Protocol of the Session on April 11, 2019

Dieser mehr als merkwürdigen Rechtsauffassung schließt sich nun die Staatsregierung an und führt aus, dass Kenntnisse von Sozialarbeitern über Interna der Fanszene im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren von Bedeutung sein können und dass ein Zeugnisverweigerungsrecht zur Folge hätte, dass Straftaten von Fußballfans während der Fahrt von und zu Spielen oder währenddessen schlechter aufgeklärt werden können.

Aber soziale Arbeit erfüllt im Rechtsstaatsprinzip überwiegend eigene originäre Aufgaben und Zuständigkeiten, die sich außerhalb ordnungspolitischer Regelungen befinden

(Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

und darf entsprechend ihrem Auftrag und ihrer eigenen Haltung kein Erfüllungsgehilfe staatlicher Sektoren im Bereich der Ordnungs- und Sicherheitspolitik darstellen.

(René Jalaß, DIE LINKE: Aber wenn die keine Ahnung von Sozialarbeit haben, was dann? – Gegenruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU – Glocke des Präsidenten)

Sehr geehrte Damen und Herren, aber wenn Fanprojekte abgehört, Räume durchsucht und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter von Polizei und Staatsanwalt vorgeladen werden, wird das Vertrauensverhältnis zwischen den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und ihren Klienten aufs Spiel gesetzt und perspektivisch zerstört. Das ist mehr als kontraproduktiv. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, die nun endlich nach so vielen Jahren, in denen wir das gefordert haben, erkannt haben, wie wichtig soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Schulbereich ist, sollten nun auch den fälligen zweiten Schritt gehen. Denn aus diesen genannten Gründen ist eine Reform von § 53 Strafprozessordnung dringend geboten – und damit die Aufnahme von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den Kreis der dort genannten Berufsgruppen, für die ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Das würde auch endlich die Ungleichbehandlung zwischen Sozialarbeitern im öffentlichen Dienst und den vielen Sozialarbeitern bei den freien Trägern beenden, wenn es um Aussagegenehmigungen geht.

Der Antrag der GRÜNEN trägt dem Rechnung. Wir teilen diese Auffassung vollumfänglich und stimmen dem Antrag selbstverständlich zu.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion Herr Abg. BaumannHasske.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter ist in der Tat ein Thema, das seit vielen, vielen Jahren in der Diskussion ist. Es gibt in diesem Zusammenhang einige Argumente. Diese möchte ich jetzt nicht alle wiederholen, denn sie sind, denke ich, schon weitestgehend gefallen.

Auch wir sind der Meinung, dass es zwischen Sozialarbeitern und Klientinnen bzw. Klienten eine persönliche Beziehung geben kann, die ein Zeugnisverweigerungsrecht rechtfertigt. Diese Nähe ist übrigens in dem eben zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1972 bereits beschrieben. Allerdings hat das Gericht, wie schon vorgetragen wurde, seinerzeit erklärt, dass diese nahe Beziehung bei Sozialarbeit in der Regel nicht besteht.

Übertrage ich diesen Gedanken auf die Fanarbeit, muss ich feststellen, dass es dabei in der Regel nicht um sehr persönliche Vertrauensbeziehungen, sondern um Gruppenbetreuung geht. Gerade für diese Zielgruppe wäre also ein Recht – wenn man die Definition des Bundesverfassungsgerichts anlegt – nicht erforderlich.

(René Jalaß, DIE LINKE: Sie haben es verstanden, ja?)

Meine Damen und Herren, es gibt aber Bereiche der Betreuung durch Sozialarbeit, in denen das sinnvoll, notwendig und geboten sein kann. Im Bereich der Schulsozialarbeit oder im Bereich der Streetworker kann es sein, dass sich Klientinnen und Klienten unbedingt auf ein aufgebautes Vertrauensverhältnis verlassen können müssen. Für diese Fälle sollte man, auch wenn man dem Ansatz des Bundesverfassungsgerichts folgt, eine Sonderregelung, bezogen auf dieses Vertrauensverhältnis, schaffen. Das könnte dann zum Beispiel auch für Lehrer gelten. Damit müsste aber die Systematik des § 53 StPO verändert werden. So etwas Ähnliches gibt es schon, nicht bezogen auf das Vertrauensverhältnis, aber zum Beispiel für Journalisten in § 53 Abs. 1 Ziffer 5 StPO.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Das wäre ein Zeugnisverweigerungsrecht und keine Zeugnisverweigerungspflicht. Das heißt also, auch wenn wir das Zeugnisverweigerungsrecht erteilen, und es geht um schwere Straftaten oder Ähnliches, kann der Sozialarbeiter/die Sozialarbeiterin natürlich, wenn er/sie will, aussagen. Ich denke, wenn die Strafverfolgung dies erfordert und Straftaten begangen werden, die von großer Bedeutung sind, dann wird der Sozialarbeiter dies auch tun.

