Protocol of the Session on March 14, 2019

(Zuruf von der CDU)

Sie wartet sich bei einem Herzinfarkt in 25 % aller Fälle im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode. Um beim Thema „zu Tode warten“ zu bleiben: Was passiert, wenn Sie heute auf dem Land in den Sommerferien auf einen Bus warten?

(Sebastian Fischer, CDU: Der Bus kommt! – Heiterkeit bei der CDU)

Herr Fischer, es passiert nichts, da 48 % aller Sachsen aktuell eben gerade nicht an das Grundnetzangebot des ÖPNV angebunden sind.

(Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Da kann man dort sehr lange auf einen Bus warten und in den Sommerferien kommt meist keiner mehr. Herr Minister, Sie haben gestern gesagt, dass 52 % derzeit angebunden seien. Ich sage heute, dass 48 % nicht angebunden sind. Alles andere ist wollen, wollen und werden.

(Zuruf von der CDU: Blödsinn! – Staatsminister Martin Dulig: Was haben wir beschlossen?)

Wenn Sie sich fragen, meine Damen und Herren, warum beispielhaft bei der Bundestagswahl in Altenberg 40 % aller Wähler unsere Partei gewählt haben, dann liegt das nicht allein daran, dass einige Politiker in diesem Haus den Bundespolizeistandort von Altenberg wegverlegen wollen. Es liegt daran, dass sie die einheimische Bevölkerung immer zuletzt versorgen.

(Zuruf des Staatsministers Martin Dulig)

Ich möchte Ihnen dazu ein eindringliches Beispiel bringen: 16 Asylbewerber wurden in Neurehefeld-Zaunhaus einquartiert. Die Bevölkerung in diesem Gebiet hatte sich sehr lange eine Querbusverbindung von Altenberg nach Neuhermsdorf gewünscht. Als die Asylbewerber eingezogen sind, wurde sofort eine dreimal täglich verkehrende Buslinie von Altenberg nach Neuhermsdorf eingerichtet.

Bitte zum Ende kommen.

Als das Heim geschlossen wurde, –

(Zurufe von den LINKEN)

Bitte zum Ende kommen.

– wurde die Busverbindung wieder eingestellt. So, meine Damen und Herren, sieht Ihre Politik für den ländlichen Raum aus.

(Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Günther, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich einmal positiv feststellen: Der Äußerung vom IWH in Halle und genauso der vom ifo Institut in Dresden vom letzten Jahr, dass man Investitionen in den ländlichen Raum beenden solle, da das nichts bringe, widersprechen wir alle gemeinsam. Das ist richtig. Es macht mich erst einmal zufrieden, dass wir uns in diesem Hohen Haus einig sind. Dass wir uns über die Gründe uneinig sind, wie die Institute auf diese Idee kommen können oder warum es vielleicht berechtigt ist, dass man von einer Spaltung von Stadt und Land spricht, ist auch naheliegend.

Man muss erst einmal festhalten: Ja, viele Ursachen in den Neunzigerjahren lagen in dem, was ist in den 40 Jahren davor passiert ist. Dass wir 1989 ein Industriemuseum waren und keine leistungsfähige Wirtschaft als wirtschaftliche Grundlage für eine Landesentwicklung hatten, hat etwas mit den Jahrzehnten der Politik davor zu tun. Denn noch vor den Zeiten des Zweiten Weltkrieges waren sehr viele große und wichtige Unternehmen in Sachsen beheimatet. Aber das ist Geschichte. Man kann darüber lamentieren oder man kann nach vorn schauen. Ich glaube, dass das, was danach passiert ist – also bestimmte Leuchttürme zu setzen –, nicht grundsätzlich falsch gewesen ist. Es ist nur immer die Frage, ob man das eine tut und deswegen nicht das andere lässt.

Was muss man aber konstatieren? 30 Jahre nach der friedlichen Revolution kann man sich nicht mehr hinstellen und alles mit den Folgen der DDR erklären. Das hat dann auch viel mit dem zu tun, was in diesen 30 Jahren passiert ist. Kollege Gebhardt hat ganz richtig das Abgehängtsein des ländlichen Raumes angeführt. Ich möchte jetzt nicht alles wiederholen. Wie viele Bahnkilometer

haben wir denn erst abbestellt und dann komplett eingestellt? Wie viele Polizeireviere haben wir geschlossen? Wie viele Schulen haben wir geschlossen? Das Ganze korrespondierte auch mit anderen staatlichen Unternehmen, etwa der Bundespost, die ihre Filialen geschlossen hat, Privatunternehmen, Kinos, die dichtgemacht haben. Ganz viele Dinge, die eigentlich das Leben lebenswert machen, die auch als Infrastruktur gebraucht werden, sind real verschwunden. Das sind die Gründe, warum es real schwieriger ist, im ländlichen Raum zu leben.

