Protocol of the Session on May 24, 2019

(André Barth, AfD: Das hat er nicht gesagt!)

Ach so, er hat das nicht gesagt. Na, damals waren Sie ja dabei, das stimmt.

(Lachen und vereinzelt Beifall bei der CDU)

Deutschland und Sachsen sind fest in unsere Europäische Union eingebunden, und das ist gut so. Sachsen und Europa sind unsere Heimat. Sachsens Subsidiarität beginnt im sprichwörtlichen Sinne vor unserer Haustür, und das jeden Tag.

Was ist denn eigentlich Europa? Das sind Menschen, das sind Emotionen, das ist Geschichte, das ist Wirtschaft und Soziales, das ist Verkehr und das ist – wie aktuell angesprochen – auch Digitalisierung. Europa ist aber auch eine Wertegemeinschaft. Hier werden Freiheit, Toleranz, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aktiv gelebt. Europa bedeutet Freizügigkeit, Binnenmarkt und Austausch zwischen Kultur und Wissenschaft. Beispiel: Mein Nachbar aus Schottland und der Kollege aus Lissabon fahren frei bis nach Helsinki. Wir haben litauisch-französische Firmen, wir haben deutsche Wissenschaftler und spanische Studenten, die entweder in Rom lernen oder sogar in Rom lehren. Wir haben ein starkes

Europa mit starken Regionen. Und wem verdanken wir das? Der Europäischen Union!

(Beifall bei der CDU)

Das heißt: Wir bekennen uns zu Europa und wir bekennen uns zu diesen europäischen Werten. Damit sind wir bei den Werten: Das sind Zeichen, und es sind Symbole. Vorgestern hatten wir zu unserer deutschen Fahne und deutschen Hymne „70 Jahre Grundgesetz“ gefeiert. Jetzt haben wir wieder festgestellt: Es stiftet uns Zusammenhalt. Dazu gehört auch diese Europafahne – eine schöne blaue Fahne mit zwölf Sternen. Es kommt immer wieder die Frage, warum sie eigentlich zwölf Sterne hat. Die Antwort ist relativ kompliziert, denn die Zahl 12 ist ein Symbol. Dieses steht für Einheit, für Solidarität und für Harmonie, und zwar zwischen den Völkern Europas. Deshalb hat man die symbolische Zahl 12 gewählt.

Aber am 1. Mai 2019 sind Anhänger einer rechtsextremen Splitterpartei über eine von diesen auf der Straße ausgerollten EU-Flaggen hinweggetrampelt. Eine andere EUFlagge war an einem Galgen befestigt. Angesichts dieser Bilder lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Dort wurden nämlich unsere Symbole mit Füßen getreten, denn es wurde all das, was uns wichtig ist, kurzerhand am Galgen aufgehängt. Wir dürfen es nicht zulassen, dass auf der EU und ihren Symbolen einfach herumgetrampelt wird.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Leider Gottes ist genau dieses Verhalten strafrechtlich zurzeit nicht zu verfolgen. Der § 90 a des Strafgesetzbuches stellt diese Verunglimpfung unter Strafe: Verunglimpfung von Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder sind bereits unter Strafe gestellt. Die Flagge der Europäischen Union ist zurzeit leider nicht ausreichend gegen Verunglimpfung geschützt. Wir müssen, wir werden und wir wollen ausdrücklich die Staatsregierung darin unterstützen, im Bundesrat eine Initiative zu starten, durch die die Verunglimpfung der Symbole der EU ebenfalls unter Strafe gestellt wird, sodass auch diese Flagge geschützt ist. Das ist überfällig und höchste Zeit!

(Beifall bei der CDU)

An dieser Stelle möchte ich dem Präsidenten des Sächsischen Landtags, dem deutschen und dem österreichischen Europaminister sowie unserem Europaminister Herrn Schenk, die einen Aufruf zur Europawahl gestartet haben, herzlich danken. Wir lassen uns nämlich nicht von Populisten auf der Nase herumtanzen. Wir lassen uns nicht auf der Fahne herumtrampeln, und wir schützen unsere europäischen Werte. Liebe Mitbürger, bitte geht am 26. Mai zur Wahl! Geht wählen – mit Herzblut für Europa!

