stand, wenn Sie behaupten, die evangelische Kirche schleiche sich aus dieser Arbeit davon. Das ist einfach zu verkürzt dargestellt; es stimmt einfach nicht.
Es geht in der Sache darum, daß das Projekt „Brunnen“, das seit Dezember 1991 tatsächlich Teil der akzeptierenden Jugendarbeit ist, vor dem Aus steht. Dieses Aus ist aber kein Aus der offenen sozialdiakonischen Jugendarbeit in Magdeburg selbst, nur leider das Aus eines erfolgreichen Projektes, das so nicht fortgeführt werden kann.
Die evangelische Kirche hat die nicht einfache Arbeit mit den rechtsorientierten Jugendlichen nach meiner Auffassung erfolgreich durchgeführt. Sie hat sich aber gleichzeitig mit dem Projekt „Knast“ am Moritzplatz der mehr autonom orientierten Szene gewidmet. Es kann also von Einseitigkeit keine Rede sein.
Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen - Herr Gärtner, hören Sie bitte genau zu -: Ihre absurden Vorwürfe haben natürlich die Diskussion, das Klima und die Arbeitsweise dieses Jugendklubs erheblich verschärft.
Es ist Ihr „Verdienst“, daß Sie mit dazu beigetragen haben, daß der örtliche Träger jetzt vor einem nur sehr schwer zu lösenden Problem steht. Das ist so.
Ich habe oft den Eindruck, daß Sie beide sich brauchen, um sich gegenseitig die Bälle an dieser Stelle wunderbar zuzuspielen. Die Jugendlichen, die unsere Hilfe benötigen, bleiben auf der Straße. Aber wenn es in das ideologische Konzept paßt, kommt es auf Menschen nicht an.
Meine Damen und Herren! Man muß akzeptieren, daß die evangelische Kirche, wenn sie Trägerin eines so schwierigen Projektes ist, darauf bestehen kann, daß sie als Tendenzbetrieb bestimmt, daß der Leiter der Einrichtung auch einer der Kirchen angehört. Dies ist in den Ausschreibungsunterlagen vermerkt worden. Es hat sich leider niemand gefunden.
Auf die Ausschreibung von zwei offenen Stellen im mehr linksorientierten „Knast“ haben sich 15 Bewerber gemeldet. Für die eine sozialpädagogische Stelle im „Brunnen“ hat sich niemand gefunden. Es hat sich zwar ein Sozialarbeiter gemeldet, dieser war aber dafür nicht geeignet.
Es wäre vollkommen falsch, anzunehmen, man könnte mit ABM-Kräften oder mit angelernten Kräften diese schwierige Arbeit machen. Dann wäre es keine sozialpädagogische Arbeit mehr. Dann müßte man einen Hausmeister anstellen, der die Tür auf- und zuschließt. Ich denke aber, das ist nicht die Arbeit, die wir wollen. Deshalb muß darauf bestanden werden, daß Fach- personal an dieser Stelle eingestellt wird.
Meine Damen und Herren! Es ist nicht die Aufgabe des Landes, Fachpersonal in einem bestimmten Jugendklub einzustellen. Wir würden als Landtag aber wirklich etwas Angemessenes tun, wenn wir erstens die Arbeit der Kirche an dieser Stelle würdigen und zweitens die Stadt Magdeburg, insbesondere den Stadtrat, bitten,
sich dieses Themas erneut anzunehmen. Jeder von uns hat Verbindungen in die Fraktionen. Herr Bischoff, Sie haben gesagt, Sie werden sich als Stadtrat in Magdeburg dieses Themas annehmen.
Sie haben zu dem ersten Punkt gesagt, daß Sie unseren Ansatz richtig finden. Wenn Sie in Ihrer Rede selbst begründen, daß unser Änderungsantrag sachlich, fachlich und von der Intention her richtig ist, verstehe ich beim besten Willen nicht mehr, warum Sie diesem Antrag nicht zustimmen können.
Wir als Landtag haben nichts anderes zu machen, als ein Zeichen zu setzen, daß die Arbeit in Magdeburg fortgeführt werden muß. Das Problem selbst sollte auf der städtischen Ebene gelöst werden. Dort müssen alle Verantwortlichen vernünftig zusammenarbeiten. - Vielen Dank.
Herr Abgeordneter, es gibt eine Zwischenfrage von dem Abgeordneten Herrn Gärtner. Sind Sie bereit zu antworten? - Bitte.
