Protocol of the Session on June 23, 2000

Ich möchte noch einige Zahlen nennen. Insgesamt liegt der Anteil der Theater und Museen an den gesamten Kulturausgaben der Länder bei über 58 %. In SachsenAnhalt entfallen 52 % der Landeskulturförderung auf die Theater.

In diesen Zusammenhang fällt ein weiteres gewichtiges Problem. Aufgrund der zunehmenden Knappheit der öffentlichen Haushaltsmittel stehen Landes- und kommunale Kulturpolitik gleichermaßen vor der Herausforderung, neben den Rechtsverpflichtungen die nur noch wenigen verbliebenen Handlungs- und Gestaltungsspielräume zu nutzen und auszubauen. Wenn Landeskulturpolitik aber trotz ausbleibender finanzieller Zuwächse neue Qualitäten bzw. Schwerpunkte setzen will, kommt sie nicht umhin, über die Optimierung bei der Mittelvergabe nachzudenken und deshalb bestehende Strukturen konzeptionell zu hinterfragen. Nichts anderes ist im Grunde Sinn und Zweck einer Landeskulturkonzeption.

Die in den letzten Wochen und Monaten im Ausschuß für Kultur geführten Diskussionen um Kulturkonzeption, Kulturrahmenplanung, Kulturleitlinien können gleichermaßen als symptomatisch wie als wegweisend betrachtet werden, symptomatisch deshalb, weil sich Kulturpolitik insgesamt zur Zeit in einer Phase der Umorientierung befindet, und wegweisend, weil Sachsen-Anhalt mit einer Kulturkonzeption zu einer bundesweit einmaligen Auseinandersetzung um Kulturpolitik und Kulturförderung einlädt.

Wir verstehen den Weg dahin als einen ergebnisoffenen Prozeß, der von der Bereitschaft und der Phantasie aller Beteiligten abhängen wird. Wie verständigen wir uns auf gemeinsame Leitbilder und gemeinsame Ziele? Wir wissen, daß das nicht einfach sein wird; denn es verlangt den Kultureinrichtungen, den Künstlerinnen und Künstlern, den Verbänden und Kulturpolitikern ab, etwas zu tun, nämlich über den eigenen Tellerrand zu schauen und in kulturpolitischen Zusammenhängen zu denken.

In den Diskussionen im Ausschuß ist zu spüren gewesen, daß fast alle den Kopf schon ein ganzes Stückchen über den Tellerrand gehoben haben. Das erfüllt mich mit Zuversicht. Weil das so ist, ist ein solches Unterfangen nur dann erfolgversprechend, wenn sich alle Beteiligten über die Parteigrenzen hinweg treffen und die Zusammenarbeit gewollt ist. Wir müssen uns die gebührende Zeit lassen, wie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen.

Die SPD-Fraktion trägt die Landeskulturkonzeption mit. Wir bitten um Zustimmung zu der Beschlußempfehlung. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Vielen Dank. - Für die DVU-FL-Fraktion hat der Abgeordnete Herr Büchner darum gebeten, seinen Redebeitrag zu Protokoll geben zu dürfen. Ich habe dies angenommen.

(Zustimmung von Herrn Kühn, SPD)

(Zu Protokoll:)

Die DVU-FL-Fraktion begrüßt grundsätzlich die vorliegende Beschlußempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien, hält sie aber in wichtigen Punkten für verbesserungs- und ergänzungsbedürftig.

Zum Zeitplan: Nach dem Zeitplan des Ausschusses soll die Landesregierung bis Ende 2001 die Zustandsbeschreibung und einen Zeitplan zur Erstellung des Kulturkonzeptes vorlegen. Wenn für die Erfassung und Aufbereitung der Daten schon eineinhalb Jahre angesetzt werden, kann man wohl nochmals ein Jahr für die Erarbeitung des Konzeptes und ein weiteres bis zur Umsetzung desselben annehmen. Dies erscheint mir etwas sehr langwierig.

Die Landesregierung sollte durchaus imstande sein, die Zustandsbeschreibung bis Ende 2000 und das Kulturkonzept bis spätestens Frühjahr 2001 vorzulegen.

Der „Bericht zur kulturellen Situation“ soll nach der vorliegenden Beschlußempfehlung nur das erfassen, was bereits offiziell erfaßt ist bzw. besteht und gefördert wird. Um das kulturelle Angebot zu erweitern und interessanter bzw. aussagekräftiger zu gestalten, müssen auch diejenigen Dinge erfaßt werden, die bisher noch keinen Eingang in das offizielle Angebot gefunden haben:

- Erfassung von Bau- und Kulturdenkmälern in Sachsen-Anhalt, die bisher nicht oder unzureichend restauriert und/oder daher noch keinen Eingang in das offizielle Kulturangebot finden konnten; voraussichtliche Kosten der Sanierung bzw. der Bereitstellung für die Öffentlichkeit;

- Erfassung von thematischen, zum Beispiel geschichtlichen Ereignissen, geschichtlichen Persönlichkeiten und mit ihnen verbundenen Leistungen und Wirkungsstätten in Sachsen-Anhalt, die bisher im offiziellen Kulturangebot nicht enthalten sind;

- Erfassung von Kultur- und Naturlandschaften, die bisher ebenfalls nicht oder ungenügend erfaßt, entwickelt und bereitgestellt worden sind.