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Jetzt spricht die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Leistung der EU von 70 Jahren Frieden und einem stabilen Rahmen für wirtschaftlichen Aufschwung in West und Ost nicht mehr ausreicht, um von der EU zu überzeugen, dann ist es an der Zeit, das soziale Europa zu stärken und das Soziale der sozialen Marktwirtschaft zum Gegenstand einer europäischen Politik zu machen, die sich bisher wesentlich auf die Entwicklung einer Wirtschafts- und Währungsunion konzentriert hat.

Lassen Sie mich einige wichtige Argumente dafür benennen. Wir wollen die sozialen Rechte in Europa stärken. Uns geht es dabei nicht nur um regional angepasste Mindestlöhne in ganz Europa und auch nicht nur um regional angepasste Grundsicherungen in ganz Europa, sondern etwa auch um einen Fonds zur Absicherung nationaler Sicherungssysteme wie etwa der Arbeitslosenversicherung. In einen solchen Topf wird in guten Zeiten eingezahlt, aus ihm werden Beträge ausgezahlt, wenn es nötig ist, und sie werden zurückgezahlt, wenn eine Krise vorbei ist. Das ist keine Transferunion, sondern ein System der Absicherung von Sicherungssystemen. Private Versicherungen haben seit Jahrzehnten ein solches System von Rückversicherungen entwickelt, um das Risiko großer Katastrophen abzusichern und auf viele Schultern zu verteilen. Niemand käme auf die Idee, ein Unternehmen wie etwa die Münchner Rückversicherung „Munich Re“ als Transfergesellschaft zu bezeichnen.

Wir meinen: Was der privaten Versicherungswirtschaft einleuchtet, sollte für die europäischen Sozialversicherungen ebenfalls entsprechend nutzbar sein. Das bringt soziale Sicherheit in die EU und das leuchtet den Menschen ein. Auch Deutschland ist vor Krisen nicht gefeit, wenn es auch die Krise 2008 recht stabil überstanden hat. Die nächste Krise kommt bestimmt; das ist systemimmanent. Die weitere Vernetzung bringt ein Mehr an Stabilität und sozialer Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger. Das alles ist unter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität möglich.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Reform der Institutionen. Europa sollte noch demokratischer werden. Wir brauchen eine Zuwanderungspolitik, die unsere Werte mit unseren Interessen verbindet. Die Menschen wollen Gerechtigkeit in Europa und gleichwertige Lebensverhältnisse. Mit einem sozialen Europa nähern wir die Lebensverhältnisse deutlich an; wir setzen neue Standards.

Meine Damen und Herren, am kommenden Sonntag entscheidet sich, ob wir Europa um diese Komponente erweitern können, ob wir die Institutionen reformieren können oder ob Europa weiter gegen eine Demontage zu kämpfen hat. Lassen Sie uns gemeinsam, wie es meine Vorredner hier schon getan haben, alle Sächsinnen und Sachsen aufrufen: Gehen Sie zur Wahl, stärken Sie Europa und stärken Sie damit Sachsen!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Für die Linksfraktion Frau Dr. Pinka, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa wählen, Europa mitgestalten – ja, da bin ich gern dabei. Ich darf Ihnen verraten, dass ich auch in den letzten zehn Jahren neben den Dingen, die ich hier im Landtag gemacht habe, auch immer fachlich unterwegs war, nämlich in Europa an Forschungsprojekten mitgearbeitet habe, immer im Sinne von Technologieentwicklungen, oftmals im Bereich der Rohstoffe, um gemeinsam mit europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Europa nach vorn zu bringen.

Ich begleite im Moment ein Projekt, das sich mit den Arsenbelastungen in europäischen Böden befasst, und werde dazu nächste Woche auf einer Tagung in Helsinki sprechen, Thema „Umwelt, Gesundheit, nachhaltige Gesellschaft“. Jetzt werden Sie fragen, warum ich das hier kundtue. Es ist mir wichtig zu sagen, dass wir in der letzten Legislaturperiode durchaus Dinge verpasst haben, Dinge, um europäische Prozesse mitzugestalten.

