Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Es beginnt die CDU. Danach folgen SPD, DIE LINKE, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. – Die SPD möchte gern beginnen. Dann darf sie das. Herr Baum, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Hartnäckigkeit wird manchmal belohnt. Wenn diese Hartnäckigkeit dazu führt, dass die Menschen in Sachsen in Zukunft besser mit dem öffentlichen Verkehr mobil sein können, dann hat sich diese Hartnäckigkeit wirklich gelohnt.
Wenn ich mich richtig erinnere, hatte die SPD-Fraktion bereits in der letzten Legislaturperiode einen Antrag eingebracht, in dem wir die Einberufung einer Expertenkommission für den ÖPNV gefordert hatten, um Lösungsvorschläge und Konzepte zu erarbeiten, wie der ÖPNV in Sachsen dauerhaft auf ein sicheres Fundament gestellt werden kann. Dieses Ansinnen haben wir im letzten Jahr mit in die Koalitionsverhandlungen genommen. Unterstützt wurden wir dabei von den sächsischen Aufgabenträgern und Zweckverbänden, die ihrerseits ebenfalls die Einrichtung einer solchen Strategiekommission mit Vehemenz und Nachdruck gefordert hatten. So konnten wir schließlich gemeinsam mit der CDU im Koalitionsvertrag festschreiben, dass wir nicht nur eine Strategiekommission brauchen, sondern dass diese bis zum 31.12. dieses Jahres erste Zwischenergebnisse und konkrete Handlungsempfehlungen vorlegen soll; denn, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit drängt.
Welches diese Herausforderungen sind, denen wir uns als Landtag und denen sich die Strategiekommission stellen muss, zeigt unser Antragstext. Bevor ich Ihnen dazu einige Beispiele nenne, möchte ich den für mich zentralen Punkt der Koalitionsvereinbarung zu diesem Thema sowie des Antrages herausstellen.
Die Erschließung einer Region durch den ÖPVN ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge und darf eben nicht allein aus wirtschaftlicher Perspektive bewertet werden.
Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel in der sächsischen Verkehrspolitik;
denn wir wollen eine Grundversorgung mit ÖPNVLeistungen in ganz Sachsen, die eine verlässliche Erreichbarkeit aller Regionen – auch im ländlichen Raum – sicherstellt. Wir wissen dabei auch um die Herausforderungen, die eng mit dem demografischen Wandel und den strukturellen Problemen der ÖPNV-Finanzierung verbunden sind.
Anders als der letzte Verkehrsminister haben wir eine völlig andere Herangehensweise. Dieser hatte den ÖPNV damals allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen. Strecken, die sich nicht rechnen, sollen auch nicht mehr bedient werden. Verbindungen, die nur von wenigen Fahrgästen benutzt werden, sollten finanziell schlechter gestellt werden. Das Ergebnis war eine schlechte ÖPNV-Finanzierungsverordnung, indem dieser falsche Blickwinkel festgeschrieben wurde, ohne Rücksicht darauf, dass in der Folge ganze Landstriche – wie
etwas das Erzgebirge, weite Teile des Vogtlandes oder die Lausitz – im öffentlichen Nahverkehr noch weiter abgehängt worden wären.
Ich denke, es ist klar – ohne der Strategiekommission vorzugreifen –, dass die derzeitige ÖPNV-Finanzierungsverordnung deshalb schleunigst geändert werden muss.
Zweitens ist es wichtig, dass wir die notwendigen Änderungen im sächsischen ÖPNV nur gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort hinbekommen werden. Auch da ist in den letzten Jahren leider vieles schiefgelaufen.
In allen Gesprächen, die ich in den letzten Wochen mit den Aufgabenträgern und Zweckverbänden geführt habe, wurde die Bitte geäußert, endlich wieder in einen gemeinsamen Dialog einzutreten und nicht im Ministerium einsame Entscheidungen zu treffen, ohne diejenigen überhaupt zu beteiligen, die sie dann umsetzen müssen. Auch das wollen wir mit der Strategiekommission ändern.
Für uns ist es dabei sehr wichtig, dass alle Zweckverbände und Verkehrsverbünde beteiligt werden, und das nicht nur, weil es die Zweckverbände sind, die unsere Entscheidungen am Ende umsetzen müssen. Vor allem aber brauchen wir das Wissen und das Know-how der Experten vor Ort. Wir brauchen sowohl die Expertisen von Zweckverbänden, wie dem VVO oder dem ZVNL, die hauptsächlich städtische Verkehre bestellen, als auch die Erfahrungen von Verkehrsverbünden, wie dem MDV, dem ZVON oder dem Verband aus dem Vogtland, die bereits seit vielen Jahren verbundübergreifend, länderübergreifend und sogar grenzüberschreitend in Richtung Polen und Tschechien aufgestellt sind.
