Protocol of the Session on December 15, 2000

Die DVU-FL-Fraktion hat nach unserer Auffassung von den Begrifflichkeiten her ungenaue Vorstellungen. Sie grenzt mit dem Terminus technicus „Plebiszit“ die Inhalte der Aussage auf generelle Volksbegehren und Volksentscheide ein.

Wie steht es aber mit den individuellen Volksbegehren und Volksentscheiden? Meine Damen und Herren von der DVU-FL-Fraktion, das Wort „Plebiszit“ ist ein aus dem Lateinischen kommendes Lehnwort für Volksabstimmungen.

(Oh! bei und Zurufe von der PDS - Zuruf von Frau Brandt, DVU-FL)

Es erfasst damit Volksbegehren, Volksentscheide und Volksbefragungen, Frau Brandt. Eine andere begriffliche Ausgestaltung des Wortes „Plebiszit“ ist falsch.

(Zuruf von Frau Brandt, DVU-FL)

Mit Ihrem Begehren an den Landtag fordern Sie etwas, das schon seit dem Jahr 1949 im Grundgesetz geregelt ist. Es gibt tatsächlich, meine Damen und Herren von

der DVU-FL-Fraktion, seit dem Jahr 1949 Plebiszite auf Bundesebene.

In der Begründung für das Begehren einer Bundesratsinitiative zur Einführung von plebiszitären Elementen finden sich auch noch leider unzutreffende Aussagen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schauen Sie sich bitte Satz 1 der Begründung an. Dort heißt es, dass „Plebiszite, das heißt generelle Volksbegehren und Volksentscheide, durch das deutsche Volk gerade in der heutigen Zeit vordergründig werden müssen“.

Das Wort „vordergründig“ wurde hierbei, so glauben wir, nicht richtig verstanden; denn es bedeutet „vorgeschoben, vorgegaukelt, verschlagen, unwahrhaftig“ - dazu müssen Sie nur einmal in den Duden schauen - oder „in einer die wahre Absicht verdeckenden Weise vorgehen“.

(Unruhe bei der SPD und bei der PDS)

Wenn Plebiszite nach dem Verständnis der DVU-FL „vordergründig“ werden müssen, dann ist die Frage, welches hintergründige Ziel damit verfolgt wird.

Ich möchte Sie noch auf eines hinweisen: Das deutsche Volk ist sicherlich ein großes Volk. Darin stimme ich Ihnen zu.

(Lachen bei der PDS)

Das Adjektiv schreibt man aber klein.

(Zuruf von der SPD: O Gott! - Herr Tögel, SPD: Die fünf Minuten sind um!)

Darauf hätten Sie an dieser Stelle achten müssen.

Wir sind für die direkte Demokratie. Das sage ich hier noch einmal. Wir können Ihrem Antrag aber heute trotzdem nicht zustimmen.

(Lachen bei und Zurufe von der PDS)

Wenn wir das täten, würden wir all diesen Mängeln zustimmen. Bis zu einer ordnungsgemäßen Ergänzung enthalten wir uns der Stimme. Bringen Sie den Antrag einfach neu ein.

(Lachen bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Frau Budde, SPD)

Dann könnten wir dem Antrag zustimmen.

Ich denke, die PDS-Fraktion wird eine andere gute Begründung finden,

(Herr Dr. Süß, PDS: Davon können Sie ausge- hen! - Zuruf von Frau Bull, PDS)

warum sie diesem Antrag nicht zustimmt. Darin bin ich mir ganz sicher, Frau Bull; denn auch in Ihrem Programm steht die Befürwortung plebiszitärer Elemente. Das ist doch richtig?

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Es lag alles innerhalb der regulären Redezeit, einschließlich Ihres Applauses.

(Heiterkeit)

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Gallert.

Meine Damen und Herren! Was soll man dazu jetzt noch sagen?

