Protocol of the Session on January 20, 2000

Unsere Anträge sind auf der Grundlage dieser Einschätzung eingebracht worden. Lassen Sie mich nun auf einige Schwerpunkte unserer Anträge eingehen, zunächst auf die Drs. 3/2562.

Warum beantragt die Fraktion der PDS einen zeitweiligen Ausschuß „Funktional- und Verwaltungsreform/ Kommunale Gebietsreform“? Ich sage es ganz offen: Wir sehen unsere Verantwortung als Gesetzgeber anders, als daß im Innenausschuß - wie es im Leitbild in der Zeitschiene vorgeschrieben wurde - im Januar informiert wird. Wir können es uns angesichts der Entwicklung nicht leisten, in einer weiteren Enquete-Kommission zwei Jahre zu tüfteln, während uns die kommunalen Strukturen längst bis zur Unkenntlichkeit weggerutscht sind. Für solche Formen ist die Zeit zu kostbar und die Verantwortung zu groß.

Zugegebenermaßen hat der zeitweilige Ausschuß einen entscheidenden Mangel: Er ermöglicht nicht die Einbeziehung von externem Sachverstand. Wir schlagen deshalb vor, parallel zu dem Ausschuß, wie es auch in einigen anderen Ländern praktiziert wurde, eine Sachverständigenkommission arbeiten zu lassen. Über die Modalitäten kann nicht heute, sollte aber zügig entschieden werden. Insofern teilen wir auch nicht die Bedenken, die die CDU im Hinblick auf den zeitweiligen Ausschuß hat.

Ich möchte, um zu begründen, warum wir diesen Änderungsantrag ablehnen, auf folgendes verweisen. Wir haben dieser Tage eine Übersicht bekommen, wie viele Beratungsgegenstände, davon recht viele sehr wichtige Gesetzesvorlagen, im Innenausschuß noch zu behandeln sind. Es sind 38 an der Zahl. Bei aller Effizienz des Innenausschusses ist das nicht leistbar. Deshalb schlagen wir diesen zeitweiligen Ausschuß vor.

Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der Drs. 3/2563 machen. Warum und wann braucht Sachsen

Anhalt ein Funktional- und Verwaltungsreformgesetz? Es braucht ein Funktional- und Verwaltungsreformgesetz über den Namen könnte man sich noch streiten -,

weil erstens die öffentliche Verwaltung eine durchgängig normengeprägte Organisation ist,

weil zweitens neben der argumentativen Überzeugungsarbeit auch eine rechtliche Absicherung notwendig ist,

weil drittens bestehende gesetzliche Regelungen systematisch und punktgenau angepaßt werden müssen und

weil viertens eine einheitliche Vorgehensweise dort notwendig ist, wo sie unbedingt sichergestellt werden muß.

Wenn - letztens - fünfjährige Erfahrungen seit Vorlage der Ergebnisse der Enquete-Kommission und der Denkschrift zur Funktionalreform in Sachsen-Anhalt als Beweis für die Notwendigkeit nicht ausreichen, dann sei gesagt, daß andere Länder bis zu acht Verwaltungs- und Funktionalreformgesetze beschlossen haben - immer zeitgleich auf die Strukturreform abgestimmt.

Wie sehr einem einzelnen Minister dabei zweifelsohne die Hände gebunden sind, darauf wurde bereits in der Aussprache zur Großen Anfrage „Verwaltungsreform in Sachsen-Anhalt“ hingewiesen. Dieses Problem muß sicherlich zur Chefsache werden, sonst wird es zu keiner gesetzlichen Regelung kommen.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Innenminister, Sie haben in Ihren Ausführungen gesagt, Sie hätten im Leitbild auf der Seite 4 unter Nr. 1 - Ministerien - geäußert, daß zwei Ministerien abgeschafft werden würden. Wir lesen es aber anders: Hinsichtlich der Anzahl der Ministerien wird auf die Empfehlung der Enquete-Kommission „Verwaltungsreform“ ver-wiesen. Die Zahl der Ministerien „sollte um bis zu zwei Ressorts“ reduziert werden. - Es braucht aber auch keines zu sein.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Es sollen schon zwei sein!)

Über die Notwendigkeit einer Funktional- und Verwaltungsreform besteht im Land Konsens. Hier haben wir jene gesellschaftliche Akzeptanz, die wir als Voraussetzung brauchen. Sie allein würde auch die einzig stichhaltige Begründung für diese tiefen Einschnitte sein. Wir dürfen also die Chance nicht verspielen, mit einer umfassenden Aufgabenkritik und nicht mit dem Zerschlagen von Strukturen zu beginnen.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Becker, CDU: Sehr gut!)

Nur wenn der Gesetzgeber sagen kann, welche Aufgaben wann von wem unter welchen finanziellen Voraussetzungen wahrgenommen werden könnten, wenn es zu umfassenden strukturellen Änderungen kommt, wird die Diskussion zukunftsfähige Ergebnisse zeitigen.

