Auch wenn wir nicht immer mit Herrn Patzelt einer Meinung sind, hat er es in der Anhörung doch treffend formuliert – ich zitiere –: „Wer für eine möglichst gute und umfassende Integration, eine Einwanderungsgesellschaft eintritt und deshalb die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern wünscht, der kann dann auch nicht mit guten Gründen ein kommunales Ausländerwahlrecht ablehnen.“
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie es ernst meinen, dass Sachsen attraktiver werden muss und
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach geltendem Recht und ständiger Rechtsprechung sind das passive und aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen in Sachsen deutschen Staatsangehörigen und den Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union vorbehalten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll dies auch Nicht-EU-Ausländern ermöglicht werden. Das ist eine Debatte, die immer wieder aufkommt; es war eigentlich zu erwarten, da die Kommunalwahlen vor der Tür stehen.
Im Rahmen der Anhörung des Innenausschusses haben wir fraktionsübergreifend festgestellt, dass man über dieses Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer sehr ausführlich diskutieren und sehr unterschiedliche Sichtweisen dazu einnehmen kann. Man kann sich darüber streiten und durchaus gute Argumente austauschen. Es beginnt aber natürlich mit der Frage nach einer Notwendigkeit der Erweiterung des Kommunalwahlrechts.
Es ist schon angekündigt worden: Es gibt natürlich auch berechtigte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Gesetzes. So hält es der Sächsische Städte- und Gemeindetag in seiner Stellungnahme für – ich zitiere – „sehr fraglich, ob das Grundgesetz überhaupt eine Entscheidungsmöglichkeit für die Landesgesetzgeber zulässt, das Kommunalwahlrecht auf Nicht-EU-Ausländer auszudehnen“. Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion teilt diese erheblichen Bedenken.
Meine Damen und Herren! Landesrechtliche Vorschriften müssen sich am Grundgesetz messen lassen. Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Regelungen im Freistaat wären nichtig, wenn sie den grundgesetzlichen Vorgaben widersprächen.
Auch weitere Sachverständige stellten in der Anhörung des Innenausschusses fest, juristisch würde ein Ausländerwahlrecht auf kommunaler Ebene einer Normenkontrollklage nicht standhalten. Darauf wollen wir es nicht ankommen lassen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begründete ihren Gesetzentwurf unter anderem damit, dass davon auszugehen sei – ich zitiere –, „dass Personen mit einem unbefristeten Aufenthaltsrecht regelmäßig über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung verfügen“.
Darin kommt auch der von Ihnen, Frau Zais, vorgetragene Integrationsgedanke zur Geltung, der im Prinzip begrüßenswert ist; darin gebe ich Ihnen recht. Dennoch läuft dem unserer Meinung und der Meinung vieler Sachverständiger nach die Einführung des Kommunalrechts zuwider, weil die Integration dem aus unserer Sicht nicht entspricht.
Selbst wenn die Schaffung des aktiven und passiven Wahlrechts für einen weiteren Kreis von Menschen verfassungsgemäß und dies ein starkes Signal für Gleichberechtigung von Zuwanderern innerhalb unserer Gesellschaft wäre, so würde es sich zu diesem Zeitpunkt aus unserer Sicht um reine Symbolpolitik handeln.
Vielmehr sollte es Motivation sein, die Staatsbürgerschaft zu erlangen und Teil eines Volkes im staatsrechtlichen Sinne zu sein. Für hier geborene und langjährig in Deutschland lebende Migranten besteht die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit unter erleichterten Bedingungen zu erlangen und damit auch die Werte, die wir hier haben, miteinander zu teilen und auch das Wahlrecht zu erhalten.
Sehr geehrter Herr Kollege Voigt, zu dem letzten Argument, das Sie gebracht haben, muss ich Ihnen natürlich die Frage stellen, warum Sie nicht fordern, dass sich EU-Bürgerinnen und -Bürger genauso einbürgern lassen müssen, ehe sie wählen dürfen. Wieso machen sie diesen Unterschied? Worin besteht eine logische Begründung für dieses Argument, das Sie jetzt gebracht haben?
Frau Kollegin Zais, ich würde gern in der Rede fortfahren; denn damit würde ich auf Ihre Frage antworten. Für EU-Bürger ist die bestehende Regelung aus unserer Sicht richtig und notwendig, weil es eben ein wechselseitiges Wahlrecht gibt. Deutsche Staatsangehörige dürfen in anderen EU-Staaten an den Kommunalwahlen teilnehmen. Nicht-EU-Ausländer haben dieses Wahlrecht in einer Vielzahl von EU-Ländern nicht. Auch deutsche Staatsbürger dürfen in Nicht-EU-Ländern nicht an den Kommunalwahlen teilnehmen. Das ist der entscheidende Punkt, dem wir eine hohe Priorität beimessen.