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS - Heiterkeit bei der SPD - Zustimmung von Frau Kauerauf, SPD - Frau Wiechmann, FDVP: Lassen Sie sich etwas einfallen, Herr Gallert! Ihnen fällt doch sonst auch immer etwas ein!)

Das Problem ist, dass man die Diskussion über plebiszitäre Elemente nicht Rechtsaußen überlassen kann. Deshalb habe ich mich nach vorn bemüht.

Wir haben natürlich eine delikate Situation. Wir hatten zu diesem Thema erstmals im Juli 1998 einen Antrag der DVU. Dann hatten wir im Januar 1999 einen entsprechenden Antrag der DVU-Fraktion und jetzt im Dezember 2000 haben wir wieder damit zu tun. Die Intervalle sind wohl so gelegt, dass sich der Landtag in dieser Richtung nicht noch einmal mit einem solchen Antrag beschäftigen muss. Deshalb zum letzten Mal folgende Argumentation:

Wir haben bereits zu dem ersten Antrag gesagt, dass die Diskussion um die plebiszitären Elemente in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt eine sehr fruchtbare Diskussion ist, und zwar deshalb, weil sie mit einem Staatsverständnis aufräumt, das einen seit über 150 Jahren bestehenden sehr traurigen Sonderweg der deutschen Geschichte skizziert, der sehr wohl mit dem Begriff der Obrigkeitsstaatlichkeit zu beschreiben ist.

Daher kommen tatsächlich die großen Misstrauensäußerungen gegenüber plebiszitären Elementen im deutschen Staatswesen. Daher kommt eine Reihe von undemokratischen Traditionen, die sowohl in der DDR als auch insgesamt in den deutschen Staaten im 20. Jahrhundert eine Rolle gespielt haben.

Wie ist heute die Situation? Die Situation ist heute so, dass wir vor allen Dingen in der Bevölkerung eine hohe Aufgeschlossenheit gegenüber der Stärkung plebiszitärer Elemente haben. Das bringen Umfragen immer wieder zum Ausdruck.

Natürlich sind die Politikwissenschaftler gespalten, weil die gleichen Bürger, die auf der einen Seite einen höheren Einfluss plebiszitärer Elemente fordern, auf der anderen Seite viel stärker die Harmonie betonen und den Konflikt in der politischen Auseinandersetzung gar nicht suchen. Wir haben es hier wahrscheinlich auch mit einem psychologischen Phänomen zu tun.

Ich will hierzu Folgendes sagen: Die Stärkung plebiszitärer Elemente bedeutet natürlich auch das Hineintragen und das stärkere Artikulieren politischer Kontroversen in die bzw. in der Bevölkerung. Das bedeutet natürlich, dass in der Bevölkerung selbst politische Kontroversen stärker diskutiert werden, politische Meinungen aufeinander prallen.

Wer jetzt den Eindruck erweckt, hier würde sich ein geschlossenes Volk gegen eine politische Oligarchie richten, der täuscht sich. Nein, wir wollen mit der Stärkung plebiszitärer Elemente - und das ist durchaus eine Sache, über die man positiv diskutieren kann - erreichen, dass diese politischen Kontroversen in der Bevölkerung selbst diskutiert und dort ausgetragen werden.

Jetzt muss ich aus unserer eigenen Erfahrung heraus einmal ganz deutlich sagen: Die Diskussion um die Kinderbetreuung und um die Volksinitiative, egal wie sie ausgeht, ist für mich eine verdammt produktive Ge

schichte gewesen. Als die Volksinitiative einen alternativen Gesetzesentwurf vorgelegt hat, haben wir gemerkt, wie intensiv in der Bevölkerung das alte Gesetz mit dem neuen Gesetz verglichen worden ist und wie in der Bevölkerung diskutiert worden ist. Deswegen denke ich, dass diese produktive Diskussion auch für die politische Landschaft in Zukunft von Vorteil sein wird.

Warum wir einem DVU-FL-Antrag nicht zustimmen, das habe ich hier vor zwei Jahren schon begründet. Das werde ich nicht noch einmal tun.