Jetzt ist die Frage, was wir heute daraus machen. Ja, das ist alles passiert. Wo aber geht es in der Zukunft hin? Wir sind uns doch einig, dass wir nicht nur auf die Städte schauen wollen, sondern dass wir den ländlichen Raum entwickeln wollen und wir eben das eine tun, ohne das andere zu lassen. Da ist es sicherlich nach wie vor sinnvoll, auch in großen Städten vielleicht Ansiedlungen zu fördern, die vor allem in einen Ballungsraum gehören und nicht irgendwo auf die grüne Wiese. Aber wir müssen auch schauen, was im ländlichen Raum passieren kann. Nur über große Unternehmen oder die Ansiedlung von Dax-Unternehmen zu sprechen wird uns nicht weiterbringen. Ich glaube, der Ansatz sollte vielmehr sein, nachhaltig aus dem, was da ist, etwas zu entwickeln.

Unser ländlicher Raum ist extrem vielfältig. Er ist nach wie vor, trotz allen Lamentierens über den demografischen Wandel, voll mit Menschen, die etwas tun wollen. Die müssen eben auch nur die Möglichkeit dazu haben. Das heißt nicht, dass die Politik festlegt, was als großer oder kleinerer Leuchtturm irgendwo hinkommt. Ich glaube, es ist viel klüger zu schauen, was vor Ort entsteht, die Grundlagen dafür zu schaffen und dann diese von selbst wachsenden Pflanzen zu gießen.

Und die brauchen einiges. Da haben wir jetzt schon ganz richtig den öffentlichen Verkehr angesprochen. Da wir in diesem Land jahrelang in der falschen Richtung unterwegs waren, müssen wir das jetzt herumdrehen. Wir brauchen eine Angebotsoffensive im öffentlichen Verkehr. Wir brauchen wieder ein starkes Rückgrat Schienenverkehr im Land, denn ganz viele Menschen brauchen das heute, ob das der Güterverkehr ist oder ob es darum geht, erreichbar zu sein. Viele Leute fahren heute gar nicht mehr Auto. Und wenn die auf ihrer Bahn-App keinen Zielpunkt finden, dann werden sie nicht dort wohnen bleiben, wenn sie von dort kommen, bzw. sie ziehen gar nicht erst dorthin, auch nicht, wenn sie ein kleines Unternehmen aufmachen wollen, zu dem ihre Kunden hinkommen sollen.

Genauso müssen wir diese Versäumnisse im Breitbandausbau aufholen. Bei der Wirtschaftsentwicklung spricht man nicht mehr unbedingt vom Zurückholen. Es kommt auch nicht darauf an, Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse herzustellen, dass überall mit Großunternehmen höchste Löhne erzielt werden müssen. Es geht auch um Lebensqualität. Das hat auch etwas mit Lebenshaltungskosten zu tun. Manchmal komme ich mit viel weniger gut aus, wenn es angenehm zu leben ist. Da haben wir im

Freistaat wirklich einiges zu bieten. Wir sind dafür, die weichen Standortfaktoren zu stärken.

Ich komme noch einmal zur Ansiedlung von kleinen Unternehmen. Man spricht heute von Arbeit und Wirtschaft 4.0. Das heißt, jeder kleine Unternehmer kann theoretisch von zu Hause aus arbeiten.

Herr Günther, bitte zum Ende kommen.

Ich denke an BadenWürttemberg, wo es in jedem Dorf einen Weltmarktführer gibt. Es geht nicht darum, das Vergangene herzuholen, sondern neue Dinge sich entwickeln zu lassen. Ich wäre zuversichtlich, wenn wir da die Basis schaffen.

Herr Günther, bitte zum Schluss kommen!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Wurlitzer, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich das Thema der Aktuellen Debatte las, hatte ich sofort verschiedene Fragen im Kopf: Seit wann ist die Bevölkerung in Sachsen zwischen Stadt und Land so gespalten, dass eine Aktuelle Debatte zur dringend notwendigen Versöhnung inszeniert werden muss? Wer hat diese Spaltung vorgenommen? Wer hat diese Spaltung festgestellt, und wer ist für diese Spaltung verantwortlich?

Der Koalitionsausschuss von CDU und SPD hat am 11. Dezember 2017 eine Absichtserklärung verabschiedet: „Die politischen Institutionen auf Landesebene, in den Landkreisen, Städten und Gemeinden haben die Entwicklung der letzten Jahrzehnte gestaltet und begleitet. Sie haben dabei von vielen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Vertrauen erfahren, Stabilität und Kontinuität sind wesentliche Leitplanken politischen Handelns im Freistaat Sachsen.“ Ich frage mich im Ernst, mit welcher Art von Selbstreflexion die Regierungskoalition ihr eigenes Verhalten wahrnimmt und ihre Leistungen einschätzt. Haben Sie das bei Ihrer Selbstbeweihräucherung und der skizzierten Spaltung von Stadt und Land einfach übersehen?