Meine Damen und Herren! Neben den genannten Gründen, die gegen die Verfassungsmäßigkeit der vorgeschlagenen Regelung sprechen, sieht die CDU-Fraktion zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder einen gesellschaftlichen Grund noch die politische Notwendigkeit, das Kommunalwahlrecht zu verändern. Aus diesem Grund lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Menschen, die nach Auffassung des Gesetzgebers nicht das richtige Alter haben, also Kinder und Jugendliche, psychisch Beeinträchtigte – wir wissen aus der aktuellen Rechtsprechung, dass das nicht ganz legitim ist – und eben Menschen, die hier ohne deutsche Staatsbürgerschaft leben und nicht aus dem EU-Ausland kommen – obwohl sie hier lange leben, arbeiten, zur Schule gehen und Steuern zahlen, obwohl sie die Sprache beherrschen und selbstverständlich die demokratischen Strukturen dieses Staates kennen.
Mehr Möglichkeiten zur politischen Partizipation, finalisiert durch das aktive und passive Wahlrecht, ist eine sehr alte Forderung der Selbstorganisation der Migrantinnen und Migranten, so zuletzt bei der Kampagne „Wir wählen“ zur Bundestagswahl. Wer hier lebt, der gehört dazu, unabhängig vom Pass, so ihr Slogan.
Diese Kämpfe für ein Wahlrecht reichen bis in die 1970er- und 1980er-Jahre zurück, als im Westen die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter ihr Recht einforderten, mitzuwählen. Wir wissen, dass es erfolglos war.
Bei den ersten freien und demokratischen Kommunalwahlen im Bereich des Ostens dieser Republik im Mai 1990 genossen Ausländerinnen und Ausländer, die seit mehr als zwei Jahren in der DDR lebten, dagegen das passive und aktive Wahlrecht. Daran will ich noch einmal erinnern; denn diese progressive Regelung ist dann leider bei den Wendeereignissen unter die Räder gekommen.
Während zumindest das Kommunalwahlrecht für EUBürgerinnen und -Bürger durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 auch in nationales Recht übernommen wurde und nun in Artikel 28 des Grundgesetzes verankert ist – darauf wurde schon hingewiesen –, trifft es für mehr als vier Millionen volljährige Menschen in Deutschland nicht zu. Sie haben keinen deutschen und keinen EU-Pass, leben hier aber seit durchschnittlich 16 Jahren. Dabei wäre es ein Leichtes, genau diese Einfahrtsschneise – das wurde auch in der Anhörung erwähnt, die Implementierung des kommunalen Wahlrechts für EU-Bürgerinnen und -Bürger hat den Grundsatz, dass nur deutsche Staats
bürger und Staatsbürgerinnen, nur deutsche Staatsangehörige, wahlberechtigt sein können – zu durchbrechen. Hier gilt es anzuknüpfen.
Die Grundsatzfrage – auch darauf wurde schon Bezug genommen –, wer zum Staatsvolk gehört und wer nicht, wird in der politischen Debatte doch sehr verschieden beantwortet. Das Meinungsspektrum konnten wir auch in der Anhörung zum Gesetzentwurf – darauf hat Kollegin Zais schon hingewiesen – zur Kenntnis nehmen. Die Debatte darum – und das ist das Problem – wird aber zumeist ideologisch geführt. Die Vertreter am ganz rechten Rand dieses Parlaments werden uns hier wohl auch gleich mit Blut- und Bodenrhetorik belästigen.
Die Frage, wer ist das Volk, ist allerdings nicht unabänderlich, sondern unterliegt im hohen Maße gesellschaftlichen Wandlungen. So waren die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes von 1990 – also vor fast 30 Jahren – auch seinerzeit schon umstritten. Sie sind in der Folgezeit noch umstrittener geworden. Auch heute widersprechen zahlreiche Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler – Frau Wallrabenstein aus der Anhörung wurde schon benannt – dieser Rechtsprechung und verweisen darauf, dass ein Wahlrecht auch für Menschen ohne deutschen Pass aus dem Demokratieprinzip abgeleitet werden könne. Kurz und knapp – und das ist eigentlich vollkommen logisch –: Möglichst alle, die von der Ausübung der Staatsgewalt betroffen sind, sollen auch gleichberechtigt an der Konstituierung dieser Staatsgewalt beteiligt werden. Darauf verweist auch der uns vorliegende Gesetzentwurf, welchen wir hier diskutieren.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Anteil von Migrantinnen und Migranten ohne deutschen Pass hat sich in den vergangenen Jahren stetig erhöht. Er liegt bundesweit – um das hier noch einmal zu benennen – bei circa 11,5 % oder 9,4 Millionen Menschen, das sind Zahlen aus 2017, und hat sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1990 damit mehr als verdoppelt. Selbst in Sachsen können wir auf einen kläglichen, aber immerhin auf einen Ausländeranteil von 4,4 % verweisen. Die Realität einer Einwanderungsgesellschaft, die uns diese Zahlen ganz eindeutig belegen, befeuert die Debatten um die Entkopplung von Staatsangehörigkeit und politischen Mitbestimmungsrechten, und dies zu Recht.
