Herr Staatsminister, das ist die Frage, die Sie uns beantworten müssen, auch im Maßstab ebendieser Erklärung.
Was führt einen landläufig auch als Verfassungsminister bezeichneten Innenminister zu solchen Gedankengängen, geschweige denn, dass es ihn faktisch angeht? Gewiss nicht die auch nur in Ansätzen funktionierende Auseinandersetzung mit den Quellen, aus denen sich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und auch diese Sächsische Verfassung speist.
Was macht Sie eigentlich so sicher, Herr Staatsminister, dass diese Menschen aus purem bösem Willen ihre Identität nicht nachweisen können oder auf gefälschte Papiere angewiesen waren? In den kriegsgebeutelten Regionen Syriens oder des Iraks dürfte die Zahl der intakten Einwohnermeldeämter überschaubar sein – ganz zu schweigen davon, ob diese Menschen vor ihrer Flucht aus vielleicht einer wirklich akut lebensbedrohlichen Situation noch die Zeit hatten, sich einen gültigen Ausweis zu besorgen, oder ob sie diesen als politische Dissidenten in ihrem eigenen Land von den zuständigen Behörden überhaupt bekommen hätten.
Oder nehmen wir den jetzt im Parlament vorliegenden und in unseren Augen offenkundig verfassungswidrigen Entwurf des neuen Sächsischen Polizeigesetzes: Wie verträgt sich die sogenannte Gefährderhaft mit Artikel 9 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – also die Inhaftierung eines Menschen, der keine Straftat begangen hat, sondern nur aus Sicht der Behörden die Wahrscheinlichkeit besteht, dass er vielleicht eine begehen könnte –; wie verträgt sich das mit der AEMR?
Die aktuelle Anwendungspraxis dieses Paragrafen „Gefährderhaft“ in Bayern zeigt zudem, dass sie mitnichten nur auf islamistische Gefährder, sondern eben auch auf politisch unliebsame Demonstranten treffen. Das passt nun wieder gar nicht zu dem Recht auf Meinungs- und auf Versammlungsfreiheit, die in den Artikeln 19 und 20 der AEMR verankert sind.
Apropos Meinungs- und Versammlungsfreiheit: Denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich in den vergangenen Wochen auf den Demonstrationen in Chemnitz neben Faschisten und Rassisten aller Couleur eingereiht haben,
sei an dieser Stelle Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ans Herz gelegt: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne Unterschied etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“
Das ist die Grundlage unserer Demokratie, und das sollte der Grundkonsens von Demokratinnen und Demokraten sein. Wer sich wiederholt mit Leuten gemein macht, die mit ihrem Auftreten und ihren Parolen diesen Konsens mit Füßen treten, seine Aushöhlung und Abschaffung mehr oder weniger unverhohlen fordern und dabei den Rechtsstaat verhöhnen, der muss sich auch gefallen lassen, dass man ihn zumindest der Sympathie mit solchen Kräften verdächtigt.
Es lässt sich auch trefflich darüber streiten, wie es in der Bundesrepublik bzw. im Freistaat Sachsen im Besonderen um die Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und partizipativen Menschenrechte, wie sie in Artikel 21 ff. der Allgemeinen Erklärung ausgeführt sind, bestellt ist. Zwar sind aktuell Armut und Not in unserer Gesellschaft zum Glück sehr selten geworden, aber der Wortlaut von Artikel 22 AEMR nimmt ausdrücklich Bezug auf den Wohlstand, den eine Gesellschaft erreicht hat. Zitat: „Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel des Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“
Wird die relative Armut und die mit ihr verbundene Einschränkung an der sozialen und kulturellen Teilhabe ins Auge gefasst, so wird deutlich, dass es auch bei uns menschenrechtlichen Handlungsbedarf in diesem Politikfeld gibt.
4,4 Millionen Kinder sind zum Beispiel nach Schätzung des Kinderschutzbundes in unserem wohlhabenden Land von Armut betroffen.
Das heißt, sie sind in der Relation zum absolut erreichten gesellschaftlichen Wohlstandsniveau zum Beispiel in Bezug auf das durchschnittliche monatlich verfügbare Einkommen in Deutschland deutlich benachteiligt, unterprivilegiert und abgehängt.
An diesen Beispielen wird deutlich, dass Menschenrechte und ihre Einschränkungen bzw. Verletzungen nicht nur als Thema für den globalen Süden und Osten unserer Welt
von Relevanz sind, sondern dass auch im zivilisierten entwickelten und industrialisierten Westen durchaus Handlungsbedarf in dieser Hinsicht besteht – auch in Sachsen.
