Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach 26 Jahren ist es endlich an der Zeit, dass die Partizipation von Kindern und Jugendlichen entsprechend der Konvention auch in Sachsen Berücksichtigung findet. Kinder und Jugendliche sind oft von Entscheidungen in ihren Gemeinden und Landkreisen betroffen, aber sie haben nur sehr wenige Möglichkeiten, sich aktiv in diesen Prozess einzumischen.
Unser Ziel ist es, Kinder so früh wie möglich an Entscheidungen zu beteiligen, die ihr direktes Lebensumfeld betreffen. Das fängt schon in der Familie oder in der Kita an. So ist es im Sächsischen Bildungsplan beispielsweise für Krippen, Kitas und Hort sowie in der Kindertages
pflege an verschiedenen Stellen festgeschrieben, dass Krippen, Kindergärten, Hort und Kindertagespflegestellen zu Orten entwickelt werden sollen, an denen alle Kinder Gelegenheit haben, Anerkennung und Lerngelegenheiten zu finden und an allen Prozessen im Alltag gleichberechtigt beteiligt zu sein.
Leider ist dies in politischen Gremien nicht der Fall. Auch in der Sächsischen Gemeindeordnung ist die Einbeziehung bei der Planung von Vorhaben, welche die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, nur eine Sollbestimmung und keine Verpflichtung. Eine angemessene Beteiligung der unmittelbar Betroffenen wird somit in keiner Weise ermöglicht.
In unserem Gesetzentwurf wollen wir festschreiben, dass auf kommunaler Ebene Kinder- und Jugendvertretungen sowie kommunale Beauftragte für Kinder und Jugendliche eingerichtet werden und diese rechtzeitig zu beteiligen sind, wenn es um deren Belange geht. Genau damit wird ihren Gedanken und Ideen Gehör verschafft und ihnen die Gelegenheit gegeben, ihre Forderungen und Anliegen an die entsprechenden Stellen zu transportieren. Im Rahmen der Mitarbeit in den Jugendvertretungen erhalten sie ebenfalls die Möglichkeit, sich in konstruktiven Auseinandersetzungen zu üben und erzielte Erfolge als positiven Effekt zu erleben. Das kann man durchaus als Lebensschule bezeichnen.
Kinder und Jugendliche wissen am besten, was sie stört und was sie verändern wollen. Daher fordert der Gesetzentwurf Jugendvertretungen in den Kommunen und Landkreisen. Über die Ausgestaltung der Jugendvertretungen sollen sie die Form der Beteiligung selbst wählen, um somit auf lokale Gegebenheiten reagieren zu können.
Kinder haben meist sehr genaue Vorstellungen, wie sie ihre Umgebung gestalten möchten. Das zeigen immer wieder Beispiele von Jugendclubs oder Jugendtreffs, wo Kinder und Jugendliche schon bei der Einrichtung oder Umgestaltung integriert werden. Mit diesem gemeinsamen Arbeiten und Austauschen von kreativen Ideen wächst ebenso das Zusammengehörigkeitsgefühl und der positive Umgang miteinander. Das führt auch dazu, dass sich junge Menschen mit demokratischen Prozessen auseinandersetzen können.
Auch wenn jetzt sicherlich Bedenken aufkommen, dass Kinder die Tragweite ihrer politischen Entscheidungen nicht einschätzen können, können die Kritiker beruhigt sein, denn die endgültige Entscheidung obliegt immer noch den gewählten Kommunalvertretern. Dennoch wird den Kindern und Jugendlichen hiermit ein wichtiges Mittel für die Antragsrede und ein bedingtes Vetorecht ermöglicht, um den Entscheidungsprozess maßgeblich zu beeinflussen; denn es wird leider in den Kommunalparlamenten viel zu oft über Kinder und Jugendliche gesprochen als mit ihnen.
Insbesondere für Jugendliche müssen Entscheidungen transparent werden, damit Politik nicht nur Lernstoff aus Schulbüchern und somit Theorie ist. Gleichzeitig wird verhindert, dass die gesetzlich festgelegten Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte zum Nachteil von Jugendlichen umgangen werden können.
