Ich kann ja verstehen, meine Damen und Herren, dass Sie Ihr eigenes Tun lieber mit den positiven Nachrichten aus der sächsischen Wirtschaft verbinden als mit den Dingen, die in Sachsen nicht so laufen. Wenn man jedoch bei Dingen, die schiefzugehen drohen, reflexartig auf Dritte weist, wenn man über Dinge, die final schiefgegangen sind, lieber gar nicht mehr redet und wenn man jede positive Entwicklung als Beleg für richtiges und erfolgreiches eigenes Handeln identifiziert, dann analysiert man nicht in der nötigen Tiefe und verbaut sich wichtige Erkenntnisse.
Die fundamentalen Daten und Aussagen zur SiemensKraftwerkssparte, zu der die Aktivitäten im Bereich Dampfturbinen nun einmal gehören, meine Damen und Herren, haben sich in den letzten Monaten nicht geändert. Mag sein, dass die Aktionen und intensiven Diskussionen, die vor allem die engagierten Görlitzer Fachleute, der Betriebsrat, Gewerkschaften und die Landespolitik geführt haben, hier die Gewichte im Konsolidierungsprozess noch einmal verschoben haben. Doch bei aller Genugtuung darüber dürfen wir nicht vergessen: Es bleibt ein Konsolidierungsprozess in der Sparte, ein Umsortieren und Zusammenfassen von Kapazitäten und Ressourcen in einem insgesamt schrumpfenden Geschäftsbereich, in dem es wenigstens temporäre Segmente der Stabilität gibt.
Wir alle hoffen und wünschen jetzt, dass das Werk in Görlitz auf einer solchen Insel liegen möge. Doch ohne Innovation, ohne Paradigmenwechsel im Geschäftsmodell macht das die Aktivitäten in Görlitz noch lange nicht zum Wachstumssegment im Konzern. Angesichts des Abstands aber, den auch Sachsen noch immer zu den führenden Wirtschaftsstandorten in der Bundesrepublik hat, ist es eben nicht schon ein Erfolg für und in Sachsen, wenn ein Unternehmen seine Ansiedlung halbwegs stabilisiert. Wir brauchen stattdessen die Segmente hier, die in den nächsten zehn, zwanzig Jahren die wachsenden Geschäfte von heute und die ganz großen Storys von morgen sind.
Nun ist es nicht Sache der Staatsregierung oder des Sächsischen Landtags, Unternehmen und deren Organe in ihren Strategien zu beraten. Jedoch ist es sehr wohl Sache der Staatsregierung und unser aller Aufgabe, hier bei uns in Sachsen die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich diejenigen bei uns wohlfühlen, die vorn sind, die Brancheninnovatoren. Eine Atmosphäre der Veränderungsbereitschaft, der Neugier auf die Chancen von morgen, des langfristigen Denkens in Zusammenhängen, des Ermöglichens der Weltoffenheit und der soziokulturellen Attraktivität – das ist es, was die spannendsten Köpfe und Ideen dieser Welt anzieht und sesshaft macht. Nur dann macht es für global operierende Unternehmen auch wirklich Sinn, ihre wertvollsten Zukunftsassets ausgerechnet nach Sachsen zu tragen und hier bei uns über Fördermittelbindefristen hinaus die Dinge zu tun, die für ihre eigene Zukunft prägend sind.
Es gibt immerhin ein paar Orte in Sachsen, wo man eine solche Atmosphäre bereits spüren kann. Gehen Sie einmal zu einem Workshop ins SpinLab nach Leipzig beispielsweise. In einer weltoffenen Atmosphäre der Neugier und Kreativität fühlen sich jene wohl, die selbst Kreative und Macher sind. So kann eine hohe Anziehungskraft für die Brancheninnovatoren entstehen, die auf dieses Potenzial angewiesen sind. Eine solche Dynamik aber strahlt wieder auf den ganzen Standort aus. Eine ganze Stadt wird durch so etwas hip und zum Magneten. Doch denkt man jenseits solcher Inseln wirklich ausgerechnet an Sachsen, wenn man von Veränderungsbereitschaft, von Neugier, von Weltoffenheit redet? Keineswegs! Längst ist hier ein Konservatismus, der für die Erhaltung von Werten bereit ist, seine Strukturen, Strategien und Instrumente immer wieder vor dem Hintergrund einer sich dynamischer als je zuvor entwickelnden Welt infrage zu stellen, einem Konservatismus gewichen, der zur Erhaltung von Strukturen und zur Vermeidung von Strategieänderungen eher bereit ist, Werte sogar über Bord zu werfen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Gott sei Dank bleiben die Siemens-Werke erhalten. Es geht hier nicht darum,
wer es am Ende geschafft hat; denn eines ist klar: Wir waren es nicht. Es war nicht die Politik, es waren die Mitarbeiter, ihre Kompetenz, ihr Engagement für den Standort, die am Ende die Siemens-Leitung umgestimmt haben. Damit ist auch gleich klar, was Politik für die Wirtschaft tun muss und tun soll. Sie soll die Rahmenbedingungen schaffen, damit Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen und gemeinsam konstruktive Entscheidungen zusammen treffen.