Es kann auch, wie in § 53 Abs. 2 StPO vorgesehen, für besonders schwere Straftaten von vornherein eingeschränkt werden. Ich sage einmal: Wenn es um Mord und Totschlag geht, dann kann das Zeugnisverweigerungs

recht verweigert werden. So könnte man differenzieren und auf diese Art und Weise Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern die Arbeit deutlich erleichtern.

Dies würde bedeuten – das ist kompliziert –, dass ein solcher Zeuge in solchen Fällen möglicherweise im Verfahren bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht einen Zeugenbeistand braucht. Aber ich denke, das ist es wert, darüber nachzudenken, denn es würde in der Tat die präventive Sozialarbeit erleichtern. Wenn man dies will, dann sollte man intensiv darüber diskutieren. Ich könnte mir vorstellen, dass so etwas Gegenstand der Justizministerkonferenz sein könnte; denn damit könnte man dieses Problem, das sich auch heute im Saal wieder zugespitzt hat, vielleicht einmal einen Schritt weiterbringen.

Ich empfehle, diesen Weg zu gehen. Einer Bundesratsinitiative mit dem beantragten Inhalt werden wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die AfD-Fraktion, Herr Abg. Hütter. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion sieht keine Notwendigkeit, die begehrte Bundesratsinitiative der GRÜNEN zu unterstützen. Wir halten es für falsch, die Gruppe der Berufsgeheimnisträger nach § 53 StPO generell um staatlich anerkannte Sozialarbeiter bei Jugendhilfeträgern auszuweiten.

Des Weiteren schließe ich mich fast zu 100 % den Ausführungen von Herrn Kirmes an. Es ist im Grunde alles gesagt. Wir lehnen Ihren Antrag ab. Den Rest gebe ich zu Protokoll. – Vielen Dank.

(Beifall des Abg. Sebastian Wippel, AfD)

Meine Damen und Herren, gibt es aus den Reihen der Fraktionen weiteren Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Gemkow, selbstverständlich, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu den Ausführungen von Herrn Abg. Lippmann bezüglich der Regelung im Justizvollzugsdatenschutzgesetz, und hier zu den speziellen Regelungen, die für Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gelten: Dieses Recht im Justizvollzug für diese Berufsgruppen schützt im Bereich einer begrenzten Regelungsmaterie die Persönlichkeitsrechte von Gefangenen, die in einer ganz bestimmten und sehr eingeengten Situation befindlich sind. In der Strafverfolgung besteht dieses speziell für den Strafvollzug geltende Recht nicht, deshalb handelt es sich hierbei um einen Ausnahmebereich, der eine solch spezielle Regelung rechtfertigt.

Ansonsten hat die Staatsregierung mit Schreiben vom 20. März 2019 sehr ausführlich zu diesem Antrag Stellung genommen. Ich möchte im Weiteren darauf verweisen und darf den Redebeitrag zu Protokoll geben.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Meine Damen und Herren, damit kommen wir zum Schlusswort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abg. Lippmann. Sie haben das Wort.

Vielen Dank. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich danke für die sehr nüchterne und differenzierte Debatte, da sie bei diesem Thema gerade offenbart hat, dass wir, denke ich, selbst mit der Koalition gar nicht so furchtbar weit in den Überlegungen auseinanderliegen, außer in der Frage, wie man mit dem Antrag umgeht.

Herr Kirmes, ich verstehe durchaus den Grund Ihres Ansatzes. Lassen Sie mich noch zwei Aspekte dazu nennen. Ich glaube schon, dass es den Gedanken, den Frau Kollegin Meiwald in der Frage „Wie hat sich die Rolle der sozialen Arbeit in den letzten Jahrzehnten entwickelt, und haben wir es nicht viel häufiger mit dem Aufbau solcher Vertrauensverhältnisse, die vielleicht früher aus dem Fürsorgegedanken heraus gar nicht unterstellt wurden, zu tun?“ beschrieben hat, definitiv in der Fansozialarbeit gibt.

Dies nur auf Gruppen zu beschränken halte ich für sehr weit hergeholt. Dort gibt es diese individuellen Beziehungen, und man muss sich die Frage stellen, ob nicht diese Offenbarung von höchstpersönlichen Lebensverhältnissen, von Intimsphäre möglicherweise dergestalt erfolgt, wie man sie früher, als man die Norm erdacht hat, einfach nicht auf dem Schirm hatte, und ob man noch einmal darüber nachdenken sollte, wie man es nachschärft, um dieses besondere Vertrauensverhältnis zu schützen.

Ich denke, wir sind gut beraten, diesen Weg zu gehen; denn Sie wissen, ich bin mit Ihrem Kollegen Innenminister häufig etwas auf Kriegsfuß unterwegs, wenn es um die Überwachungsfantasien der Koalition und der Staatsregierung geht. Aber in einem Punkt bin ich mit ihm einig, und ich freue mich, dass sich dabei in der Staatsregierung viel bewegt: beim Thema Prävention und beim Thema Kriminalprävention. Dass der Innenminister einen deutlich stärkeren Ansatz hat, stärker in die Kriminalprävention hineinzugehen, heißt: Auch in diesem Bereich werden wir sehr viel stärker auf soziale Arbeit setzen müssen. Das ist ein guter und richtiger Weg.