Der zweite Teil des Gesetzes bezieht sich auf ein aktives Wahlrecht ab 16 Jahren. In Österreich können Jugendliche bereits seit dem Jahr 2007 ab 16 Jahren auf Landes- und Kommunalebene wählen. Auch in Deutschland haben schon vier Bundesländer – Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein – das Wahlalter von 16 Jahren eingeführt. Die SPD hat in ihrem Landtagswahlprogramm 2014 das Wahlalter ab 16 gefordert, aber im Koalitionsvertrag steht davon kein Wort.
Mehrere Studien belegen, dass Jugendliche mit 16 Jahren durchaus die geistige und soziale Reife haben, um sich an Wahlen zu beteiligen. In der Studie der Bertelsmann Stiftung „Wählen ab 16“ aus dem Jahr 2015 wurde festgestellt, dass die Senkung des Wahlalters auf 16 ein Baustein sein kann, um Menschen langfristig an demokratische Prozesse heranzuführen.
Die Zahl der Erstwählerinnen und Erstwähler ist im Vergleich zu anderen Gruppen unterdurchschnittlich. Je früher eine tatsächliche Beteiligung stattfindet, umso höher ist die langfristige Bindung an demokratische Prozesse. Das politische Interesse der Jugendlichen steigt. Laut Shell Jugendstudie von 2015 waren im Jahr 2002 nur 30 % der Jugendlichen an Politik interessiert. Im Jahr 2015 hat sich die Zahl auf 41 % erhöht. Laut der Jugendstudie von BRAVO und YouGov von 2017 gaben 50 % der Jungen und 20 % der Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren an, sich intensiv und regelmäßig mit Politik zu beschäftigen.
Das Interesse bei Jugendlichen ist also vorhanden, aber leider fehlt es an Beteiligungsstrukturen und der Möglichkeit, wählen zu gehen. Laut dem Kinderreport Deutschland 2018 des Deutschen Kinderhilfswerkes sehen 50 % der befragten Kinder und Jugendlichen Mitbestimmung als sehr wichtig bzw. 46 % als wichtig an.
Mitbestimmung muss erlebbar werden. Lassen Sie uns deshalb jetzt beginnen, an dem Gesetzgebungsprozess zu arbeiten und Kindern und Jugendlichen in Sachsen mehr Beteiligungsmöglichkeiten zu geben und um durch die Senkung des Wahlalters junge Menschen frühzeitig an Wahlen zu beteiligen und damit einen Beitrag gegen die Politikverdrossenheit und für mehr Transparenz zu schaffen! Nutzen wir das noch unberücksichtigte Potenzial von jungen Menschen, sich bei der Gestaltung unserer Gesellschaft aktiv einzubringen und damit gleichzeitig weiterhin eine positive Zukunft für alle zu ermöglichen!
Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den soeben eingebrachten Entwurf an den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz, Gleichstellung und Integration – federführend –, an den Innenausschuss sowie an den Verfassungs- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Zwei Stimmenthaltungen, ansonsten Zustimmung. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Auch hierzu gibt es keine Aussprache. Es spricht die einreichende Fraktion; Herr Abg. Zschocke. Volkmar Zschocke, GRÜNE: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2019 ist ein Wahljahr. Es droht, dass auch diesmal wieder viele Menschen mit Behinderung
Wahlrecht ist Menschenrecht. Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht vor, dass Menschen mit Behinderung ihr Wahlrecht gleichberechtigt wahrnehmen können. Einschränkungen sind verfassungs- und völkerrechtlich nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Insgesamt sind diskriminierende Beschränkungen des Wahlrechts stets ausgeschlossen.
Aber das Wahlrecht in Bund und Land schließt nach wie vor viele Menschen mit Behinderung automatisch aus und erlaubt es ihnen nicht, zu wählen oder sich wählen zu lassen. Eine Reihe internationaler Gremien mahnt die Bundesrepublik regelmäßig an, diese unzulässige Diskriminierung endlich zu beenden.