Lassen Sie mich bitte einige wenige gravierende Probleme aufwerfen, die das vorgelegte Leitbild in dieser Form unseres Erachtens nicht umsetzbar machen. Wir werden natürlich viel mehr Zeit zur Diskussion in dem zeitweiligen Ausschuß haben. Trotzdem möchte ich auf drei Probleme hinweisen.

Erstens. Darauf hat auch die CDU schon hingewiesen. Vor fünf Jahren entschied sich der Gesetzgeber für Verwaltungsgemeinschaften. Es ist das in Wissenschaft und Politik anerkannte Modell, vor allem für den strukturschwachen ländlichen Raum. Mag dieses Modell Un

zulänglichkeiten haben, das hat die Einheitsgemeinde auch. Der Landtag steht in der Pflicht zur Kontinuität. Ein flächendeckender Modellwechsel ist unverantwortlich, teuer und zerschlägt Bewährtes.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Über die Weiterentwicklung im Modell muß nachgedacht werden, nicht darüber, wie man die Verwaltungsgemeinschaften im Hinblick auf Anzahl und Größe durch Ungleichbehandlung de facto aushungert. Sehen sich Gemeinden in einer Einheitsgemeinde besser aufgehoben bitte, keiner hindert sie daran. Da kann man dann eventuell auch Größenordnungen festlegen.

Zweitens. Die Aussagen über künftige Einsparungen sind verlockend. „Eine Milliarde“ heißt es im Gutachten des Bundes der Steuerzahler. Das ist doch etwas. Nach 20 Jahren Reformen in den alten Bundesländern entschuldigen sich Gutachter allerdings immer noch dafür, daß es für die Einsparungen keine Bemessungskriterien gibt. Aber die Ausgaben wurden einmal treffend von Professor Hill, einem führenden Experten der Verwaltungswissenschaft, beschrieben. Als Fazit zur kommunalen und Länderbelastung durch die Gebietsreformen in den alten Ländern äußerte er sich im Jahre 1998: „Wir haben fertig, Kasse leer.“ Nun denn: Wir haben Anfang, Kasse leer. Das sollte uns zu denken geben.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der CDU und von Frau Budde, SPD)

Noch ein Wort zu den Kreisstrukturen. Natürlich stehen vor einem Kreis vielfältige Aufgaben, wenn er als Bündelungsbehörde Aufgaben wahrnimmt, die vorher die Regierungspräsidien wahrgenommen haben. Aber auch hier ist positive Aufgabenkritik zu leisten. Was sind zukünftige Aufgaben des Staates und des Landkreises als Vollzugsorgan des Staates und welche bleiben in seiner Selbstverwaltungshoheit? Wo sind Wegfall, Vereinfachung, Delegation und Kommunalisierung angesagt?

Mag sein, daß die Strukturen dafür unzureichend sind. Aber wer sich das sehr detaillierte, im Auftrag des Bundes der Steuerzahler angefertigte Gutachten angesehen hat, weiß: Da werden die Kreise nahezu gar nicht angetastet. Das wirft Fragen auf; darüber müssen wir doch reden.

Wissen Sie, was im politischen Geschäft immer wieder frustriert und ratlos macht? Daß der Zweifel nicht legitimiert ist.

(Zustimmung bei der PDS)

Aber wir haben noch Zweifel über Notwendigkeit, Umfang und Zeitpunkt dieser Strukturreform. Wir haben seit vier Jahren ein nicht einmal, denke ich, vom Kabinett als Beschluß gefaßtes Leitbild vorliegen. Es ist ein Zeichen der politischen Vernunft, eine Phase der ernsthaften Diskussion einzufordern und sich hektischer Zustimmungserklärungen zu enthalten. Deshalb äußern wir uns nicht vorauseilend zustimmend oder ablehnend zu einem Vorschaltgesetz. Erst einmal müssen wir wissen, was drinsteht, dann können wir darüber beraten.

Ich möchte es noch einmal bekräftigen: Nicht nur die PDS ist sozusagen ein Reformverhinderer, wenn sie Zweifel hat. Ich möchte aus dem Buch „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland und Europa“ zitieren. Es war ein Symposium anläßlich des 65. Geburtstages von Professor Willi Blümel, der bekanntlich ein Verfech

ter von Gebietsreformen war. Dort äußert sich Professor Püttner:

„Ich möchte den alten Streit um Gebietsreformen nicht wieder neu entfachen, aber doch wenigstens anmerken, daß die Gebietsreform ganz unumstritten nie gewesen ist. Aber sie lag im Trend der Zeit, und wer sich widersetzte, wurde nicht ernst genommen. Ein wissenschaftlicher Beleg für die Richtigkeit oder für den Erfolg der Reform ist das freilich nicht.“

Kein Geringerer als Helmut Schmidt - damals Bundeskanzler - hat die Reform kurz nach ihrem Abschluß in einer Festrede vor der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages öffentlich als Fehler bezeichnet. Also geben wir uns doch gemeinsam wenigstens die Zeit, die Zweifel in den zeitweiligen Ausschuß zu tragen und sie dort sachgerecht zu diskutieren. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Bud- de, SPD)

Für die Fraktion der DVU spricht jetzt die Abgeordnete Frau Wiechmann.