Die Menschen, die hier leben, sollen auch mitgestalten können. Das ist vollkommen klar für uns als Linksfraktion. Wir dürfen schließlich auch nicht vergessen, es wurden die Migrantenbeiräte erwähnt. Es gibt Mitbestimmungsinstrumentarien, die auch in Sachsen noch nicht wirklich ausgestaltet und durchgesetzt sind, aber am Wahlrecht an und für sich hängen noch andere politische Mitbestimmungsmöglichkeiten, zum Beispiel die Teilnahme an kommunalen Bürgerbegehren oder an Volksentscheiden oder Volksbegehren auf Landesebene.
Da möchte ich ein aktuelles Beispiel nennen: Die Migrantinnen und Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft können sich zum Beispiel nicht an dem derzeit laufenden
Volksantrag zum längeren gemeinsamen Lernen beteiligen, obwohl ihre Kinder vom sächsischen Schulwesen betroffen sind, obwohl die Kinder und Jugendlichen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sehr wohl in die sächsischen Schulen gehen und dann natürlich auch Einfluss haben müssen. Sie sind ausgeschlossen.
Um noch einmal Bezug auf den Kollegen Voigt zu nehmen: In den politischen Debatten um das Wahlrecht – nicht nur das kommunale Wahlrecht – wird immer wieder das Thema Einbürgerung entgegengestellt. Das hat schon das Bundesverfassungsgericht 1990 gemacht. Dass das Wahlrecht die Menschen einerseits vom Schritt der Einbürgerung abhalten würde, oder andererseits, dass sich die Betroffenen doch einbürgern lassen könnten, sind die Argumente, welche man immer wieder hört. Ich meine, das ist Unfug, weil Deutschland europaweit die niedrigsten Einbürgerungsquoten hat. Das hat aber nichts mit dem Thema Wahlrecht zu tun hat, sondern damit, dass die gesetzlich produzierten Hürden für eine Einbürgerung sehr hoch liegen. Das hiesige Einbürgerungsrecht ist in den vergangenen Jahren immer wieder verschärft worden, zuletzt 2016 in Bezug auf die Erlangung oder die Erteilungsvoraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis.
Länder – das ist ein anderes Beispiel –, die schon lange ein kommunales Wahlrecht praktizieren, zum Beispiel Dänemark, Schweden oder die Niederlande, weisen dagegen besonders hohe Einbürgerungsquoten auf. Das ist ein interessanter Zusammenhang. Jenseits dessen möchte ich aber betonen, dass es eine höchst individuelle Entscheidung ist, ob ein Mensch sich einbürgern lassen will oder nicht, die wir nicht zu bewerten, aber auch nicht zu sanktionieren haben, zum Beispiel durch das Vorenthalten des Wahlrechts.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN! Wir halten es für richtig und wichtig, dieses Thema im Landtag aufzugreifen. Wir sind der Meinung, dass wir als Freistaat Sachsen gerade mutig sein können und mit diesem Thema voranschreiten sollten und gegebenenfalls eine veränderte Rechtsprechung herausfordern könnten. Ich bin sicher, dass die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter am
Als Linksfraktion teilen wir in diesem Sinne die Grundintention des Gesetzentwurfs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und werden dem auch zustimmen. Ich möchte aber deutlich machen, dass wir als LINKE klar eine radikalere Veränderung durch eine Grundgesetzänderung, konkret in Artikel 28 und Artikel 38. präferieren würden und die entsprechende Anpassung des Europa- und Bundeswahlgesetzes. Entsprechende Anträge zur Ermöglichung des Wahlrechts für Drittstaatler hat die LINKEBundestagsfraktion in der Vergangenheit regelmäßig gestellt, zuletzt 2014. Mit diesem Schritt würde eine bundesweit einheitliche Lösung für alle Wahlen auf allen