Damit eines auch gleich klar ist: Es reicht nicht – und Sachsen weiß das –, sich auf sogenannte Global Player zu konzentrieren. Wir brauchen wie bei der Energie den gesunden Mix aus Mittelständlern, Handwerksunternehmern und auch großen global agierenden Firmen. Hier besteht nach wie vor großer Nachholbedarf. Wir brauchen stabile Bedingungen bei Steuern, Abgaben und vor allen Dingen gute Bedingungen für Familien und für Bildung, damit Unternehmen und Mitarbeiter sich gleichermaßen entscheiden, in Sachsen zu bleiben und verstärkt in Sachsen zu investieren. Dabei können wir viel tun, gerade beim Bürokratieabbau, und dabei gerade dafür sorgen, dass sich diese Unternehmen auch im ländlichen Raum ansiedeln. Insofern ist dieser Tag keiner, um sich auf die Schultern zu klopfen, sondern dafür zu sorgen, dass es in Sachsen wesentlich mehr Industrieansiedlungen gibt als bisher.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem von Unternehmensführung, Gesamtbetriebsrat und Gewerkschaft vereinbarten Zukunftspakt ist die Schließung des Görlitzer Werkes vom Tisch. Über die im Zusammenhang mit der von Siemens geplanten Restrukturierung verbleibende Zahl der Arbeitsplätze und die Details des neuen Werkskonzeptes werden wir freilich noch weiterhin gemeinsam sprechen müssen – Beschäftigte, Betriebsrat, Gewerkschaft, Konzernleitung und auch wir als Politiker.
Seit dem Bekanntwerden der Schließungspläne im vergangenen November haben wir uns aktiv in den intensiven Verhandlungsprozess eingebracht. Ministerpräsident Michael Kretschmer war bei vielen Aktionen der Belegschaft genauso dabei wie ich als Wahlkreisabgeordneter; auch Staatsminister Martin Dulig und unser Landtagspräsident Matthias Rößler haben sich persönlich dafür eingesetzt. Herzlichen Dank dafür.
Das war eine sehr intensive und emotional aufreibende Zeit. Jetzt freuen wir uns von ganzem Herzen über das Ergebnis; denn einerseits haben die Görlitzer Siemensianer und deren Familien, von denen wir sehr viele persönlich kennen, eine berufliche Perspektive.
Andererseits wird sichtbar, dass wir als Politiker mit unserer Arbeit über Dialogangebote und Vermittlung unseren Beitrag zur Lösung scheinbar aussichtsloser Probleme leisten können. Dies haben wir nicht allein geschafft. Wir waren Teil eines komplizierten Verhandlungsprozesses, der sich nun fortsetzen wird und in Görlitz übrigens einen sehr beeindruckenden Nebeneffekt hat: Die Solidarität der Stadtgesellschaft mit den Siemensianern war und ist sehr groß. Durch gemeinsame Aktionen sind ein starker Zusammenhalt und ein Wirgefühl entstanden, das sich nun auf andere Bereiche auswirkt.
