Protocol of the Session on November 10, 2000

Nicht nur die Freiberufler erbringen Jahr für Jahr wichtige Ausbildungsleistungen, sondern alle Wirtschaftsbereiche sind hiervon betroffen. Das Ausbildungsprivileg auf Freiberufler einzuschwören, bedeutet doch nicht mehr und nicht weniger, als die Leistungen anderer Berufszweige und ihre Tätigkeiten für die Ausbildung zu verdrängen.

Wenn es, wie aus der Überschrift ableitbar, bei der Großen Anfrage der Fraktion der CDU darum geht, die Lage und die Entwicklung der freien Berufe in SachsenAnhalt dargestellt zu wissen, sind die Zahlen der Studienanfängerinnen und Studienanfänger, die nach dem Studienabschluss für eine freiberufliche Tätigkeit befähigt sind, mehr als bemerkenswert. Die Landesregierung schafft es immerhin, die Jahre 1991 bis 1999 mit dem Hinweis auszufüllen, dass die vorgenannten Studienanfänger freiberufliche Fachbereiche belegt hätten und dass ihre Anzahl deutlich angewachsen sei.

Der Leser der Vorbemerkungen der Landesregierung kann nur rätseln, welche Fachbereiche gemeint sind, wo überlaufene Fachrichtungen festzustellen sind, wo Doppelfächer belegt sind, die eine Differenzierung gebieten, und welches Zahlenmaterial beim Adjektiv „deutlich“ zu

grunde zu legen ist, zugrunde gelegt wurde und auf welchen Erkenntnissen es beruhte.

Sich allein auf drei Fachbereiche zu beschränken, ist unseriös. Nicht die Studentenzahl ist maßgebend, sondern die Anzahl der Absolventen. Hätte sich die Landesregierung aber diese Mühe gemacht, wären die angeführten Zahlen für die Fachbereiche Betriebswirtschaft, Architektur und Ingenieurwissenschaften niemals zu Buche geschlagen.

Die Landesregierung hat wohl aus gutem Grund die Rechtswissenschaften aus einer solchen Bewertung herausgelöst; denn spätestens hier hätte sie Farbe bekennen müssen, hätte zugeben müssen, dass nahezu 50 % aller Studienanfänger das Studium der Rechtswissenschaften abbrechen. Meine Damen und Herren! Ich nenne Rechtswissenschaften im Plural; denn „Jura“ ist der Plural von „Jus“.

(Oh! und Lachen bei der SPD und bei der PDS - Zuruf von Frau Budde, SPD)

Wenn man sich aber die Ausweisung der Rechtswissenschaften in den Tabellen näher zu Gemüte führt, wird man feststellen, dass sowohl nach der Auffassung der Fraktion der CDU als auch nach der der Landesregierung Jura zu Jus mutiert ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Auffassungen der Fraktion der CDU und der Landesregierung damit richtiger werden.

Zu den gestellten Fragen ist Folgendes zu bemerken: Frage 1 ist sonderbar beantwortet. Bemerkenswert ist auch die nichts sagende Antwort auf Frage 10 der Großen Anfrage. Frage 11 wurde nicht beantwortet und die Antwort auf Frage 12 engt die Frage auf die Architekten- und die Ingenieurkammer ein. Das ist unlauter und unseriös.

Frage 14 ist wiederum unzureichend beantwortet; denn es gibt eine Nebentätigkeitsverordnung, nach der die genehmigten Nebentätigkeiten erfasst werden müssen.

Frage 15 wurde mit Inhalten beantwortet, die der Landesregierung gerade eingefallen sind. Die Antwort lässt auf eine unsystematische und methodisch unzulässige Arbeit schließen.

Demaskierend ist auch die Antwort auf Frage 16 der Großen Anfrage. Die Förderung der Freiberufler erfolgt danach in der Weise, dass eine gesonderte Förderung selbständiger freiberuflicher Existenzen durch das Land nicht realisiert wird. Zynischer kann man nicht mehr antworten.

Eine Ehrenrettung kann man allerdings der Landesregierung bei der Beantwortung von Frage 17 zukommen lassen; denn die Beantwortung der Frage ist kaum möglich, da die Frage unzureichend und undifferenziert formuliert wurde und auch nicht auslegungsfähig ist, sondern zu Spekulationen Anlass gibt.

Welche administrativen Hürden, meine Damen und Herren von der CDU, soll es denn bei den freiberuflichen Notaren und Rechtsanwälten geben?

Frage 18 wurde nicht beantwortet.