Ich möchte dazu einige Beispiele nennen. Mein Paradebeispiel ist eigentlich der Antrag der Koalition „Erhalt und Fortentwicklung der Artenvielfalt in der sächsischen Zoolandschaft“. Bei diesem Antrag ging es in der Sache darum, dass durch eine EU-Verordnung eine Liste invasiver Arten verabschiedet worden ist, die gravierende Auswirkungen zum Beispiel auch auf die sächsischen zoologischen Gärten hat. Dann gab es eine Anhörung im Europaausschuss, und diese hat schlussendlich zu Ernüchterung und Enttäuschung geführt.

Was war denn eigentlich passiert? Der Antrag vermittelte den Eindruck, als ob man nach einem abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren mit einer sächsischen Initiative noch etwas ändern könne. Im Einzelnen ging es um einen Artikel 8 dieser EU-Verordnung. Dann sagte ein Sachverständiger des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, dass es keine Spielräume mehr gebe und man diese Verordnung im Nachhinein einfach nicht mehr modifizieren könne. Deshalb haben wir es oder haben Sie es als Koalition schlichtweg ein bisschen verpasst, sich in dieses EU-Gesetzgebungsverfahren einzubringen, obwohl wir Sie darauf hingewiesen hatten. Der richtige Weg wäre gewesen, sich mit Subsidiaritätskontrolle oder mit Subsidiaritätsrüge oder wenigstens mit Bedenken gegenüber Brüssel zu äußern und sich in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Das war nicht der Fall. Damit waren auch die sächsischen Interessen in Brüssel nicht vertreten.

Das zweite Beispiel ist die Umsetzung der europäischen Radon-Richtlinie. Sie wurde 2013 verabschiedet, und die Umsetzungsfrist für die Mitgliedsstaaten war 2018.

Sachsen ist nun einmal ein betroffenes Land. Da nenne ich nur die Stichworte Schneeberger Krankheit oder jahrhundertelanger Erzbergbau in Sachsen. Es gibt nun einmal die physikalischen Prozesse der Uranzerfallsreihe, die zu Radon führen. Diese kommen eben aus den bei uns in Sachsen vorhandenen Erzen.

Ich habe schon sehr oft den Umweltminister darauf hingewiesen, sich in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Dies ist jetzt auch im Bundestag verabschiedet worden. Aber es gab eine lange Zeit, in der wir keine Primärdaten erhoben haben und in der wir die Förderrichtlinie, die es einmal gab, „Radonsicheres Bauen“, für private Bauherren wieder hätten ermöglichen können. Es gibt sie bis heute nicht. Wenn ich das angesprochen habe, hieß es immer, dass es kommen wird. Dann können wir uns doch nicht vor solchen Gesetzgebungsverfahren wegducken, die es auf der europäischen Ebene gibt. Ich habe dann immer gehört, wir würden dem öffentlichen Ansehen Sachsens schaden, Sachsen würde stigmatisiert usw. Aber ohne ein umfassendes Radonmessnetz, ohne Empfehlungen für die Bürgerinnen und Bürger in den betroffenen Gebieten und ohne Fördermittel bleibt das zutiefst Polemik.

So ist es mit vielen Verordnungs- und Gesetzgebungsverfahren der EU, die ganz klar auch die Verbesserung der natürlichen Lebensbedingungen im Blick hat. Ich denke dabei zum Beispiel an die Europäische Wasserrahmenrichtlinie oder die Europäische Artenschutzverordnung oder an die Natura-2000-Verordnung mit der Flora-FaunaHabitat-Richtlinie. Ich glaube, das ist gut für die EUMitgliedsstaaten und auch für uns, und hier müssen wir stärker mitgestalten.

Ich möchte auch, dass viele Menschen am Sonntag Ja zu Europa sagen. Ich möchte aber auch, dass wir uns viel stärker hier im Parlament mit europäischen Prozessen und Gesetzgebungsverfahren auseinandersetzen. Da haben wir wirklich noch Spielraum. Das sage ich jetzt nicht nur hier, sondern das werde ich auch nächste Woche in Helsinki sagen.

