfeniveau zu bekommen, das Vertrauen in die Rente tatsächlich gestärkt wird.

Wir werden über dieses Thema sicherlich weiter diskutieren. Ich glaube, dass wir uns heute zu einer Entscheidung durchringen sollten und dass wir uns dann natürlich im Ausschuss darüber unterhalten können, was die Ergebnisse waren, wie wir uns zu den Diskussionen stellen, die im Vermittlungsausschuss oder wo auch immer notwendig sind. Heute sollten wir uns zu einer Entscheidung zu diesem Antrag durchringen. Einer Ausschussüberweisung werden wir uns nicht anschließen. - Danke.

(Zustimmung bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Debatte und kommen zum Abstimmungsverfahren zur Drucksache 3/4080.

Von der SPD-Fraktion wurde die Überweisung in den - so nehme ich an - Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales empfohlen. Ich lasse zunächst über diesen Überweisungsantrag abstimmen. Wer stimmt der Überweisung zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?

Ich muss die Abstimmung wiederholen. Wer stimmt einer Ausschussüberweisung zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Es bleibt weiterhin so knapp. Mit einer knappen Mehrheit wurde der Überweisungsantrag abgelehnt.

Es ist über den Antrag selbst abzustimmen. Wer stimmt dem Antrag zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden.

Meine Damen und Herren! Bevor ich den Tagesordnungspunkt 18 aufrufe, möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Würden Sie den Tagesordnungspunkt 19 noch heute abarbeiten wollen? - Gibt es eine prinzipielle Ablehnung, diesen Tagesordnungspunkt heute noch zu behandeln? Wer lehnt das ab? - Dann hat sich das er- ledigt. Wir behandeln ihn morgen.