Frage 19 ist eine modifizierte Folgefrage der Frage 16, wobei zur Interpretation der Antwort ein Gesetz herbeigezogen werden muss. Denn der englischen Sprache bedient sich immer der, der nicht mächtig ist, in deutscher Sprache das zu formulieren, was inhaltlich vorgetragen werden soll. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Bevor ich Herrn Montag für die DVU-FL-Fraktion das Wort erteile, freue ich mich, Teilnehmerinnen einer israelischen Frauendelegation in unserem Hause herzlich willkommen zu heißen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Gleichfalls begrüße ich Mitglieder des Kollegiums der Sekundarschule Löderburg. Herzlich willkommen!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Montag, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Freiberufler haben eine große gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung in der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind weder Arbeitnehmer noch Gewerbetreibende. Sie sind einfach Dienstleistende auf einem hohen Niveau.

Wenn man sich die Liste der freien Berufe im Einkommensteuergesetz vom Architekten bis zum Zahnarzt einmal näher ansieht, so kann man unschwer erkennen, warum es diesem Berufsstand in Sachsen-Anhalt nicht besonders gut geht.

Da die freien Berufe in ihrer Mehrheit von Akademikern ausgeübt werden oder von Personen, die eine höhere Ausbildung zur Ausführung ihrer Tätigkeit durchlaufen mussten, macht sich der Mangel von Kundschaft stark bemerkbar. In Zahlen ausgedrückt sind das ca. 20 %. Es sind dies in erster Linie die Geringverdienenden und die Arbeitslosen in unserem Land. Diese überlegen sehr genau, ob es notwendig und bezahlbar ist, sich das Gebiss sanieren zu lassen, oder ob sie den ganzen Frust hierüber mit einem anständigen Schluck aus der hochprozentigen Flasche herunterspülen, was bei weitem nicht so teuer wird.

Wer, meine Damen und Herren, von Arbeitslosigkeit betroffen ist, lebt auf Sparflamme und kann die Dienste der Freiberufler schon aus finanziellen Gründen nicht in Anspruch nehmen.

Weder die Heilberufe noch die Freiberufler in ihrer Gesamtheit wollen staatlich privilegiert oder gar alimentiert werden. Allerdings benötigt man Freiräume und gewisse Rahmenbedingungen, damit sich freiberufliche Eigeninitiative, Risikobereitschaft und Leistungsfähigkeit frei entfalten können.

Eine Möglichkeit dazu wäre, den Progressionsverlauf der Einkommensteuerkurve erheblich abzuflachen und den Spitzensteuersatz auf höchstens 40 % zu begrenzen. Des Weiteren sollte eine erhebliche Aufstockung des vorgesehenen Freibetrages von 100 000 DM, wenn nicht gar die Abschaffung der Steuerpflicht bei Verkäufen von Arztpraxen und Anwaltskanzleien von den Politikern ins Auge gefasst werden. Die Veräußerung ihrer Einkommensquelle ist nämlich von vielen Freiberuflern als Altersversorgung gedacht, und da sollte der Staat nicht mitverdienen wollen.

Eine weitere Möglichkeit, den Freiberuflern zu helfen, wäre, einmal darüber nachzudenken, ob nicht viele Aufgaben von der öffentlichen Hand zu dieser Berufsgruppe hin verlagert werden könnten. Zum Beispiel könnte die Aufgabe der Bußgeldstellen auf diese Berufsgruppe verlagert werden.

Bei 700 000 Freiberuflern bundesweit mit insgesamt 162 000 Auszubildenden, davon 22 400 Freiberuflern

in Sachsen-Anhalt, ist diese Erwerbsgruppe keine Randerscheinung mehr, sondern ein Wirtschaftsfaktor.

Wir wollen die Greencard-Diskussion nicht wieder neu entfachen, doch ist es interessant zu wissen, dass bei den 20 000 freiberuflichen Informatikern 5 000 Ausbildungsplätze nicht belegt sind. Die freiberuflichen Informatiker benötigen nach dem Berufsbildungsgesetz keine Ausbildereignungsprüfung. Dies ist aber bei den registrierenden Kammern immer noch nicht angekommen.

Die Bundesregierung und die Landesregierung sollten deshalb schleunigst die relevanten Vorschriften ändern, um 5 000 jungen Menschen den Weg zu einer hoch qualifizierten Ausbildung zu ermöglichen. - Ich danke.

(Beifall bei der DVU-FL)

Der Abgeordneter Herr Zeidler hat jetzt für die SPDFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ärzte, Architekten, Buchrevisoren, Dentisten, Dolmetscher, Designer - ich könnte diese Aufzählung noch beliebig weiter fortführen -, all diese heterogenen Gruppen sind Selbständige, die freiberuflich tätig sein können. Sie können sich vorstellen, wie unterschiedlich die Probleme und Interessen dieser Gruppen sind.

