Protocol of the Session on April 25, 2018

Es war im Ausschuss – so wie ich es verstanden habe – Konsens, dass bezüglich der Abbrecherquote eine Überarbeitung des Konzeptes durch den Träger erforderlich ist und diese angemahnt werden muss. Da kann man nicht drum herumreden. Einfach zu sagen „Das kann so weiter durchgehen“ war zumindest im Verfassungs- und Rechtsausschuss nicht unisono. Hier muss man nachsteuern.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Die Staatsregierung hat auch erklärt, dass sie sich das ansehen wird. Insofern gibt es über die Frage eines moderaten Handlungszwangs im Wesentlichen keinen Streit.

Laut der Staatsregierung sollte das Auswahlverfahren, welche Gefangenen für den Vollzug in freier Form überhaupt infrage kommen, überdacht werden. Wir als LINKE würden begrüßen, wenn zukünftig Strafgefangene bis zum 27. Lebensjahr zunächst die Möglichkeit hätten, im

freien Vollzug aufgenommen zu werden, wenn sie persönlich dazu geeignet sind und wenn die Tat, die ihnen durch Urteil angelastet wurde, dazu geeignet ist.

Wir wären selbstverständlich auch froh, wenn wir weitere Projekte und Einrichtungen dieser Art in Sachsen sukzessive entwickeln könnten. Das würde es auch ermöglichen, dass Gefangene sich aussuchen können, ob sie eher in eine konfessionell ungebundene Einrichtung wollen oder in eine Einrichtung, die mehr oder weniger stringent an den christlichen Glauben anpasst. Das ist überhaupt nicht zu werten, aber es ist ein Problem unter dem Aspekt der Trennung von Staat und Kirche und generell der Konfessionswilligkeit.

Wir meinen insgesamt, dass dieses Seehausprojekt es allemal wert ist, das Projekt offener Vollzug weiter zu verfolgen. Wir sehen keine Veranlassung, diese Vollzugsart in irgendeiner Form abzubremsen oder die Förderung in dieser Richtung zurückzunehmen, im Gegenteil. Wir meinen, es muss weiter ausgebaut werden. Die dort tätigen Betreuerinnen und Betreuer, Psychologinnen und Psychologen usw. vermitteln uns zum Beispiel, dass dort ein Prozess in Gang gesetzt wird, wodurch Menschen, die in der Vergangenheit immer Probleme hatten, sich selbst zu disziplinieren, in gewisser Weise zu motivieren und mit Konfliktlagen im Leben überlegter und distanzierter umzugehen, dies dort gut lernen können. Das ist allemal eine Perspektive, eine Alternative zum Wegsperren im geschlossenen Vollzug.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion Herr Abg. BaumannHasske. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist zu diesem Thema schon sehr viel gesagt worden und ich kann mich den vorangegangenen Ausführungen überwiegend anschließen. Ich halte dieses Projekt Seehaus auch für ein gutes Projekt und denke, dass in den vergangenen Jahren Gutes bewirkt worden ist.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Wir als SPD-Fraktion möchten gern, dass dieses Projekt fortgesetzt und ausgebaut wird.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Insofern kann ich mich Herrn Bartl anschließen. Wir müssen weitere alternative Konzepte in Sachsen verfolgen und schauen, dass es eine größere Vielfalt gibt.

Für Personen, die keinem christlichen Glauben angehören, halte ich die Disziplin, bezogen auf Bibellektüre und christliche Arbeitsethik, für etwas problematisch. Wir werden in solchen Einrichtungen kaum gerichtliche oder gar verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen erleben; denn der Personenkreis, der dort untergebracht ist und

dort erzogen wird – ich sage es einmal so –, wird sich kaum in dieser Weise zur Wehr setzen. Wir müssen uns auch darüber klar sein, dass der Zwang, sich christlich zu betätigen und christliche Meditation mit der Bibel zu betreiben, verfassungsrechtlich problematisch ist.

Wir sollten meiner Meinung nach uns nicht darauf verlassen, wo kein Kläger ist, ist kein Richter, sondern wir sollten dafür sorgen, dass dies einer moderaten Korrektur unterzogen wird. Wenn sich die betreffenden Personen morgens mit bestimmter Lektüre, die sich vielleicht an christlichen Werten orientiert, auseinandersetzen sollen, dann muss das nicht die Bibel sein, sondern es können auch andere Inhalte sein. Man sollte überlegen, ob man da nicht nachsteuern kann.