(Herr Becker, CDU, meldet sich zu einer Zwi- schenfrage)

- Entschuldigung, ich habe es zu spät gesehen. - Frau Dr. Paschke, sind Sie bereit, eine Frage von Herrn Bekker zu beantworten? - Bitte, Herr Becker.

Frau Dr. Paschke, ich möchte Sie zitieren und anschließend eine Frage stellen. Sie haben gesagt: Die einzige stichhaltige Begründung für einen so tiefgreifenden Eingriff in die Strukturen - gemeint waren die Gebietsstrukturen - sei die Notwendigkeit einer Verwaltungsreform. Das heißt, Sie haben dadurch den engen Zusammenhang zwischen beidem zum Ausdruck gebracht.

Die Frage: Glauben Sie - das ist keine polemische, sondern eine sehr wichtige Frage -, daß Sie trotz des Tolerierungsmodells - Ihr Tolerierungspartner hat ja eine andere Auffassung - diese Position auch die nächsten Jahre hindurch vertreten werden?

(Herr Dr. Brachmann, SPD, und Herr Bullerjahn, SPD, lachen)

Sie meinen die Position, daß eine Funktional- und Verwaltungsreform die einzige stichhaltige Begründung ist? - Mein Wort können Sie darauf haben, das der PDS auch.

(Herr Hoffmann, Magdeburg, SPD: Dialektik ist Dialektik!)

Danke schön.

Gibt es noch eine Frage? - Nein. Danke, Frau Dr. Paschke, das war es. - Frau Wiechmann, Sie haben jetzt für die DVU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann grundsätzlich unterschieden werden zwischen einer äußeren Verwaltungsreform als einer Gebiets- und Funktional- bzw. Zuständigkeitsreform und einer inneren Verwaltungsreform als einer behördeninternen Organisationsform.

Eine Gebietsreform zielt auf eine Stärkung der örtlichen Leistungskraft und auf eine Zusammenführung von Stadt und Umland ab. Sie wurde in der Vergangenheit dringlich, weil es mehr als 20 000 kleine Gemeinden gab, die der Erfüllung der örtlichen Aufgaben nicht mehr gewachsen waren. Wegen der Garantie der Eigen-zuständigkeit nach Artikel 28 des Grundgesetzes konnten die Aufgaben nicht einfach auf die Kreise übertragen werden. Daher mußten leistungsfähige Einheiten geschaffen werden. Auch die kleinen Kreise wurden zu größeren Gebieten zusammengelegt.

Weitere Überlegungen richteten sich auf eine Reform der Regierungsbezirke, auf die Bildung von Regionen und auf eine Neuordnung der Ländergrenzen. Bei der Reform der Stadt-Umland-Gebiete stehen verschiedene Modelle, wie die Stadtvergrößerung oder der StadtUmland-Verband, nebeneinander.

Die kommunale Neugliederung wurde in den Flächenstaaten der alten Bundesrepublik in den Jahren 1967 bis 1978 und in Sachsen-Anhalt bis 1994 durchgeführt. Die Zahl der Gemeinden, aber auch die der Kreise und der kreisfreien Städte wurde dabei erheblich herabgesetzt. Die Zusammenlegung, meine Damen und Herren, wurde zum Teil durch freiwillige Vereinbarungen und zum Teil auch durch gesetzliche Anordnungen erreicht, die vielfach der gerichtlichen Nachprüfung auf Erfüllung der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Voraussetzungen unterzogen wurden.

Die Verlagerung von Zuständigkeiten durch die Funktionalreform blieb jedoch in den Ansätzen stecken. Für die innere Verwaltungsreform, die vor allem zur Auflockerung der Hierarchie und zur Bildung möglichst effi-zienter Organisationsformen beitragen sollte, gab es viele Vorschläge und Anregungen. Diese setzen aber noch weitere Erfahrungen voraus und lassen sich nicht im großen Stil durchsetzen.

Meine Damen und Herren! Die Grundstrukturen des Verwaltungsaufbaus des Landes Sachsen-Anhalt wurden bereits in der ersten Legislaturperiode - Sie alle wissen das -, zwischen 1990 und 1994, festgelegt. Dabei wurde die Verwaltung größtenteils nach dem Vorbild des Landes Niedersachsen und in Anlehnung an einige Grundstrukturen der vormaligen britischen Zone konzipiert.