Auch hierzu liegt keine Empfehlung zur allgemeinen Aussprache vor. Deshalb spricht nur die einreichende Fraktion. Frau Abg. Zais, bitte.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in Sachsen in einer Gesellschaft, die gekennzeichnet ist von Vielfalt in Herkunft, Sprache, Religion und kulturellem Hintergrund. In Zahlen heißt das: Im Freistaat Sachsen leben derzeit circa 200 000 Menschen mit Migrationshintergrund. Das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von rund 7,2 %.
Menschen mit Migrationshintergrund verfügen aber in Bezug auf Bildungserfolge, Ausbildungs- und Erwerbsbeteiligung sowie das gesellschaftliche Leben erkennbar noch nicht über die gleiche Teilhabe. Integration kann jedoch nur dort gelingen, wo es umfassende Teilhabemöglichkeiten zum Mitmachen und Gestalten des eigenen Lebensumfeldes gibt.
Laut dem Jahresbericht der Bundesagentur für Arbeit arbeiteten im Jahr 2017 in der öffentlichen Verwaltung in Sachsen circa 94 300 Deutsche, aber nur 325 Ausländer. In Kindertagesstätten und Schulen ist der Anteil ähnlich gering. So arbeiten in Kindergärten rund 15 200 Deutsche
und 183 Ausländer. In Schulen ist das Verhältnis ähnlich: Circa 33 220 Deutschen stehen 636 Ausländer gegenüber.
Die Stimmen und Anliegen von Menschen mit Migrationshintergrund sind im Freistaat Sachsen nur wenig bis gar nicht in demokratische Prozesse eingebunden. Angesichts dieser Befunde können teilhabefördernde und diskriminierungssensible Strukturen, Verfahren und
Integration ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft, und sie braucht Leitplanken, um gelingen zu können. Genau das will dieses Gesetz bewirken. Wir brauchen in Sachsen ein Teilhabe- und Integrationsgesetz.
Zu diesem Ergebnis kommt auch ein Anfang 2018 erarbeitetes Gutachten des Zentrums für Integrationsstudien der Technischen Universität Dresden, welche das Sächsische Ministerium für Gleichstellung und Integration in Auftrag gegeben hat.
Danach sei der politische Handlungsbedarf dringlich. Dies zeige sich auch mit Blick auf die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen sowie antidemokratischer Strömungen, die den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden. Anstrengungen im Bereich Integration seien daher
nicht nur vonseiten der Zuwanderer und Personen mit Migrationshintergrund zu erwarten, auch die Aufnahmegesellschaft und die Politik seien gefragt.
Das sehen wir auch so. Das Staatsministerium für Gleichstellung und Integration hat jedoch bisher lediglich ein neues Zuwanderungs- und Integrationskonzept erarbeitet. Das finden wir vom Grundsatz her begrüßenswert, aber nach unserer Auffassung braucht es mehr. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, wie Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen, gibt es bisher in Sachsen kein Gesetz, das die Teilhabe von Migrantinnen und Migranten verbessert und zum Abbau von Benachteiligung beitragen kann. Auch in Schleswig-Holstein wird gerade vom Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration – das im Übrigen CDU-geführt ist – ein solches Gesetz erarbeitet.
Dabei gibt es in Sachsen eine gesetzgeberische Tradition zur Verbesserung der Teilhabe spezifischer Gruppen, so zum Beispiel für Menschen mit Behinderung das Sächsische Integrationsgesetz oder für im öffentlichen Dienst beschäftigte Frauen das Sächsische Frauenförderungsgesetz. Mit dem Gesetz wollen wir eine verbindliche Rechtsgrundlage für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund in allen wesentlichen Bereichen der Gesellschaft schaffen: in Kita, Schule, Beruf, in Verwaltung und Politik.