Das entscheidende bei der Behandlung der Kulturfrage fehlt allerdings in allen Entwürfen: Was ist Kultur, und welchen Zweck soll sie erfüllen?

Die Beschlußempfehlung des Ausschusses enthält dazu sehr ungenaue Angaben. An einer Stelle redet man davon, „humanistische Traditionen lebendig zu erhalten“. Dieser Begriff ist gerade in der heutigen Zeit eine allgemeine, nichtssagende Formulierung, die zumindest einer Konkretisierung bedarf.

An anderer Stelle steht, daß die Definition des Kulturbegriffes „zwingend erforderlich ist“, sie fehlt aber dann wieder in der Auflistung über die Inhalte des Konzeptes.

Wir sind der Ansicht, daß bereits vor Erstellung der Zustandsbeschreibung klar sein muß, was der Landtag bzw. die Landesregierung unter Kultur überhaupt versteht. Vorweg gesagt: Kultur ist keine beliebige Auslegungssache.

Die Kultur erwächst aus der seelischen und schöpferischen Kraft eines Volkes und ist ihr sittlicher Spiegel. Sie umfaßt die materiellen Werte (Ackerbau, Sied- lung, Technik), die sittlichen Werte (Gemeinschaft, Recht, Ethik), die geistig-schöpferischen Werte (Wissen- schaft, Kunst), die Glaubensvorstellungen (Religion),

überlieferte Verhaltensweisen (Sprache, Brauchtum) und die historische Entwicklung (Geschichte). Kultur enthält und bezeichnet stets das Prägende, Kennzeichnende, Wesentliche einer Gemeinschaft, weniger das Sonderliche.

Kultur ist daher die Summe aller schöpferischen Leistungen eines Volkes. Somit sind Kulturschöpfungen immer an das Volk gebunden, das sie aufgrund seiner seelischen und geistigen Veranlagung hervorbringt.

Kulturförderung muß dem Rechnung tragen; denn die Förderung von beispielsweise volksfremder Kultur kann und wird vom Volk nicht wirklich innerlich verstanden und angenommen werden. Genau darum muß es aber bei Kulturförderung gehen: Höher- und Weiterentwicklung der geistigen und seelischen Kräfte der Menschen unseres Volkes.

Krampfhaftes Aufdrücken von fremden Einflüssen, weil dies im Rahmen der Globalisierung und Multikultur angeblich so „modern und tolerant“ ist, zeugt nur von völliger Lebens- und Weltfremdheit. Die Menschen lehnen dies innerlich und auch ganz offen ab.

Gelingt es hingegen, die Seele des Volkes durch gezielte Kulturförderung anzusprechen, so ist dies auch die Voraussetzung zur Bildung einer wirklichen Gemeinschaft.

Für die PDS-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Gebhardt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da das Thema in den Fachausschüssen intensiv diskutiert worden ist und hier im Parlament während der Einbringung der verschiedenen Anträge die Argumente ausgetauscht worden sind, will ich mich recht kurz fassen.

Ich will nur noch einmal betonen, daß die PDS-Fraktion nach wie vor der Auffassung ist, daß in Zeiten, in denen Haushaltskonsolidierung für Bund und Land oberste Priorität genießt, konzeptionelle Überlegungen gerade in der Kulturpolitik des Landes vonnöten sind.

Die Diskussion und vor allem die Anhörung im Ausschuß hat uns in unserem Denken weiter bestärkt. Tatsache ist, daß für den Großteil der angehörten Kulturexpertinnen und -experten nicht die Frage im Mittelpunkt stand, ob, sondern vielmehr wie eine Konzeption sinnvoll zustande kommen sollte.

Ich will noch einmal an das erinnern, was ich im Ausschuß bereits gesagt habe: Eine Grundvoraussetzung für die Erstellung eines solchen Konzeptes ist, daß wir Kultur künftig mehr als ein Querschnittsthema betrachten, also auch als einen wesentlichen Bestandteil der Bildungspolitik, der Sozialpolitik und der Wirtschaftspolitik beispielsweise.

Ich will abschließend nur noch für eine demokratische Erarbeitung und Umsetzung des Landeskulturkonzeptes werben. Wir wollen, daß die Kulturschaffenden des Landes, die Künstlerinnen und Künstler sowie die Träger kulturpolitischer Projekte mit einbezogen werden. Das hat auch der Kultusminister betont.

