Protocol of the Session on September 5, 2018

(Zuruf von der AfD)

die auch Wirkung entfaltet und die für diese Straftat auch angemessen ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Wir erleben schon heute – und das haben wir auch in Chemnitz in erschreckender Weise erlebt –, wie aus Worten Taten werden. Der Angriff auf unbescholtene Bürger mit ausländischem Aussehen oder auf Journalisten oder auf Abgeordnetenbüros wird angestiftet durch Reden und durch Propaganda im Internet. Meine Damen und Herren, Begriffe, wie sie die AfD-Fraktion verwendet – „Merkels Gäste“, „Volksverräter“ –, sind nicht nur ehrverletzend, sie sorgen auch für eine Radikalisierung in der Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und den fraktionslosen Abgeordneten – Beifall bei der Staatsregierung)

Deswegen sage ich Ihnen ganz deutlich: Sie sind für die Spaltung in unserem Land zu großen Teilen verantwortlich. Sie sind für die Dinge, die in Chemnitz sind, mitverantwortlich.

(Carsten Hütter, AfD: Sie brechen Gesetze!)

Ich muss Ihnen sagen: Nach dem Besuch der Bundeskanzlerin und Ihrem Auftritt vor dem Landtag habe ich gelernt, dass ich ein Volksverräter bin. Ich habe es in Chemnitz jemandem gesagt, der mich daraufhin angesprochen hat: Volksverräter, meine Damen und Herren, sind die Leute, die in Berlin-Plötzensee erhängt und erschossen wurden. Wer solche Begriffe verwendet, stellt sich außerhalb jeder Rechtsordnung.

(Starker Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN – Beifall bei der Staatsregierung)

Seit dieser Woche, meine Damen und Herren, kann auch jeder in unserem Land und darüber hinaus wissen, wes Geistes Kind diese Partei ist und ihre führenden Funktionen. Wer sich gemeinsam bei einer Kundgebung in die erste Reihe stellt mit Leuten, die über Ausländer als „Gelumpe“, „Dreckszeug“ oder „Viehzeug“ sprechen, der stellt sich ebenfalls außerhalb jeder Rechtsordnung.

(Starker Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN – Beifall bei der Staatsregierung)

Deswegen ist ganz klar: Das ist keine Alternative für Deutschland, sondern diese Partei will eine Alternative von Deutschland. Dem werden wir uns alle entgegenstellen, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN – Beifall bei der Staatsregierung – Zuruf von der AfD: So ein Kasperle!)

Lassen Sie mich zum Ende der Regierungserklärung noch einmal auf Chemnitz zurückkommen. Diese Stadt hat sich, wie keine andere im Freistaat Sachsen – und bis vielleicht auf Potsdam in den neuen Ländern –, nach 1990 neu erfunden. Sie hat eine positive Entwicklung genommen, hat ein neues Gesicht bekommen.

Ich bin voller Begeisterung und Wertschätzung für das, was die Menschen in dieser Stadt erreicht haben und wie diese Stadt zum Blühen gekommen ist. Ich möchte Ihnen sagen: Ich vertraue der Oberbürgermeisterin.

(Carsten Hütter, AfD: Das ist klar!)

Ich habe mit den Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat gesprochen, mit den Ortschaftsratsvorsitzenden. Ich habe mit den Abgeordneten aus Chemnitz diskutiert. Wir haben die Amtsleiter kennengelernt. Wir haben mit vielen Unternehmern, Vereinsvorsitzenden, den Kulturschaffenden gesprochen und ich bin der festen Meinung: Chemnitz ist bei diesen engagierten Menschen in guten Händen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und den fraktionslosen Abgeordneten – Beifall bei der Staatsregierung)

Die Sächsische Staatsregierung unterstützt Chemnitz bei ihrer weiteren positiven Entwicklung.

Wir wollen, dass diese Metropole noch stärker wird, noch mehr zum Motor für Gesamtsüdwestsachsen. Das ist die Aufgabe. Sie haben auch das Potenzial dafür. Wir arbeiten dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Stadt und hier im Land gestärkt wird, und wir wissen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Grundpfeiler unseres friedlichen Zusammenlebens sind. Der Satz des Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, ist 40 Jahre alt. Aber er ist heute genauso aktuell wie damals. Die Verteidigung der Demokratie, meine Damen und Herren, hat nie

ein Ende, sie muss immer wieder neu errungen werden. Wir arbeiten daran, es ist eine große Aufgabe, wir haben viel zu tun. Packen wir es an!