Angesichts all dessen begehren wir mit unserem vorliegenden Antrag zunächst die Würdigung und Bekräftigung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch den Landtag anlässlich ihres 70. Geburtstags. Dass die Staatsregierung dieses Anliegen in ihrer Stellungnahme vom 20. September 2018 erklärtermaßen unterstützt, würdigen wir ausdrücklich – Respekt an Herrn Staatsminister Gemkow!
Weiterhin erbitten wir von der Staatsregierung einen unter Einbeziehung von NGO‘s zu erstellenden Bericht, der den Stand der Verwirklichung der Menschenrechte, deren Gefährdung durch staatliches Handeln bzw. Unterlassen ihrer Einbeziehung in die allgemeine Staatspolitik sowie in die konkreten Bemühungen und Maßnahmen der Staatsregierung betrachtet. Ein solcher Bericht wäre Anlass und Rahmen einer aktuellen Evaluation der Wahrung der Leitsätze der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und hieraus ableitbarer Handlungsverantwortung von Parlament und Regierung.
Schließlich regen wir an, dass sich die Staatsregierung gegenüber der Bundesregierung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen möge, dass sich die Bundesrepublik Deutschland für die Einberufung einer neuen Welt-Menschenrechtskonferenz einsetzt, die in Nachfolge der zuletzt 1993 in Wien stattgefundenen Weltkonferenz die Bewahrung und den Ausbau der Menschenrechte weltweit berät und vor allem den aus ökologischen Fragen resultierenden Handlungsbedarf diesbezüglich diskutiert.
Es wäre ein gewichtiges Zeichen, wenn sich Sachsen um die Ausrichtung einer solchen Weltkonferenz bemühen könnte – mindestens die Wortmeldung wäre es wert –, sei es in Dresden, Leipzig, Chemnitz oder andernorts. Jahrestage – hier der 70. Jahrestag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – sind nicht in erster Linie zum Befeiern da. Sie sind vor allem Anlass, einzuhalten und in den Blick zu nehmen, inwieweit eine Gesellschaft, ein Land, ein Staatswesen den Lehren aus der Menschheitsgeschichte verpflichtet handelt.
Die gegenwärtige Lage in Sachsen, in Deutschland, die man nahezu als Prozess einer strategischen Entmoralisierung der Gesellschaft empfinden kann, unterstreicht prägnant die zeitlose Aktualität der Menschenrechtscharta. Nehmen wir uns ihrer also wieder verantwortungsvoll an!
Jawohl. Sehr geehrter Herr Bartl, sehr geehrter Herr Gebhardt! Ich habe mir einmal ein paar andere Artikel aus dieser Resolution herausgesucht, über die wir jetzt nicht gesprochen haben.
„Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“ Wir haben Artikel 16 a Grundgesetz, und dieser Abs. 2 sagt etwas anderes als Artikel 14 dieser Erklärung. Das heißt, da geht unser Grundgesetz vor.
Ich will Ihnen aber auch noch ein paar Sachen sagen, die Ihnen vielleicht nicht so sehr gefallen: „Alle Menschen haben“ –
Sie haben Herrn Gebhardt mit angesprochen und zitieren jetzt irgendetwas. Bitte reagieren Sie auf den Redebeitrag!
Ich finde es sehr infam, dass Sie sich nur die Artikel herausgesucht haben, die in Ihre politische Agenda hineinpassen.
Wenn es darum geht, die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, dann sind auch Menschen, die Ihrer politischen Grundrichtung angehören, teilweise daran beteiligt, Versammlungen zu boykottieren.
Wenn ich die Zeit hätte, Herr Kollege, das alles auszuführen, würde ich es liebend gern auch in einem Privatissimum für Sie selbst tun. – Schauen Sie einfach wieder einmal hin, was vor 70 Jahren als Lehre aus dem Zweiten Weltkriegs, aus den Gräueln, den Menschenrechtsverbrechen und Ähnlichem mehr entstanden war, und bedenken Sie einmal, wie weit Sie sich
Denken Sie daran, dass eine Generation, eineinhalb Generationen gereicht haben, um das alles wieder sukzessive zu vergessen und alles sukzessive wieder auf die Agenda zu setzen, wie wir das – ich will das jetzt nicht im Bild bringen, aber es spielte beim letzten Mal eine Rolle – vor 1933 hatten; so zündeln Sie ganz gewaltig mit, ganz gewaltig, auch mit dieser Art von Zwischenfällen.
(André Barth, AfD: Freilich, Herr Bartl! – Beifall bei den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD – Jörg Urban, AfD: Da waren noch 40 Jahre SED-Diktatur dazwischen! Das wollen wir nicht vergessen!)