Wir werden uns auf folgende Dinge konzentrieren - das ist ja bereits in der Öffentlichkeit auch dargestellt worden -: Wir wollen versuchen, die plebiszitären Elemente in unserer Landesverfassung zu stärken. Die Parlamentsreformdiskussion, angeregt durch den Präsidenten, hat dies wieder auf die politische Tagesordnung gehoben. Auf diese Dinge werden wir uns konzentrieren.

Wir wissen auch, dass es auf Bundesebene aus historischen Gründen nicht möglich ist, aber wir wissen natürlich auch, aus welchen Gründen die DVU-FL einen solchen Antrag stellt, und Sie wissen auch, dass wir ihm deshalb nicht zustimmen werden. - Danke.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Bud- de, SPD, und von Herrn Sachse, SPD)

Danke. - Die CDU-Fraktion hatte einen Redebeitrag nicht angemeldet. Aber Sie, Herr Dr. Bergner, haben eine Anfrage an Herrn Gallert. Bitte.

Herr Gallert, Sie haben richtigerweise unsere Erfahrungen mit der Volksinitiative „Für die Zukunft unserer Kinder“ angesprochen. Ich wollte gern einmal Ihre Einschätzung haben, ob Sie denn den Umgang, den die Landesregierung, aber auch manche Kommunalvertretungen und Kommunalverwaltungen mit der Volksinitiative pflegen, als einen angemessenen Ausdruck des Respekts gegenüber plebiszitären Elementen ansehen - im Sinne Ihrer persönlichen oder der Fraktionsbewertung?

Ich will gar nicht verhehlen - das wäre auch nicht angebracht -, dass ich die sehr überspitzte Reaktion verschiedener Vertreter der Landesregierung auf diese Volksinitiative nicht nachvollziehen konnte, und ich habe mich immer sehr schwer damit getan, dass ich sehr wohl gemerkt habe, dass es innerhalb der Landesregierung und innerhalb der SPD nicht wenige Vertreter gegeben hat, die der Meinung gewesen sind, je mehr Protest von da artikuliert wird, umso stärker müssen wir gegenhalten.

Das ist eine Geschichte, die ich als sehr bedauerlich empfunden habe. Aber wir wissen natürlich auch, dass die politischen Auseinandersetzungen in dieser Frage von allen Seiten nicht gerade mit stumpfen Waffen geführt worden sind.

Dann gibt es eine andere Situation, und das ist die, die in den Kommunen eingetreten ist, wo zum Teil beschlossen worden ist, die Auslegung von Unterschriftenlisten zu behindern. Dazu muss ich sehr deutlich sagen - und das hat die PDS vor Ort auch immer getan -, dass diese Dinge ausdrücklich nicht in unserem Interesse

sind, weil sie genau diese inhaltliche Auseinandersetzung behindern und weil sich dann die Auseinandersetzung darauf konzentriert, wo die Unterschriftenlisten ausgelegt werden dürfen und wo nicht. Das Wertvolle an der Diskussion ist aber, dass man sich auf die Frage konzentriert: Ist es wirklich gut, diesen alternativen Gesetzesentwurf zu unterstützen, oder ist es vielleicht gar nicht so produktiv für das, was ich eigentlich will?

Ich sage ausdrücklich - und das haben wir ja auch als PDS immer wieder artikuliert -, dass diese Art der Behinderung der Auseinandersetzung unproduktiv ist, obwohl ich - ich bin auch angesprochen worden in der entsprechenden Kindereinrichtung, wo mein Sohn hingeht - gesagt habe, ich werde diese Unterschriftenliste aus grundsätzlichen Erwägungen nicht unterschreiben, weil ich denke, diese Alternative ist schlechter als das, was wir jetzt haben. Aber ich bin genauso entschieden dagegen, dass man den Eltern die Möglichkeit nimmt, dort zu unterschreiben.

(Beifall bei der PDS)