Herr Kollege Scharf, ich gehe nicht auf Ihre meines Erachtens unsachliche Polemik ein. Ich stelle eine ganz normale Sachfrage. Herr Scharf, haben Sie schon einmal die Namen der Bands verglichen, die bei zahlreichen illegalen Skinheadkonzerten im Land aufgetreten sind, mit den Namen der Bands, die im Jugend- klub „Brunnenhof“ proben durften?
Herr Gärtner, Ihre Frage zielt etwas weiter. Natürlich haben dort Bands geprobt, die auch im Verfassungsschutzbericht aufgeführt worden sind. Aber die Frage stellt sich viel weiter. Wie geht man mit so einer Szene um?
Man muß illegale Praktiken unterdrücken, und man muß gleichzeitig die Menschen achten und versuchen, sie dort abzuholen, wo sie sind.
Akzeptierende Jugendarbeit muß sich ein Stückchen auf diesem sehr dünnen Eis bewegen und sich auf diese Gruppe hinzubewegen, damit man erst einmal akzeptiert wird und überhaupt in ein Gespräch hineinkommt.
Es sind die Kinder unserer Gesellschaft. An anderer Stelle sagen Sie mit stolzgeschwellter Brust: Wegsperren nützt nichts.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über den Brunnenhof reden, reden wir über ein Projekt, das seit seiner Entstehung, nämlich seit dem Jahr 1991, heftig in der Kritik stand, weil die Klientel rechtsorientierte und andersdenkende Jugend- liche waren,
die, soweit sie sich nicht anpaßten, aus dem Stadtteil verdrängt wurden. Dazu gab es eine ganze Reihe von Anfragen und auch eine Anhörung im September 1997. Das muß ich an dieser Stelle nicht alles wiederholen.
Daß es sich hierbei um eine kommunale Angelegenheit handelt, zeigt sich auch daran, daß hier nur Abgeordnete aus Magdeburg oder ich als Magdeburgerin zu diesem Punkt reden.
Ich denke schon, daß darüber auf kommunaler Ebene diskutiert werden sollte. Wenn wir heute über den Brunnenhof sprechen, sollten wir auch über die seit Jahren geführte Debatte über Chancen und Grenzen der akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen reden.
Der Begriff „akzeptierende Jugendarbeit“ kommt ursprünglich aus der Arbeit mit Drogensüchtigen. Er geht auf ein Konzept der 70er Jahre zurück. Der Diskurs innerhalb der Sozialarbeit ging damals darum, die gesellschaftliche Bedingtheit der Menschen und die Möglichkeiten individueller Veränderungen aufzuzeigen.
In der heutigen Praxis der akzeptierenden Sozialarbeit fehlt allerdings dieser emanzipatorische Ansatz völlig. Dieser auf die Arbeit mit rechten Jugendlichen übertragene Handlungsansatz vermittelt den Eindruck, als wäre Suchtverhalten gleichzusetzen mit menschenverachtendem Gedankentum
und damit verbundenen Handlungen und Haltungen. Darin liegt eine gefährliche Verharmlosung, nämlich die Idee der Therapiefähigkeit.
In der Bundesrepublik wurde dieses Konzept in den 80er Jahren für eine überschaubare Randgruppe entwickelt und später unüberprüft auf eine völlig neue Situation, nämlich die eines völligen gesellschaftlichen Umbruchs in den neuen Ländern, übertragen.
Insbesondere in den neuen Ländern standen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter nach der Wende fassungslos, entsetzt und zunehmend überfordert der immer stärker werdenden rechten Szene gegenüber. Dies hätte allerdings ein generelles Überdenken alter Grundsätze sozialen Handelns erforderlich gemacht. Das blieb aber aus.
Es erscheint mir aus heutiger Sicht mehr als verständlich, daß gerade in dieser Zeit Erklärungsmodelle von
Heitmeyer, Baake oder die praktisch orientierten Ansätze von Krafeld wie rettende Strohhalme erschienen und versucht wurden. Ein kritisches Hinterfragen des akzeptierenden Ansatzes und der Diskurs alternativer Handlungsansätze ist bis heute völlig ausgeblieben. Dies verwundert auch nicht, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Fördergelder, insbesondere durch das AgagProjekt, in diese Arbeit geflossen sind.
Was als Randgruppenkonzept noch halbwegs zu funktionieren schien, ist aus der heutigen Sicht kontraproduktiv und gefährlich, Herr Scharf.