Deshalb lassen Sie uns gemeinsam weiter Europa gestalten.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die AfDFraktion Herr Barth, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich habe das LissabonUrteil vom Jahr 2009 mitgebracht und möchte Ihnen einmal die Leitsätze unseres Bundesverfassungsgerichts – in Kürze Ziffer 1 – vortragen: „Das Grundgesetz ermächtigt mit Artikel 23 zur Beteiligung und Entwicklung einer als Staatenbund konzipierten Europäischen Union. Der Begriff des Verbundes erfasst eine enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitglieds

staaten unterliegt und in der die Völker, das heißt, die staatsangehörigen Bürger der Mitgliedsstaaten, die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.“

Jetzt frage ich in Anbetracht dieser Auslegung unseres Bundesverfassungsgerichts, wie zum Beispiel Mehrheitsentscheidungen in der Union möglich sein können. Wenn Deutschland sozusagen überstimmt wird, ist die demokratische Legitimationskette aus unserer nationalen Sicht unterbrochen. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen.

Lieber Herr Stange, Sie sprechen hier immer so ganz locker über gewisse Demokratiedefizite. Darin muss ich Ihnen völlig recht geben. Fangen wir einmal damit an. Ich habe vorhin gesagt: „Wir wählen ein Parlament“ und habe das in Anführungsstriche gesetzt, weil es Wesen eines jeden Parlaments weltweit ist, ein Initiativrecht zu haben. Das EU-Parlament hat de facto kein allgemeines Initiativrecht. Deshalb kann man sich fragen: Ist das Wesensmerkmal eines Parlaments beim EU-Parlament erfüllt?

(Anja Klotzbücher, DIE LINKE: Wollen Sie das EU-Parlament abschaffen?)

Das EU-Parlament ist die einzige Institution in Europa, die wir direkt wählen. Deshalb, Herr Stange: Bei dem, was Sie kritisieren, kann ich Ihnen zustimmen.

Es geht auch um allgemeine und gleiche Wahlen. Ich kann es einmal an Zahlen deutlich machen. Ein deutscher Abgeordneter repräsentiert im EU-Parlament 854 000 deutsche Bürger, und ein Abgeordneter aus Luxemburg repräsentiert hingegen ungefähr nur 83 000 Bürger.

(Zuruf der Abg. Anja Klotzbücher, DIE LINKE)

Das bedeutet ganz einfach: Wir haben bei uns den verfassungsrechtlichen Grundsatz gleicher allgemeiner Wahlen. Dieser ist im europäischen Parlament ebenfalls nicht erfüllt. Das Demokratiegebot ist aber ein wesentlicher Anker unserer Verfassung. Deshalb sage ich Ihnen ganz sachlich: Unser Grundgesetz ist demokratiefreundlicher ausgestaltet, als es die Europäische Union im derzeitigen Zustand ist. Das zu kritisieren, das mache ich hier ganz, ganz sachlich. Das können Sie auch nicht bestreiten, meine Damen und Herren.

Wenn sich alle aufspielen und sagen, die EU habe nach dem Zweiten Weltkrieg den Frieden gesichert, dann sage ich Ihnen: Setzen wir uns in die Zeitmaschine, begeben uns in das Jahr 1990 und fragen einen westdeutschen Bundesbürger, was in all den Jahren des Kalten Krieges den Frieden gesichert hat. Was hätte er geantwortet? – Die NATO. Kein Mensch hätte nämlich vor 30 Jahren geantwortet: die EU oder die EG. Damals hieß es ja auch noch EG.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Unbestreitbar war die von Adenauer und de Gaulle betriebene Aussöhnung zwischen Frankreich und

Deutschland eine großartige Sache. Da sind wir uns alle einig. Die Vorstellung jedoch, dass diese beiden Länder

ohne eine EG in den Jahren der Ost-West-Konfrontation miteinander Krieg geführt hätten, ist völlig absurd. Das Gleiche gilt auch für alle anderen Mitgliedsstaaten der EU. Die Behauptung, die EU bzw. die EG habe den Frieden gestiftet, ist aus meiner Sicht Propagandalüge.

(Zurufe von der CDU)

Ich möchte aber zum Schluss kommen. Ja, für Europa, diesen wunderbaren Kontinent vom Atlantik bis zum Ural, mit seinen Wurzeln in griechischer Philosophie, römischem Recht, christlichem Glauben sowie dem Erbe der Aufklärung, lohnt es sich Politik zu machen.