Protocol of the Session on June 27, 2018

Die verpflichtende Gesundheitsberatung klingt vielleicht erst einmal logisch und vernünftig, aber gleichzeitig wird damit eine ganze Berufsgruppe unter Generalverdacht

gestellt. Vor allem aber konterkariert diese verpflichtende Gesundheitsberatung die gängige Praxis der anonymen Gesundheitsberatung, die bisher schon von den städtischen Gesundheitsämtern durchgeführt worden ist. Das heißt, dieselbe Person, die vormittags eine anonyme Beratung durchführt, führt im schlechtesten Fall nachmittags die verpflichtende Beratung durch, im allerschlechtesten Fall vielleicht sogar im selben Haus und im selben Zimmer. Hier ist das Bundesgesetz sichtbar nicht zu Ende gedacht.

Absurd und realitätsfern ist aber auch die Vorstellung, dass Menschen, die sich in Zwangslagen befinden, durch Behörden, bei denen sie zwangsweise vorstellig werden müssen, geholfen werden kann. Das Misstrauen gegen solche Institutionen ist ohnehin schon groß, und die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, die aufsuchende Arbeit bei Prostituierten machen, berichten eindrücklich, wie lange es dauert, eine Vertrauensebene aufzubauen; wie bei aufsuchender Arbeit übrigens generell, in diesem Fall aber noch mehr. Diese Vertrauensbasis ist aber die Voraussetzung dafür, dass im Fall einer Zwangsprostitution Hilfe angeboten und auch Hilfe angenommen werden kann.

Diese wichtige und in Sachsen absolut unterfinanzierte aufsuchende Arbeit wird durch das neue Gesetz extrem erschwert, denn Argwohn und Misstrauen gegen die Behörden werden weiter verschärft und die erarbeitete, sensible Vertrauensbasis wird erschüttert. Offen ist aber auch die Frage, was passiert, wenn in einer Behörde eine Zwangslage bei Betroffenen vermutet wird; denn das Personal ist nicht dafür geschult, es hat keine Ahnung vom Milieu, von der Arbeit und von den Problemlagen. Unklar ist auch, an wen solche Fälle vermittelt werden sollen, denn Fachstellen für Ausstiegsberatung sind in Sachsen Fehlanzeige.

Das sind nur einige Schlaglichter zum Bundesgesetz, gegen das es inzwischen auch eine Verfassungsklage gibt. Wir als sächsisches Landesparlament haben keinen direkten Einfluss auf das Gesetz. Aber ich appelliere an die Staatsregierung, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass dieses Gesetz wieder abgeschafft wird.

(Beifall bei den LINKEN)

Hier und heute reden wir also über das sächsische Ausführungsgesetz, das lediglich die Ausgestaltung eines Korridors vornimmt, den das Bundesgesetz offenlässt. Offen gesagt betreiben wir hier Schadensbegrenzung. Aber die Sächsische Staatsregierung überbietet die Bundesregierung, denn der Referentenentwurf, der aus dem Sozialministerium kam, war nicht einmal gut gemeint, er war einfach schlecht. Es ist völlig abwegig, erstens die Kommunen zu beauftragen, aber nicht die finanziellen Mittel bereitzustellen, und zweitens die Kosten auf die Betroffenen umzulegen.

Der erste Entwurf sah bundesweit die höchsten Gebühren vor. Die Begründung lautet sinngemäß – so hat es Herr Schreiber, wenn ich ihn richtig verstanden habe, noch

einmal gesagt –, man wolle das Gewerbe nicht noch unterstützen.

(Patrick Schreiber, CDU: Das habe ich nicht gesagt!)

Außerdem verdienen Prostituierte schließlich Geld, dann können sie auch Anmeldegebühren bezahlen. Hier wird wieder die Ambivalenz deutlich – man könnte auch sagen: Doppelmoral –, denn entweder betrachten Sie Sexarbeit als Gewerbe wie jedes andere Gewerbe, dann können Sie es auch als Wirtschaftszweig unterstützen, oder Sie wollen Sexarbeit nicht unterstützen. Dann sollten Sie aber auch keine Gebühren erheben.

Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wie die Betroffenen an das Geld für die Gebühren kommen?

(Carsten Hütter, AfD: Jeder Gewerbetreibende bezahlt diese Gebühren!)

Richtig! Durch Sexarbeit! Vielleicht dämmert es Ihnen jetzt. Mit den Gebühren wird der Schutzgedanke vollends ad absurdum geführt. Das wir daran deutlich, dass das Bundesgesetz Personen unter 21 Jahre als besonders schutzbedürftig ansieht. Deshalb sollen diese auch besonders häufig vorstellig werden, nämlich doppelt so oft wie die über 21-Jährigen. Folglich müssen sie doppelt so viele Gebühren zahlen. Wenn man es zugespitzt sagen möchte, müsste man konstatieren, dass die Staatsregierung hier zum Zuhälter wird.

