Protocol of the Session on September 5, 2018

es in den letzten Tagen 10 % gewaltbereite Krawalltouristen aus verschiedenen Bundesländern, die dort jeweils polizeibekannt sind. Diese Randalierer auf beiden Seiten sind aber nicht repräsentativ für 246 000 Chemnitzer und schon gleich gar nicht für 4,1 Millionen Sachsen. Die öffentliche Reaktion aus der sächsischen Politik und aus Berlin und die Überzahl der Medienberichte suggerieren aber genau das.

Meine Damen und Herren! Wir reden so oft über Fake News und über ihre schädliche Wirkung für die Demokratie. Nun, die Verantwortlichen haben – aus welchen Motiven auch immer – genau diese Fake News über Chemnitz und Sachsen verbreitet und damit eine Stadt und ihre Bürger öffentlich verunglimpft. Als Krönung entschuldigt sich der Ministerpräsident im Fernsehen de facto für seine eigenen Bürger. Das ist unmöglich.

Was war eigentlich in Hamburg beim G-20-Gipfel im Frühjahr 2017? Keiner hat damals von einer links-rotgrün versifften Stadt gesprochen oder gar von einem linken Mob.

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Natürlich! Alle haben davon geredet!)

Sind wir hier andere Menschen?

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Gibt es zweierlei Maß für Menschen im Zuge der Berichterstattung in Deutschland? – Halten Sie einfach einmal die Klappe!

(Widerspruch von den LINKEN – Valentin Lippmann, GRÜNE: He! – André Barth, AfD: Jawohl!)

Herr Wurlitzer!

Jeder kann diese Frage für sich selbst beantworten.

Ich spreche sicher im Namen einer großen Mehrheit der Sachsen, wenn ich sage, –

Kommen Sie bitte zum Ende.

– nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und berichten Sie neutral und unparteiisch und tatsächlich über Geschehnisse. Hören Sie auf, voreilig zu werten, –

Herr Wurlitzer, bitte zum Ende kommen.

– und missbrauchen Sie nicht Ihre verfassungsmäßigen Rechte.

Vielen Dank.

(Beifall der fraktionslosen Abgeordneten)

Frau Abg. Kersten, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ So steht es in Artikel 2 Abs. 2 unseres Grundgesetzes.

Am 26. August konnte sich Daniel H. aus Chemnitz nicht auf dieses – unseres – Grundgesetz verlassen. Er wurde niedergestochen und mit ihm zwei weitere Menschen. Daniel H. verstarb an seinen Verletzungen. Er starb, weil ihn der Staat nicht schützen konnte, weil der Staat versagt hat.

Irritierenderweise fragen seither die wenigsten nach dem Wieso, Weshalb, Warum und danach, wie künftig solche bestialischen Verbrechen verhindert werden können. Stattdessen wird über Demonstrationen diskutiert, die als Folge dieses furchtbaren Verbrechens aufflammten.

Chemnitz hat aber kein grundsätzliches Problem mit linken oder rechten Demos. Was Chemnitz aber hat, ist ein massives Sicherheitsproblem.

Das Sicherheitsgefühl in Chemnitz hat sich seit Jahren verschlechtert und der Mord an Daniel H. bestätigt auf die erdenklich schlimmste Art und Weise diese Entwicklung.

Wenn Chemnitzer nachts nicht mehr allein durch die Stadt laufen, dann haben sie keine Angst vor Demonstranten, sondern vor jungen männlichen Arabern. Ja, so ehrlich müssen wir sein. Sie haben Angst vor Angriffen, Überfällen oder Belästigungen durch ebenjene Gruppe. Und ja, so ehrlich bin ich, auch zu sagen, nicht jeder mit diesem kulturellen Hintergrund gehört dazu.

Jetzt nach einem starken Staat zu rufen mag legitim sein. Dann aber noch die Zivilgesellschaft zu verpflichten, das zu richten, was der Staat, die Regierung, selbst verursacht und bei der sie selbst versagt hat, ist mehr als unverschämt.

Bitte zum Ende kommen.

Herr Kretschmer, sorgen Sie endlich wieder für mehr Sicherheit in unserem Land. Dann sind Demonstrationen wie jene in Chemnitz schnell Geschichte.

