Protocol of the Session on January 25, 2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sagten, die Drogenproblematik sei um 10 % gestiegen. Eine steigende Tendenz der Drogenproblematik registriert auch die Suchtberatungsstelle „Aufbruch“. „Jahr für Jahr steigt die Zahl der Hilfesuchenden stetig an“, sagte der Suchtberater. Herr Minister Püchel sagt hierzu:

„Sachsen-Anhalt ist nach Einschätzung von Innenminister Manfred Püchel, SPD, zu einem Umschlagplatz für Rauschgift geworden. Wer Drogen sucht, bekommt sie flächendeckend im ganzen Land, sagte der Minister.“

So nachzulesen in der „Volksstimme“ vom 10. Januar 2001.

(Beifall bei der FDVP)

Wer angesichts dessen sagt, wir haben hier keine Drogenprobleme, dem kann ich nur sagen: Vielleicht haben wir noch nicht genug Heroinabhängige. Aber glauben Sie, dass das Problem um Sachsen-Anhalt einen Bogen macht? Die Mauer gibt es nicht mehr. Oder meinen Sie, dass Heroin um Sachsen-Anhalt einen Bogen macht? Ich glaube das nicht.

Und noch etwas: Seit den 90er-Jahren wurden die letzten Forschungen dazu gemacht. Warum soll Sachsen

Anhalt nicht einen anderen Weg gehen? Warum soll man nicht das eine tun, ohne das andere zu lassen? Es soll geprüft werden, in welchem Maße Drogenausstiegsprogramme vorhanden sind. Erst dann, wenn der Selbstausstieg im Rahmen eines wissenschaftlichen Auftrages gesichert festgestellt ist, können sorgfältige Ausstiegsprogramme dort praktiziert werden, wo der Ausstieg über eine Therapie zu erfolgen hat. Die derzeitigen Ausstiegsprogramme laufen häufig ins Leere, weil der Selbstausstieg, der keiner begleitenden Therapie bedarf, hier nicht festgestellt wurde. Deshalb haben wir unseren Antrag zum selbst organisierten Ausstieg aus der Abhängigkeit von der Droge Heroin vorgelegt.

Die bisher vorgelegten Untersuchungen waren bei der Deutung und Erklärung für den Prozess des Herauswachsens oder Herausreifens zumeist auf Spekulationen angewiesen. Lassen Sie mich deshalb noch ein Beispiel nennen und noch einmal auf unseren Antrag zurückkommen.

Auch die Studien, die 1983 in Deutschland durchgeführt und von den Fuldaer Professoren Braun und Gekehler geleitet wurden, waren auf Spekulationen angewiesen. Innerhalb der Arbeit des Projektes kam es zu Kontakten mit Heroinbenutzern, die ihren Konsum ohne professionelle Hilfe überwunden hatten.

Beide Autoren begreifen die Überwindung der Heroinabhängigkeit als das Ergebnis eines Prozesses der Auseinandersetzung des abhängigen Menschen mit seiner Abhängigkeit und seinen Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Als Antrieb für diese Auseinandersetzung wurden das Bedürfnis nach erweiterter Kontrolle über die eigene Lebenssituation und das Bedürfnis nach solidarischer Gestaltung eigener Lebensgrundlagen genannt.

Das erklärte Ziel der Studie war es damals, Näheres über den Prozess des Von-selbst-Aufhörens zu erfahren. Es wurden 35 Personen gefunden, die zu den Vonselbst-Aufhörern gehörten. 33 waren zu Interviews bereit. Die meisten führten damals für ihren Entschluss zum Ausstieg geistig-psychische Gründe, darüber hinaus soziale und schließlich auch sittlich-moralische Gründe an.

Meine Damen und Herren! Der Ausstieg wird hier als ein Prozess der Emanzipation gesehen. Das abhängige Individuum sieht also seine Abhängigkeit als Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit an.

Insbesondere in Bezug auf die Zeit während des Entzuges und danach gaben die meisten Befragten an, besonders auf bestimmte sozialgesellschaftliche, personale und materielle Unterstützungsfaktoren bzw. Ressourcensysteme angewiesen gewesen zu sein.