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf von der CDU: Ach du meine Güte! – Zuruf von der AfD: Oh Gott! – Widerspruch bei der CDU, der SPD und der AfD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen als Fraktion mit dieser Kritik nicht allein. Das zeigt nicht nur die Aktion, die heute Morgen hier stattgefunden hat, zu der es im Übrigen jetzt auch eine Pressemitteilung gibt. Dort kann man noch einmal nachlesen, wie das alles gemeint war, Herr Schreiber, wenn Sie es nicht verstanden haben.

Herr Fischer – ich weiß nicht, ob er im Raum ist, aber ich möchte es trotzdem sagen –, der Tweet, den Sie dazu gemacht haben, ist nicht nur sexistisch, sondern er ist unterirdisch.

(Beifall bei den LINKEN, den GRÜNEN und der Abg. Hanka Kliese, SPD)

Die Sachverständigenanhörung war aufschlussreich und hat genau diese Punkte kritisiert. Es gab große Einigkeit unter den Experten und Expertinnen. Wenn Sie selbst ein verzerrtes Bild von der Lebenswirklichkeit der Sexarbeiterinnen in Sachsen haben, dann korrigieren Sie dies doch bitte mit der Expertise dieser Sachverständigen.

Immerhin sind Sie in Sachen Schadensbegrenzung schon einen Schritt weiter: Der erste Entwurf wurde mit einem Änderungsantrag der Fraktionen CDU und SPD korrigiert. Die Gesundheitsberatung soll nun kostenfrei sein.

Aber Sie halten weiter an den Anmeldegebühren fest. Damit wird deutlich, dass Sie die Problematik entweder nicht verstehen oder nicht verstehen wollen; ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich schlimmer finde.

Ich empfehle dringend ein Praktikum, zum Beispiel beim Gesundheitsamt in Dresden oder in Leipzig. Vielleicht würde das zu einem echten Perspektivwechsel führen und zu Gesetzgebungen, die nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Katja Meier, GRÜNE)

Für die SPDFraktion Frau Raether-Lordieck, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Bundesrepublik war Prostitution vor dem Jahr 2012, also vor Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes, nicht strafbar, aber sittenwidrig; im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB – also formal – kein rechtskräftiges Geschäft. Ein Freier, der nicht zahlen wollte, zahlte eben nicht – ganz legal.

Mit dem Prostitutionsgesetz vom 19. Oktober 2001 – beschlossen von der Mehrheit aus SPD, GRÜNEN, FDP und PDS – führte Deutschland eine der weltweit liberalsten gesetzlichen Regelungen für das Prostitutionsgewerbe ein. Durch einen rechtlich sicheren Status sollte Sexarbeit entstigmatisiert und zu einem regulären Gewerbe mit sozialer Absicherung werden und Verdienst bzw. Lohn damit einklagbar.

Des Weiteren wurde in diesem Gesetz Arbeitgeberinnen ein eingeschränktes Weisungsrecht eingeräumt, um angestellte Sexarbeiterinnen zum Beispiel zur Nutzung von Kondomen anhalten zu können. So lese ich es in der Begründung.

In Kombination mit dem im Jahr 2005 eingeführten Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von EU-Bürgern – kurz: EU-Freizügigkeitsgesetz – zeichnen sich fatale Folgen von Missbrauch ab. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt wurde die Freizügigkeit für sieben Jahre ausgesetzt. Menschen aus Polen, aus Tschechien, aus Ungarn und aus der Slowakei konnten zwar frei nach Deutschland einreisen, aber in der Regel kaum regulär sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen eingehen – perfekte Voraussetzungen, Frauen aus diesen Ländern in Deutschland illegal in Prostitution, ja, in Zwangsprostitution zu bringen.

Am 01.07.2017 ist auf Bundesebene das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten, dessen Anwendungsgesetz uns heute im Sächsischen Landtag zur Verabschiedung vorliegt. Bereits im Februar, zur öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf, kristallisierte sich vor allem ein Diskussionsschwerpunkt heraus: angemessene Gebühren für Anmeldungen und Gesundheitsberatungen.

Wenn man den Schutzgedanken für die Prostituierten für voll nimmt, dann waren die Gebühren aus dem Regierungsentwurf nicht tragbar. Ich denke, auf fachpolitischer Ebene sind wir uns hier im Haus weitestgehend einig, dass keine Gebühren zu erheben, insbesondere bei der Gesundheitsberatung, eine gute Lösung darstellt. Das war nicht mehrheitsfähig. Als Kompromiss halten wir es für vertretbar, bei Anmeldegebühren einmalig 35 Euro und 15 Euro jeweils bei Erneuerung anzusetzen. Die Kollegen haben das bereits erwähnt.

Wirklich wichtig dabei ist aber, dass auch erforderliche Übersetzungsleistungen bei Beratung und Anmeldung nicht von den Prostituierten zu tragen sind. Die Anhörung hat gezeigt, dass wir in diesem Bereich mit bis zu 80 % Migrantinnen rechnen müssen.

Nun arbeiten wir alle nur mit Schätzungen. Niemand weiß, wie viele Prostituierte in Sachsen genau arbeiten. Deswegen soll die festgeschriebene Entschädigung für den zu erwartenden Mehrbelastungsaufwand der betreffenden Kommunen erstmals im IV. Quartal 2019 überprüft und bei Bedarf angepasst werden.