Vielen Dank.

(Beifall der fraktionslosen Abgeordneten)

Wir gehen in die nächste Runde. Die Linksfraktion. Wird das Wort gewünscht? – Herr Abg. Bartl, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich habe Ihnen schon sehr aufmerksam zugehört. Sie haben aus meiner Sicht sehr viel Bemerkenswertes gesagt – auch Dinge, die ich so frontal von Ihnen nicht erwartet hatte. Sie haben auch gesagt, dass es Sie wundert, dass diejenigen, die, je weiter sie von Chemnitz entfernt waren, umso genauer wussten, was in Chemnitz los war.

Ich war nun in Chemnitz. Ich bin selbst Chemnitzer. Ich war nicht zugegen – das kenne ich nur von Erzählungen von Bekannten und von Freunden –, was sich am Sonntag nach Beendigung des Stadtfestes, als die ersten 800 aufmarschierten, getan hat. Es ist mir berichtet worden von Menschen, die ich kenne, die ich mit Namen und Adressen nennen kann, dass dort nicht nur Polizisten umgerannt und getreten wurden, sondern dass man an ihnen vorbeigerannt ist und Migranten gejagt hat – also Menschen, denen man ansehen konnte, dass sie zu einer anderen Kultur gehören.

Ich bin am Montagabend zur Demo gegangen. Ich bin noch einmal hereingerufen worden in die Stadt, weil es eben Menschen gab, die sich arg in Bedrängnis sahen. Das war gegen 22:00 oder 22:30 Uhr. Dort wurde dann aus verschiedenen Richtungen um Hilfe gerufen. Die Polizei mit ihrer Besetzung, so gering, wie sie war, hat versucht, das alles zu schlichten. Wir werden noch in Hülle und Fülle Anzeigen bekommen, die sehr wohl deutlich machen, dass Menschen gejagt worden sind. Selbstverständlich sind Menschen gejagt worden, und es macht keinen Sinn, dass der Generalstaatsanwalt der Meinung ist, er habe nach seinen bisherigen Ermittlungspapieren dafür keine Anknüpfungstatsachen. Herr Ministerpräsident, dass Sie sich in dieser Situation hinstellen und so absolut sagen, dass keine Menschen gejagt wurden und es nicht diese Dinge gab, das halte ich für eine viel zu verkürzte Herangehensweise.

(Beifall bei den LINKEN)

Genau das sind die Punkte, wo ich meine: Nirgendwo, in keinem Punkt, können wir abwiegeln, dass es eine so große Dimension des Verstoßes gegen die Rechtsordnung gab, Selbstjustiz in die Hand zu nehmen. Man sollte sich das noch einmal in Ruhe ansehen und letzten Endes gemeinsam entscheiden, wie wir als demokratische Fraktionen darauf reagieren – gemeinsam und Seite an Seite mit der Zivilgesellschaft.

(Beifall bei den LINKEN)

Nun erhält die CDU-Fraktion das Wort. Herr Abg. Dierks, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine Debatte, die in Teilen wirklich schwer zu ertragen ist. Ich möchte zunächst dem Ministerpräsidenten für seine differenzierte und objektive Darstellung danken sowie für seine klaren Feststellungen, die an dieser Stelle nötig waren. Mein Eindruck war, dass es in dieser Debatte weniger um die Sache selbst ging. Wir sollten uns vielleicht noch einmal alle vor Augen führen, worum es zunächst eigentlich ging. Es handelte sich zunächst um eine fürchterliche Straftat in Chemnitz, die mit allen Mitteln des Rechtsstaats aufgeklärt werden muss. In zweiter Linie ging es dann aber um eine Art von Instrumentalisierung, die jedem normalen Menschen wirklich das Schaudern ins Gesicht treibt. Ich glaube, darüber

sollten wir schon noch einmal sprechen, aber wir sollten auch nicht vergessen, worum es alles in allem geht.