Das war wohl auch für den Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Joe Kaeser, mehrfach deutlich spürbar. In einem Brief an die „Sächsische Zeitung“ schreibt er, „dass für die Entscheidung, dem Görlitzer Werk doch eine Perspektive zu geben, nicht Krawall oder Druck ausschlaggebend waren, sondern der loyale Dialog der Mitarbeiter und das ehrliche Angebot, konstruktiv und engagiert an Lösungen mitzuarbeiten“. Er schreibt weiter: „Der Wettbewerb im Turbinengeschäft wird nicht einfacher werden, aber ich weiß, dass ich engagierte Mitarbeiter in Görlitz habe, die alles tun werden, sich diesem Wettbewerb offen zu stellen, und diese Chance haben sie verdient.“
Wir freuen uns sehr darüber, dass sich Siemens offenbar auch seiner gesellschaftlichen Verantwortung wieder bewusst ist, und wir werden die Chance in Görlitz zu nutzen wissen.
Was bleibt nun also für Görlitz, für die Oberlausitz und für den Freistaat? Seit mehr als hundert Jahren gibt es das traditionsreiche Görlitzer Turbinenwerk. Es wird nun zur weltweiten Zentrale für Industriedampfturbinen weiterentwickelt. Dass dies so möglich ist, basiert in erster Linie auf der hohen Innovationskraft und der leistungsfähigen Fachkompetenz der Görlitzer Siemensianer. Weitere Innovationen werden folgen; denn als weltweit führender Industriestandort von Siemens werden in Görlitz Industriedampfturbinen nicht nur gefertigt, sondern es werden auch neue Produkte entwickelt. Damit wird auch die Strategie der Sächsischen Staatsregierung gestärkt, in die ländlichen Räume wie die Oberlausitz Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen zu bringen.
Für die Wertschöpfung in der Region sind das gute Nachrichten. Wir entwickeln uns davon weg, immer nur die verlängerte Werkbank zu sein. Gleichzeitig ist sichergestellt, dass das Konzept von Siemens nachhaltig und zukunftsgerichtet ist. Wir sprechen hierbei darüber, vor allem auch Familien in der Region zu halten, die entscheidend zu deren zukünftiger Entwicklung und Kaufkraft beitragen; denn die meisten bei Siemens Beschäftigten sind zwischen 35 und 55 Jahre alt.
Siemens bleibt Görlitz erhalten. Diese sehr gute Nachricht ist nicht nur ein Bekenntnis für Sachsen und ein klares Signal für den Industriestandort, sondern auch ein deutliches Zeichen dafür, dass sich Fachkompetenz, –
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sachsens Wirtschaft geht es gut; sie ist gut aufgestellt mit unseren bundesweit höchsten Wirtschaftswachstum im Jahr 2016. Treibende Kraft hierbei ist die Industrie. Seit über 20 Jahren liegt auch die Investitionsquote sächsischer Industrieunternehmen deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
Sachsens Wirtschaft geht es wieder gut – trotz Dieselskandal und Wirtschaftssanktionen. Wir haben es geschafft, uns aus dem Tief der Nachwendezeit herauszuarbeiten. Ich erinnere an den Zusammenbruch arbeitsintensiver Industriezweige in den Neunzigerjahren. Der Strukturwandel hin zu Maschinenintensivierung und automatisierten Industrieprozessen wurde auf dem
Rücken der Arbeitnehmerschaft ausgetragen. Ich möchte insbesondere auf die gebrochenen Erwerbsbiografien der vielen Tausend Textilarbeiterinnen hinweisen. Direkt nach der Wende kamen Investoren und machten Sachsens Industrie zur verlängerten Werkbank, um nach Ablauf der Fördermittelbindung einfach weiterzuziehen. Das Beispiel „Schießer“ bleibt dabei in denkbar schlechter Erinnerung.
Heute haben Unternehmen ganz andere Beweggründe, nach Sachsen zu kommen. Aktuell investiert die Robert Bosch GmbH in Dresden 1 Milliarde Euro in ein neues Halbleiterwerk. Die „Freie Presse“ hat heute darüber berichtet. Mit Firmen wie Infineon, Globalfoundries und X-FAB, der wissenschaftlichen Expertise etwa an der TU Dresden und im Fraunhofer-Institut wird sie das größte Halbleitercluster Europas weiter stärken.