Sehr geehrte Damen und Herren der Regierungskoalition! Ihr Debattenthema ist noch nicht einmal den sprichwörtlichen Notnagel wert. Ich habe hier ein Zitat von Sir Attlee, dem britischen Premierminister von 1945 bis 1951. Er sagte: „Die Demokratie ist eine Regierungsform, die freie Diskussion voraussetzt, doch dies ist nur erreichbar, wenn die Leute aufhören zu quatschen.“ Das heißt nichts anderes als: Sparen Sie sich sinnlose Debatten und fangen Sie endlich an zu handeln. Fassen Sie sich an die eigene Nase und lernen Sie aus Ihren Fehlern. Geben Sie Fehler zu und handeln Sie entsprechend.

Vielen Dank.

(Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten)

Nun die CDUFraktion; Frau Abg. Springer, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prinzipiell ist es eine gute Sache, wenn Forschung und Wissenschaft einen Istzustand analysiert und Vorschläge macht. So weit zu dem, was vom ifo Institut versucht worden ist. Bei näherer Betrachtung muss man sich fragen: Muss man sich jeden Schuh anziehen? Herr Gebhardt, hier gebe ich Ihnen recht, wenn ein Ökonom vor sich hindenkt und -redet. Wir haben in Sachsen in den letzten 30 Jahren einen Differenzierungsprozess hinter uns gebracht, der uns dazu geführt hat, dass wir in der Lage sind, unsere jetzige Situation zu beurteilen. Herr Baum, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, wie Sie das vorgetragen haben. Dem lässt sich nicht viel hinzufügen.

Meiner Ansicht nach gibt es Beispiele dafür, dass wir nicht lamentieren, sondern handeln. Ich bitte darum, dass Sie Ihr Augenmerk mit mir gemeinsam auf das SMUL werfen, unser Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft, das auch für den ländlichen Raum zuständig ist. Dort gibt es eine tolle Initiative, die simul+ heißt. Im Rahmen dieser Initiative werden Projekte gefördert, die Ideen für Land und Raum entwickeln, die aus dem ländlichen Raum selbst kommen. Es war auch eine Kollegin von den LINKEN mit dabei, als am Montag die Prämierung dieser Projekte stattfand. Es war eine Freude zu sehen, welch kreative Projekte im ländlichen Bereich in Sachsen entwickelt worden sind. Von über 300 Anträgen wurden mehr als 50 ausgezeichnet. Die Summen der Preisgelder lagen zwischen 5 000 und 450 000 Euro, und die Freude eines jeden war riesengroß. Dort passierte genau das, was Herr Günther gefordert hat, nämlich: Die wachsenden Pflanzen werden gegossen.

Unter der Überschrift simul+ passiert noch etwas ganz anderes: Im SMUL werden Forschungen vorangetrieben, die mit hochkarätigen Partnern erfolgen. Die Partner sitzen nicht nur im Dorf, sondern auch in der Stadt. Dass diese Forschungen erfolgreich sind, kann man auf der Homepage des Landwirtschaftsministeriums sehr gut nachlesen.

Bevor ich jetzt zum Ende komme, nur noch einen Satz an Sie, Herr Barth. Sie haben sinngemäß gesagt, dass Sachsen große Player – Sie haben auch ein paar Namen genannt – in die Städte gelockt hätte. Eine kleine Korrektur: VW hat sich in einem tatsächlichen Dorf angesiedelt. Damals war das noch Mosel, was heute nicht mehr auf der Landkarte zu finden ist, weil es ein Stadtteil von Zwickau geworden ist. Bei der Ansiedlung war es noch ein Dorf. Hier hat niemand irgendetwas in die Stadt gelockt.

(André Barth, AfD: Da muss ich Ihnen ausnahmsweise recht geben!)

Gestatten Sie mir zum Ende eine nicht ganz so ernst gemeinte Bemerkung, die uns alle zum Nachdenken über Wissenschaft und Forschung bringen sollte. Natürlich ist es richtig, dass wir ohne wissenschaftliche Erkenntnisse keinen Fortschritt haben. In der Naturwissenschaft gibt es ein kleines Beispiel, was zumindest zum Nachdenken anregen sollte. Laut aller wissenschaftlicher Erkenntnis dürfte eine Hummel nicht fliegen können. Die Hummel tut es aber trotzdem, weil sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht kennt. Genauso sollten wir es auch mit der Förderung von Städten und ländlichen Räumen halten. Wir sollten unseren Freistaat so entwickeln, wie wir es in der Politik im Interesse unserer Bevölkerung für richtig halten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Uwe Wurlitzer, fraktionslos, steht am Mikrofon.)

Nun für die SPDFraktion Herr Baum.

Herr Wurlitzer, Sie wünschen eine Kurzintervention?

Ja, meine einzige.

Liebe Frau Springer, ich habe jetzt die ganze Zeit zugehört, auch Ihrem Vorredner.

(Ines Springer, CDU: Da freue ich mich!)