Als eine wichtige Säule des Mittelstandes sind die freien Berufe in Sachsen-Anhalt in neun Kammern und elf Verbänden - Herr Gürth, ich habe vom Landesverband erfahren, es sind elf und nicht zwölf Verbände - organisiert. Spitzenverband ist der Landesverband der freien Berufe Sachsen-Anhalt.

Während am 3. Oktober 1990 in den neuen Bundesländern nur 16 000 Selbständige gezählt wurden, waren es zu Beginn des Jahres 2000 bereits rund 84 000.

Der Landesverband Sachsen-Anhalt geht davon aus, dass es Ende des Jahres 2000 etwa 23 000 Freiberufler geben wird, die in den so genannten verkammerten Berufen, das heißt Ärzte, Tierärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Architekten, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Notare, Apotheker, und in den so genannten nicht verkammerten Berufen, das heißt den freien Berufen wie Designer, Umweltberater, Psychologen, IT-Trainer, Musiker, tätig sein werden.

Wie aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zu entnehmen ist, können - Herr Gürth, da muss ich Sie ansprechen - präzise Zahlen für die Selbständigen in den freien Berufen nur für die verkammerten Berufe angegeben werden. Das heißt, für die nicht verkammerten Berufe - das werden Sie beim Landesverband auch erfahren haben - gibt es keine präzisen Zahlen. Wegen der Bedeutung der freien Berufe ist es aber erforderlich, dass aufgrund des zu verabschiedenden Bundesgesetzes zur Einführung einer Dienstleistungsstatistik genauere Daten abgegriffen werden können. Die Landesregierung sollte also darauf Einfluss nehmen, dass das Gesetz auf Bundesebene verabschiedet wird.

In Sachsen-Anhalt bewegt sich die Zunahme der Neugründungen Selbständiger in den freien Berufen pro Jahr etwa bei 3,5 % im Gegensatz zu 2,5 % in den alten Bundesländern. Das ist eine ganz positive Tendenz. Das sollten wir auch erwähnen und nicht das Thema schlechtreden.

Die in der Antwort der Landesregierung ausgewiesenen Daten zeigen, dass das Land Sachsen-Anhalt und die Landesregierung auf dem richtigen Weg sind, wobei natürlich konjunkturelle Entwicklungen und Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich einen großen Einfluss haben.

Die freien Berufe in Sachsen-Anhalt sind ein wesentlicher Träger des Wandels von der Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Als ein wichtiger Bestandteil des Mittelstandes sind sie aber auch ein wesentliches und unerlässliches Element der Selbständigkeit, für Innovation und wirtschaftliches Wachstum in Sachsen-Anhalt.

Die freien Berufe - lassen Sie mich aus der Vielzahl die Ärzte, Zahnärzte, Architekten und Steuerberater herausgreifen - sind zum Teil auch mittelständische Unternehmer. Neben der Leistungserbringung in eigener Person und der entsprechenden persönlichen Verantwortung finden versicherungspflichtige Arbeitnehmer von der Sekretärin, dem Ingenieur bis zum Gebäudereiniger Beschäftigung bei den Selbständigen in den freien Berufen. Dabei profitiert dieser Teilarbeitsmarkt von der Wachstumsdynamik gegenüber stagnierenden oder gar rückläufigen Entwicklungen in den anderen Wirtschaftsbereichen.

Seitens des Landesverbandes der freien Berufe wird die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer im Jahr 2000 in Sachsen-Anhalt mit über 95 000 angegeben.

Meine Damen und Herren! Eine vollständige Übersicht über die von den verkammerten und nicht verkammerten freien Berufen zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätze steht wegen des unvollständigen statistischen Materials nicht zur Verfügung. Der Landesverband Sachsen-Anhalt geht aber davon aus, dass die Tendenz steigend ist.

Wie wird der Weg der freien Berufe Sachsen-Anhalts in das dritte Jahrtausend sein? Welche Entwicklungen sind zu erwarten?

Erstens. Langfristige Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung und des Strukturwandels der Wirtschaft erwarten ein weiteres Wachstum des Dienstleistungsbereichs, wobei die höchsten Zuwachsraten unter allen Erwerbstätigen bei den wirtschaftsnahen freiberuflichen Dienstleistungen erwartet werden.

Zweitens. Der Druck des Nachwuchses und der Konkurrenz wird partiell zumindest kurzfristig zunehmen.

Drittens. Die Bedeutung als Arbeitgeber und in der Berufsausbildung wird weiter wachsen.

Viertens. Die Internationalisierung und die Globalisierung nehmen zu. Als Beispiel seien an dieser Stelle Patentanwälte genannt, bei denen eine ausschließlich nationale Berufsausübung insbesondere im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes nicht mehr denkbar ist.