So sieht der Gesetzentwurf die interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung sowie den Erwerb interkultureller Kompetenz vor. Bisher fehlte es hier an aufeinander abgestimmten Konzepten. Das heißt, der Erwerb von interkultureller Kompetenz soll durch Fortbildungsangebote und Qualifizierungsmaßnahmen für alle Beschäftigten sichergestellt werden. Bei Stellenausschreibungen ist nach unserem Gesetzentwurf verpflichtend darauf hinzuweisen, dass Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund ausdrücklich erwünscht sind.
Weiterhin sieht der Gesetzentwurf als Möglichkeit der politischen Teilhabe auf Landesebene einen Beirat für Migration und Integration vor. Damit wird erstmals eine rechtliche Grundlage geschaffen, die die Zusammensetzung, die Aufgaben und Befugnisse der Mitglieder eines solchen Beirates regelt. Bisher gibt es den Beirat für Migration und Integration, welcher nur das Staatsministerium für Integration und Gleichstellung berät. Die Zusammensetzung der Mitglieder ist bisher nicht verbindlich geregelt. Das wollen wir ändern.
Durch den Beirat besteht die Möglichkeit, Entscheidungsträger, wie zum Beispiel uns, den Sächsischen Landtag, unser Landesparlament, durch eine repräsentative Vertretung über Standpunkte und Bedürfnisse von Zuwanderern zu informieren. Der Landesbeirat für Menschen mit Behinderung tut dies schon auf einem anderen Gebiet. Die Teilhabe an politischen Entscheidungen und Prozessen ist – neben Bildung und Arbeit – wichtig für die Integration.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf den ebenfalls von den GRÜNEN vorgelegten Gesetzentwurf zur Einführung
des Kommunalwahlrechts hinweisen. Mit diesem fordern wir eine Rechtsgrundlage für die aktive und passive Teilnahme an den Kommunalwahlen für dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer aus Nicht-EU-Staaten; denn nach unserer Auffassung ist das Wahlrecht das wichtigste demokratische Mittel für die direkte Mitgestaltung des Zusammenlebens. Unser Teilhabegesetz bekräftigt daher auch die herausragende Bedeutung der Einbürgerung für den Integrationsprozess und hebt hervor, dass die Einbürgerung hier lebender Ausländerinnen und Ausländer Landesinteresse ist.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch die Teilhabemöglichkeiten im Bildungsbereich, in Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen, sollen verbessert werden. Menschen mit Migrationshintergrund sollen in den entsprechenden Gremien als beratende Mitglieder stärker als bisher beteiligt werden. Diese Gremien sind etwa der Landesbildungsrat oder der Landesbeirat für die Belange von Menschen mit Behinderung.
Alle fünf Jahre, so sieht es unser Gesetzentwurf vor, soll dem Landtag ein Bericht zur Lage von Menschen mit Migrationshintergrund im Freistaat Sachsen vorgelegt werden. Außerdem – das ist besonders wichtig – sollen unter anderem die bestehenden Feiertage um muslimische und jüdische Feiertage ergänzt werden, damit auch Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Beschäftigte muslimischen oder jüdischen Glaubens das Recht haben, von Unterricht, Ausbildung oder Arbeit freigestellt zu werden. Auch – dies spielt ebenfalls eine Rolle bei der Integration – soll das Bestattungsrecht so angepasst werden, dass Bestattungen auch nach muslimischem Recht möglich werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Integration gilt es nicht nur von den Menschen einzufordern, die zu uns kommen. Es kommt auch darauf an, dass wir als Aufnahmegesellschaft die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen und gestalten, damit Integration tatsächlich möglich ist und letztlich gelingt.
Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf „Gesetz für Chancengerechtigkeit und zur Verbesserung der Teilhabe von Migrantinnen und Migranten im Freistaat Sachsen“ an den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz, Gleichstellung und Integration – federführend – sowie an den Innenausschuss zu überweisen. Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen hat es dennoch mehrheitlich Zustimmung zur Überweisung gegeben. Ich schließe den Tagesordnungspunkt.