Die sozialgesellschaftlichen Faktoren erfüllten hier drei wichtige Funktionen für die Bildung des Selbstbewusstseins der Aussteiger.

Erster Faktor: Sie vermitteln Anerkennung, Akzeptanz und Zuneigung in einer als krisenhaft empfundenen Lebensphase.

Zweiter Faktor: Sie sind als Gesprächspartner wichtig zur Befriedigung des empfundenen Bedürfnisses nach Austausch.

Dritter Faktor: Sie animieren den ehemaligen Abhängigen zu Aktivitäten und neuen Aufgaben.

Aber auch die letztgenannten Faktoren bedürfen einer wissenschaftlichen Vertiefung und sollten deshalb Ge

genstand des Forschungsvorhabens sein, sofern unser Antrag Ihre Zustimmung findet.

Lassen Sie mich die Ausführungen zu unserem Antrag mit der Bitte schließen, im Rahmen der beantragten Untersuchung die materiellen Ressourcen für den Selbstausstieg zu beleuchten und die personellen Ressourcen zu umschreiben. Selbstbewusstsein, das Gefühl der Selbstverantwortlichkeit und der Wille zur Selbstdisziplin und Selbstkontrolle sind sicherlich Gesichtspunkte, die zum selbst organisierten Ausstieg aus der Heroin- abhängigkeit führen können.

Somit soll unser Antrag zur Fundierung politischer Maßnahmen beitragen, als solcher er auch anzusehen ist. Wir haben in unserem Antrag klare Fragen gestellt. Diese sollten im Sinne eines wissenschaftlichen Auftrages vertieft beantwortet werden.

Lassen Sie es nicht so erscheinen, als ob das Thema anderen dringenden Fragen im Bereich Drogen weichen musste. Man denke hierbei an die Ersetzung durch die Methadon-Programme. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDVP)

Vielen Dank, Frau Helmecke. - Damit ist die Debatte abgeschlossen. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren.

Ich lasse zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung abstimmen, und zwar in die genannten Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales - ich denke, federführend - sowie für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport. Wer dieser Ausschussüberweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei einer Stimmenthaltung ist die Ausschussüberweisung mit großer Mehrheit abgelehnt worden.

Wir müssen dann über den Antrag selbst abstimmen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit einer großen Zahl von Gegenstimmen abgelehnt worden. Damit ist die Beratung des Tagesordnungspunktes 11 abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung

Weltweite Ächtung und Verbot uranabgereicherter Munition

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/4050

Der Antrag wird eingebracht von der Abgeordneten Frau Wiechmann. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab eine Bemerkung machen. Wissenschaftliche Ausführungen nicht zu verstehen, meine Damen und Herren, ist nicht immer eine Frage des Gehörs. Der Ausweg: Man lacht und hofft, dass dadurch niemand merkt, dass man die Ausführungen nicht versteht. Sollten Sie von der SPD und von der PDS den Inhalt des folgenden Antrages nicht, - oder machen wir es anders herum - sollten Sie ihn verstehen, dann wird die Debatte hier sicherlich ernsthafter verlaufen.

Meine Damen und Herren! Wenn es dem Esel zu wohl ist, dann geht er aufs Eis tanzen. Das alte Sprichwort er

fuhr in diesen Tagen eine Erweiterung, die nicht nur zu belächeln ist: Wenn es dem Scharping zu wohl ist, liegt er mit der Gräfin in der Düne, schaut in den Mond, ist glückselig und vergisst die Welt um sich herum. So könnte man es abwandeln.

(Zuruf von der SPD: So ein Schwachsinn!)

Jedem liebenden Menschen sei ein solcher Zustand auch gegönnt, aber eben alles zu seiner Zeit.

Meine Damen und Herren! Wenn sich Herr Scharping gegenwärtig im siebten Himmel wähnt, aber die von ihm befohlenen Soldaten sich nicht nur im Kosovo-Krieg, sondern auch gegenwärtig auf einem Himmelfahrtskommando befinden, dann, denken wir, wird es höchste Zeit, diesen Dienstherren an seine Verantwortung für seine Schutzbefohlenen zu erinnern.