Unternehmen kommen nicht mehr niedriger Löhne wegen, sondern suchen hohe Fachkompetenz. Arbeitnehmerschaft wird zunehmend selbstbewusster und tritt offensiv für ihre Interessen ein. In Görlitz konnten sie eine ganze Stadt mobilisieren, und sie haben ihr Ziel erreicht. Der Siemens-Konzern revidierte seine Entscheidung. Ich selbst als ehemalige Siemensianerin hätte das nie für möglich gehalten. Die Belegschaft in Görlitz hat eine immense Selbstwirksamkeitserfahrung gemacht und wurde tatkräftig von der Landespolitik unterstützt.
denn der Erfolg der Görlitzer Belegschaft trägt weit über die Stadt hinaus zu neuem Selbstbewusstsein in der Bevölkerung bei.
Unsere Aufgabe als Landespolitik ist es nun, die wirtschaftspolitisch richtigen Weichen zu stellen, die unsere Industrie nachhaltig auf Erfolgskurs ausrichten. Sachsen ist stark durch seine breit aufgestellte Industrielandschaft und wird nur durch Innovationen sächlich zukunftssicher werden. Unsere Unternehmen leisten intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Auch künftig brauchen wir hierfür geeignete Förderinstrumente. Sachsens Innovationsförderung müssen wir künftig stärker diversifizieren und zielgerichtet kleine Firmen erreichen. Statt rein monetär brauchen wir Förderung von Fachkompetenz.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin! Sie haben gerade gesagt, man brauche die Leute von der AfD nicht, wir wären die Angstmacher und sonstige vom rechten Rand,
und dass Sie Fachkompetenz brauchen. Nun frage ich mich: Wo sind Sie gewesen, als es darum ging – noch bevor es die Entscheidung zur geplanten Schließung des Siemens-Standortes Görlitz gab –, dass Ausbildungsplätze von Siemens aus Görlitz wegverlagert werden? Wo waren Sie? Wir waren es, die sich bereits vor der Bundestagswahl mit dieser Thematik befasst haben. Wir haben allen Gespräche angeboten. Wir waren immer mit dabei. Wenn wir ausgeladen bzw. nicht eingeladen werden, dann können wir nichts machen. Aber wir haben uns – genauso wie jede andere Partei – in diesen Prozess eingebracht.
Bitte nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass Joe Kaeser bereits am Anfang der Schließungspläne gesagt hat: Wir müssen uns überlegen, ob wir den Standort Görlitz wirklich zumachen sollten; denn die AfD ist dort schon so stark. Also allein, dass wir im Landtag sind und dass die Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl so hoch ausgefallen sind, war ja offensichtlich schon ein Mitentscheidungsgrund dafür, den Standort möglicherweise nicht zu schließen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ursprünglich sollte an dieser Stelle zunächst ein Dank kommen, aber ich beginne doch mit einem anderen Satz: Ich glaube, der Siemens-Konzern hat – ähnlich wie der Konzern von Bombardier – am Standort Görlitz eine extrem multikulturelle Gesellschaft in den Mitarbeiterreihen und ist darauf angewiesen, dass sich Menschen aus Indien, Amerika, Südamerika etc. in der Stadt wohlfühlen.
Glauben Sie mir, liebe AfD, Sie tun alles dafür, dass sich diese Menschen nicht wohlfühlen und dass dieser Standort eher mit Ihrer Rhetorik, Ihren rassistischen Ressentiments und dem, was Sie sagen, gefährdet ist. Sie können sich gar nichts auf die eigene Fahne schreiben, wenn es um die Standortsicherung geht. Diese internationalen Konzerne sind nämlich darauf angewiesen, dass man über die deutschen Grenzen hinausdenkt und nicht an ihnen schießen will. Deshalb schreiben Sie sich das nicht auf die Fahnen.
An dieser Stelle gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Irgendwie ist ja die Runde heute dafür gedacht gewesen, sich einmal selbst zu danken. Die Staatsregierung hat ihre Koalitionsparteien losgeschickt und gesagt: „Sagt doch mal Danke!“ Im selben Stil könnte ich jetzt sagen: „Hallo Mutti!“, aber an dieser Stelle etwas unangebracht – Mutti würde es vielleicht freuen. Es ist die Aufgabe des Ministerpräsidenten, des Wirtschaftsministers und Ähnlichem sich hinzustellen, wenn ein Betrieb wie Siemens in einer Region in Schwierigkeiten gerät. Ich erwarte schlicht, dass dieses Engagement kommt, und es gehört zu unserem Job als Landtagsabgeordnete, vor Ort zu sein.