Wenn man sich für diesen Weg entscheidet, muss man sich überlegen, wie man das Vertrauensverhältnis in der Folge ausgestaltet: über eine entsprechende Regelung im § 53, dass es auch funktioniert. Möglicherweise hat das zur Folge – da bin ich sogar bei Ihnen –, dass man den § 53 vom Ansatz her an einigen Stellen noch einmal

vollkommen neu denken muss; denn diese Frage, ob immer mehr Ausnahmen von Berufsgruppen gemacht werden oder ob es nicht viel sinnhafter ist, konkreter zu definieren, unter welchen Voraussetzungen und unter welchen konkreten, tatsächlich anvertrauten Lebenssachverhalten dies gilt, könnte viel sinnvoller sein. So weit teile ich auch dass, was Herr Kollege Baumann-Hasske gesagt hat.

Nun stehen wir hier in einem Landesparlament und diskutieren in einem Antrag über das, was der Bund regelt. Nun kann man sagen, okay, das soll bitte die Justizministerkonferenz klären. Herr Kollege BaumannHasske, unser Antrag ist so offen gehalten, dass die Ausgestaltungsfreiheit, was man da in den Bundesrat einbringt, im Sinne der Sache sehr weit ist. Vor diesem Hintergrund kann ich nur noch einmal an Sie appellieren: Zum Wohle der Stärkung des Vertrauensverhältnisses und für eine funktionierende Präventionsarbeit im Freistaat Sachsen bitte ich Sie, noch einmal kurz zu überlegen, ob

der Antrag nicht so weit gehalten ist, dass selbst Sie, mit Ihrer Position, locker dahinterstehen können; denn wir alle haben die Bedeutung der sozialen Arbeit und der Fansozialarbeit betont. Es wäre ein deutliches Zeichen, dem Antrag heute zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 6/16865 zur Abstimmung. Wer zustimmen möchte, zeigt das bitte an. – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Vielen Dank. Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei keinen Enthaltungen und Stimmen dafür hat der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit gefunden und ist abgelehnt worden.

Meine Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Erklärungen zu Protokoll

Die AfD-Fraktion sieht keine Notwendigkeit, die begehrte Bundesratsinitiative der GRÜNEN zu unterstützen. Wir halten es für falsch, die Gruppe der Berufsgeheimnisträger nach § 53 StPO generell um staatlich anerkannte Sozialarbeiter bei Jugendhilfeträgern auszuweiten.

Natürlich – bestimmte Tätigkeitsfelder von Sozialarbeitern werden vom Zeugnisverweigerungsrecht umfasst. Dies gilt für Drogenberater oder Mitarbeiter im Bereich der Schwangerenkonfliktberatung. Das ist auch nachvollziehbar. Was Sie hier wollen, ist aber völlig überzogen. Wie so oft.

Aus gutem Grund hat die Rechtsprechung eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts „durch die Hintertür“, zum Beispiel für Bewährungs- und Gerichtshelfer, ehrenamtliche Opferhelfer, aber eben auch auf die Jugendgerichtshilfe grundsätzlich ausgeschlossen. In diesen Bereichen ist eine Interessenkollision noch viel wahrscheinlicher als bei Sozialarbeitern – zumal im Fanbereich. Gleichwohl wird den Betroffenen kein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt.

Um mal einen Schwenk zum Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen nach § 52 StPO zu machen: Wie viel größere Konflikte tun sich auf, wenn jemand, der über viele Jahre mit einer anderen Person zusammengelebt und für diese eingestanden hat, ohne verlobt, verheiratet oder verpartnert zu sein, eine Aussage machen soll, die den anderen belasten könnte! Wenn es Ihnen also um die Beseitigung von schweren Konfliktlagen ginge, hätten Sie viel wesentlichere Ansatzpunkte.

Sie verfolgen hier aber ganz andere Ziele. Der Antrag der GRÜNEN „riecht“ nach Klientelpolitik – unter anderem im Nachgang zu den Ermittlungen gegen Fans der BSG

Chemie Leipzig wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.

In dieselbe Richtung wie der GRÜNEN-Antrag zielte ja auch eine Kleine Anfrage der LINKEN auf Bundesebene, Drucksache 19/4371. Man ist geneigt zu sagen: Da wächst zusammen, was zusammen gehört! Ohnehin wird man bisweilen den Eindruck nicht los, dass in einigen Fanprojekten Sozialarbeit mit „Kumpanei“ verwechselt wird.

Die AfD-Fraktion lässt sich jedenfalls keinen Sand in die Augen streuen. Wir lassen uns auch nicht für dumm verkaufen und lehnen Ihren Antrag deshalb ab.