Nein, meine Damen und Herren, es ist keine Eselei, es ist eigentlich kriminell, wenn der oberste Vorgesetzte in Dünen und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Schwatzrunden turtelt, die dringend gebotene rückhaltlose Aufklärung über eingesetzte Uranmunition aber nicht nur verzögert, sondern in üblicher Salamitaktik nur scheibchenweise durchführt.

Es würde niemanden verwundern, wenn Herr Scharping bei Gottschalk auf dem Sofa gesessen und bei „Wetten dass...?“ den Ahnungslosen gemimt hätte. Aber hier geht es nicht um Wetten, sondern hier geht es um einen Wettlauf mit der Zeit, um schnellstens zu einer Ächtung, zu einem Verbot uranabgereicherter Munition zu gelangen.

Sprechen wir es doch in aller Deutlichkeit aus: Es geht nicht um Pleiten, Pech und Pannen, es geht um das Leben und die Lebensqualität betroffener Menschen und betroffener Regionen.

Die Zeit ist insgesamt nicht ausreichend, um alle Fakten und alle Daten vortragen zu können, die hinreichend belegen, dass getäuscht, getrickst und gedroht wurde, um sich der Wahrheit zu entziehen. Denn, meine Damen und Herren, in zwölf Ländern, darunter auch in Deutschland, wurden Fälle von Soldaten gemeldet, bei denen der Verdacht besteht, dass sie im Zusammenhang mit dem Kontakt mit radioaktiver uranhaltiger Munition auf dem Balkan erkrankt oder gar gestorben sind. Es sind erkrankte oder bereits gestorbene Soldaten aus Italien, Großbritannien, Tschechien, Bulgarien, Spanien, Portugal, Belgien, Frankreich, der Schweiz, Griechenland, Dänemark und eben auch aus Deutschland.

Wohlgemerkt, es sind erste Zahlen, die nicht auf einer Erfassung aller auf dem Balkan eingesetzten Soldaten beruhen. Die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Soldaten betroffen sind, ist weitaus höher.

Hinzu kommen jene Menschen - das wird bewusst weitgehend ausgeklammert -, die von anderen Organisationen, darunter von jenen, die humanitäre Hilfe leisten, eingesetzt wurden und auch noch werden.

Das Schändlichste, meine Damen und Herren, besteht für uns darin, dass jene Menschen - Kinder, Frauen und Männer - überhaupt nicht erwähnt werden, die in den betroffenen Kriegsgebieten lebten und auch noch leben, deren Überlebenskampf es gar nicht zulässt, Krankheitsbilder und Todesursachen systematisch zu erfassen, geschweige denn dass überhaupt eine medizinische Versorgung möglich ist.

Doch die Trickser wissen sich zu helfen. Der Zusammenhang von Erkrankung und Tod mit der Munition wird

als übliche statistische, keineswegs abweichende Größe bezeichnet. Die Fakten werden genutzt, nach Belieben verdreht, um eigenes Versagen zu rechtfertigen.

Ein Beispiel: Ungarns Verteidigungsminister Janos Szabo ordnete gleichwohl eine gründliche Neuuntersuchung ungarischer Soldaten an und reagierte verärgert auf Medienberichte über das Balkansyndrom. Nach Szabos Ansicht besteht keine Gefahr durch abgereichertes Uran. Außerdem fügte er zynisch hinzu: „Natürlich dürfe man zerschossene Panzer nicht streicheln und ablecken oder ihre Trümmer gar aufessen oder als Souvenir aufheben.“

Meine Damen und Herren! Was ministeriell witzig klingen soll, ist für uns menschenverachtend und so einfach nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt bei der Herstellung von Kernbrennstoffen. Die uranabgereicherte Munition besitzt eine besondere Durchschlagskraft und wird vor allem gegen Panzer eingesetzt. Dabei entsteht Uranoxidstaub. Dieser kann auf unterschiedliche Art und Weise weitergetragen und verbreitet werden. Uran und seine Verbindungen geben radioaktive Alphastrahlen ab, die giftig sind und auch mit Lebensmitteln aufgenommen werden können.