Als Einbringerin spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE, danach folgen CDU, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der Linksfraktion das Wort. Frau NeuhausWartenberg, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! 165 Fragen zu elf verschiedenen Themenkomplexen haben wir in unserer Großen Anfrage zur Wirtschaftspolitik gestellt – 165 Fragen und Antworten, die zudem nicht sehr überraschen, zumindest nicht uns. Die Sächsische Staatsregierung führt sich ja gern einmal wie der große Zampano auf, und dabei ist es richtig und notwendig, wenn wir als Oppositionsfraktion nachschauen, ob zu dick aufgetragen wurde und wird, und zu hinterfragen, ob Sachsen wirklich so spitze ist. Und siehe da: Viele Zahlen, die uns als Antworten auf unsere Fragen geliefert wurden, zeigen: Sachsen ist im bundesweiten Vergleich maximal Mittelmaß. Sachsen ist zum Beispiel Mittelmaß beim Wachstum des BIP. Berlin und Thüringen sind dabei auf einem ganz anderen Weg. Aber wen wundert es – dort regieren wir ja auch mit.
Genau, lachen Sie ruhig! – Das mit dem Mittelmaß klappt dann bei der Bruttowertschöpfung je Arbeitnehmer nicht mehr so ganz. Hierbei liegt Sachsen bundesweit an viertletzter Stelle.
Weiter geht es mit dem Mittelmaß bei den Bruttolöhnen und Gehältern je Arbeitnehmer. Schaut man sich die Zahlen und damit die Entwicklung der letzten Jahre an, so tritt Sachsen dabei nicht gerade als dynamisches Bundesland in Erscheinung. Wenn man nun die Steigerung der Bruttowertschöpfung und der Bruttolöhne je Arbeitnehmer vergleicht, dann landen von den etwa 12 600 Euro mehr an Bruttowertschöpfung nur 6 400 Euro als Bruttolohn bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dieses Verhältnis ist zwar bundesweit ungefähr gleich, aber deshalb noch lange nicht gut. Wenn es uns darum geht, Erwerbsarbeit anzuerkennen, warum nicht mit einem deutlicheren Plus in der Lohntüte? Zudem stärkt das die Binnennachfrage; aber darauf komme ich später noch einmal zurück.
Zunächst: Wer die Forderung nach Lohnsteigerung aufstellt, befindet sich damit sogar in Gesellschaft des IWF. Wie in der „WELT“ vom 15. Mai 2017 zu lesen war, forderte der IWF deutlich höhere Löhne sowie Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Kinderbetreuung und Flüchtlingsintegration sowie eine Senkung der Steuerlast
auf Arbeit. Natürlich sind Lohnerhöhungen Sache der Tarifparteien, darüber haben wir gestern diskutiert. Aber die Politik könnte ja mit einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von ebendiesen 12 Euro pro Stunde schon einmal vorlegen.
Ich denke, die Aufgabe einer zukunftsorientierten Regierung wäre es doch eigentlich, gerade in guten Zeiten die Weichen für die Zukunft zu stellen und auch einmal etwas Ungewöhnliches zu probieren und nicht nur den Status quo zu verwalten. Stattdessen lobt sie sich fortwährend, und ganz ehrlich: Wie viele Fragen unserer Großen Anfrage konnten nicht vernünftig beantwortet werden, weil es dazu keine statistische Erhebung gibt? Freiberufler: Fehlanzeige! Die Anzahl aller Freiberufler(innen) in Sachsen ist der Staatsregierung nicht bekannt, zumindest nicht in Gänze. Einige werden erfasst, andere nicht.