Ich bitte um Zustimmung zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Professor Dr. Spotka.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will gleich vorweg sagen: Die CDU-Fraktion hat mit dieser Beschlußempfehlung - nicht mit einem Landeskulturkonzept - ihre Probleme. Wenn nämlich das in der Beschlußempfehlung geforderte Landeskulturkonzept mehrheitlich beschlossen werden sollte, dann werden in den kommenden Jahren Ozeane von Tinte verspritzt werden müssen, und zwar, wie ich fürchte, ohne ein diesem Aufwand auch nur einigermaßen entsprechendes Ergebnis.

Die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis eines solchen Kulturkonzeptes stellt sich offenbar. Ich will nur einige Punkte des Berichts- und Planungsauftrages nennen, damit man sich einen Eindruck darüber verschaffen kann, was die Landesregierung alles erarbeiten soll.

Das ist zunächst nicht weniger als eine detaillierte Bestandsaufnahme der auf Landes- und kommunaler Ebene vorgehaltenen Einrichtungen und Angebote unter Berücksichtigung der jeweiligen Trägerschaft, Förderung bzw. Finanzierung sowie deren Frequentierung, und dieses - zweitens - unter Berücksichtigung der Entwicklung der kulturellen Infrastruktur seit Wiedergründung des Landes. Drittens sollen die in den Kommunen veranschlagten Kulturaufwendungen aufgeschlüsselt werden. Außerdem soll eine Bewertung der Kulturangebote nach Altersspezifik, Hoch- und Breitenkulturentwicklung, thematischen und spartenspezifischen Förderschwerpunkten erfolgen.

Bewertung heißt aus meiner Sicht vergleichende Ordnung von Kulturangeboten, Erstellen einer Präferenzordnung für Kulturangebote. Was aber hier gemeint ist, ist offensichtlich eine Klassifizierung, eine Einordnung von Kulturangeboten in Schubfächer. Denn wer sollte vorgenannte Bewertung überhaupt vornehmen?

Dies ist, wie gesagt, nur ein Ausschnitt aus dem Berichtsteil, von dem weiterhin gefordert wird, daß er die differenzierten kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigen müsse. Wie man das machen soll, ist für mich nicht die einzige methodische Frage zu diesem Auftrag. Selbst Professor Mühlberg hat sich in der Anhörung am 26. April außerordentlich skeptisch geäußert, wie zielgenau Bedürfnisinhalte auf kulturellem Gebiet überhaupt ermittelt werden können.

(Beifall bei der CDU)

Dies ist, wenn überhaupt möglich, mit Methoden der Bedarfs- und Marktforschung außerordentlich teuer und außerdem sehr bedenklich.

Alle diese bislang genannten Punkte sollen jedoch nur der erste, gewissermaßen bilanzierende Teil sein, auf dem ein Kulturkonzept fußen soll. Dazu wird zunächst zu Recht eine Schwerpunktsetzung der Landesregierung für die weitere kulturelle Entwicklung des Landes gefordert. Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, über Modelle künftiger Kulturfinanzierung in SachsenAnhalt nachzudenken, auch wenn sich dies nicht gerade so anhört, als ob sich das Land in Sachen Kultur stärker finanziell engagieren wollte.

Aber bringen uns Vorschläge für horizontale und vertikale Vernetzungen oder neue Formen für die ideelle Förderung kulturpolitischer Initiativen von Kommunen oder Institutionen wirklich weiter? Was verbirgt sich eigentlich hinter der Forderung, Mittel und Wege im Land Sachen-Anhalt aufzuzeigen, den Zugang zur Kultur für alle zu ermöglichen? Wem wird denn eigentlich der Zugang zur Kultur vorenthalten?

(Herr Schomburg, CDU: So ist es! - Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Meines Wissens niemandem, jedenfalls nicht bei einem mehr oder weniger landläufigen Begriff von Kultur.

Meine Damen und Herren! Damit bin ich beim eigentlichen Grund unserer Ablehnung, auch wenn der Minister sehr wortreich versucht hat, dieses Problem zu entkräften.

Wenn sich die Landesregierung nicht dagegen wehrt, einen solch umfänglichen Arbeitsauftrag anzunehmen, so ist das zunächst nicht unsere, sondern Sache der Landesregierung. Wenn dann aber ganz im Sinne des PDS-Antrages eine Definition des Kulturbegriffes und des Begriffes Kulturlandschaft Sachsen-Anhalt, von der die Landesregierung auszugehen habe, gefordert wird, so stimmt uns das außerordentlich nachdenklich, Herr Minister. Eine solche Definition ist im günstigsten Falle schwammig genug, um folgenlos zu bleiben. Anderenfalls droht uns eine Einengung, die niemandem, schon gar nicht einer Landesregierung zusteht.

(Beifall bei der CDU)

Eine Landesregierung kann und sollte durchaus sagen, welche kulturellen Anstrengungen sie selbst unternimmt, welche sie fördern will und welche nicht. Aber was berechtigt eine Landesregierung zu einer Definition dessen, was Kultur sein soll?