In Sachsen sind es reichlich 4 000 Menschen mit Behinderung, denen es gesetzlich versagt ist, zu wählen. Betroffen sind vor allem Menschen, bei denen eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist. Hinzu kommen weitere Menschen, denen es wegen der Gestaltung des Wahlverfahrens, der Wahlmaterialien sowie der Wahllokale erschwert ist, ihr Wahlrecht auszuüben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir diese Diskriminierung abschaffen und den Zugang für alle erleichtern.
Im Mai 2014 wurde ein ähnlicher Gesetzentwurf meiner Fraktion abgelehnt. Zentrale Kritik damals war die Vermischung von Fragen der UN-Behindertenrechtskonvention mit Fragen des Wahltermins und des Zugangs von Wählervereinigungen.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf nimmt diese Kritik auf und konzentriert sich allein auf die Wahlrechtsausschlüsse behinderter Menschen und Fragen der Barrierefreiheit. Zudem wurde damals argumentiert, dass eine Studie und eine Einigung auf Bundesebene zu den Wahlrechtsausschlüssen abgewartet werden müsse.
Meine Damen und Herren, die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht liegt inzwischen – seit 2016 – vor. Eine Einigung auf Bundesebene besteht insofern, als die aktuelle Regierungskoalition in Berlin den Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Vollbetreuung beenden will.
Auch CDU und SPD in Sachsen haben im Koalitionsvertrag 2014 vereinbart, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen, ohne jede Diskriminierung, zu gewährleisten und zu fördern. Auch die Staatsregierung hat in ihrem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention angekündigt, Anpassungen für Menschen mit Behinderung für das Landes- und Kommunalwahlrecht zu prüfen. Antworten auf mehrere Kleine Anfragen von mir zeichnen allerdings ein anderes Bild: Die Staatsregierung wartet weiterhin auf die Entscheidung auf Bundesebene und wird nicht selbst tätig.
Meine Damen und Herren! Wir finden es falsch, erst auf die vereinbarte Änderung des Wahlrechts im Bund formal zu warten, bevor wir das Gesetzgebungsverfahren in
Sachsen dazu starten. Dieses Warten würde dazu führen, dass – trotz Einigung – die betroffenen Personen bei der Wahl im nächsten Jahr wieder nicht wählen können. Ich sage: Zeit für Forschung und Debatte war genügend. Jetzt ist eine zügige Umsetzung geboten. In anderen Bundesländern geht es ja auch. Zum Beispiel sind in Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und SchleswigHolstein solche Wahlausschlüsse bereits aufgehoben.
Auch die Behindertenverbände protestieren seit Jahren gegen diese Ausschlüsse. Davon betroffen sind Menschen mit Lernschwäche, Downsyndrom, Schizophrenie, an Alzheimer Erkrankte oder psychisch Kranke. Wegen solcher nicht gerechtfertigter Wahlausschlüsse wurde bereits die Bundestagswahl 2013 angefochten. Es gibt auch einen gemeinsamen Brief, worin unser Landesbehindertenbeauftragter gemeinsam mit den Landesbehindertenbeauftragten aller anderen Länder und der Beauftragten der Bundesregierung fordert, dass die Wahlrechtsausschlüsse umgehend abgeschafft werden müssen.
Mit den von uns vorgesehenen Änderungen wird die gleichberechtigte Teilnahme ermöglicht. Die oft geäußerte Sorge vor einem möglichen Missbrauch rechtfertigt aus unserer Sicht keinen pauschalen Ausschluss bestimmter Personengruppen aus dem Wahlrecht, da diese Gefahr zum Beispiel auch bei Briefwahlen besteht. Betreuung bedeutet doch nicht, meine Damen und Herren, dass Menschen nicht entscheidungsfähig sind. Betreuung bedeutet vielmehr, dass sie Unterstützung brauchen, um diese Entscheidung zu treffen.