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Abg. Dr. Kirsten Muster, fraktionslos – Beifall bei der Staatsregierung)

Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten. Wir kommen zur Aussprache über die Regierungserklärung. Die folgenden Redezeiten für die Fraktionen wurden festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, SPD 16 Minuten, AfD 12 Minuten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12 Minuten, fraktionslose MdL je 1,5 Minuten. Die Reihenfolge in der ersten Runde: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile das Wort der Fraktion DIE LINKE. Das Wort hat Herr Kollege Gebhardt.

Herr Präsident! Lassen Sie mich mit einer kleinen Geschichte beginnen. In der vergangenen Woche habe ich mir Medienberichte über die Ereignisse in Chemnitz angeschaut, vor allem vom Montagabend. Plötzlich erschallten aus meinem Rechner die Rufe „Ausländer raus! Ausländer raus!“. Mein sechsjähriger Sohn stand neben mir und fragte mich: „Papa, was sind denn Ausländer?“. Ich erzählte ihm, dass seine Asia aus seiner Kindergartengruppe eine Ausländerin ist. Daraufhin sagt er mir: „Warum soll sie raus? Sie hat mir doch schon ein paarmal geholfen. Das sind doch dumme Menschen, die das sagen.“. Es ist also ganz einfach, eine Haltung anzunehmen. Wenn es ein Sechsjähriger schafft, können es Erwachsene, meine Damen und Herren, auch.

(Beifall bei den LINKEN)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Ich habe Ihnen bei Ihrer Pressekonferenz der vergangenen Woche am Dienstag nach den Vorfällen von Chemnitz aufmerksam zugehört. Ich habe den Journalistinnen und Journalisten gesagt, dass ich Ihre wohlfeilen Worte vernommen habe. Nach Ihrer jetzigen Regierungserklärung bleibt für mich wieder die entscheidende Frage offen: Meint der Mann das ernst oder redet er so, weil das gerade von ihm erwartet wird?

(Carsten Hütter, AfD: Genau so!)

Sie geben sich zwar redlich Mühe, den Anschein zu erwecken, sich einem Problem zu stellen, aber aus meiner Sicht klappt das nicht so recht.

(Carsten Hütter, AfD: Richtig!)

Denn was jahrzehntelang durch die sächsische CDU, durch Ihre Fraktion, negiert wurde, kann schwer mit einem Mal glaubwürdig bejaht werden. Ihre CDU, Herr Ministerpräsident, kommt mir vor wie die drei Affen: nichts sehen, nichts hören und nichts sagen.

(Dr. Stephan Meyer, CDU: Quatsch!)

Da Sie der Chef dieser Partei hier in Sachsen sind, sind Sie für mich der Inbegriff dessen, Sie sehen, aber Sie schauen nicht richtig hin. Sie hören, aber Sie hören nicht richtig zu. Sie reden viel, sagen aber nicht wirklich etwas.

Ich sage Ihnen, worum es geht: Es geht um Sachsens Problem mit den extremen Rechten, mit dem Rassismus, mit Fremdenfeindlichkeit, mit einer rechten Bewegung, die sich in diesem Land ausbreitet.

Herr Ministerpräsident, ich war wie Sie in Ostritz vor Ort bei den Gegenprotesten des Rechtsrockkonzertes. Ich bin bei der Veranstaltung „Rechts rockt“ nicht gewesen, aber beim Friedensfest auf dem Markt, wie Sie. Auf dem Friedensfest haben Sie eine bemerkenswerte Aussage getroffen, nachdem Sie Sebastian Krumbiegel von den Prinzen getroffen haben. Sie haben öffentlich die von den LINKEN organisierte Veranstaltung gelobt. Sie haben sie als Beitrag zum zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Nazis gewürdigt. In den Medien galt das später als einmalige Sache in Sachsen.

Ich war, so wie Sie, Herr Ministerpräsident, am 1. Mai dieses Jahres in Chemnitz. Hier haben Sie nicht nur bei der DGB-Kundgebung gesprochen, sondern auch gemeinsam mit vielen anderen, unter anderem auch wieder mit mir, ein Transparent getragen, auf dem stand: „Vielfalt. Gerechtigkeit. Solidarität. Chemnitz – dem Rassismus keine Chance“. Auch das war bis jetzt mit keinem CDUMinisterpräsidenten in Sachsen vorstellbar.