Ähnliches gilt meines Erachtens für die Wahrung der Privatsphäre. Wir haben aus der Evaluation gelernt, dass die Privatsphäre dort deutlich stärker eingeschränkt ist, als es zum Beispiel im üblichen Vollzug der Fall ist. Wir haben fast keine Privatsphäre mehr. Auch dagegen werden sie sich nicht vor Gerichten zur Wehr setzen, aber wir sollten darauf achten, dass ein Minimum an Privatsphäre – dafür gibt es eine ausführliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes – gewahrt bleibt. Das muss den Vollzugszielen gar nicht entgegenstehen, sondern es muss nur in das Konzept eingepasst werden.

(Beifall des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Dafür sollten wir uns starkmachen, denn dann ist diese Einrichtung ausgezeichnet geeignet.

Auch eine Abbrecherquote von einem Drittel ist Anlass, darüber nachzudenken, ob auch einmal etwas schiefgeht, und mit den Leuten darüber zu sprechen, warum sie freiwillig in den Normalvollzug zurückgehen. Das heißt aber noch nicht, dass deshalb das ganze Verfahren falsch ist, und deshalb sollte es fortgesetzt werden.

Wir sollten vielleicht auch über andere alternative Formen des freien Vollzugs nachdenken und solche Projekte fördern. Insgesamt möchte auch meine Fraktion diese Form weiterhin unterstützen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Geert Mackenroth, CDU)

Für die AfD-Fraktion Herr Abg. Barth. Bitte sehr, Herr Barth.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Den Vollzug in freier Form gibt es in Sachsen seit dem Jahr 2011. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz probiert man Ähnliches. Versuche in Nordrhein-Westfalen wurden eingestellt.

Als freier Träger der Jugendhilfe wurde unter insgesamt 17 Bewerbern der Seehaus e. V. aus Baden-Württemberg ausgewählt. Die Geschichte des Seehauses in Sachsen wird auch gern als Erfolgsgeschichte verkauft; das haben wir soeben gehört.

(Zuruf von der SPD)

Viele Bürger, in deren Nachbarschaft der Vollzug in freier Form durchgeführt wird, sind da aber anderer Meinung.

(Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Waren! Waren!)

Die Geschichte des Seehauses im Freistaat Sachsen ist auch eine Justizgeschichte. Drei Beispiele: Alter Standort Störmthal – Bürgerinitiative und Klagen vor den Verwaltungsgerichten gegen Seehaus. Neuer Standort Hainer See – 95 Bürgereingaben und eindeutiger Bürgerentscheid gegen Seehaus, abgelehnt und wegen Formfehlern kassiert. Stattdessen fassen die Gemeinderäte von Neukieritzsch und Espenhain, CDU, den Bebauungsplan neu und ermöglichen so das Seehaus. Damit hat sich das Seehaus durchgesetzt oder – besser gesagt – es wurde durchgesetzt.

Warum gibt es quer durch die Parteien so viel Unterstützung für die Ansiedlung des Seehaus e. V. am Hainer See? Gründer des Seehaus e. V. ist Tobias Merckle, Sohn von Multimilliardär Adolf Merckle, ehemals fünftreichster Deutscher, dem Ratiopharm, Heidelberger Zement und Ähnliches gehörten – Jahresumsatz 35 Milliarden Euro.

Der neue Standort am Hainer See wurde nicht zufällig gewählt, obwohl man dies der Öffentlichkeit weiszumachen glaubt. Angeblich hat man 200 Immobilien geprüft und als ungeeignet empfunden. Der Hainer See ist der einzige Privatsee in Sachsen. Er gehört der Firma Blauwasser. Die wiederum gehört der Firma Merckle aus Schwaben. Hier schließt sich der Kreis. Man könnte auch, um im Dialekt der Eigentümer zu sprechen, von „Geschmäckle“ sprechen.

Blauwasser als Seeeigentümer verpflichtet sich, öffentliche Strände einzurichten und zu pflegen. Vermarkten darf die Firma auch den See selber. Ein Haus mit Grundstück und eigenem Bootssteg kostet circa 300 000 Euro. Fast alle Grundstücke sind verkauft. Auch Leipzigs Oberbürgermeister, Burkhard Jung, SPD, hat dort ein Wochenendhaus.