Die angestrebten Verbesserungen, mit denen auch die Strategiekommission beauftragt werden soll, haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Wir wollen, dass in Zukunft ein sachsenweiter Tarif etabliert wird und kein Fahrgast sich mehr Sorgen machen muss, ob er oder sie, um von A nach B zu kommen, den richtigen Fahrschein gekauft hat oder nicht.
Wir wollen, dass auch die Beförderungsbestimmungen innerhalb der Zweckverbände harmonisiert werden und sich niemand mehr fragen muss, ob das Kind, das ihn begleitet, nun zwölf, 13, 14 oder 15 Jahre alt sein darf, um noch mit einem Kinderfahrschein unterwegs zu sein.
Schließlich wollen wir, dass die Verkehrsangebote durchgängig miteinander vernetzt und aufeinander abgestimmt sind, dass das Umsteigen vom Bus auf die Bahn bzw. vom Regionalexpress zum ICE nicht mehr mit zu langen Wartezeiten verbunden ist. Die Strategiekommission soll deshalb prüfen, welche Voraussetzungen wir brauchen, um in Sachsen einen integralen Taktfahrplan einzuführen.
Dass dies keine Zukunftsmusik ist, zeigt zum Beispiel das Land Rheinland-Pfalz. Dort wurde vor einigen Jahren der Taktfahrplan mit der Folge eingeführt, dass seit dem die Fahrgastzahlen enorm gestiegen sind. Mehr Fahrgäste bedeuten gleichzeitig höhere Einnahmen für die Verkehrsverbände. Dies zeigt, der ÖPNV ist attraktiv, und wir
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir noch ein Wort zur Finanzierung. Uns ist bewusst, vor welchen schweren Verhandlungen wir mit dem Bund stehen, was die Neuverteilung der Regionalisierungsmittel betrifft. Sie sind die zentrale Finanzierungsquelle für den ÖPNV. Wir als Freistaat werden uns daher gegenüber dem Bund bei den Verhandlungen dafür einsetzen, den von den Bundesländern festgestellten Finanzierungsbedarf und dessen Dynamisierung im Regionalisierungsgesetz zu verankern. Diese Dynamisierung muss sicherstellen, dass steigende Infrastrukturnutzungsentgelte nicht zulasten des Verkehrsangebotes gehen, und wir müssen verhindern, dass Sachsen am Ende weniger Geld bekommt als heute. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir auch in Zukunft einen attraktiven ÖPNV anbieten können – zum Wohle der Menschen und der Wirtschaft in Sachsen.
Aus diesem Grund bitte ich Sie alle um eine möglichst breite Zustimmung zu unserem Antrag; denn der Landtag kann heute ein deutliches Zeichen setzen, wie wichtig ihm weiterhin ein attraktiver ÖPNV in Sachsen ist.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kürzlich sprach ich mit einem Bundestagskollegen aus dem ländlichen Raum, und er sagte mir: Bei euch in der Stadt ist doch die Frage: Fährt der Bus alle 20, 30 oder 60 Minuten? Bei uns geht es eher darum, ob er ein- oder zweimal am Tag kommt oder vielleicht bald gar nicht mehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das beschreibt sehr zugespitzt die Fragen, auf die wir Antworten finden müssen. Es sind bei Weitem aber nicht die einzigen in diesem Zusammenhang.
Der eine oder die andere wird vielleicht wissen, dass ich bekennendes Mitglied im Klub der Eisenbahnfreunde hier im Hohen Hause bin, und es wird Sie vielleicht wundern, weshalb ich am Anfang gerade mit dem Bus „um die Ecke“ komme. Die Antwort ist ganz einfach: Ohne vernünftiges Busnetz kein vernünftiger Eisenbahnnahverkehr, und ohne vernünftigen Eisenbahnnahverkehr gibt es übrigens auch keinen sinnvollen Fernverkehr.
Wir wollen, dass jeder im Freistaat Sachsen Zugang zu bezahlbarer Mobilität hat. Wir werden aber damit nur erfolgreich sein, wenn das Angebot entsprechend attraktiv ist. Bezahlbarkeit und Attraktivität sind bisweilen nicht die dicksten Kumpels. Habe ich einen engen Takt, dann kostet es viel Geld. Habe ich einen gut finanzierbaren Takt, dann ist er bisweilen nicht sehr attraktiv. Allerdings ist dieser Widerspruch kein Naturgesetz. Wir können dafür sehr wohl etwas tun, und wir müssen etwas tun; denn die Rahmenbedingungen ändern sich dramatisch. Im ländlichen Raum sinken die Einwohnerzahlen, während
sie in den Ballungszentren steigen. Gleichzeitig wird es immer teurer, öffentlichen Nahverkehr zu bezahlen. Aber Geld lässt sich nicht drucken, und neue Schulden schließen wir aus. Das ist seit 1990 Kern unserer Politik.