Von einem insgesamt leichteren Zugang zu Wahlen profitieren darüber hinaus alle Menschen. Unsere Gesellschaft wird immer älter. Der Anteil der über 65-Jährigen in der Bevölkerung liegt in Sachsen bei 25 %.
Wir wollen mit dem Gesetzentwurf sicherstellen, dass Wahlverfahren und Wahlmaterialien so ausgestaltet werden, dass sie auch von diesen Menschen genutzt werden können. Momentan ist es so, dass es nicht allen Menschen möglich ist, von ihrem Wahlrecht einfach Gebrauch zu machen. Die Wahlbenachrichtigungen sind kompliziert, die Briefwahlunterlagen sind es auch. Es gibt unübersichtliche Stimmzettel. Aber auch die fehlende Barrierefreiheit von Wahlräumen gehört dazu. In den Wahlbenachrichtigungen fehlen außerdem oftmals Informationen, ob und welche Hilfestellungen es bei der Wahl gibt. Älteren Menschen fällt es zudem schwer, Informationen in kleiner Schrift zu lesen.
Wir schlagen im Gesetzentwurf eine Regelung vor, in der der Grundsatz der Barrierefreiheit des Wahlverfahrens und der Wahlmaterialien formuliert wird, und in einer Rechtsverordnung sollen Mindeststandards hinsichtlich Schriftgröße, Schriftart, leichter Sprache und Informationsgehalt festgeschrieben werden.
Barrierefreie Wahlräume kommen letztendlich uns allen zugute. Wählerinnen und Wähler mit und ohne Behinderung ist die Teilnahme an der Wahl erschwert, wenn die Räume nicht barrierefrei sind. Betroffen sind Menschen mit Gehbehinderung, Rollstuhlfahrer oder die Menschen,
die einen Rollator nutzen, sowie blinde Menschen und Menschen mit Sehbehinderung, aber auch Eltern mit Kinderwagen oder ältere Menschen.
Die Kleinen Anfragen, die ich dazu gestellt habe, belegen, dass die Staatsregierung gar keine Kenntnis davon hat, inwiefern die von den Gemeinden ausgewählten Wahlräume tatsächlich einen barrierefreien Zugang gewährleisten. Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass ab 1. Januar 2023 alle Wahllokale barrierefrei sein sollen. Bis dahin soll mindestens ein barrierefreier Wahlraum pro Wahlkreis in zumutbarer Entfernung zu Fuß oder mit Anbindung an den ÖPNV erreichbar sein.
Diese Übergangsfrist soll es den Kommunen erleichtern, die notwendigen Anpassungen in den Gebäuden schrittweise vorzunehmen. Die Städte haben hier wirklich sehr viel getan. In der Landeshauptstadt Dresden sind bereits mehr als die Hälfte der Wahlräume barrierefrei.
Wir wollen dennoch diesen langen Übergangszeitraum im Gesetzentwurf ermöglichen, denn die Kommunen dürfen nicht überfordert werden. Sie sollen die Chance nutzen können, Barrierefreiheit schrittweise und gemeinsam mit den Betroffenen umzusetzen. Die Wahlräume befinden sich oftmals in kommunalen Gebäuden, zum Beispiel in
Schulen. Die Barrierefreiheit dieser Gebäude ist dann auch ein Gewinn für die Inklusion insgesamt und nicht nur am Wahltag.
Meine Damen und Herren! Nach der heutigen ersten Lesung wollen wir unseren Gesetzentwurf in den Ausschüssen zügig beraten. Mit Ihrer Unterstützung könnte die Beseitigung der Wahlrechtsausschlüsse zumindest eine unmittelbare Wirkung zur Landtagswahl 2019 entfalten.
Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den soeben eingebrachten Entwurf an den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz, Gleichstellung und Integration – federführend – und an den Innenausschuss zu überweisen. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Zwei Stimmenthaltungen, ansonsten mehrheitlich zugestimmt. Damit ist der Überweisung zugestimmt worden.