Im Verlauf der Diskussionen zum Gesetz haben wir noch weitere Punkte mitgenommen, die nicht direkt im Gesetz gelöst werden können. Wir halten es jedoch für wichtig, in Zukunft an diesen Punkten weiter zu arbeiten. Dazu gehört, dass die Gesundheitsberatung nicht die alleinige Beratung bleiben soll. Es ist sinnvoll, weitergehende Beratungsangebote in Sachsen auf- und auszubauen.

Menschen, die überlegen, in die Prostitution zu gehen, sollten umfangreich über diese Tätigkeit informiert werden können, um mögliche falsche Vorstellungen von Anfang an auszuräumen. Wichtig ist auch, eine Ausstiegsberatung anzubieten und interessierte Prostituierte in dieser Phase professionell zu begleiten.

Das Gesetz ist neu, und deswegen macht es Sinn, dass ein regelmäßiger Austausch der verschiedenen Ebenen stattfindet. Ein gutes Zusammenwirken zwischen kommunaler Ebene, dem Ministerium und den Hilfsstrukturen ist für das Gelingen eines echten Prostituiertenschutzes unerlässlich. Das müssen wir pflegen.

Schließlich sollten Informationen zum Thema Datenschutz – auch das haben wir gehört – erarbeitet und so verbreitet werden, dass sie die Prostituierten wirklich erreichen. Denn viele von ihnen sorgen sich und fragen, wer diese Daten einsehen kann. Hier gibt es auf kommunaler Ebene bereits gute Ansätze.

Unser Ziel ist es, Prostituierte zu schützen. Dies muss unser aller Interesse sein. Deshalb bitte ich um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Die AfD-Fraktion; Herr Hütter, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren und beschließen heute den Gesetzentwurf zum Sächsischen Ausführungsgesetz des Prostituiertenschutzgesetzes auf Bundesebene.

Dieses steht im Einklang mit dem Liberalisierungsgesetz aus dem Jahr 2002. Damals wurde der käufliche Sex quasi legalisiert. Es sollten legal tätige Personen über geregelte Arbeitsverhältnisse besser geschützt werden. Fortan waren sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse möglich und die Sittenwidrigkeit entfiel. Nebenbei bemerkt: Staatliche Strukturen profitieren über die sogenannte Sexsteuer seither ordentlich von diesem Gewerbe.

Das Schutzziel wurde jedoch bei Weitem nicht erreicht. Von den in Deutschland schätzungsweise 400 000 tätigen Personen im Sexgewerbe haben sich mit Stand 2014 nur 44 Selbstständige bei den Sozialversicherungen angemeldet und 1 % hatte einen gültigen Arbeitsvertrag. Auch wenn es mittlerweile mehr sind, ist die Zahl dennoch sehr ernüchternd.

Das, was aber sehr erfolgreich vollzogen worden ist, ist die Gewinnmaximierung im ältesten Gewerbe, gerade bei uns in Deutschland. Mittlerweile macht die Branche jährlich 14,6 Milliarden Euro Umsatz in über 3 500 Bordellen. Circa 15 % der Männer besuchen in ihrem Leben mindestens einmal eine Prostituierte und damit – statistisch betrachtet – auch zwölf der männlichen Abgeordneten dieses Hohen Hauses.

Es gibt mittlerweile Megabordelle mit über 80 angestellten Frauen. Das größte Bordell Europas steht leider auch in Deutschland. Der Geschlechtsverkehr ist dort teilweise für unter 30 Euro zu erhalten. Inzwischen zum Glück verboten, etablierten sich sogar Flatrate-Bordelle. Dort gab es neben einem Buffet und Freibier auch Sex bis zum Abwinken.

Begünstigt wurde dieser Umstand auch durch die EUOsterweiterung. So haben heute schätzungsweise bis zu 80 % der Gewerblichen einen Migrationshintergrund. Sehr häufig stammen diese aus den ehemaligen Ostblockstaaten.

Weil das damalige Schutzziel weit verfehlt wurde, soll einmal mehr nachgebessert werden. Es soll verhindert werden, was ohnehin verboten ist und unter Strafe steht: Gewalt, Zwang und Menschenhandel. Ein verbesserter Schutz der Betroffenen macht jedoch Sinn, und auch die AfD-Fraktion unterstützt dies.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer Opfer von Gewalt werden. Dies wird bei solchen Debatten leider sehr gern vergessen. Es sind zwar nur circa 8 % der Dienstleister männlich, aber diese Gruppe darf in der Diskussion nicht ausgeblendet werden. Auch wenn bei Männern die Selbstausbeutung häufig eine größere Rolle spielt, gibt es auch hier Gewalt und Zwang.

Um eines deutlich zu sagen: Gewalt gegen Frauen und Männer und deren Ausbeutung sind eine Schande, und

dies muss definitiv bekämpft werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird es leider einmal mehr nicht gelingen.