Woher generieren wir die Gewerbesteuer? Wir sprechen von Strukturen. Es gibt keine Erfassung, welche Wirtschaftszweige in welcher Region was beitragen. Wir sprechen über die originäre Einnahmequelle einer jeden Gemeinde. Wir arbeiten 2018 mit Messbeträgen aus dem Jahr 2013; und um den Bogen zu Ende zu spannen: Raten Sie doch einmal, welche Angaben zum Tagestourismus gemacht werden können! Richtig: keine. Aber gut sind wir, dessen bin ich mir sicher.
Letztes Beispiel war die aktuelle Bewertung Sachsens im Deutschen Startup Monitor 2018. Mit einer 3,1 liegt Sachsen knapp hinter Thüringen auf Platz zwei. Das ist ziemlich weit vorn, aber die Frage ist, ob das auch gut ist. Wir reden hierbei immerhin von einer Schulnote mit einem „befriedigend“. Ich frage, wie viele der Abgeordneten der Regierungskoalition und Mitglieder der Staatsregierung dafür überschwängliches Lob von ihren Eltern erhalten hätten? – Es ist eine Drei!
Wenn Sachsen hierbei scheinbar vorn liegt, so zeigt das doch nur, wie wenig sich in Deutschland insgesamt an den Bedürfnissen von Start-ups orientiert wird. Eine Baustelle bleibt das allemal.
Eine weitere Baustelle ist die Berufsausbildung: Das ist in den Fragen 132 bis134 erfasst. Die Zahlen der freibleibenden Stellen sind alarmierend. Im Schnitt gibt es je nach Branche drei- bis viermal mehr unbesetzte Lehrstellen als im Jahr 2009. Die Gründe mögen vielfältig sein, aber offenbar mangelt es den Ausbildungsberufen an Attraktivität. Ein Schritt könnte die Einführung eines flächendeckenden Ausbildungsmindestgehalts sein, das an branchenübliche Tarife gebunden und gegebenenfalls
durch eine Förderung mitfinanziert wird. Jeder Vorschlag sollte willkommen sein, sonst bleibt es beim üblichen Jammern über das händeringende Suchen nach Azubis.
Ich möchte noch eine Bemerkung zur Förderpolitik der Staatsregierung machen. Mein Kollege Nico Brünler wird dazu noch ausführlicher sprechen. Der „Fonds zur Rettung und Umstrukturierung von sächsischen Unternehmen“ wird künstlich hochgerechnet. Das Ausschöpfen des Fonds ist rückläufig; in den Jahren 2016 und 2017 ist nicht einmal die Hälfte des Planes für die Jahre von 2018 bis 2020 abgerufen worden. Die sächlichen Verwaltungsausgaben steigen dabei jedoch um 17 % bei gleichem avisiertem Mittelabfluss. Selbst wenn diese Tendenz stagniert, kann man davon ausgehen, dass statt der veranschlagten 16,5 Millionen Euro nur circa 6 Millionen Euro ausgereicht werden – und das bei einem Fonds, der für kleine und mittlere Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft, die seit mindestens drei Jahren existieren und in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, eingerichtet ist. Es ist nicht nur so, dass hier ins Nichts gefördert wird, sondern es mangelt am Willen zur Bewertung der eigenen Politik. Das verwundert aber schon lange nicht mehr.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir wollen hier nichts streichen oder sparen. Uns geht es um Effektivität, um den einfachen Zugang, schlichtweg um Praxisnähe.
Die Beantragung vor allem für kleine und junge, unerfahrene Unternehmen auf der Grundlage der sogenannten Förderdatenbank ist kompliziert, da diese weiterhin selbst direkten Kontakt zu den öffentlichen Stellen suchen müssen. Junge Gründer und Gründerinnen von Unternehmen beantragen Mikrodarlehen. Die SAB verweist auf die Politik, das Ministerium auf die SAB, das ganze Verweisen dauert mehr als sechs Monate, und der Antrag ist weder angeschaut, geschweige denn bewilligt. Das ist kein Einzelfall. Ein einfacher Zugang zu Förderung sieht anders aus.