Ich habe beim Sachsengespräch vergangene Woche mit einer jungen Frau gesprochen, die ich nicht kannte, die zu mir sagte: „Ich bin Sonntag zu dieser Demonstration gegangen und wusste gar nicht, wer dazu aufgerufen hat.“ Daher habe ich zu ihr gesagt, dass ich ihr das glaube; es wäre mir vielleicht genauso gegangen. Wenn man aber sieht, was dann passiert, dann muss man eben auch seine Konsequenzen ziehen. Da hat sie gesagt: „Ja, da haben Sie eigentlich recht.“ Ich glaube, genau darum geht es.

Wir dürfen nicht so tun, als wären alle Chemnitzer pauschal Rechtsradikale. Viele Urteile, die an dieser Stelle gefällt worden sind, sind ungerecht. Wir müssen aber auch deutlich machen, dass zu staatsbürgerlicher Verantwortung gehört, zu überlegen, wo man sich einreiht, und genau hinzuschauen, was derjenige links und rechts von einem tut. Ich glaube, von dieser Verantwortung kann man niemanden freisprechen. Deshalb ist es auch wichtig zu sagen: Wer das einmal macht und sieht, was dort geschieht, sollte das kein zweites Mal tun.

(Beifall bei der CDU sowie vereinzelt bei der Staatsregierung)

Was Sie aber machen, Herr Urban, ist wirklich in hohem Maße perfide. Ich habe heute ein Interview in der „Freien Presse“ gelesen – wahrscheinlich haben Sie es gegeben, damit es der eine oder andere auch liest; ich habe dies getan, weiß aber nicht, ob es Ihre Leute tun –, wo Sie ernsthaft sagen, man solle oder könne sich vor Provokateuren hüten.

(Gelächter bei den LINKEN)

Sie tun also so, als würden diejenigen, die sich mit Ihnen einreihen und die den Hitlergruß zeigen, sozusagen von dunklen Mächten gesteuert. Für Sie sind ja immer dunkle Mächte am Werk, wenn Sie etwas nicht verstehen. Sie tun so, als würden sich Leute einreihen, um zu provozieren. Sie stellen sich hier in den Sächsischen Landtag und sprechen davon, dass sich Parteien den Staat zu Untertan gemacht hätten, und begründen das dann noch irgendwie verschwurbelt mit dem Grundgesetz. Dazu fällt mir dann wirklich nichts mehr ein. Sie sprechen von Rechtsbrüchen, die der Staat vermeintlich begeht, und rechtfertigen damit in einer ungeheuerlichen Art und Weise Dinge, die in diesem Land keinen Platz haben und niemals Platz haben dürfen.

Sie verteilen hier irgendwelche Galgenfristen. Ich will mich dabei aber nicht an der Wortwahl aufhängen – Sie können das nennen, wie Sie wollen, und es ist mir offen gestanden auch egal, was Sie von sich geben. Aber der Einzige, der in diesem Land Fristen verteilt, ist der Wähler, der durch Wahlen entscheidet, wer ihn vertritt. Es gibt hier also keinen Tag der Abrechnung, von dem Sie immer faseln. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass wir in der repräsentativen Demokratie dafür gewählt sind, vernünftig mit Problemen umzugehen, den Rechtsstaat zu stärken sowie Vertrauen in die Institutionen zu stärken,

die die Demokratie diesem Staat gegeben haben, und auch Vertrauen darüber zu vermitteln, dass diese Institutionen in der Lage sind, Probleme zu lösen.

(Dirk Panter, SPD: Herr Urban hört nicht einmal zu!)

Natürlich hört er nicht zu, aber immerhin ist er anwesend; vorhin war er gar nicht da.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich glaube, dass wir das also tatsächlich nicht zulassen dürfen. Dieses Verbrechen ist schlimm genug, aber wir müssen alle gemeinsam deutlich machen, dass es keine Rechtfertigung dafür geben kann, die Institutionen in unserer Demokratie zu unterhöhlen, Politiker pauschal in Misskredit zu bringen und so zu tun, als sei die repräsentative Demokratie nichts anderes als ein Versorgungsbetrieb für zweitklassige Talente. Damit tun Sie so vielen Menschen, die sich zum Teil ehrenamtlich in diesem Land in politischen Parteien engagieren, Unrecht. Das ist aus meiner Sicht tatsächlich ungeheuerlich.