Hier hört es dann allerdings auf; denn was ich dann schon nicht mehr verstanden habe, war Ihre Erklärung einige Tage später, Ihre Erklärung, warum Sie nicht länger geblieben sind. Das hatte wieder mit der Band „Kraftklub“ aus Chemnitz zu tun. Zitat von Ihnen: „Ich bin da ein Stück mitgelaufen, aber als dann das Konzert mit dieser unmöglichen linken Band begonnen hatte, war ich nicht mehr dabei, weil ich mit denen auch nichts zu tun haben will.“

(Zurufe von der CDU)

Sie waren halt nicht mehr in Chemnitz, sondern in Limbach-Oberfrohna, wo Sie diese Aussage beim Sachsengespräch getroffen haben. Sie dachten sich wohl, dass es vielleicht der Mehrheit des dortigen Publikums mit diesem Spruch besser gefallen könnte.

(Carsten Hütter, AfD: Das geht mal so, mal so, je nach Tagesform!)

Am vergangenen Donnerstag dann lobten Sie in Chemnitz, dass „Kraftklub“ das großartige Konzert dieser Wochen in Chemnitz organisieren würde. Aber nach Zwischenrufen aus dem Publikum meinten Sie dann wieder, na ja, ich kann das ja nicht verbieten.

(Zurufe von der CDU)

Genau solche Aussagen lassen mich an Ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln. Sie sind nur dann aktiv und offensiv gegen Rassismus, wenn Sie damit beim aktuellen Publikum punkten können.

(Beifall bei den LINKEN)

Ihr Kernproblem, Herr Ministerpräsident, ist Ihre Widersprüchlichkeit, mit der Sie ein typischer Vertreter der sächsischen Union sind. Auf der einen Seite haben Sie den Staat von den Menschen entfernt, Schulen, Polizeireviere und Ämter geschlossen, eine Kreisgebietsreform durchgesetzt und die Gemeindezusammenschlüsse vorangetrieben, und das alles, ohne auf die Identität der Menschen vor Ort Rücksicht zu nehmen. Auf der anderen Seite wollen Sie den Menschen in den Sachsengesprächen ganz nah sein, nennen Heimat als Kraftquelle der Gesellschaft. Das ist unglaubwürdig; es sei denn, Sie eröffnen wieder die Schulen vor Ort, Sie machen die Polizeireviere wieder auf, richten neue Ämter ein und machen die Gemeindezusammenschlüsse rückgängig.

Nun reden Sie hier und bei allen anderen Ihrer Auftritte in Sachsen nicht als Privatperson, sondern als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen und im Ehrenamt auch als CDU-Landesvorsitzender. So haben Ihre Worte, Ihre Taten eine Bedeutung, zumindest sollten sie sie haben. Nach den Straßenschlachten in Heidenau vor der Geflüchtetenunterkunft und nach dem Besuch der Bundeskanzlerin in Heidenau einige Tage später hat sich auch der Sächsische Landtag mit den Ausschreitungen in Heidenau beschäftigt.

In dieser Sitzung hat der damalige Ministerpräsident Stanislaw Tillich erstmalig öffentlich zugegeben, dass das Problem des Rechtsextremismus in Sachsen unterschätzt wurde. Zitat: „Ja, es stimmt. Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, und es ist größer als viele, ich sage es ehrlich, auch ich, wahrhaben wollten.“ So weit der Ministerpräsident Tillich.

Ich habe ihm damals nach seiner Rede Respekt gezollt. Jedoch – und damit komme ich wieder zu Ihnen, dem damaligen Generalsekretär des Landesvorsitzenden

Tillich und heutigen Ministerpräsidenten: Was hat denn die CDU-Staatsregierung aus Heidenau und den Aussagen des Ministerpräsidenten Tillich gelernt? Was hat denn die sächsische CDU daraus gelernt? Meiner Meinung nach nichts, wirklich nichts.

Heute haben Sie wieder diese hilflosen Erklärversuche gemacht, wieder die Ankündigung von Handeln seitens der CDU-Staatsregierung, wieder der Hinweis auf die Soko Rex, das Operative Abwehrzentrum und das jetzige polizeiliche Terror- und Extremismusabwehrzentrum und natürlich auch das Projekt „Weltoffenes Sachsen“, das die SPD der sächsischen CDU überhaupt abringen musste.

Meine Herren, meine Damen von der sächsischen CDU, das reicht nicht. Das sind leider nichts weiter als wohlfeile Worte, Herr Ministerpräsident. Was Ihnen fehlt, ist der Wille, die Haltung der sächsischen Union zum Thema extreme Rechte zu ändern. Für viele innerhalb der sächsischen CDU steht der Feind links und nicht rechts. Sie negieren ein vorherrschendes Problem seit vielen Jahren. Sie kriminalisieren lieber zivilgesellschaftlichen Protest, und darin sind Sie echt spitze.