In den vergangenen Jahrzehnten ist viel investiert worden. Die alten „Rumpelbuden“ von Reichsbahn und Bundesbahn gehören der Vergangenheit an, moderne Busse sind unterwegs, Haltestellen und Bahnhöfe wurden gemacht. Diesbezüglich ist auch jetzt noch viel zu tun, aber wer sich an die Zustände von 1989 und früher erinnern kann und will, dem wird dieser Fortschritt nicht verborgen bleiben.
Wir stehen nun vor der Aufgabe, diese Investitionen zu sichern, das Netz moderner zu machen, Busse und Bahnen noch attraktiver fahren zu lassen.
Drittens. Der Nahverkehr muss so attraktiv gemacht sein, dass man auch gern einmal das Auto stehen lässt.
Viertens. Wir brauchen einen Plan, wie Nahverkehr auch in den dünner besiedelten Gebieten klappen kann.
Zuerst die Finanzierung – Kollege Baum hatte es bereits angesprochen –, in meinen Augen wird sie auch der härteste Brocken sein. Seit der Bahnreform in den 1990erJahren sind die Länder für den Nahverkehr zuständig. Sie bekommen dafür vom Bund die nötigen Mittel – so weit die Theorie. Alle hier im Hohen Hause wissen, dass gerade um die sogenannten Regionalisierungsmittel erbittert gerungen wird. Die Gefechtslinien verlaufen übrigens interessanterweise einmal nicht zwischen den unterschiedlichen Parteien, sondern zwischen den Ländern und dem Bund.
Der Bundesfinanzminister will die Mittel bei einer Dynamisierung von 1,5 % einfrieren. Dass das hinten und vorn nicht reicht, wissen wir alle. Die Bundesregierung hat ein Gutachten beauftragt, darin werden 2,7 % gefordert. Im Konsens der Ministerpräsidenten sind es 2 %. Dieser Beschluss ist übrigens überraschend einstimmig gefasst worden. Ich vertraue darauf, dass die Ministerpräsidenten hier nicht nachgeben; denn die Folgen wären verheerend.
Oliver Mietzsch, der Geschäftsführer des Zweckverbandes Nahverkehr Leipzig, hat mir gezeigt, dass zwischen dem besten und dem schlimmsten Falle im Jahre 2030 etwa 60 Millionen Euro Differenz liegen. Wenn Sie die anderen Fachleute im SPNV-Bereich fragen, dann bekommen Sie ähnliche Aussagen. Im schlimmsten Falle drohen erhebliche Abbestellungen, dann haben wir eine schöne Infrastruktur, auf der wenig fährt. Hier müssen wir gegensteuern, die Länder müssen beim Bund kraftvoll Druck machen.
Zu den Fragen der Finanzierung gehört in meinen Augen aber auch der Widerstand gegen Pläne der Deutschen Bahn. Schon heute sind die Trassen- und Stationsgebühren ein ganz wesentlicher Kostenfaktor.
Im Raum stehen Pläne der Bahn, das System nach dem sogenannten Metropolbahnhofprinzip neu zu ordnen. Das bedeutet, dass alle Bahnhöfe, in denen mehr als 50 000 Menschen pro Tag ein- und aussteigen, Metropoltrassen- und Stationsgebühren auslösen. In Ostdeutschland betrifft das neben Berlin nur noch Leipzig. In Dresden haben wir Glück, da der Hauptbahnhof und Dresden-Neustadt diese splitten und die Reisenden sozusagen unter der kritischen Masse bleiben. Die Folgen für Leipzig und Umgebung sind erheblich: Auf allen Strecken im Umkreis von 50 Kilometern hätten die Eisenbahnen damit die teuren Trassenkosten am Hals. Das beträfe im Übrigen auch die Strecke Halle – Delitzsch – Eilenburg. Sie berührt den Metropolbahnhof Leipzig aber gar nicht. Schon daran zeigt sich, dass das nicht sinnvoll sein kann.
Danke, Herr Kollege. – Ich finde es sehr schön, dass Sie das kritisieren. Wir hatten im Dezember vorgeschlagen, dass sich der Landtag ausdrücklich durch Beschluss kritisch dagegen äußert. Warum hat Ihre Fraktion dem damals nicht zugestimmt?
Weil wir – das hatte ich Ihnen damals schon gesagt – diese Kommission erst einmal losarbeiten lassen wollten und wir dort die entsprechenden Antworten erwarten und es nicht vorweg schon beschließen lassen wollen, so wie Sie heute in dem aktuellen Änderungsantrag schon wieder alles vorwegnehmen wollen.