(Staatsministerin Petra Köpping: Nicht mehr!)

Rund 3,12 Milliarden Euro hat die LMBV in Mittelsachsen in die Sanierung und Flutung der ehemaligen Tagebaue

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

aus Steuermitteln investiert. Damit folgte man auch hier dem bewährten Konzept: Verluste sozialisieren, Gewinne privatisieren. Die etablierten Parteien halfen mit.

(Zurufe von den LINKEN und den GRÜNEN)

Zurück zum Seehaus. Tobias Merckle widmete sich nicht dem Familienimperium, sondern der Sozialpädagogik. Mangels eigener Probleme war viel Zeit vorhanden für die Probleme anderer Menschen und dafür, sich die Welt anzuschauen. In den USA fand er alternative Formen des Strafvollzugs. Die Glen Mills School, ein Bootcamp mit klerikalen Elementen, hatte – wie die „taz“ schrieb – kein

Panzerglas, keine Mauer, keinen Stacheldraht, sondern stattdessen klare, autoritäre Strukturen, die totale Reglementierung des Alltags von morgens 05:45 Uhr bis abends 22:00 Uhr, ein straffes Programm. Rauchen, telefonieren, Besuch empfangen sind verboten.

Dieses Konzept begeisterte Merckle und er kopierte es mit dem Seehaus. Wichtig ist auch der christliche Glaube in Form täglicher Gebete und Bibelstunden.

Merckle selbst sagte, das Seehaus sei ein Auftrag von Gott – andere sprechen von Missionierungseifer. Nicht zufällig ist der Seehaus e. V. daher Mitglied bei der Diakonie Leipziger Land. So gibt es ein hübsches Stelldichein: Das Großkapital ist Eigentümer des Grundstücks, sponsert die Träume des Filius. Gegen den Willen der Bevölkerung wird das Bauprojekt mithilfe der örtlichen Gemeinderäte durchgesetzt. Für einige Politiker fiel auch ein Privatgrundstück ab.

(Dr. Gerd Lippold, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Herr Barth, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, leider nicht. – Das Sächsische Justizministerium kommt nun in seinem Bericht zu folgendem Ergebnis: Seit der Eröffnung des Seehauses 2011 waren 32 Jugendliche untergebracht, von denen wieder 11 in die JVA zurückverlegt wurden; allerdings hätten 15 Jugendliche das Programm im Seehaus erfolgreich absolviert. 15 Jugendliche in sechs Jahren – das ist das beeindruckende Ergebnis.

Beeindruckend sind auch die aufgewendeten finanziellen Mittel. Der Landtag hat ein Budget von einer Million Euro jährlich bewilligt. Bei einer Kapazität von sieben Plätzen sind das 142 847 Euro pro Jugendstrafgefangenen und Jahr. Das ist das Vierfache des normalen Haftkostenansatzes. Da Justizminister Gemkow keine Kosten zu hoch sind und das Projekt gewisse positive Effekte bewirken kann, einigt man sich für die Zukunft auf Folgendes:

Die Zahl der Plätze wird auf 14 verdoppelt. 2022 wolle man noch einmal ansehen, ob die Ergebnisse einer erneuten Evaluation wunschgemäß ausfallen. Man vermittelt den Eindruck einer Testphase. Für abschließende Entscheidungen bedarf es weiterer Evaluierung. Das ist aber irreführend. Längst hat man vollendete Fakten geschafft. Das angemietete Objekt in Störmthal wurde ersetzt durch einen Neubau am Hainer See. Zum Hintergrund habe ich bereits ausgeführt.

Der Neubau des Seehauses kostete 5 Millionen Euro, finanziert aus Spenden. Auch handelte es sich nicht um den ersten Bauabschnitt. Der Bebauungsplan weist schon jetzt drei weitere Gebäude aus. So lässt sich ohne Weiteres die Kapazität auf 30 Plätze verdoppeln. Da trifft es sich gut, dass sich das Seehaus in Baden-Württemberg jetzt auch in der Integration von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen engagiert. Wann wird das Seehaus Sachsen Selbiges tun? Die Nutzer des Campingplatzes

Hainer See, direkt neben dem Seehaus gelegen, werden es sicher kaum erwarten können, nicht nur mit Jugendstrafgefangenen, sondern auch mit Geflüchteten aus aller Welt am Badestrand ins Gespräch zu kommen.